Fall Mollath - Muss über die Rechtmäßigkeit der Maßregelvollstreckung nicht mehr entschieden werden?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Vergleichsweise wenig Aufsehen – verglichen mit den Entscheidungen im letzten Jahr – hat ein Beschluss des OLG Bamberg vom 24. März 2014 in der Maßregelvollstreckungssache gegen Gustl Mollath erregt.
Es ging um einen (kleinen) Teil des großen Aufräumens nach dem erschütternden Skandal um die siebenjährige Unterbringung Mollaths, die im letzten Sommer durch die Anordnung der Wiederaufnahme durch das OLG Nürnberg endete.
Erst Ende August 2013, also nach der Freilassung Mollaths, hatte das BVerfG über die schon im Januar 2012 eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des OLG Bamberg vom 26.08.2011, mit dem die Vollstreckung bestätigt wurde, entschieden: Die Verfassungsbeschwerde Mollaths sei zulässig und begründet. Das OLG Bamberg habe im August 2011 in verfassungswidriger Weise zu Lasten Herrn Mollaths dessen weitere Unterbringung bestätigt. Die Gründe der Entscheidung hätten insb. der Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgebots in Fragen der (langjährigen) Freiheitsentziehung nicht entsprochen. Die Entscheidung des OLG Bamberg wurde daher vom BVerfG aufgehoben und die Sache an das OLG Bamberg zurückverwiesen.
Da wegen der Freilassung Mollaths über die Verlängerung der Vollstreckung nicht mehr entschieden werden konnte, hatte Gustl Mollath bzw. sein Verteidiger, RA Strate, nun den Antrag gestellt, festzustellen, „dass die Voraussetzungen der Maßregel seit dem 11.05.2011 nicht mehr vorgelegen haben.“
Letzte Woche nun hat das OLG Bamberg seine Entscheidung getroffen: Das Verfahren wurde für erledigt erklärt, da der Verfahrensgegenstand durch die Freilassung Herrn Mollaths, und damit auch seine Beschwer, wegen prozessualer Überholung praktisch nicht mehr vorhanden sei.
RA Strate hat diesen Beschluss umgehend kritisiert und eine Gegenvorstellung verfasst. Die bloße formale Erledigterklärung genüge schon dem Tenor der Entscheidung nicht. Das OLG Bamberg missachte die Bindungswirkung des § 31 BVerfGG.
„Das Oberlandesgericht Bamberg war nach dem unmissverständlichen Tenor der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zu einer erneuten Entscheidung aufgerufen worden, und zwar in der Sache. Eine derartige Entscheidung hat das Oberlandesgericht nicht getroffen, sondern lediglich die angebliche Erledigung der anhängigen Beschwerde konstatiert. Das Oberlandesgericht Bamberg fühlt sich also dem Gesetzesbefehl des § 31 Abs. 1 BVerfGG nicht unterworfen.“
Die Frage ist, ob Gustl Mollath ein Recht darauf hat, dass die Rechtswidrigkeit seiner inzwischen beendeten Unterbringung vom zuständigen OLG festgestellt wird. Dazu zwei Anmerkungen:
I. Materieller Hintergrund ist eine Entscheidung des BVerfG von 1997 (2 BvR 817/90), mit der es seine vorherige Rechtsprechung änderte: Hieß es zuvor, es sei verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn im Strafprozess überholte Maßnahmen nicht mehr angefochten werden könnten, so gilt seit 1997 (BVerfG NJW 1997, 2163), dass Art. 19 Abs. 4 GG unter bestimmten Voraussetzungen auch die (nachträgliche) Rechtmäßigkeitsüberprüfung erledigter grundrechtsrelevante Maßnahmen verlangt. Dass im Grundsatz eine prozessual überholte Maßnahme nicht anfechtbar sei, ist aber nach wie vor verbreitete Meinung in der strafprozessualen Praxis, unterstützt von einigen Kommentaren (OLG Hamm NStZ 2009, 592; Meyer-Goßner-StPO vor § 296 Rn. 18a; KK-StPO Hannich, vor §§ 296-303, Rn.7). Sie interpretieren die genannte verfassungsrechtliche Rechtsprechung eng: Überprüfbar seien Maßnahmen nur, „wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann“ sprich: bei kurzfristig belastenden Maßnahmen, etwa der Durchsuchung oder Beschlagnahme. In der Tat bezog sich die ursprüngliche Entscheidung des BVerfG auf eine solche Durchsuchungsanordnung.
Das mittlerweile herrschende Schrifttum interpretiert die neue Linie des BVerfG aber umfassender: Dem verfassungsrechtlichen Sinn nach müsse jeder einigermaßen tiefgreifende Grundrechtseingriff auch bei prozessualer Überholung überprüfbar bleiben (so zB die Kommentierungen von Frisch in SK-StPO § 304 Rn. 53 ff.; Hoch in SSW, vor § 296 Rn. 27 ff.; Matt in LR, vor § 304 Rn. 72). Schaut man auf die weitere Rechtsprechung des BVerfG, muss man diesen Stimmen wohl beipflichten. Das BVerfG gesteht bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen (wozu die Unterbringung jedenfalls gehört) regelmäßig eine fachgerichtliche Überprüfung zu.
Insbesondere das Rehabilitierungsinteresse spricht hier auf den ersten Blick dafür, über den Feststellungsantrag Mollaths materiell zu entscheiden. Dem evtl. dagegen vorgebrachten Argument, die Rehabilitierung Gustl Mollaths sei hinreichend durch die Wiederaufnahme verfolgbar, kann man entgegenhalten, dass selbst wenn das LG Regensburg im Sommer 2014 feststellt, Herr Mollath habe die ihm vorgeworfenen Straftaten nicht begangen, er keineswegs vollständig von dem Stigma rehabilitiert ist, er sei ein Wahnkranker (gewesen) und zu Recht wegen seiner Gefährlichkeit sieben Jahre lang seiner Freiheit beraubt worden.
II. Beim Argument RA Strates, das OLG habe die Bindungswirkung der verfassungsrechtlichen Entscheidung (Art. 31 BVerfGG) verletzt, bin ich skeptisch:
Wenn das BVerfG eine Sache zur erneuten Entscheidung zurückverweist, ist dies kein bindender Auftrag an das adressierte Gericht, in der (erledigten) Sache materiellrechtlich zu entscheiden. Vielmehr ist die Tenorierung formale Routine, wenn ein Gerichtsbeschluss infolge einer Verfassungsbeschwerde aufgehoben wird (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Das mit der Aufhebung „offene“ Verfahren muss – und zwar in der zuständigen fachgerichtlichen Instanz – irgendwie zum Abschluss gebracht werden. Mit dem Tenor wird aber gerade nicht vorgeschrieben, wie dieser Abschluss erfolgen muss. Wäre es also (entgegen den obigen Ausführungen) richtig gewesen, bei prozessualer Überholung der Sache eine Beschwerde für erledigt zu erklären, dann hätte das OLG damit auch dem Tenor der Entscheidung des BVerfG entsprochen.