Ehrenschutz contra Meinungsfreiheit - Drei aktuelle Entscheidungen des BVerfG (1.Teil)

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 04.08.2016
Rechtsgebiete: StrafrechtMaterielles Strafrecht11|15997 Aufrufe

Seit langem hält das BVerfG die Meinungsfreiheit hoch und immer noch tun sich die Strafgerichte im Beleidigungsrecht mit Blick auf den Ehrenschutz mit dieser Rechtsprechung schwer.

 

An drei aufeinanderfolgenden Tagen gelangten nun Entscheidungen des BVerfG zum Ehrenschutz an die Öffentlichkeit, die aber sämtlich vom 29.6.2016 stammen. Gleichwohl Grund genug sich näher mit dieser Rechtsprechung zu befassen, die im Ergebnis zwar nichts Neues bringt, aber am Einzelfall die Rechtsprechung des BVerfG präzisiert:

Die falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik verkürzt den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit

 

Die falsche Einordnung einer Äußerung als Tatsache verkürzt den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit

 

Wahre Tatsachenbehauptungen über Vorgänge aus der Sozialsphäre sind grundsätzlich hinzunehmen

 

Beginnen wir mit der Entscheidung, deren Pressemitteilung Nr. 48/2016 vom Dienstag stammt:

 

Es geht um einen Strafverteidiger. Nachdem gegen seinen Mandanten erlassen worden war, kam es bei der Haftbefehlsverkündung zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen der Staatsanwältin und dem Beschwerdeführer. Dieser meinte, sein Mandant werde zu Unrecht verfolgt. Am Abend desselben Tages meldete sich telefonisch bei dem Anwalt ein Journalist, der eine Reportage über den Beschuldigten plante. Der Beschwerdeführer wollte mit dem ihm unbekannten Journalisten nicht sprechen. Auf dessen hartnäckiges Nachfragen und weil er immer noch verärgert über den Verlauf der Ermittlungen war, äußerte er sich dann doch über das Verfahren und bezeichnete die mit dem Verfahren betraute Staatsanwältin unter anderem als „dahergelaufene Staatsanwältin“ und „durchgeknallte Staatsanwältin“. Der Anwalt wurde wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120 € verurteilt. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer erfolgreich die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG).

 

Fehlerhaft sei die Verurteilung ohne hinreichende Begründung von einer Schmähkritik ausgegangen.

 

Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von verfassungs wegen eng zu verstehen. Schmähkritik ist ein Sonderfall der Beleidigung, der nur in seltenen Ausnahmekonstellationen gegeben ist. Die Anforderungen hierfür sind besonders streng, weil bei einer Schmähkritik anders als sonst bei Beleidigungen keine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfindet. Wird eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft, liegt darin ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Fehler, auch wenn die Äußerung im Ergebnis durchaus als Beleidigung bestraft werden darf.

 

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr darf Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen. Einen Sonderfall bilden herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. In diesen Fällen ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktritt. Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind.

 

Zwar sind die in Rede stehenden Äußerungen ausfallend scharf und beeinträchtigen die Ehre der Betroffenen. Die Verurteilunglege aber nicht in einer den besonderen Anforderungen für die Annahme einer Schmähung entsprechenden Weise dar, dass ihr ehrbeeinträchtigender Gehalt von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes stand. Insoweit hätte es näherer Darlegungen bedurft, dass sich die Äußerungen von dem Ermittlungsverfahren völlig gelöst hatten oder der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren. So lange solche Feststellungen nicht tragfähig unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten getroffen sind, hätte der Beschwerdeführer nicht wegen Beleidigung verurteilen werden dürfen, ohne eine Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht der Staatsanwältin vorzunehmen.

 

Für das weitere Verfahren weist das BVerfG darauf hin, dass ein Anwalt grundsätzlich nicht berechtigt ist, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts diese gerade gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu überziehen. Insoweit muss sich im Rahmen der Abwägung grundsätzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen durchsetzen.

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11 Kommentare

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Die aktuellen Entscheidungen des BVerfG zur "Schaukeltheorie" werden auch auf LTO wiedergegeben.

So wie an diversen anderen Stellen im Internet und in der realen Welt. Was wollen Sie uns sagen?

