Nach Justizirrtum des LG Berlin aufgrund Spiritus-Theorie der LKA-Brandgutachter - "beschämender" Kostenbeschluss des KG
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Auf Brandgutachten des LKA-Berlin, die auf einer fragwürdigen "Spiritus-Theorie" beruhen, basieren mehrere gravierende Fehlbeschuldigungen und -urteile. Vier Fälle wurden 2008 von der Berliner Zeitung aufgeführt: Staatsanwälte vertrauten den Gutachtern, z.T. auch die Gerichte. Eine Strafkammer des LG Berlin hatte vor einigen Jahren eine Arzthelferin wegen Mordes an ihrem Vater verurteilt (private Doku-Website). Erst nach fast 2,5 Jahren Untersuchungshaft folgte Aufhebung durch den BGH und 2008 der Freispruch. Die Betroffenen kämpft bis heute um angemessene Entschädigung.
Sicher, Justizirrtümer lassen sich nicht hundertprozentig vermeiden. Vermeidbar ist aber eine beschämende Aufarbeitung von Justizirrtümern. Vermeidbar ist eine Justiz, die zulässt, dass Fehler, mit denen das Leben von Menschen zerstört wird, sich wiederholen. Und vermeidbar ist eine Justiz, die damit argumentiert, eine "wirtschaftlich denkende" (unschuldig wegen Mordes verurteilte) Person hätte nicht 125 Euro Stundensatz für Gegengutachter bezahlt, sondern höchstens 85 Euro, hier der Beschluss KG v. 20.02.2012 1 Ws 72/09. Laut Pressemeldungen vom gestrigen Tage wurde mit dieser Begründung der Erstattungsanspruch der Betroffenen gekürzt, so dass sie nun angeblich auf 32000 Euro sitzenbleibt; "beschämend" nennt dies Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung.
Laut Tobias Kaehne, Sprecher der Berliner Strafgerichte, gibt es
für Richter in solchen Fällen wenig Chancen, anders zu entscheiden. „Es gibt keine Vorschrift, die aus Gerechtigkeitserwägungen heraus einen Ermessensspielraum ermöglicht“, so Kaehne. „Das sieht das Gesetz nicht vor.“ (Quelle)
Allerdings: Spielräume gibt das Gesetz schon: § 467 StPO spricht ja nur von der Erstattung der "notwendigen Auslagen" des Freigesprochenen. Allerdings geht die Rechtsprechung traditionell bei der Erstattung von Privatgutachten restriktiv vor - schließlich seien schon die vom Gericht beauftragten Sachverständigen zur Objektivität verpflichtet. Insofern kann die Unschuldige von Glück sagen, dass man ihr überhaupt etwas erstattet. Aufschlussreich die Begründung des KG und ein posting von Blogkollegen Krumm hier.
Detleff Burhoff (strafrecht-online-Blog) sieht nach Lektüre des KG-Beschlusses die Sache etwas anders:
Das Ganze krankt m.E. u.a. daran, dass – in meinen Augen – der Gutachter zu hoch abgerechnet hat, und sich damit die Frage der “Notwendigkeit” der geltend gemachten Kosten stellte. Dass das Gesetz das so regelt, das ist bei einem Justizirrtum “beschämend”, damit ist aber nicht unbedingt die Entscheidung, die das Gesetz anwendet bzw. anwenden muss, eine “beschämende Entscheidung”. Viel beschämender finde ich, dass das LG offenbar nicht von sich aus, die Sachverständigen der Angeklagten geladen hatte, sondern sie diese nach §” 220, 38 StPO selbst laden musste und dass man/das LG sich offenbar auch nicht ausreichend mit den Ergebnissen der Gutachten auseinandergesetzt hat. Kostenrechtlich weiß ich allerdings auch keinen Ausweg. Denn hat man kein Regulativ wie die “Notwendigkeit”, was dann?
Sicher, dahinter steht wohl auch die Überlegung, dass Gutachter nicht mit horrenden Stundensätzen die Not von Angeklagten ausnutzen (und letztlich dem Staat schaden) können. Andererseits: Der Freispruch hat aus wirtschaftlicher Sicht dem Staat auch sehr viel "erspart": Den teuren Strafvollzug und die Rettung des wertvollen Renommees der Justiz.
Man kann nun noch hoffen, dass die Betroffene doch noch aus anderer Quelle (Amtshaftung für die schon mehrfach "auffälligen" Gutachter) eine weitere Entschädigung erhält, die ihre Kosten mit abdeckt. Immerhin erhielt ein Unternehmer, der ebenfalls aufgrund derselben berüchtigten Spiritus-Theorie unschuldig ein halbes Jahr in Haft war, fast 400.000 Euro Entschädigung für Verdienstausfall aus der Landeskasse.