Hauptverhandlung gegen Gustl Mollath - Schlaglichter vom fünften Tag
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Diese Hauptverhandlung ist der zweite Versuch, aufgrund derselben Anklage die Tatvorwürfe gegen Gustl Mollath zu klären. Den ersten Versuch, die Hauptverhandlung 2006 in Nürnberg, muss man streichen – der ist nicht mehr existent – so ähnlich drückt es OStA Meindl aus.
In diesem zweiten Versuch fehlt aber das wichtigste Beweismittel gegen den Angeklagten Mollath, die Aussage des (möglichen) Tatopfers. Deshalb ist das Gericht darauf angewiesen, von den Beteiligten des früheren Verfahrens über die damaligen Angaben der Zeugin informiert zu werden. Die jetzt gehörten Zeugen erinnern sich meist nicht oder nur bruchstückhaft daran. Deshalb werden ihnen zur Erinnerung Vorhalte aus den Akten vorgelesen. Diese Vorhalte aus den Akten sind zum strafrechtlichen Beweis ungeeignet. Könnte man das vorgehaltene als Beweis verwerten, könnte man sich die neue Hauptverhandlung ersparen und allein aufgrund der Akten neu urteilen. Das aber lässt die Strafprozessordnung aus gutem Grund nicht zu: Im öffentlichen Forum der Hauptverhandlung müssen die Beweise möglichst unmittelbar aufgenommen werden. Der Eindruck in Teilen des Publikums, das von der Vorsitzenden und den anderen Fragestellern aus den Akten vorgelesene sei doch auch ein Beleg für die Taten und sogar für die psychische Störung oder Gefährlichkeit des Angeklagten, geht in die Irre. Bislang ist für keine der angeklagten Körperverletzungen ein verwertbarer Beweis erbracht worden. Dass einige die Taten dem Angeklagten zutrauen, genügt eben nicht. Dass sie meinen, der Angeklagte sei doch bestimmt damals „auffällig“ oder gar „krank“ gewesen, genügt nicht. Es hilft auch nicht weiter, wenn man dem Angeklagten nicht ganz zu Unrecht vorwerfen kann, sich damals unkommunikativ, unkooperativ, stur oder irrational verhalten zu haben. Man muss ihm die konkret in der Anklageschrift aufgeführten Taten nachweisen. Und kleine Erinnerung: Ein Angeklagter muss überhaupt nichts zu seiner Verteidigung sagen, und die Tatsache der Aussageverweigerung darf keinesfalls gegen ihn verwendet werden. Das geht nur im Privatbereich, aber eben nicht im Strafprozess.
Ein Strafrichter
Gegen Richter E. hat RA Strate im Auftrag von Herrn Mollath ein Strafverfahren in Gang gesetzt. Er habe unter Missachtung einer verfassungsrechtlichen Interpretation des § 81 StPO Herrn Mollath zur Beobachtung unterbringen lassen.
In der Entscheidung des BVerfG heißt es:
„Eine Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Beobachtung kann danach nicht erfolgen, wenn der Beschuldigte sich weigert, sie zuzulassen bzw. bei ihr mitzuwirken, soweit die Untersuchung nach ihrer Art die freiwillige Mitwirkung des Beschuldigten voraussetzt (vgl. BGH, StV 1994, S. 231 f.). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Exploration erforderlich wäre, diese aber vom Beschuldigten verweigert wird und ein Erkenntnisgewinn deshalb nur bei Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden (§ 136 a StPO) oder einer sonstigen Einflussnahme auf die Aussagefreiheit des Beschuldigten zu erwarten ist (vgl. OLG Celle, StV 1985, S. 224; StV 1991, S. 248).“
Ich glaube ihm, dass er das Urteil des BVerfG nicht kannte und er sich deshalb auch nicht wegen vorsätzlicher Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung strafbar gemacht hat, als er die Unterbringung zur Beobachtung anordnete. Er war erst drei Wochen als Strafrichter tätig und möglicherweise war dies der erste Fall, in der er den § 81 StPO anwenden wollte. Die Fahrlässigkeit, nicht in einem Kommentar nachgeschlagen zu haben, ist nicht tatbestandsmäßig. Und er hätte dazu - nach dem Programm des damaligen Sitzungstages am AG - auch gar keine Zeit gehabt. Im Übrigen fehlt auch ihm die Erinnerung. Was die Protokollführerin damals notiert hat, war kein Wortprotokoll und kann deshalb auch nicht als Beweis für das damals Gesagte verwertet werden.
