Erste Entscheidung zur Beschneidung nach Einführung des § 1631 d BGB
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
Die aus Kenia stammende Mutter hat die alleinige elterliche Sorge für ihren sechsjährigen Sohn. Sie beabsichtigt, ihn beschneiden zulassen. Hiervon erfuhr der vater, der in einem einstweiligen Anordnungsverfahren das FamG anrief.
Dieses entzog der Kindesmutter vorläufig die Gesundheitsfürsorge für den Sohn und übetrug sie auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger. Das Jugendamt als Ergänzungspfleger widersprach daraufhin dem von der Kindesmutter beabsichtigten Eingriff bis auf Weiteres ausdrücklich.
Das AG hielt seinen Anordnungsbeschluss aufrecht, soweit der Kindesmutter das Recht zur Beschneidung des Kindes entzogen worden und auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen worden ist; i.Ü. übertrug es das Recht der Gesundheitsfürsorge auf die Kindesmutter zurück. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
b) Da die Beschneidung des Kindes G nicht in dessen ersten sechs Lebensmonaten im Sinne des § 1631 d Abs. 2 BGB durchgeführt werden soll, sondern er vielmehr bei Einleitung des Verfahrens bereits fünf Jahre alt war und heute sechs Jahre alt ist, ist Grundlage für das mögliche Recht der Kindesmutter auf Zustimmung zur Beschneidung des Kindes G allein § 1631 d Abs. 1 BGB. Danach müssen folgende Voraussetzungen vorliegen:
aa) Die Kindesmutter muss personensorgeberechtigt sein, was nach dem oben Gesagten grundsätzlich – mit Ausnahme der von ihr gerade angefochtenen Einschränkung durch die erstinstanzlichen Beschlüsse - der Fall ist.
bb) Das betroffene Kind darf nicht einsichts- und urteilsfähig sein.
(1) Dabei geht der Senat nicht davon aus, dass für die Einwilligungsfähigkeit – wie von älterer Rechtsprechung im Hause bei einer Heilbehandlung angenommen - Volljährigkeit erforderlich ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.07.1998, 15 W 274/98, recherchiert bei juris, Rdnr. 12, NJW 1998, S. 3424 f.). Zum Einen ist diese Rechtsprechung bereits deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, weil es sich bei einer nicht medizinisch indizierten Beschneidung nach § 1631 d Abs. 1 BGB nicht um eine Heilbehandlung handelt. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/11295, S. 17) erfolgen medizinisch nicht indizierte Beschneidungen regelmäßig in einem Alter fehlender Einwilligungsfähigkeit des Kindes; ab welchem ungefähren Alter im Regelfall von einer Einwilligungsfähigkeit ausgegangen werden kann, ist in den Gesetzgebungsmaterialien indes offen gelassen worden. Im Einzelfall hat die Rechtsprechung zur früheren Rechtslage (vgl. Landgericht Frankenthal, Urteil vom 14.09.2004, 4 O 11/12, recherchiert bei juris, Rdnr. 20, MedR 2005, S. 243 ff.) gut nachvollziehbar - konkret auf die Beschneidung bezogen noch bei einem Neunjährigen - entschieden, dass nicht anzunehmen sei, dass dieser nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung ermessen könne (vgl. auch Hamdan, in jurisPK-BGB, a. a. O., Rn. 10). Erst recht muss dies grundsätzlich bei einem zunächst fünf- bzw. inzwischen sechsjährigen Jungen wie vorliegend G gelten.
