Der „erkennbare“ Wille nach dem neuen Sexualstrafrecht – erkennbar fehlerhaft

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 08.07.2016

Dieser Beitrag richtet sich nicht gegen die Regelung von "Nein heißt Nein" im neuen Sexualstrafrecht, die heute im Bundestag in einer gesonderten Abstimmung einstimmig (!) befürwortet wurde. Die Regelung schützt die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Männern umfassend mit einem neuen Grundtatbestand, sie entspricht damit der Istanbul-Konvention und sie hat erstaunlich klaren demokratischen Rückhalt gefunden.

Kriminologischer Wermutstropfen: Der neue Tatbestand  wird wahrscheinlich zu mehr Strafanzeigen führen, aber nicht zu wesentlich mehr Verurteilungen, da das Beweisproblem bei der neuen Regelung eher größer als kleiner ist.

Allerdings sei ein Wort erlaubt zur gesetzlichen Formulierung des neuen Tatbestands, der in Absatz 1 nun lauten soll:

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Die Formulierung „gegen den erkennbaren Willen“ ist strafrechtsdogmatisch problematisch. Die „Erkennbarkeit“ taugt nicht als objektives Tatbestandsmerkmal eines Vorsatzdelikts. Das Merkmal „erkennbar“ führt in der Anwendung entweder dazu, dass der Schutz des Opfers geringer ist als er nach dem Willen des Gesetzgebers sein sollte, oder es führt in der praktischen Tendenz dazu, den Täter schon bei Fahrlässigkeit zu verurteilen.

Warum ist das so?

Vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den entgegenstehenden Willen des Opfers tatsächlich erkannt hat, also für ihn mehr als bloß erkennbar war. Hat der Täter aber den entgegenstehenden Willen erkannt und hat sich darüber hinweggesetzt, dann kann es darauf, ob dieser Wille (auch) aus objektiver Sicht „erkennbar“ war, nicht mehr ankommen. Damit verlangt der Tatbestand etwas vom Opfer, was man dem Täter gar nicht zum Vorwurf machen kann und ist insofern ungenau. Im Grunde wird damit fortgesetzt, was auch schon die Kritik an der bestehenden Gesetzeslage hervorgebracht hat: Dass das Opfer ein bestimmtes Verhalten  „nachweisen“ müsse.

Hat ein Täter im umgekehrten Fall den objektiv zwar erkennbaren Willen subjektiv trotzdem nicht erkannt, dann darf ihm aus der bloßen Erkennbarkeit kein Vorwurf gemacht werden, denn die bloße Erkennbarkeit begründet nur Fahrlässigkeit, nicht Vorsatz.

Objektiver und subjektiver Tatbestand befinden sich demnach nicht in Übereinstimmung, eine straftatbestandliche Konstruktion die eigentlich unbedingt vermieden werden sollte.

Im Interview mit Christian Rath (taz) hat meine Kollegin Prof. Tatjana Hörnle, die diesen Wortlaut schon seit längerer Zeit in der Diskussion vertreten hat, diese Fehlkonstruktion in dieser Woche noch einmal ausdrücklich bestätigt:

Zitat (Quelle Taz vom 5. Juli 2016):

Rath: Der BGH-Richter und Kolumnist Thomas Fischer kritisiert, dass hier schon Fahrlässigkeit bestraft wird, wenn der Täter den erkennbaren Willen der Frau nicht erkennt und deshalb missachtet.

Hörnle: Das ist nicht richtig. „Erkennbar“ dient der Abgrenzung von „innerlich“. Den ent­gegenstehenden Willen des Opfers muss der Täter jedoch erkannt haben. Der sexuelle Übergriff ist kein Fahrlässigkeitsdelikt.

Rath: Es genügt für den Täter also zu sagen: „Ich habe das Kopfschütteln nicht gesehen“? Und schon fehlt dem Täter der ­Vorsatz und er bleibt straffrei?

Hörnle: Eine solche Aussage muss schon plausibel und glaubwürdig sein. Offensichtliche Schutzbehauptungen dürften in der Regel keinen Erfolg haben.

