Ehrenschutz contra Meinungsfreiheit - Drei aktuelle Entscheidungen des BVerfG (2.Teil)

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 05.08.2016
Rechtsgebiete: StrafrechtMaterielles Strafrecht|4433 Aufrufe

 

Im Verfahren 1 BvR 2732/15 gibt das BVerfG der Verfassungsbeschwerde eines Mannes statt, der einen Polizeibeamten in einem Facebook-Eintrag als "Spanner" bezeichnet hatte und deshalb wegen übler Nachrede verurteilt worden war. Die Strafgerichte hätten die Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung eingestuft und dadurch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verkürzt. Denn die Vermutung zugunsten der freien Rede gelte für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise wie für Meinungsäußerungen im engeren Sinne.

 

Der Beschwerdeführer wurde mehrfach vom selben Polizeibeamten kontrolliert. An einem Abend im November bemerkte er diesen Polizeibeamten in einem Polizeifahrzeug vor seinem Haus, als er in der Einfahrt gegenüber wendete und dabei das vom Beschwerdeführer bewohnte Gebäude anleuchtete. Nachdem er dasselbe Fahrzeug im späteren Verlauf des Abends nochmals gesehen hatte, veröffentlichte er hierzu einen Eintrag auf seiner Facebook-Seite. Er warf dem namentlich genannten Polizeibeamten vor, er habe nichts Besseres zu tun, als in irgendwelchen Einfahrten mit Auf- und Abblendlicht zu stehen und in die gegenüberliegenden Häuser zu leuchten, und bezeichnete ihn als "Spanner".

 

Das BVerfG erläutert, dass es für die Einordnung einer Äußerung als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung entscheidend auf den Gesamtzusammenhang der Äußerung ankomme. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils werde den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht. Denn anders als bei Meinungen im engeren Sinne, bei denen insbesondere im öffentlichen Meinungskampf im Rahmen der regelmäßig vorzunehmenden Abwägung eine Vermutung zugunsten der freien Rede gelte, gelte dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit seien deshalb auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung eingestuft wird.

 

Die Verurteilung gehe im vorliegenden Fall zu Unrecht vom Vorliegen einer Tatsachenbehauptung aus und verkürze damit den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit. Der Beschwerdeführer schildere zwar ein tatsächliches Geschehen, nämlich den Wendevorgang des Polizeibeamten. Die Äußerung "Spanner" sei in dem vorliegenden Zusammenhang aber keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Bewertung des Beobachteten, die dem Beweis nicht zugänglich sei. Bereits die falsche Einordnung der Äußerung als Tatsache führe zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen.

 

Das BVerfG unterstreicht, dass daraus noch nicht folge, dass die Bezeichnung des Polizeibeamten als "Spanner" im Ergebnis von der Meinungsfreiheit gedeckt gewesen sei. Auch bei Vorliegen eines Werturteils läge darin eine Herabsetzung des Polizeibeamten und damit eine Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die nicht ohne Weiteres zulässig sei. Vielmehr müssten die Strafgerichte im Rahmen einer Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht entscheiden, ob die Äußerung als Beleidigung strafbar oder durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt sei.

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