(2) Insoweit haben sich aber gleichwohl der oder die Personensorgeberechtigte/n und der Arzt im Einzelfall ein Bild davon zu machen, ob das Kind einsichts- und urteilsfähig ist oder nicht, sowie was dessen Wünsche und Neigungen sind. Kommt einer von ihnen zur Bejahung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit, ist die Einwilligung der Eltern unwirksam; ein entgegenstehender Kindeswille ist in diesem Falle zwingend zu beachten. Zumindest bei Kindern über etwa 10 Jahren dürfte die vom Gesetzgeber des § 1631 d BGB angestrebte Rechtssicherheit damit nicht erreicht worden sein (vgl. Hamdan, in: jurisPK-BGB, a. a. O., Rn. 11). Vielmehr dürfte sich das Familiengericht regelmäßig gemäß § 159 Abs. 2 FamFG durch die persönliche Anhörung auch eines deutlich unter 14 Jahre alten Kindes einen Eindruck von dessen Einsichts- und Urteilsfähigkeit sowie von dessen Wünschen und Neigungen in Bezug auf den beabsichtigten Eingriff zu machen haben. Auch wenn eine Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Kindes danach im Einzelfall noch nicht festzustellen ist, ist ein etwa bei einer Anhörung geäußerter Wille dieses Kindes deswegen nicht von vornherein unbeachtlich. Vielmehr gelten hier die §§ 1626 Abs. 2 S. 2, 1631 Abs. 2 BGB. Nicht erst das Familiengericht bei seiner Anhörung, sondern bereits der oder die Sorgeberechtigte/n – und im Falle des § 1631 d Abs. 1 BGB auch der Arzt - haben mit dem Kind jeweils in einer seinem Alter und Entwicklungsstand entsprechenden Art und Weise die das Sorgerecht betreffende Frage des Eingriffs der Beschneidung in die körperliche Unversehrtheit des Kindes zu besprechen; der oder die sorgeberechtigten Elternteile haben dabei zu versuchen, mit dem Kind in kindgerechter Weise Einvernehmen herzustellen (vgl. § 1626 Abs. 2 S. 2 BGB). Eine diesen Anforderungen entsprechende Beteiligung des Kindes G lässt sich vorliegend nicht feststellen. Weder hat die Kindesmutter vorgetragen, ob, wann, wie und mit welchem Ergebnis sie selbst und der von ihr vorgesehene Arzt sich mit G über den beabsichtigten Eingriff in einer dessen Alter entsprechenden Art und Weise unterhalten und dessen Wünsche bei dem Finden einer für ihn akzeptablen Lösung berücksichtigt haben, noch hat das Familiengericht das zum Zeitpunkt seiner Entscheidung vom 23.05.2013 fast sechs Jahre alte Kind angehört.
cc) Die Beschneidung darf medizinisch nicht geboten sein. Auf medizinisch indizierte Beschneidungen ist § 1631 d BGB nach seinem klaren Wortlaut nicht anwendbar (vgl. Hamdan, in: jurisPK-BGB, a. a. O., Rn. 5). Vorliegend ist zwischen allen Beteiligten unstreitig, dass die von der Kindesmutter angestrebte Beschneidung von G medizinisch nicht geboten ist.
dd) Die nicht aus medizinisch gebotenen, sondern lediglich aus rituellen bzw. kulturellen oder hygienischen Gründen von den sorgeberechtigten Eltern bzw. dem sorgeberechtigten Elternteil gewünschte Beschneidung muss gleichwohl nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden. Dies meint die allgemein anerkannten Grundsätze und Methoden der Medizin für eine fachgerechte, im Falle des § 1631 d Abs. 1 BGB stets von einem Arzt vorzunehmende Durchführung des Eingriffs und eine anschließende effektive Schmerzbehandlung (BT-Drucksache 17/11295, S. 17; Hamdan, in: jurisPK-BGB, a. a. O., Rn. 13 – 15). Der ursprüngliche amtsgerichtliche Anordnungsbeschluss vom 21.03.2013 hatte auf Grund von durch den Kindesvater eidesstattlich versicherten Angaben sowie von telefonisch eingeholten Angaben des Jugendamtsmitarbeiters Herrn N und zweier schriftlicher Kurz-Stellungnahmen der Sachverständigen Dipl.-Psych. L jeweils vom 20.03.2013 noch angenommen, dass nicht feststellbar sei, dass die beabsichtigte Beschneidung entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden solle. Die Kindesmutter hat bereits erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 22.04.2013 eingeräumt, dass die diesbezüglichen Befürchtungen der anderen Beteiligten auf ihren eigenen unwahren Angaben zu einer angeblich bereits erfolgten Beschneidung des Kindes ohne Benennung der durchführenden Arztpraxis beruhten. Mittlerweile dürfte zwischen den Beteiligten – nicht zuletzt auf Grund des vorliegenden Verfahrens auch für die Kindesmutter – klar sein, dass eine etwaige zukünftige Beschneidung Gs entweder im Krankenhaus oder in einer urologischen bzw. Kinderfacharztpraxis durch einen Arzt mit fachgerechter Anästhesie und anschließender Schmerzbehandlung zu erfolgen hätte.
