BSG: Kein Unfallversicherungsschutz beim Gang zur Küche in der eigenen Wohnung (home office), wohl aber bei Weihnachtsfeier

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 10.07.2016
Rechtsgebiete: Arbeitsrecht|5667 Aufrufe

Das BSG hat am 5. Juli 2016 zwei Entscheidungen gefällt, in denen es um die Reichweite des Unfallversicherungsschutzes in zwei wichtigen Konstellationen geht.

Das erste Urteil (Az.: B 2 U 5/15 R) befasst sich mit der Frage, in welchen Fällen der Arbeitnehmer auch in der eigenen Wohnung Versicherungsschutz genießt, wenn er von dort aus für seinen Arbeitgeber tätig wird. Solche home-office–Modelle erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, sodass die Frage des Versicherungsschutzes große Bedeutung gewinnt. Der Anlassfall war wie folgt: Die Klägerin arbeitete aufgrund einer Dienstvereinbarung mit ihrem Arbeitgeber in einem gesonderten Raum im Dachgeschoss ihrer Wohnung an einem Telearbeitsplatz. Sie verließ den Arbeitsraum, um sich in der Küche, die einen Stock tiefer lag, Wasser zu holen. Dabei rutschte sie auf der in das Erdgeschoss führenden Treppe aus und verletzte sich. Das BSG hat nunmehr entschieden, dass hierin kein Arbeitsunfall zu sehen ist. Die Klägerin habe sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem Betriebsweg befunden. Sie sei auf dem Weg von der Arbeitsstätte zur Küche und damit in den persönlichen Lebensbereich ausgerutscht. Diesen Weg habe sie nicht zurückgelegt, um ihre versicherte Beschäftigung auszuüben, sondern um Wasser zum Trinken zu holen. Damit sei sie einer typischen eigenwirtschaftlichen, nicht versicherten Tätigkeit nachgegangen. Anders als Beschäftigte in Betriebsstätten außerhalb der eigenen Wohnung habe die Klägerin dabei keinen betrieblichen Vorgaben oder Zwängen unterlegen. Zwar führe die arbeitsrechtliche Vereinbarung von Arbeit in einem sog. "home office" zu einer Verlagerung von den Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich. Eine betrieblichen Interessen dienende Arbeit "zu Hause" nehme einer Wohnung aber nicht den Charakter der privaten, nicht versicherten Lebenssphäre. Die der privaten Wohnung innewohnenden Risiken habe auch nicht der Arbeitgeber, sondern der Versicherte selbst zu verantworten. Den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung sei es außerhalb der Betriebsstätten ihrer Mitglieder (der Arbeitgeber) kaum möglich, präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen. Daher sei es sachgerecht, das vom häuslichen und damit persönlichen Lebensbereich ausgehende Unfallrisiko den Versicherten und nicht der gesetzlichen Unfallversicherung, mit der die Unternehmerhaftung abgelöst werden soll, zuzurechnen. Anders wäre wohl zu entscheiden gewesen, wenn die Arbeitnehmer an ihrem häuslichen Arbeitsplatz vom Stuhl gefallen wäre.

In der zweiten Entscheidung (Az.: B 2 U 19/14 R) geht es um einen Unfall im Zusammenhang mit einer Weihnachtsfeier. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist auch die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung als Ausprägung der Beschäftigtenversicherung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. Hierfür war bereits nach bisheriger Rechtsprechung zunächst erforderlich, dass die Veranstaltung "im Einvernehmen" mit der Betriebsleitung stattfand. Für ein solches "Einvernehmen" reicht es aus, wenn der Dienststellenleiter in einer Dienstbesprechung mit den jeweiligen Sachgebietsleitern vereinbart, dass die jeweiligen Sachgebiete Weihnachtsfeiern veranstalten dürfen und weitere Festlegungen (Beginn, Zeitgutschrift etc.) getroffen werden. Solche betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen stehen unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung, weil durch sie das Betriebsklima gefördert und der Zusammenhalt der Beschäftigten untereinander gestärkt wird. Dieser Zweck wird – so das BSG - auch erreicht und gefördert, wenn kleinere Untergliederungen eines Betriebes Gemeinschaftsveranstaltungen durchführen. In Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung judiziert das BSG nun, dass die Teilnahme der Betriebsleitung oder des Unternehmers persönlich nicht erforderlich sei. Notwendig sei lediglich, dass die Feier allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des jeweiligen Teams offen stehe und die jeweilige Sachgebiets- oder Teamleitung teilnehme. Dies sei hier der Fall gewesen, da die von der Dienststellenleitung ermächtigte Sachgebietsleiterin alle Beschäftigten ihres Sachgebiets eingeladen und die Feier durchgeführt habe. Auf die tatsächliche Anzahl der Teilnehmenden komme es nicht an.

 

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