Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen? Zur Bindungswirkung des strafrichterlichen Urteils für die Verwaltungsbehörde

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.08.2016
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Ein Thema das mir an dem Herz liegt und oftmals von Verteidigern und Strafrichtern nicht berücksichtigt wird: Es geht um die Bindungswirkung des strafrichterlichen Urteils im Hinblick auf die dort vorgenommene Beurteilung der Eignungsfrage für das Verwaltungsverfahren. Eigentlich klingt § 3 Abs. 4 StVG so, als wäre irgendwie das Urteil des Strafgerichts eigentlich immer von abschließender Bedeutung. Die Verwaltungsgerichte eröffnen aber vollkommen großzügig den Weg in eine eigene Prüfung. Klingt alles etwas abstrakt. Daher ein Beispiel:

A fährt besoffen Auto. 1,2 Promille. Das ist strafbar nach § 316 StGB. Und führt zu einer Regelentziehung der Fahrerlaubnis mit Sperre. Das wiederum folgt aus §§ 69, 69a StGB. Nun hat A eine gute Verteidigerin, die das Verfahren etwas zu strecken vermag und dem A nahe legt, sich verkehrspsychologisch intensiv behandeln zu lassen. Urintests macht A auch mit. Nach 6 oder 7 Monaten kommt es zum Hauptverhandlungstermin. Im Hinblick auf die erfolgreiche Psychologische Behandlung und den Abstinenznachweis seit der Tat sieht der Strafrichter nach Verurteilung von der Fahrerlaubnisentziehung ab, weil er den Angeklagten nicht mehr für ungeeignet hält.

Trotzdem versucht die Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis anschließend verwaltungsrechtlich einzukassieren. A versteht die Welt nicht mehr!

Hier spielt dann die besagte Bindungswirkung eine Rolle. Im Hinblick hierauf ist es ganz, ganz wichtig, das das strafrichterliche Urteil ausführlich darstellt, warum es den Angeklagten trotz Tatbegehung nicht für ungeeignet hält. Es nutzt also nichts, mit halbherzigen Attesten, Mini-Bescheinigungen von Psychologen oder Aussagen von Bekannten ("Seit der Tat trinkt Opa nicht mehr") zu verteidigen. Wichtig ist, dass das Urteil auf vernünftigen Beweismitteln fußt - eben auch, was die Eignung angeht. So sollte etwa im o.g. Fall der Verkehrspsychologe ausführlich als sachverständiger Zeuge vernommen werden. Was wurde getan? Wie kritisch wurden Angaben des Angeklagten hinterfragt? Welche Qualifikation hat der Sachverständige? Das alles gehört ins Urteil! Der Verteidiger sollte dazu also schriftsätzlich schon alles so aufbereiten, dass das Gericht sich diese Ausführungen zu eigen machen kann. Und der Verteidiger sllte das Strafgericht auf die (oft unbekannten) Fernwirkungen der Urteilsausführlichkeit hinweisen! Ich empfehle hierzu die ausführlichen Darstellungenin meinem Buch "Fahrerlaubns, Alkohol, Drogen"

Ach so. Hier die Entscheidung des OVG Lüneburg, in der die Ausführungen des AG nicht ausreichten:

I. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügte Entziehung seiner Fahrerlaubnis (u. a. Klasse BE).