ee) Nicht hinreichend sicher feststellen kann der Senat indes zum gegenwärtigen Zeitpunkt im einstweiligen Anordnungsverfahren das Vorliegen einer weiteren – ungeschriebenen – Tatbestandsvoraussetzung: Die Wirksamkeit der Einwilligung der oder des Personensorgeberechtigten in die Beschneidung hängt von einer ordnungsgemäßen und umfassenden Aufklärung des gesetzlichen Vertreters über die Chancen und Risiken des Eingriffs ab (BT-Drucksache 17/11295, S. 17); da dieses Erfordernis der schon bis dahin geltenden Rechtslage entsprach, ist es nicht ausdrücklich in § 1631 d BGB mit aufgenommen worden (vgl. Hamdan, in: jurisPK-BGB, a. a. O., Rn. 16). Die Kindesmutter, die in ihrer positiven Haltung zu der Beschneidung aus kenianischen rituellen und kulturellen sowie hygienischen Gründen als festgelegt erscheint, hat zwar mitgeteilt, ursprünglich für den 25.03.2013 in der Arztpraxis des Dr. B einen Termin zur Beschneidung des Kindes G vereinbart zu haben. Dass sie vor ihrer endgültigen Entscheidung über den damals bereits fest geplanten Eingriff allerdings in dem gebotenen Umfang durch diesen Arzt oder in den seitdem vergangenen Monaten durch diesen oder einen anderen Arzt umfassend ärztlich über den Eingriff und seine Risiken aufgeklärt worden sein könnte, hat die Kindesmutter indes bisher selbst nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.
ff) Im Übrigen ist das Familiengericht im Ergebnis zu Recht im Rahmen einer summarischen Prüfung davon ausgegangen, dass eine für den Erlass der einstweiligen Anordnung erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Behauptung des Kindesvaters besteht, dass durch die Beschneidung im Sinne des § 1631 d Abs. 1 S. 2 BGB – auch unter Berücksichtigung und Würdigung ihres Zweckes – eine Kindeswohlgefährdung für G bestünde. Hiervon ist im Ausgangspunkt entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 1666 BGB auszugehen, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr vorliegt oder unmittelbar bevorsteht, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BGH, Entscheidung vom 25.11.2011, XII ZB 247/11, recherchiert bei juris, Rn. 25, NJW 2012, S. 151 ff. mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Indem der Gesetzgeber in § 1631 d Abs. 1 S. 2 BGB auch den Zweck der Beschneidung mit in die Berücksichtigung einzieht, hat er jedoch deutlich gemacht, dass das Kindeswohl insoweit kein feststehender Begriff ist. Je nach der Schutzwürdigkeit des im Vordergrund stehenden Motivs für die Beschneidung kann die Schwelle einer Kindeswohlgefährdung niedriger als nach dem dargelegten allgemeinen Maßstab des § 1666 BGB anzusetzen sein (vgl. Hamdan, in: juris-PK-BGB, a. a. O., Rn. 18 und 19).
