Wikileaks-Depesche zum Fall El-Masri - belügt uns "Der Spiegel"?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Der Spiegel ist eine der ausgewählten journalistischen Institutionen (neben u.a. der New York Times und dem Guardian) , denen wikileaks schon vorab einen Blick auf "cablegate" gestattete. Wir, die Öffentlichkeit, erwarten von diesen journalistischen Institutionen, dass sie aus dem riesigen Datenbestand die wichtigen und entscheidenden Depeschen heraussuchen und uns deren möglicherweise skandalösen Inhalt vermitteln, niemand kann schließlich hundertausende Diplomatendepeschen lesen. In der ersten Woche durften wir alle lachen über Teflon-Merkel und den außenpolitischen Anfänger Westerwelle. Aber wirklich investigativer Journalismus war das nicht.
Nun werden einige weitere interessante Details aufgedeckt. Heute berichten die beiden Journalisten Matthias Gebauer und John Goetz empört über eine angeblich die deutsche Politik und Justiz beschämende Angelegenheit: "Deutschland beugte sich Druck aus Washington" (hier). Im Artikel geht es um den Fall El-Masri. Wir erinnern uns: El-Masri war in Mazedonien vom CIA entführt worden, in Afghanistan misshandelt und Monate später, als man erkannte, dass man ihn verwechselt hatte, in Albanien ausgesetzt worden. Ein Verbrechen des CIA, damals auch von deutschen Journalisten aufgedeckt und bestens dokumentiert. Als auch der CIA nicht mehr leugnen konnte und überdies die Entführer namentlich bekannt wurden, ergriffen Münchner Ermittler den rechtsstaatlich zutreffenden Weg, Haftbefehle zu erlassen. Natürlich gefiel dies unserer verbündeten Weltmacht nicht, will sie doch angeblich überall auf der Welt die Menschenrechte verwirklichen. Aber, so wollte man diesen Fall wohl eingestuft wissen: Wo gegen die Terroristen gehobelt wird, da fallen halt Späne; El-Masri hat einfach Pech gehabt mit seinem Namen. Natürlich wollte man seitens der USA verhindern, dass die CIA- Mitarbeiter nun mittels internationaler Haftbefehle verfolgt werden. Deshalb wurde beim Bündnispartner diplomatisch Druck gemacht. Dies geschah 2007.
Drei Jahre später findet der Spiegel laut eigenen Angaben, aber ohne Link, auch die entsprechenden Depeschen.
Nun, wenn man die Depesche vom 6.2.2007 liest (hier), reicht es nicht ganz für einen Skandal. Vielmehr hat sich der darin zitierte deutsche Diplomat völlig korrekt verhalten. Die Spiegel Journalisten schreiben noch von einer Depesche vom 1. Februar - die aber weder verlinkt wird noch bei wikileaks zu finden ist - und pimpen das Ganze auf: In der Überschrift heißt es: Deutschland "beugte sich dem Druck". Und im Artikel selbst wird die entscheidende Information geschickt verschwiegen.
Zitat: "Entscheidend für die USA war damals die Frage, inwieweit die Haftbefehle aus München international gültig werden könnten. Zwar waren auf den Fluglisten der CIA-Firma Aero Contractors noch Tarnnamen wie "Kirk James Bird" vermerkt, doch durch Recherchen konnte man auf die echten Namen der CIA-Kidnapper kommen. Ein internationaler Haftbefehl hätte sie in Gefahr gebracht, in den USA oder bei einer Auslandsreise, privat oder dienstlich, für die staatlich organisierte Verschleppung von Masri vor Gericht zu landen. Ein solches Tribunal war der Alptraum der CIA. Folglich kontaktierte die US-Botschaft das Bundesjustizministerium und wurde dort recht fürsorglich beraten. Internationale Haftbefehle könnten erst ausgestellt werden, so ein Beamter, wenn das Ministerium individuell die Stichhaltigkeit und "die außenpolitischen Folgen" eingeschätzt hätte. Vorsorglich warnte er, eine zu heftige politische Einmischung Washingtons könne hierzulande "als Eingeständnis der Beteiligung" der CIA-Agenten bewertet werden. Ein Kollege versicherte, die 13 Fälle würden "nicht als Routine" bearbeitet. Jeder Schritt brauche grünes Licht aus Berlin."
Nun, der Leser soll wohl denken, die bundesdeutsche Regierung hätte sich dann dem Druck gebeugt, indem sie keine internationalen Haftbefehle ausstellte. Der Leser soll das denken, was ich auch im ersten Moment gedacht habe: Hier wurde der USA zuliebe auf Haftbefehle verzichtet und die Unabhängigkeit der Justiz beschädigt. Und dies sei erst jetzt durch die wikileaks-Depeschen bekannt geworden. Aber das ist NICHT WAHR.
So berichtete damals ZEIT-Online (hier), dass die USA diplomatischen Druck machte, aber trotzdem internationale Haftbefehle ausgestellt wurden. Wikipedia weiß es auch besser (hier). Und auch der Spiegel selbst berichtete damals schon ganz anders (hier): Das Bundesjustizministerium stellte die internationalen Haftbefehle aus. Man beugte sich NICHT dem Druck aus den USA und habe sogar - ein bisschen - die Freundschaft riskiert. Erst später, als es um die Frage eines Auslieferungsantrags ging, setzten sich die "Atlantiker" der Union (v.a. Schäuble) gegen die Bundesjustizministerin Zypries durch. Aber der Auslieferungsantrag hätte ohnehin nichts mehr bewirken können, denn dass die USA ihre CIA-Leute nicht ausliefert, stand von vornherein fest. Dies ist alles seit 2007 bekannt: Der US-amerikanische "Druck", um die CIA-Verbrecher zu schützen, und die damaligen Reaktionen der Bundesregierung bzw. des Justizministeriums. Auch der Versuch El Masris, die Bundesregierung gerichtlich zum Stellen des Auslieferungsersuchens zu zwingen, ist im Spiegel bereits 2008 Thema gewesen (hier).
Den wirklich skandalösen Fall El-Masri kann und soll man durchaus noch einmal zum Thema machen, aber als Leser erwartet man auch, dass dies mit Sorgfalt geschieht.
Fazit: Die Spiegel-Journalisten, in dem Bestreben, einen bisher unbekannten "Skandal" aufzudecken, schreiben nur haarscharf an einer glatten Lüge vorbei, indem sie entscheidende Informationen verschweigen. Andere Zeitungen drucken das nach (hier). Eine Peinlichkeit.