Hörnle liegt zwar richtig damit, dass wegen „erkennbar“ aus dem Tatbestand formal noch kein Fahrlässigkeitsdelikt wird, da weiterhin nach § 15 StGB Vorsatz erforderlich ist, jedoch ist zu befürchten, dass die Gerichte bei obj. Erkennbarkeit den Einwand des Angeklagten, er habe den entgegenstehenden Willen nicht erkannt, regelmäßig als unbeachtlich ansehen und deshalb faktisch durchaus eine Tendenz zum Fahrlässigkeitsdelikt entstehen kann.

Wenig durchdacht erscheint auch die Antwort Hörnles auf die folgende Frage Raths:

Rath: Ein weiteres Problem der neuen Rechtslage: Ein Paar liegt im Bett, sie will Sex. Er sagt, er sei zu müde. Sie gibt nicht auf und streichelt seinen Penis, bis er doch Lust hat. Ist das künftig strafbar, weil sie sein Nein ignoriert hat?

Hörnle: Das Verhalten der Frau mag zwar den Tatbestand des neuen Gesetzes erfüllen. Aber ich bitte Sie, welcher Mann zeigt seine Partnerin nach einer solchen Situation an?

Rath: Unmittelbar danach tut er das sicher nicht. Aber vielleicht geht sie einen Monat später fremd. Er trennt sich, ist verletzt und zeigt sie nun wegen ihrer mehrfachen sexuellen Übergriffe an. Was soll die Staatsanwaltschaft tun?

Hörnle: Im Lauf von Beziehungen gibt es viele Vergehen, etwa Beleidigungen. Und im Verlauf von Trennungen wird mit Blick auf bestimmte Gegenstände der Vorwurf der Unterschlagung erhoben. Das Strafrecht ist nicht dazu da, all solche Vergehen in Beziehungen aufzuarbeiten. Hier würde das Verfahren wegen „geringer Schuld“ eingestellt.

Das Ausweichen auf das Prozessrecht mag zwar praktisch oftmals nicht zu vermeiden sein, aber als valides Argument bei der Neugestaltung einer Norm zählt es m. E. nicht: Rath hat hier zutreffend eine Situation geschildert, die man schon durch deutlichere Fassung des Gesetzes materiellrechtlich ausscheiden sollte. Zumal die Verfahrenseinstellung (wegen der im Mindestmaß erhöhten Strafe) nach § 153 StPO im Gegensatz zur Lage bei Beleidigungen und Sachbeschädigungen auch noch der Zustimmung des Gerichts bedürfte.

Update 28.07.2016:

Im NJW-Editorial (Heft 31/2016) habe ich neben dem oben genannten auf zwei weitere Problematiken des neuen § 177 StGB hingewiesen:

Erstens, dass in § 177 Abs. 1 n. F. nicht nur die Vornahme von sexuellen Handlungen am Opfer gegen dessen Willen erfasst ist, sondern dass auch sex. Handlungen des Opfers am Täter und an Dritten auf Veranlassung des Täters tatbestandsmäßig sein sollen. Auch hier geht es allein um eine Veranlassung gegen den erkennbaren Willen (Nein heißt Nein) des Opfers, also ohne Nötigung und ohne Gewalt. Das wirft schwierige dogmatische Fragen auf: Normalerweise gibt es keine Handlung ohne Willenskomponente. Hier soll es nun sexuelle Handlungen des Opfers gegen seinen eigenen erkennbaren Willen geben. Handelt das Opfer überhaupt, wenn es (ungenötigt) sexuelle Akte vornimmt? Läuft es nicht der Erkennbarkeit dieses Willens diametral entgegen, wenn das Opfer selbst (ungenötigt und ohne Gewalt des Täters) handelt?

Zweitens, dass nach § 177 Abs.6 n.F. in der Regel eine Mindeststrafe von zwei Jahren eintreten soll, wenn es als Regelbeispiel eines besonders schweren Falls zum Beischlaf kommt. Gewalt oder Nötigung werden hierzu nicht vorausgesetzt. Diese Strafandrohung erscheint mir unverhältnismäßig hoch.  Österreich sieht in § 205a ÖStGB zwei Jahre als Höchststrafe vor, was nach § 177 Abs.1 und 6 n. F. nun in Deutschland die Regel-Mindeststrafe sein soll.