(1) Vorliegend hat die Kindesmutter im Wesentlichen die folgenden Motive geltend gemacht:
G solle entsprechend dem in Kenia kulturell üblichen Ritus beschnitten werden, da er bei seinen Besuchen dort ansonsten – auch von seinen Verwandten – nicht als vollwertiger Mann angesehen werde. In Afrika sei das so, alle Jungen müssten das machen. In jedem Telefonat mit ihren Verwandten in Kenia, mit denen sie eng verwurzelt sei, werde sie gefragt, ob ihr Sohn G nun endlich beschnitten sei.
Die Frage der Beschneidung sei zudem eine Frage von Hygiene und Sauberkeit.
Die beiden genannten Motive sind zwar insoweit beachtlich, als sie grundsätzlich eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung rechtfertigen können. Allerdings hat die Kindesmutter mit G insbesondere auch angesichts ihrer zweiten Eheschließung mit einem Deutschen ihren ständigen Lebensmittelpunkt in Deutschland, wo das Kind seine Freunde hat und zur Schule geht. Unbestritten sind der Kindesmutter nur relativ selten Besuche mit G in Kenia möglich. Zudem ist G unstreitig evangelisch getauft, sodass religiöse Gründe keine Beschneidung anzeigen. Schließlich hat die Kindesmutter keine durchgreifenden Gründe dafür vorgetragen, dass die Intimhygiene und Sauberkeit Gs konkret gefährdet sein könnte. Vielmehr dürfte davon auszugehen sein, dass G, ebenso wie die große Mehrheit der ganz überwiegend nicht beschnittenen deutschen Kinder, bei hinreichender Intimhygiene, in die ihn die Kindesmutter im Alltag unterweisen kann, nicht aus hygienischen Gründen der Beschneidung bedarf. Gesundheitliche Motive können nach dem oben Gesagten im Rahmen des § 1631 d BGB ohnehin keine Berücksichtigung finden. Im Übrigen lassen die Motive, soweit sie wegen des kenianischen kulturellen Erfordernisses von einem “Muss” der Beschneidung ausgehen, kaum eine kritische Reflexion der Kindesmutter über die Folgen für das Kindeswohl erkennen.
(2) Auf der anderen Seite haben der Kindesvater, der Vertreter des Jugendamtes, der Ergänzungspfleger sowie die schriftlich und mündlich jeweils kurz angehörte Sachverständige Dipl.-Psych. L tatsächliche Umstände glaubhaft gemacht, die eine Gefährdung des Wohls Gs im Falle der Beschneidung bei vorläufiger Betrachtung als wahrscheinlich und gegenüber den Motiven der Kindesmutter nach derzeitigem Erkenntnisstand überwiegend erscheinen lassen.
(aa) Die von dem Kindesvater angeführten verbleibenden medizinischen Restrisiken auch einer ärztlich ordnungsgemäßen Beschneidung sowie die von mehreren Beteiligten und der Sachverständigen aufgeführten mit dem Eingriff verbundenen Schmerzen sind insoweit für sich genommen allerdings nicht entscheidungserheblich, denn diese liegen auch bei jeder medizinisch indizierten Beschneidung vor. Würde man auf diese Risiken und Schmerzen abstellen, würde das Recht der Eltern aus § 1631 d Abs. 1 BGB ausnahmslos ins Leere laufen, da jeder medizinisch nicht indizierte Eingriff dann bereits wegen der gesundheitlichen Restrisiken und der durch den Eingriff zugefügten Schmerzen zu unterbleiben hätte. Bzgl. dieser Folgen muss es nach dem oben Gesagten aber genügen, wenn sich die sorgeberechtigten Eltern vor der Zustimmung zu dem Eingriff umfassend ärztlich aufklären lassen.
