Emden: Öffentlichkeitsarbeit der Polizei und Lynchjustiz-Aufruf gegen Unschuldigen
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Es ist mittlerweile Usus geworden, auch nur vorläufige Ermittlungsergebnisse in Strafverfahren per Pressekonferenzen und -mitteilungen an die Öffentlichkeit vorzeitig zu kommunizieren. Dass dies enorm gefährliche Tendenzen haben kann, dafür gibt Emden ein Beispiel:
Während man noch gestern Mittag der Presse gegenüber angab, der 17jährige habe "kein Alibi" (Bericht der rp von gestern) und habe sich in Widersprüche verstrickt (Bericht des Hamburger Abendblatts von gestern), wurde der Jugendliche heute freigelassen, nachdem sich der Tatverdacht offenbar in Luft aufgelöst hatte (zdf).
Die Festnahme des Tatverdächtigen gab Anlass zu Aufrufen auf facebook, die auch tatsächlich dazu führten, dass die Polizeidienststelle, in der der Tatverdächtige vernommen wurde, von ca. 50 Personen, einer Art Lynchmob, belagert wurde (Bericht).
Es bestand überhaupt keine rechtliche Notwendigkeit irgendwelche Details der Ermittlungen gestern an die Presse zu kommunizieren. Es hätte völlig genügt, mit Hinweis auf die laufenden Ermittlungen, Auskünfte auf das allernötigste zu beschränken. Auch die staatsanwaltlichen Ermahnungen, dennoch die Unschuldsvermutung zu beachten, wirkten gegenüber konkreten Auskünften (kein Alibi, Widersprüche) nur als allg. abstrakte Verhaltensregel, die von den entsprechenden Presseorganen auch nicht befolgt wird.
So etwa hieß es in der BILD:
Der miese Kindermörder von Emden (Niedersachsen): Er missbrauchte die kleine Lena († 11), tötete sie und ließ ihre Leiche in einer Blutlache im Parkhaus liegen!
Die Kripo ist sicher: DER KILLER IST EIN SCHÜLER (17)!
Es wurde Haftbefehl erlassen, der mutmaßliche Killer sitzt in U-Haft.
Das Verbrechen soll der 17-Jährige zur Vertuschung einer Sexualstraftat begangen haben, so die Ermittler bei einer Pressekonferenz.
Meine kritische Haltung zur Öffentlichkeitsarbeit von Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren habe ich ja schon mehrfach hier im Blog (siehe etwa hier) und auf Tagungen (siehe hier) verbreitet. Vielleicht kommt man innerhalb der Polizeien und Staatsanwaltschaften anlässlich dieses Falles zum Nachdenken darüber, wie schädlich eine solche Öffentlichkeitsarbeit sein kann.
Dazu auch: Law-Blog.
Update: Aufgrund von Hinweis eines Lesers habe ich die Überschrift korrigiert: Die Lynchjustiz-Aufrufe hatten schon vor der Pressekonferenz begonnen und sich schon an die Festnahme angeschlossen.