Beschneidungsgesetz beschlossen - eine faire Anerkennung religiöser Tradition?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Gestern hat der Bundestag das Beschneidungsgesetz beschlossen (Link zum Abstimmungsverhalten aller Abgeordneten), über dessen Enstehung die ganze Republik politisch wie juristisch diskutiert hat, nachdem das LG Köln die Beschneidung von Kleinkindern als rechtswidrige Körperverletzung eingestuft hatte. Die Diskussion fand auch hier und hier im Blog statt.
Die Neuregelung des § 1631 d BGB lautet nun:
(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.
Hans-Michael Heinig, Prof. für Öffentliches Recht und Kirchenrecht, hat das neuen Gesetz im Verfassungsblog begrüßt. Der Beschneidungserlaubnis gibt er das Siegel des Philosophen Habermas aus einem Artikel in der NZZ - es handelt sich nach Heinig beim neuen Gesetz um eine "faire(n) Anerkennung der partikularistischen Selbstbehauptungsansprüche religiöser und kultureller Minderheiten."
Allerdings hat das neue Gesetz keineswegs alle Fragen beantwortet, die sich in der Diskussion stellten. Hier noch einmal meine Überlegungen, die ich im Juli hier im Blog angestellt hatte, und die Gegenüberstellung mit der neuen gesetzlichen Regelung:
Eine gesetzliche Regelung kann versuchen, die voherige Rechtfertigung durch (religiös motivierte) Einwilligung der Sorgeberechtigten wieder zu etablieren bzw. zu bestätigen. Insofern wäre die gesetzliche Regelung eine "Erlaubnis". Die meisten Politiker, die sich geäußert haben, tendieren genau dazu: Sie wollen den (bzw. bestimmten) Religionsgemeinschaften zugestehen, dass sie dieses bisher weitgehend akzeptierte Ritual weiter strafrechtlich unbehelligt durchführen können.
Das Gesetz enthält eine solche Erlaubnis. Diese ist allerdings nicht auf religiöse Motive beschränkt: In § 1631 d BGB ist von Religion nicht die Rede, auch wenn alle wissen, dass es praktisch nur darum gehen soll.
Allerdings wird dies nicht geschehen können, ohne zugleich die Grenzen der Erlaubnis aufzuzeigen, d. h. in anderer Beziehung wird das Gesetz auch Verbote enthalten müssen. Und in diesen Details stecken erhebliche Probleme!
Die Grenze ist das "Kindeswohl", auf diese Grenze wird nun auch im Gesetz hingewiesen. Aber wie ist dies inhaltlich auszufüllen? Und wie soll die Abwägung mit dem "Zweck der Beschneidung" erfolgen? Die Gegner einer Beschneidung meinen ja unter Hinweis auf Schmerzen und Risiken der Operation, die Beschneidung des Genitals eines Neugeborenen oder Kleinkindes könne generell nicht dem Kindeswohl entsprechen. Dies ist offenbar nicht die Ansicht des (jetzigen) Gesetzgebers: Die Beschneidung des männlichen Kindes ist erst einmal kindeswohlgerecht. Aber wann denn nicht mehr? Präzisiert wird dies im Gesetz nicht.
Denkbar (und teilweise notwendig) erscheinen: - Altersbegrenzungen (Mindest- bzw. Höchstalter),
In dieser Hinsicht ist der zweite Absatz des neuen § 1631 d BGB unverständlich, wenn man ihn unvoreingenommen liest: Gerade die jüngsten, schützenswertesten Kinder werden vom Gesetz weniger gut geschützt? Das ist ohne Bezugnahme auf eine bestimmte Religion nicht zu legitimieren. Wenn der Gesetzgeber versucht, das Wort "Religion" zu vermeiden, wird es hier erforderlich, um die eigentliche Sachfrage wie um einen heißen Brei herumzuregeln. Das ist jedenfalls nicht transparent. Ist es "fair"?
- die Beschränkung auf Ärzte mit chirurgischer Erfahrung
In Absatz 1 ist von "Regeln ärztlicher Kunst" die Rede, in Absatz 2 wird (für die Jüngsten) ausdrücklich auch Nichtärzten erlaubt, Beschneidungen durchzuführen.
- Vorschrift einer (Voll-)Narkose
Ist im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen, gehört aber wohl zur "ärztlichen Kunstregeln" im ersten Absatz. Eine Vollnarkose bei Neugeborenen ist hingegen riskant und dürfte auch nicht von Nicht-Ärzten durchgeführt werden. Man muss es wohl so hart aussprechen: Die Jüngsten müssen halt die Schmerzen ertragen. Das ist (neben den OP-Risiken) dann die Zumutung, von der Habermas schreibt: "Den religiösen wie den nichtreligiösen Bürgern wird dabei einiges zugemutet." Ich würde allerdings sagen, dass bei einem Neugeborenen bzw. Säugling die Rede von "religiös/nichtreligiös" überhaupt nicht sinnvoll ist. Aber da mögen der Philosoph und der Kirchenrechtler anderer Auffassung sein.
- Beschränkungen auf bestimmte Religionsgemeinschaften
Ist nicht erfolgt. In eine Beschneidung kann von Eltern grds. auch unabhängig von ihrer religiöser Überzeugung oder Zugehörigkeit eingewilligt werden. Eine Kontrolle der Motive wäre auch kaum praktikabel.
- Beschränkung auf bestimmte anerkannte/etablierte/vergleichsweise risikoarme Rituale
Ist nicht geregelt.
- Beschränkung auf ein bestimmtes Geschlecht
Beschneidung ist auf männliche Kinder beschränkt. Dies könnte (hinsichtlich zum Teil weniger eingriffsintensiver Rituale weiblicher Beschneidungen) ein Gleichheitsproblem aufwerfen
- Verpflichtung von (Ärzten in) öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zur Durchführung
Nicht geregelt.
- Haftungsregelungen für Fälle, in denen sich ein Schadensrisiko trotz lege artis durchgeführter Zirkumzision verwirklicht (Haftungsfonds der Religionsgesellschaften?)
Nicht geregelt.
Der Bundestag hat entschieden, das ist erst einmal (noch dazu bei einer so großen Mehrheit) zu akzeptieren und im Kern auch zu begrüßen, da die Rechtsunsicherheit zwar nicht vollständig beseitigt (s.o.) aber immerhin begrenzt wird. Und ich stimme ohne Weiteres mit Herrn Prantl (in der SZ) darin überein, dass man in der Diskussion nicht dem Diskussionsgegner Unlauterkeit oder Schlimmeres unterstellen sollte.
Aber auch über verabschiedete Gesetze darf diskutiert werden.