(bb) Bei summarischer Prüfung besteht jedoch die hinreichend konkret glaubhaft gemachte Gefahr einer Beeinträchtigung des psychischen Kindeswohls. Die Sachverständige Dipl.-Psych. L hat in der mündlichen Verhandlung vom 07.05.2013 hervorgehoben, dass es aus psychologischer Sicht für G bedenklich sei, dass sich die Kindesmutter für den Fall der Durchführung des Eingriffs außerstande sehe, ihrem dann sichtbar Schmerzen erleidenden Kind unmittelbar beizustehen und es zu begleiten. Für das Kind sei dies eine Zumutung, die nach ihrer – der Sachverständigen - psychologischen Erfahrung noch nach Jahren psychische Störungen nach sich ziehen könne. Während auf der einen Seite ein Verständnis des Kindes für den Sinn des irreversiblen Eingriffs nicht zu erwarten sei und er in einigen Jahren eigenverantwortlich unter Berücksichtigung seiner ihm bekannten kenianischen Wurzeln hierüber entscheiden könne, sei bei dem jetzt sechsjährigen Jungen auch bei den seltenen Besuchen in Kenia nicht zu erwarten, dass die etwaige Beschneidung bei ihm selbst zu einem positiveren Verhältnis zu der dortigen Kultur maßgeblich beitragen würde. Einerseits würde das Kind durch den von der Kindesmutter beabsichtigten Eingriff in dem sein Alltagsleben weit überwiegend prägenden deutschen Kulturkreis anders behandelt als die große Mehrzahl seiner etwa gleichaltrigen Kontaktpersonen, andererseits ließe sich jedenfalls bei vorläufiger Beurteilung nach dem derzeitigen Sachstand eine besondere positive Prägung Gs durch die kenianischen Wurzeln der Kindesmutter nicht feststellen.
Soweit ein bei einer kindgerechten Aufklärung des Kindes über den beabsichtigten Eingriff voraussichtlich erwartbarer entgegenstehender Wille Gs nicht beachtet würde und die Kindesmutter ihren Sohn bei dem Eingriff nicht einmal zu begleiten beabsichtigt, kann sich dies auch zur Überzeugung des Senats ausgesprochen negativ auf die Psyche des Kindes auswirken, insbesondere was die Beziehung zu seiner Mutter als seiner Hauptbezugsperson angeht. Dass dies für das Kindeswohl schädlich wäre, dürfte bei einem entsprechenden Anhörungsergebnis auf der Hand liegen und wäre in einem Hauptsacheverfahren nur in Ausnahmefällen erforderlichenfalls noch durch ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten abzuklären.
(cc) Im Übrigen ist nach Auffassung des Senats auch auf Grund der jahrelangen Hochstrittigkeit der Kindeseltern und der jeweiligen nicht unerheblichen Erziehungsdefizite die Annahme gerechtfertigt, dass zum einen die Kindesmutter die Folgen der beabsichtigten Beschneidung für das Kindeswohl auf Grund ihrer Gefangenheit in ihrer Perspektive des heftigen Elternstreits nicht kritisch hinterfragen kann und zum anderen beide Eltern G im Alltag bzw. bei Umgangskontakten zumindest durch ihr Verhalten unbewusst die Ablehnung der Beschneidung bzw. die diesbezügliche Absicht der Durchführung spüren lassen. Angesichts dieser sich bei Fortsetzung des Streits der Eltern voraussichtlich zunehmend negativ auf Gs Psyche auswirkenden inneren Zerrissenheit kann vorläufig nur ein neutraler Ergänzungspfleger eine entscheidende, G entlastende Rolle einnehmen. Die vorgenannten Befürchtungen gewinnt der Senat insbesondere auf Grund der Vielzahl von gerichtlichen Streitverfahren der Kindeseltern über die Kinder sowie auf Grund der bei vorläufiger Beurteilung überzeugenden psychologischen Feststellungen in dem aktuellen Sachverständigengutachten der Frau Dipl.-Psych. L vom 22.03.2013 in der Beiakte 113 F 5507/11 Amtsgericht – Familiengericht – Dortmund. Danach kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Frage der Beschneidung ein weiterer, nicht unwichtiger Mosaikstein in dem jahrelangen heftigen Machtkampf der Kindeseltern um ihre beiden Kinder ist, in dem bei beiden Eltern die tatsächlichen Kindeswohlerfordernisse – unter Umständen weitgehend ungewollt und nicht schuldhaft vorwerfbar - zunehmend aus dem Blick geraten sind.