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Ich frage mich, welche anderen Deutungsmöglichkeiten das BVerfG für "durchgeknallte Staatsanwältin" noch ernsthaft neben Schmähkritik in Betracht zieht. Es wäre sehr schön gewesen, wenn das BVerfG das mal mitgeteilt hatte. Wie soll man sich als Fachgericht mit anderen Deutungsmöglichkeiten auseinandersetzen, wenn es solche nicht gibt?

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Mit "durchgeknallt" hatte sich das BVerfG anno 2009 schon einmal zu beschäftigen und führte aus:

Bei der beanstandeten Wortwahl handelt es sich nicht um eine Ehrverletzung, die ihrem Bedeutungsgehalt nach unabhängig von ihrem Verwendungskontext die mit ihm bezeichnete Person stets als ganze herabsetzt und der Abwägung von vornherein entzogen wäre. Vielmehr kann die Äußerung, der Betreffende sei angesichts der von ihm zu verantwortenden Art und Weise der Führung eines Ermittlungsverfahrens „verrückt geworden“, „durchgedreht“ beziehungsweise ihm seien „die Sicherungen durchgebrannt“, an ein Verhalten des Betroffenen anknüpfen und in polemischer Form zum Ausdruck bringen, dass die von ihm gerügte Verletzung rechtlicher oder ethischer Grenzen so schwer wiege, dass sie aus sachlichen und rationalen Gründen nicht erklärbar sei. In diesem Fall hängt die Beurteilung der schmähenden Wirkung aber gerade vom Kontext ab, so dass ungeachtet ihrer ehrverletzenden Wirkung die Bezeichnung als „durchgeknallt“ in keiner in der in Betracht kommenden Deutungen eine solche Schmähung darstellt, die in jedem denkbaren Äußerungszusammenhang bar jeden Sachbezugs allein der Diffamierung des Betroffenen diente... Die Herauslösung des Begriffs „durchgeknallt“ aus diesem Kontext verstellt den Blick darauf, dass die umstrittene Äußerung im Zusammenhang mit einer Sachauseinandersetzung um die Ausübung staatlicher Strafverfolgungsbefugnisse fiel. In diesem Kontext kann der verwendeten Begriffswahl aber nicht jeglicher Sachbezug abgesprochen werden, da sie - wenn auch in polemischer und in herabsetzender Form - durchaus die Sachaussage transportieren kann, dass ein als verantwortlich angesehener Staatsanwalt im Zuge der Strafverfolgungstätigkeit die gebotene Zurückhaltung und Rücksichtnahme auf das Persönlichkeitsrecht eines Beschuldigten in unsachgemäßer und übertriebener Weise habe vermissen lassen.  (BVerfG, B. v. 12.5.2009 - 1 BvR 2272/04, Rdnr. 36 f.)

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Sehr geehrter Herr Würdinger, sehr geehrter Gast,

zunächst einmal der Link auf LTO, damit jeder nachlesen kann, was dort steht.

Und dann noch die Antwort auf die Frage, was ich im Blog sagen will:

Aus meiner beruflichen Erfahrung weiß ich noch von zahlreichen Revisionen gegen Verurteilungen wegen Beleidigung, die deshalb Erfolg hatten, weil den Tatrichtern die nicht einfach zu verstehende Systematik der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht in ausreichendem Maß geläufig war, die – vereinfacht ausgedrückt – die Meinungsfreiheit über den Ehrenschutz stellt, wenngleich das Bauchgefühl den Ehrenschutz überwiegen lässt. Diese Einschätzung belegen m.E. auch die in der vergangenen Woche an die Öffentlichkeit gelangten Entscheidungen.

Die Systematik der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung an konkreten Fällen zu verdeutlichen und diese zur Diskussion zu stellen, ist mein Anliegen.

Mit dem zweiten Entscheidung des BVerfG setze ich heute fort.

Mit besten Grüßen

Bernd von Heintschel-Heinegg

Ich kann schon nicht nachvollziehen, wie man auch nur auf den Gedanken einer Strafverfolgung wegen „dahergelaufene Staatsanwältin“ und „durchgeknallte Staatsanwältin“ kommen kann. Da drängt sich irgendwie manchmal der Gedanke auf, dass Staatsanwälte und Polizisten ganz besonderen Schutz genießen wollen, während Gerichtsvollzieher und Richter wie normale Menschen mit echten Beleidigungen leben können, ohne gleich jedesmal die Strafjustiz behelligen zu müssen. Dass das BVerfG Recht hat, versteht sich ohnehin von selbst - ein Staat, in dem man auf die da oben (und dazu gehörte die Staatsanwältin auf Grund des konkreten Sachbezugs nun mal) nicht mal schimpfen kann, hat nicht mehr Freiheit als ein Gefängnis.