Ein Staatsanwalt
Der Zeuge wirkt immer noch sehr jung. Wohl deshalb bekommt er von RA Strate ein Lob ausgesprochen: Immerhin habe er gegen den erfahrenen VorsRiLG B. vor acht Jahren Mut gezeigt, als er selbst (neben Mollath und dem Verteidiger selbst) auch den Antrag gestellt habe, den Pflichtverteidiger zu entbinden. Seine richtige Überlegung: Wegen des bedrohlichen abendlichen Besuchs von Mollath bei seinem Verteidiger komme letzterer als Zeuge für die Gefährlichkeit seines Mandanten in Betracht. Und das schließe ihn aus der Rolle als Verteidiger aus. Der VorsRiLG B. hat diesen Antrag des Staatsanwalts einfach ignoriert. Und das Gericht hat dann doch die Schilderung des Verteidigers zum Nachteil des Mandanten ins Urteil geschrieben. (Dieser Punkt nimmt im Wiederaufnahmeantrag RA Strates fast 40 Seiten ein, das LG Regensburg hatte vergangenes Jahr diesen Wiederaufnahmegrund wie alle anderen als unzulässig angesehen, mit sehr fragwürdiger Begründung, siehe meinen Kommentar dazu - B7 - hier)
Eine ehemalige Richterin am LG
In Nürnberg ging es 2006 darum, jemanden mit einer der schwersten Sanktionen zu belegen, die das Strafrecht kennt: Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB. Das Gesetz ordnet die landgerichtliche Zuständigkeit an – eine Strafkammer soll darüber entscheiden, also Richter, die das Strafrecht und Strafprozessrecht aus dem Effeff kennen und die Verhandlungspraxis sicher beherrschen.
Die Überzeugung von der tatsächlichen Urteilsgrundlage muss aufgrund des „Inbegriffs der Hauptverhandlung“ gewonnen werden – das weiß natürlich jeder Richter und jede Richterin am LG: Die im Urteil verwendeten Tatsachen müssen durch die in der Verhandlung eingeführten Beweise belegt werden. Dies ist in der Urteilsbegründung auch zu dokumentieren. Es ist – insbesondere wenn es um eine unbefristete Unterbringung geht – ein absolutes No-Go, die Fakten für die Verurteilung nicht der Hauptverhandlung, sondern den Akten (oder Teilen davon) zu entnehmen, um so Lücken in der Beweislage zu schließen. Ich weiß, mir wird wahrscheinlich wieder „Unfairness“ vorgeworfen, aber schon die Planung der damaligen Hauptverhandlung ließ für dieses Ziel nichts Gutes vermuten – die Beweisaufnahme zu den Tatvorwürfen sollte an einem halben Tag stattfinden (zum Vergleich: jetzt sind es 17 Tage), für jeden Zeugen blieben da nur zehn Minuten. Und unter dem Zeitdruck, das Urteil noch vor dem geplanten Urlaub absetzen zu müssen, passierten der Richterin dann weitere Fehler.
Trotz grundsätzlich fehlender Erinnerung auch dieser Richterin gab es dann eine kleine Sensation. Nicht etwa Journalisten des Stern und des Spiegel im Jahr 2012, sondern das damalige Gericht selbst hatte schon herausgefunden, dass das Attest gar nicht von der dort benannten Ärztin sondern von deren Sohn ausgestellt war.
Update wegen diverser Nachfragen: Richterin H. meinte zunächst, man habe wohl die Ärztin geladen, und habe dann telefonisch erfahren, dass das Attest vom Sohn erstellt wurde und dass dieser aber nicht zum Gericht kommen könne. Erst daraufhin habe die Kammer entschieden, das Attest zu verlesen, StA und Verteidiger hätten dem zugestimmt. Frau H. wurde dann darauf hingewiesen, dass die Ärztin lt. Zeugenliste gar nicht geladen war und dass die ausdrückliche Zustimmung von StA und Vert. zur Verlesung nicht protokolliert sei. Frau H. berief sich im Weiteren auf fehlende bzw. mangelnde Erinnerung.
Das Attest wurde in der damaligen Hauptverhandlung als Urkunde der Ärztin verlesen, obwohl das Gericht wusste, dass es gar nicht von dieser Ärztin stammt. Und dieser „Fehler“ wurde dann auch in die Urteilsgründe übernommen.
Die Sachverständigen
Wie schon an den vergangenen Tagen mischen sich die Sachverständigen gelegentlich in die Verhandlung ein und stellen Fragen. Herr Dipl.-Ing. Rauscher zur Frage der Reifenbeschädigung, Herr Prof. Dr. Eisenmenger zu rechtsmedizinischen Implikationen der Körperverletzung und heute auch Herr Prof. Dr. Nedopil. Er stellte die sinnvolle Frage, wie man denn bei Herrn Mollath die Gefährlichkeit festgestellt habe, wenn er doch viele Monate nach der Gutachtenerstellung und vor der erneuten Inhaftierung im Februar 2006 unauffällig in Nürnberg gelebt habe. Die Richterin beantwortet diese Frage nicht – sie beruft sich auf das Beratungsgeheimnis.
Aber auch ohne eine Antwort hat Prof. Nedopil einen wichtigen Punkt gemacht. Zugunsten Herrn Mollaths.