(dd) In dieser Situation ergibt sich die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zuletzt aus einer Folgenabwägung. Im entweder bereits anhängigen oder zu erwartenden Hauptsacheverfahren zur Gesundheitsfürsorge für G wird nach dem oben Festgestellten zunächst eine umfassende Anhörung nicht nur der Kindeseltern sowie des als Behörde beteiligten Jugendamts und des Ergänzungspflegers, sondern nach entsprechenden vorbereitenden Gesprächen auch des Kindes G, des vorgesehenen Arztes und eines Verfahrensbeistandes zu der umfassenden und nicht lediglich vorläufigen Beantwortung der Frage einzuholen sein, ob die von der Kindesmutter beabsichtigte Beschneidung das Kindeswohl von G über die Unannehmlichkeiten des medizinischen Eingriffs als solche hinausgehend mehr als nur unerheblich beeinträchtigt. Bei etwa nicht hinreichender Eindeutigkeit des Anhörungsergebnisses in die eine oder andere Richtung könnte erforderlichenfalls noch ein psychologisches Sachverständigengutachten einzuholen sein. Ob in diesem Falle die bisherige Sachverständige Frau Dipl.-Psych. L oder auf Wunsch des einen oder anderen Elternteils ein anderweitiger vom Familiengericht zu bestellender Gutachter dieses Sachverständigengutachten zu erstatten hätte, ist im vorliegenden einstweiligen Anordnungsverfahren nicht entscheidungserheblich und obliegt auch in der Hauptsache nicht der Entscheidung des Senats.
Würde der Senat indes im vorliegenden einstweiligen Anordnungsverfahren die angefochtene Entscheidung abändern und die vorläufige Entziehung der Gesundheitsfürsorge und Anordnung der Ergänzungspflegschaft bzgl. der Zustimmung zur Beschneidung aufheben, wäre zu erwarten, dass die Kindesmutter die Beschneidung zeitnah ärztlich durchführen lassen würde. Hierfür spricht auch, dass sie die Beschneidung ursprünglich schnell und ohne Beteiligung des Kindesvaters durchzuführen beabsichtigte und dem Kindesvater und der Sachverständigen zu diesem Zweck wahrheitswidrig mitteilte, die Beschneidung sei bereits durch eine nicht näher bezeichnete Arztpraxis erfolgt. An den demnach zu befürchtenden, von der Kindesmutter etwa nach einer ihr günstigen vorläufigen Entscheidung schnell geschaffenen vollendeten Tatsachen ließe sich in diesem Falle nichts mehr ändern, auch wenn das einzuholende Sachverständigengutachten in der Hauptsache später eine mit der Beschneidung einhergehende (erhebliche) Kindeswohlgefährdung annehmen und das Familiengericht dieser Einschätzung folgen würde. Verbleibt es hingegen – wie vorliegend vom Senat entschieden – bei der vorläufigen Entziehung des Rechts der Kindesmutter zur Entscheidung über die Beschneidung sowie bei der Übertragung auf den Ergänzungspfleger, und käme ein zukünftiges Sachverständigengutachten im Hauptsacheverfahren zu dem Ergebnis, dass eine Beschneidung aus familienpsychologischer Sicht mit dem Kindeswohl von G zu vereinbaren ist, kann der Eingriff anschließend nach Rückübertragung der gesamten alleinigen Gesundheitsfürsorge auf die Kindesmutter immer noch lege artis durchgeführt werden. Dass das Kind dann einige Monate älter sein wird, dürfte die diesbezügliche Entscheidungsbefugnis der Kindesmutter für ihr auch dann noch nicht selbst einwilligungsfähiges Kind und die Zumutbarkeit des Eingriffs insoweit nicht maßgeblich beeinflussen.