Nach Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer am 23. Januar 2011 erfolgten Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,72 Promille, wurde ihm am 4. Oktober 2011 nach Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erneut eine Fahrerlaubnis erteilt.
Mit Urteil des Amtsgerichts C-Stadt vom 22. Juli 2015 wurde er wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er am 9. November 2014 mit seinem Pkw in fahruntüchtigem Zustand - Blutalkoholgehalt von 0,40‰ sowie eine auf Medikamentenmissbrauch hindeutende Dosis des Schlafmittels Zolpidem (906 ng/mg) - gefahren war und trotz an diesem Tag erfolgter vorläufiger Sicherstellung des Führerscheins am 13. November 2014 abermals mit seinem Pkw am Straßenverkehr teilgenommen hatte. In den Gründen des abgekürzten Urteils ist nach der Feststellung, dass die Taten lediglich fahrlässig begangen wurden, Folgendes ausgeführt:
„Des Weiteren konnte das Gericht nicht positiv feststellen, dass der Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen noch ungeeignet ist.“
Nachdem der Antragsgegner von dieser Verurteilung durch eine Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes erfahren hatte, gab er dem Antragsteller nach vorheriger Anhörung unter Auflistung der oben angeführten Verurteilungen sowie eines weiteren, unter dem 2. Juli 2013 ergangenen Urteils des Amtsgerichts C-Stadt wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen.
5Da der Antragsteller dieses nicht vorlegte, entzog der Antragsgegner ihm nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 23. Februar 2016 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis, weil der Antragsteller sich wegen des nicht vorgelegten medizinisch-psychologischen Gutachtens gem. § 11 Abs. 8 FeV als fahrungeeignet erwiesen habe.
6Gegen diese Verfügung erhob der Antragsteller Klage (6 A 54/16) und suchte um vorläufigen Rechtsschutz nach. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag mit dem im Tenor näher bezeichneten Beschluss abgelehnt und zur Begründung u. a. ausgeführt:

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage sei zulässig, bleibe aber in der Sache ohne Erfolg. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei auch in Ansehung des Vorbringens des Antragstellers aller Voraussicht nach zu Recht erfolgt, weil der Antragsteller jedenfalls wiederholt Zuwiderhandlungen unter dem Einfluss von Alkohol begangen habe. Er sei zwei Mal rechtskräftig wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB verurteilt worden, so dass zwei „Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr“ - einmal ausschließlich und ein weiteres Mal „jedenfalls auch“ - unter dem Einfluss von Alkohol vorlägen. Da die Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. b) FeV vorgelegen hätten, sei der Antragsgegner nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift - ohne dass diesem insofern ein Ermessensspielraum eingeräumt wäre - verpflichtet gewesen, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Daran sei der Antragsgegner aufgrund der Feststellungen in dem Strafurteil vom 22. Juli 2015 nach § 3 Abs. 4 StVG auch rechtlich nicht gehindert gewesen wäre. Die Bindungswirkung lasse sich nur rechtfertigen, wenn die Verwaltungsbehörde den schriftlichen Urteilsgründen sicher entnehmen könne, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt habe. Sie entfalle, wenn das Strafurteil überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthalte oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibe, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt habe. Hieran gemessen sei der Antragsgegner aufgrund der in den abgekürzten Gründen des Strafurteils vom 22. Juli 2015 enthaltenen Feststellungen nicht daran gehindert gewesen, die Beibringung des streitigen Gutachtens anzuordnen. Zwar habe das Strafgericht von einer Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen. Doch lasse sich den Urteilsgründen - nur diese seien für die Bindungswirkung maßgebend - keine eigenständige abschließende Eignungsbeurteilung der Strafrichterin entnehmen. Die Strafrichterin habe einerseits die in dieser Sache zunächst im Strafbefehl vom 27. März 2015 erfolgte Verurteilung nach § 316 StGB, die die Grundlage für die darin noch enthaltene Entziehung nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB bildete, aufrechterhalten, andererseits aber im Zusammenhang mit der nunmehr unterbliebenen Aufrechterhaltung der im Strafbefehl enthaltenen Maßregel ausgeführt, das Gericht habe nicht feststellen können, dass der „Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen noch ungeeignet ist“. Diese Wortwahl spreche dafür, dass die Strafrichterin sich aufgrund des seit der Tat erfolgten Zeitablaufs einer eigenständigen Bewertung der Kraftfahreignung gerade enthalten und diese Frage letztlich offengelassen habe. Denn die Formulierung, dass die Ungeeignetheit nicht festgestellt werden könne, lasse nicht erkennen, ob die Strafrichterin den Antragsteller für wieder geeignet gehalten habe oder ob sie zwar Eignungszweifel gehabt habe, diese aber ihrer Ansicht nach nicht ausreichend tragfähig für eine negative Eignungsbeurteilung gewesen seien. Lasse sich demzufolge nicht ausschließen, dass für die Strafrichterin selbst noch Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers bestanden hätten, habe der Antragsgegner die Beibringung eines Gutachtens anordnen dürfen.

II. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die vom Senat allein zu prüfenden dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) geben keinen Anlass, den erstinstanzlichen Beschluss zu ändern.
Der Antragsteller macht geltend, er habe nicht „wiederholt Zuwiderhandlungen unter dem Einfluss von Alkohol“ i. S. d. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) FeV begangen. Die bei der Fahrt am 9. November 2014 festgestellten 0,4 Promille hätten „niemals eine Verurteilung rechtfertigen“ können. Es sei noch nicht einmal die Schwelle des § 24a StVG erreicht gewesen. Entscheidend für die Verurteilung sei ausschließlich die Beeinträchtigung durch Medikamente gewesen. Zwar sei er gemäß § 316 StGB wegen „Trunkenheit im Verkehr“ verurteilt worden. Die Überschrift sei jedoch missverständlich, denn die Verurteilung sei ausschließlich wegen der zweiten Alternative, nämlich „anderer berauschender Mittel“ erfolgt.
Dieser Einwand überzeugt nicht. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist seitens des Strafgerichts der Alkoholkonsum nicht als irrelevant angesehen und er „nur“ wegen der zweiten Alternative des § 316 Abs. 1 StVG (oder anderer berauschender Mittel) verurteilt worden. In dem Urteil heißt es ausdrücklich, dem Angeklagten werde in dem Strafbefehl vom 27. März 2015 vorgeworfen, im Verkehr ein Fahrzeug geführt zu haben, obwohl er infolge „des Genusses von Alkohol und anderer berauschender Mittel“ dazu nicht in der Lage gewesen sei. Im Weiteren ist ausgeführt, der Antragsteller habe „nicht nur 0,40 Promille Alkohol im Blut“ gehabt, “sondern auch und vor allem eine auf Medikamentenmissbrauch hindeutende Dosis des Schlafmittels Zolpidem“, weshalb er „nicht fahrtüchtig“ gewesen und in seiner Garage vor die Wand gefahren sei. Dies belegt, dass die Verurteilung nach § 316 Abs. 1 StGB nicht nur wegen der zweiten Alternative („anderer berauschender Mittel“) erfolgte, sondern beide kumulativ („Alkohol und anderer berauschender Mittel“) bejaht wurden. Dem steht nicht entgegen, dass vorliegend der festgestellte BAK-Wert „nur“ bei 0,4 Promille lag. Denn bei - wie hier - zusätzlichen gewichtigen Beweisanzeichen, wie groben Fahrfehlern und Wirkungsverstärkungen beim Mischkonsum von Alkohol und Medikamenten kann der Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB und eine relative Fahrunsicherheit schon bei einem Wert ab 0,3 und unter 1,1 ‰ anzunehmen sein (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 316 StGB, Rn. 22 und 24).
Anders als der Antragsteller meint, hinderte die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 StVG die Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) FeV und die sich - nach Nichtvorlage - gemäß § Abs. 8 FeV anschließende Entziehung der Fahrerlaubnis nicht. Der Senat schließt sich insoweit der Einschätzung des Verwaltungsgerichts an, wonach sich aus den Gründen des Strafurteils keine eigenständige abschließende Eignungsbeurteilung der Strafrichterin entnehmen lässt. Auf die überzeugende Begründung des angegriffenen Beschlusses (BA S. 7/8) wird verwiesen. Dass die Strafrichterin nicht „positiv feststellen“ konnte, dass der „Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen noch ungeeignet ist“, lässt sich - entgegen der Auffassung des Antragstellers - nicht als eigenständige, positive Feststellung der Eignung verstehen. Vielmehr spricht die Formulierung dafür, dass zwar (weiterhin) Eignungszweifel angenommen, aber angesichts des verstrichenen Zeitraums die Eignung nicht (mehr) abschließend verneint werden sollte. Mithin war die Fahrerlaubnisbehörde nicht gehindert, zur Ausräumung der Zweifel an der Eignung des Antragstellers die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen, welches angesichts der in einem Strafurteil enthaltenen Formulierung, es könne "jetzt nicht mehr festgestellt werden, dass der Angeklagte noch weiterhin ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist", zu dem gleichen Ergebnis gelangt ist (BVerwG, Urt. v. 15.7.1988 - 7 C 46.87 -, BVerwGE 80, 43).

OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.07.2016 - 12 ME 108/16

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