Zeit-Chef di Lorenzo behauptet, er habe zweimal gewählt. Wäre das strafbar?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Aufsehen hat der Chefredakteur der "Zeit" damit erregt, dass er in der Jauch-Sendung behauptete, bei der Europawahl zweimal eine Stimme abgegeben zu haben (siehe hier). Dass dies nicht zulässig ist, ergibt sich aus § 6 Abs. 4 EUWG. Auch wer die Wahlberechtigung zu verschiedenen Teilkontingenten des Europaparlaments hat (entweder weil er Doppelstaatler ist oder aber, was der häufigere Fall ist, weil er als in Deutschland lebender Bürger eines anderen EU-Landes auch hier wahlberechtigt ist), darf nur einmal vom Wahlrecht Gebrauch machen. Dass Verstöße gegen diese Vorschrift kaum aufgedeckt werden können, war schon vorher bekannt (ausgerechnet Zeit-Online berichtete darüber).
Wäre es aber auch strafbar?
Geht man von dem Sachverhalt aus, dass Herr di Lorenzo zunächst im italienischen Konsulat und sodann seine Stimme im deutschen Wahllokal abgegeben hat, stellt sich die Frage, ob er bei der zweiten Stimmabgabe "unbefugt" im Sinne des § 107 a StGB gewählt hat. Die Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlamants liegen im Geltungsbereich dieser Norm (§ 108 d StGB). Allerdings gilt dies nur für den deutschen Teilausschnitt, d.h. die Wahl der deutschen Europaabgeordneten. Es kommt also darauf an, ob die Stimmabgabe im deutschen Wahllokal wegen der zuvor schon erfolgten Stimmabgabe "unbefugt" gewesen ist. Dies führt zurück zu § 6 Abs.4 EUWG, in dem dieser Fall ausdrücklich geregelt ist:
(4) Das Wahlrecht darf nur einmal und nur persönlich ausgeübt werden. Das gilt auch für Wahlberechtigte, die zugleich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zum Europäischen Parlament wahlberechtigt sind.
Wenn Herr di Lorenzo also mit seiner Aussage nicht nur auf das Problem hinweisen wollte, sondern er sich tatsächlich so verhalten hat, dürfte er den objektiven Tatbestand des § 107a StGB erfüllt haben.
Nach Diskussion im Kollegenkreis: Fraglich ist aber, ob er auch den subjektiven Tatbestand erfüllt hat. Wird "unbefugt" als normatives Tatbestandsmerkmal aufgefasst, ist der Irrtum, unbefugt zu wählen, ein Tatbestandsirrtum, der den Vorsatz ausschließt. Das ist wohl die überwiegende Auffassung. Meinte also Herr di Lorenzo, er wähle "befugt" zweimal (so jedenfalls der Eindruck derer, die die Sendung gesehen haben), dann hat er demnach nur (straflos) fahrlässig unbefugt gewählt - er wäre dann "nochmal davongekommen".
Nach anderer Auffassung genügt es für den Vorsatz schon, die Umstände, die die Unbefugtheit begründen, zu kennen. Das wäre hier wohl der Fall und nach dieser Auffassung wäre auch der subjektive Tatbestand zu bejahen. Ein bloßer Verbotsirrtum, der dann vorläge, ließe die Strafbarkeit nicht entfallen, denn dieser wäre wohl vermeidbar.
Die Stimmabgabe im italienischen Konsulat wäre übrigens auch dann nicht strafbar nach § 107 a StGB, wenn sie zeitlich nach der deutschen Stimmabgabe erfolgt wäre. Die §§ 107 ff. StGB schützen nicht die Wahl der italienischen Abgeordneten zum Europaparlament. Möglicherweise wäre dies aber vom italienischen Strafrecht erfasst. Mit der Frage der angeblichen "Exterritorialität" hat das Ganze nichts zu tun.
Diskussion auch hier im Lawblog
und bei Legal Tribune Online.