c) Schließlich erscheint die vorläufige Entziehung eines Teils der Gesundheitsfürsorge am Maßstab des § 1666 BGB und dessen Übertragung auf das Jugendamt der Stadt E als Ergänzungspfleger auch nicht als unverhältnismäßiger Eingriff in die Elterngrundrechte der Kindesmutter und des Kindesvaters aus den Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, 8 EMRK.
aa) Der Kindesmutter wird die Entscheidungsbefugnis über die Beschneidung lediglich vorläufig entzogen, bis durch die oben skizzierte zukünftige Beweisaufnahme in der Hauptsache eine belastbare Tatsachengrundlage dafür vorliegen wird, ob im Ergebnis im Falle der Beschneidung von G über die reinen Schmerzen des Eingriffs bzw. der lokalen Betäubung hinaus (diese Belastungen nimmt § 1631 d Abs. 1 BGB inzident hin, indem er einen Eingriff nach den Regeln der ärztlichen Kunst erlaubt) gewichtige Anhaltspunkte für eine nicht nur unerhebliche Gefährdung des Kindeswohls bestehen oder nicht. Sollte die nach § 26 FamFG von Amts wegen angezeigte umfassende Beweisaufnahme die Bedenken des Kindesvaters widerlegen, wird die Kindesmutter in einigen Monaten im Rahmen ihrer dann zu erwartenden nach entsprechender amtsgerichtlicher Entscheidung wieder vollständig alleinigen Personensorge berechtigt sein, gemäß ihrem Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, 8 EMRK von der Möglichkeit der Zustimmung zu einer rituell/kulturell begründeten Beschneidung Gs durch einen Arzt Gebrauch zu machen.
bb) Auch der Kindesvater wird durch die angefochtene Entscheidung nicht in seinen genannten Elterngrundrechten verletzt, soweit das Amtsgericht nicht ihm selbst entsprechend seinem Antrag vom 20.03.2013 gemäß § 1628 BGB die Entscheidungsbefugnis in der Frage der Beschneidung vorläufig übertragen hat, sondern einem Ergänzungspfleger. Zum Einen trägt insoweit die – wenn auch knappe – Begründung der angefochtenen Entscheidung das gefundene Ergebnis. Da die Beteiligten seit 2009 vor dem Familiengericht in rund einem Dutzend Fällen – und inzwischen bereits zum dritten Mal im Beschwerdeverfahren vor dem Senat – hochstreitige Kindschaftsverfahren über das Sorgerecht und den Umgang bzgl. ihrer Kinder führen, ist nicht zu erwarten, dass eine vorläufige Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den Kindesvater gemäß § 1628 BGB ein gleich geeignetes, milderes Mittel zum vorläufigen Schutz des Kindeswohls wäre. Vielmehr stellt es einen erforderlichen und angemessenen Eingriff in das Elterngrundrecht des Kindesvaters dar, dass die Entscheidungsbefugnis bzgl. der Frage der Beschneidung stattdessen vorläufig auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger und neutralen Sachwalter des Kindeswohls übertragen worden ist. Dieses Bedürfnis folgt aus den Ausführungen oben zu b) cc) zu der Hochstrittigkeit und eingeschränkten Erziehungsfähigkeit beider Kindeseltern. Im Übrigen verfolgt der Kindesvater im Beschwerdeverfahren sein ursprüngliches Begehren selbst nicht weiter, sondern verteidigt lediglich den angefochtenen Beschluss gegen die Angriffe der Kindesmutter.
OLG Hamm v. 30.08.13 - 3 UF 133/13