Ex-Bundesverfassungsrichter Hassemer bei Jauch/Kachelmann: Strafrechtliche Ermittlungen sollten grundsätzlich geheim bleiben!
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
In der Sendung von Günther Jauch am Sonntagabend traten Jörg Kachelmann, seine Frau Miriam, der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum, der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer und der ehemalige Bild-Chef Hans-Herrmann Tiedje auf und lieferten sich einen (nicht durchgehend sehenswerten) lebhaften Schlagabtausch (wer´s verpasst hat: Mo, 15.10.2012: 03:05 Uhr Das Erste, 09:45 Uhr Phoenix, Di, 16.10.2012: 00:50 Uhr NDR, 02:10 Uhr MDR und demnächst in der Mediathek)
Thema war das Kachelmann-Buch zu seinem Verfahren. Da ich das Buch (noch) nicht gelesen habe, kann ich dazu nicht inhaltlich Stellung nehmen.
Leider war in der Sendung kein Kriminologe geladen, der zu den behaupteten statistischen Falschbeschuldigungszahlen hätte Stellung nehmen können. So wurden Dunkelfeld, (geschätzte) Anzeigequoten und Nichtverurteilung ziemlich frei verrührt. Dabei sind hohe Dunkelfeldzahlen bei Vergewaltigung ohne weiteres vereinbar mit hohen Falschbeschuldigungsquoten. Und was beide Seiten übersehen: Weder ist von einer Statistik auf den Einzelfall noch vom Einzelfall auf die statistische Wirklichkeit zu schließen. Bei Gelegenheit werde ich hier noch detaillierter kommentieren, fürs Erste soll ein Verweis auf einen früheren Kommentar genügen.
Was aber für mich erstaunlich war, war die von den beiden Juristen Baum und Hassemer (und sogar von Tiedje) geäußerte Kritik an der Mannheimer Staatsanwaltschaft wegen der „Durchstechereien“ an die Medien zu Beginn des Kachelmann-Verfahrens.
Insbesondere die mehrfach geäußerte Einschätzung von Hassemer, dass ein Ermittlungsverfahren grundsätzlich „geheim“ zu bleiben habe, hat mich positiv überrascht. Denn dieselbe von mir schon weit vor dem Kachelmann-Verfahren geäußerte und begründete Auffassung, die ich in den vergangenen Jahren mehrfach auch auf Tagungen vertreten habe, ist bisher jedenfalls seitens der Justiz (und der Journalisten) eher auf Ablehnung gestoßen. Das regelmäßige Argument seitens der Staatsanwaltschaften und der Polizei lautet, man sei nach den Pressegesetzen rechtlich verpflichtet, mit der Presse zu sprechen. Und man mache dies auch, um eine „sachliche“ Sicht auf ein Verfahren zu verbreiten, da Medien (meist von den Anwälten informiert) sich ohnehin nicht zurückhalten. Ich halte beide Argumente nicht für stimmig.
Hier ausnahmsweise mal zwei Selbstzitate aus früheren Blogbeiträgen:
„Mir sind die Argumente, die die Staatsanwaltschaften und Polizeien regelmäßig zur Rechtfertigung ihrer PR-Aktionen anführen, sehr gut bekannt. Die Regelungen der Landespressegesetze stellen aber keine bereichsspezifischen Rechtsgrundlagen für Informationen aus strafrechtlichen Ermittlungsverfahren dar, die geeignet sind, Rechtsverletzungen hervorzurufen. Die Presse kann Auskunft verlangen, aber wenn es ermittlungstechnisch unpassend ist, braucht niemand zu antworten. Wenn eine Information geeignet wäre, die Unschuldsvermutung faktisch außer Kraft zu setzen, dann darf diese Auskunft nicht erteilt werden. Die Unschuldsvermutung ist kodifiziertes Menschenrecht (Art. 11 Abs.1 Allg. Erkl. der Menschenrechte der UN), wird aber von den Propagandisten einer Öffentlichkeitsarbeit im Ermittlungsverfahren regelmäßig dann irgendwie "abgewogen" gegen ein drei Stufen niedrigeres ganz allgemeines Transparenzgebot der Behörden - es genügt dann angeblich, wenn man darauf hinweist, dass der Festgenommene noch als unschuldig gelten müsse. Er habe leider NOCH nicht gestanden.
(…)
Diesbezüglich sitzen die Journalisten und die Polizisten im selben Boot. Die einen wollen die Infos immer sofort haben, die anderen wollen sich damit in ein gutes Licht setzen. Daher wird der Fehler der frühzeitigen Veröffentlichung von Verdachtsgründen in den Zeitungen und anderen Presseorganen kaum einmal thematisiert. Schließlich will man als Journalist ja nicht gegen den eigenen Info-Strom anschreiben.
Deshalb freue ich mich über die Unterstützung dieser Auffassung von prominenter Seite vor dem Millionenpublikum der ARD. Hassemer brachte sogar eine Strafrechtsnorm für „contempt of court“ ins Gespräch. Er habe früher auch eher der Pressefreiheit Vorrang gegeben, jetzt aber (im Hinblick auf den Strafprozess) tendiere er zu einer strengeren Auffassung.
Ich stimme zu: Eine strenge gesetzliche Regelung der staatsanwaltlichen (und polizeilichen) Öffentlichkeitsarbeit ist längst überfällig.
Differenzierte (und m.E. zutreffende Kritik) der Sendung von Stefan Niggemeier