Sperrungspflichten und Transparenzrichtlinie - Die Bundesregierung verstößt gegen Europarecht
Gespeichert von Prof. Dr. Thomas Hoeren am
Derzeit wird überall über den Gesetzesentwurf zur Sperrung kinderpornographischer Inhalte diskutiert - auch hier im Beck Blog. Doch ist der Plan überhaupt europarechtskonform? m.E. verstösst der Plan gegen die Vorgaben der EU-Transparenzrichtlinie.
Durch die Richtlinie 98/48/EG zur Einführung einer gesetzgeberischen Transparenz für die Dienste der Informationsgesellschaft gilt seit 1999 gerade bei nationalen Plänen für Internetsperren das schon zuvor auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften anzuwendende Informationsverfahren bei nationalen Gesetzgebungsvorhaben, um auch hier einen stabilen, transparenten und innerhalb des Binnenmarktes kohärenten Rechtsrahmen zu gewährleisten. Das Verfahren soll eine Koordinierung auf Gemeinschaftsebene sicherstellen und eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit durch Zersplitterung, Überregulierung und rechtliche Inkohärenzen durch innerstaatliche Einzelregelungen verhindern helfen.
Die Mitgliedstaaten müssen deshalb Gesetzgebungsvorhaben auf diesem Gebiet im Entwurfsstadium notifizieren und der Kommission und anderen Mitgliedstaaten Gelegenheit zu Bemerkungen oder ausführlichen Stellungnahmen geben, weshalb ihnen eine Stillhaltepflicht während der Durchführung des Verfahrens auferlegt wird.
Die Notifizierungspflicht der Richtlinie betrifft nicht schlechthin alle nationalen Regelungen, die die Dienste der Informationsgesellschaft in irgendeiner Weise berühren, sondern gilt lediglich für eine bestimmte Kategorie nationaler Maßnahmen, nämlich diejenigen nationalen Vorschriften, die speziell auf die Dienste der Informationsgesellschaft abzielen. Die vorgesehenen Sperrungspflichten regeln speziell Dienste in der Informationsgesellschaft. Sie greifen als nationaler Alleingang in Fragen ein, die gerade im Hinblick auf die Diskussionen im Europäischen Parlament über Sperrungspflichten im Internet von europaweiter Bedeutung sind. http://blog.beck.de/2009/05/06/eu-telecoms-paket-faellt-in-bruessel-durch
Insofern ist eine Notifizierungspflicht wahrscheinlich, der die Bundesregierung bislang nicht nachgekommen ist.
Nach einer Notifizierung besteht abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen eine Stillhaltepflicht von drei Monaten, sodass die Vorschrift auf nationaler Ebene während dieser Frist nicht endgültig verabschiedet werden kann. Gibt die Kommission oder ein Mitgliedstaat innerhalb der Frist eine ausführliche Stellungnahme ab, weil die geplante Maßnahme ihrer Ansicht nach Hindernisse für die Niederlassungsfreiheit oder den freien Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt schaffen kann, wird die Stillhaltefrist um einen weiteren Monat verlängert.
Kommt ein Mitgliedstaat seiner Verpflichtung nicht nach, eine Vorschrift über Dienste der Informationsgesellschaft im Entwurfsstadium zu notifizieren, so zieht dies nach Maßgabe der Rspr. die Unanwendbarkeit der jeweiligen Vorschrift auf einzelne Fälle nach sich (so entschieden vom EuGH, U. v. 30.4.1996 - C 194/94 - CIA Security). Die Missachtung der Notifizierungspflicht stellt einen groben Formfehler dar, da diese als ein wichtiges Mittel der Kontrolle dem Ziel dient, die Verwirklichung des Schutzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der Dienste in der Informationsgesellschaft zu gewährleisten.