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Herzlichen Dank für diese interessante Zusammenfassung und den Link zu LTO.

Constantin Baron van Lijnden zitierte mich vor fünf Jahren wie folgt:

"Der Unterschied zwischen Ihnen und Roland Freisler liegt in Folgendem: Während Roland Freisler im Gerichtssaal schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte "Rechtsstaat" und "Legitimität" aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die Sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie – zumindest in diesem vorliegenden Justizskandal – genauso schlicht Unrecht, wie es auch Roland Freisler getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein Roland Freisler begangen hat: Bei Roland Freisler kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem aber – zumindest in dem vorliegenden Justizskandal – zuwider."

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In der Frage des Verbots der Beleidigung ist das weitreichend geklärt.[15] Wenngleich der Beleidigungstatbestand sehr weit gefasst ist (er verwendet nur den Begriff, ohne ihn legal zu definieren), ergibt sich aus seiner Zielrichtung eindeutig, dass er nicht eine bestimmte Meinung verbietet.[16] Denn das Gesetz beurteilt Aussagen in diesem Fall allein danach, ob sie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die Ehre des Adressaten gefährden. Auf den Inhalt und die konkrete Aussage einer Meinungsäußerung kommt es dabei nicht an.[17] Zudem kann sich hier der Äußernde unter Umständen auf den § 193 StGB[18], die Vorschrift über die Wahrnehmung berechtigter Interessen, berufen.[19][20]

 

  1.  Schmähkritik auf seltene Ausnahmefälle begrenzt auf Zeit Online
  2.  Torsten Paßmann, Anwälte: Maulkorb oder Meinungsfreiheit?
  3.  Constantin Baron van Lijnden: Freispruch vor dem OLG München: Anwalt durfte Senat schlimmer als Roland Freisler nennen, Volltext.
  4.  Ralf Niehus, Schmähkritik/Beleidigung versus Wahrnehmung berechtigter Interessen bei Justizkritik vom 11. September 2016
  5.  OLG München, Urteil vom 31. Mai 2017, Az. 5 OLG 13 Ss 81/17, Volltextzum Freisler-Vergleich
  6.  Georg Albert, Lothar BluhmMarkus Schiefer FerrariPolitical Correctness: Kultur- und sozialgeschichtliche Perspektiven. Tectum Wissenschaftsverlag, Baden-Baden 2020, ISBN 978-3-8288-7622-4S. 204 f. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).

Es ist nicht zu erkennen, in welcher Weise der "Ehrenschutz" des Verlags C.H. Beck tangiert sein könnte. Es ist deshalb weit und breit kein Grund zu sehen, warum man nicht ungehindert sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit ausüben sollte. 

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AGH des Landes Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.04.2021 - 2 AGH 9/20FundstelleopenJur 2021, 19518    Im Rahmen der Abwägung ist zudem zu berücksichtigen, dass ein Richter schon von Berufs wegen in der Lage und auch gehalten ist, überpointierte Kritik an seiner Arbeit beim "Kampf um das Recht" auszuhalten (OLG München, Beschluss v. 11.7.2016 - 5 OLG 13 Ss 244/16).

Die geäußerten Aussagen stehen auch in einem inneren Zusammenhang zu der von der Rechtsauffassung des Rechtsanwalts abweichenden Auffassung des Amtsgerichts. Ein innerer Zusammenhang ist nicht ausgeschlossen, solange die jeweilige Äußerung nicht "völlig aus der Luft gegriffen" ist. Der Schutz vor Ehrbeeinträchtigungen muss gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit in der Regel dann zurücktreten, wenn der geäußerte Vorwurf Teil einer umfassenderen Meinungsäußerung ist, die der Durchsetzung legitimer eigener Rechte im gerichtlichen Verfahren dient und jedenfalls aus Sicht des Äußernden nicht völlig aus der Luft gegriffen ist (OLG München, Beschluss vom 11.7.2016 - 5 OLG 13 Ss 244/16).

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