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37 Kommentare

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Es ergibt sich doch allein aus dem Tatbestand, ob dieser Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraussetzt;  § 15 StGB ist da keine besondere Hilfe. Bislang war die Tathandlungsbeschreibung "Verursachen" ein relativ zuverlässiges Kriterium auf Fahrlässigkeit  (vgl. z.B. die Diskussion in BGH 4 StR 185/99 - NJW 1999, 3131). Kann man jetzt nicht wie folgt argumentieren: "Erkennbar" schließt die Klassifizierung als Vorsatztatbestand aus, weil ansonsten dieses Wort in diesem Kontext (mit Ihrer Argumentation des Vorsatzerfordernisses) überflüssig ist (vgl. z.B. der insoweit anders lautende § 248b StGB). Der Gesetzgeber wollte über "erkennbar" gerade fahrlässiges Verhalten sanktionieren. Sonst hätte er "erkannt" geschrieben und gleichzeitig das Merkmal gestrichen.

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Sehr geehrter Herr Lickleder,

§ 15 StGB hat hier durchaus Geltung. Weil der fahrlässige sexuelle Übergriff/die fahrlässige Vergewaltigung nicht ausdrücklich im Gesetz genannt wird, handelt es sich eindeutig um ein Vorsatzdelikt. Die von Ihnen genannte Entscheidung betrifft die ganz andere Frage, wann ein erfolgsqualifiziertes Delikt vorliegt (§ 18 StGB). Das ist ein Vorsatzdelikt, das zusätzlich zur vorsätzlichen Handlung einen besonderen Erfolgseintritt voraussetzt. (Nur) in diesem Fall gilt dann die von § 15 StGB abweichende Regelung, dass hinsichtlich dieses Erfolgs Fahrlässigkeit erforderlich ist bzw. ausreicht.

Die neue sexualstrafrechtliche Regelung ist aber eindeutig kein efolgsqualifiziertes Delikt. Der Gesetzgeber wollte mit "erkennbar" sicherlich kein fahrlässiges Verhalten sanktionieren, sondern dokumentieren, dass der bloß innerlich entgegenstehende Wille des Opfers nicht ausreichen soll.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Ich bin da nicht so sicher.

Der Wille des Gesetzgebers in der Begründung des Fachaussschusses liest sich nicht so eindeutig; dieser lässt eher den Schluss zu, das der Gesetzgeber (wenn auch wahrscheinlich grob fahrlässig) ein Fahrlässigkeitsdelikt beschließen wollte: Dort heißt es:

"Vielmehr soll es ausreichen, dass der Wille des Opfers erkennbar ist und der Täter sich darüber hinwegsetzt."

 

Auch der Hinweis auf § 15 StGB sticht nicht sicher. Denn als entscheidend könnte man auch erachten, ob der Gesetzgeber hier Fahrlässigkeit ausreichen lassen wollte.

Aus der Systematik des StGB folgt nun nicht zwingend, dass der Gesetzgeber nur durch Verwendung des Wortes "fahrlässig" die Strafbarkeit fahrlässigen Handelns begründen kann. Der Gesetzgeber verwendet schließlich an anderer Stelle im StGB den Begriff der Leichtfertigkeit, um die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit zu begründen.

 

Hinzu kommt, dass die Verwendung des Begriffes erkennbar in dem Tatbestand sinnlos erscheint, wenn der Täter vorsätzlich hinsichtlich des entgegenstehenden Willens des Opfers handeln müsste.

 

Hier ist m.E. sehr stark eine Korrektur des Gesetzeswortlautes gefragt!

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Sehr geehrter Herr Jung,

anders als Sie es darstellen, hat nie zur Debatte gestanden, im Sexualstrafrecht ein neues Fahrlässigkeitsdelikt einzuführen. Dies müsste laut § 15 StGB ja auch "ausdrücklich" geschehen. Der Satz, den Sie zitieren, ist richtigerweise so zu lesen:

"Vielmehr soll es ausreichen, dass der Wille des Opfers erkennbar ist und der Täter sich vorsätzlich darüber hinwegsetzt."

Sofern Leichtfertigkeit als strafbegründend im Gesetzestext anzutreffen ist, ist dies kein Gegenargument. Leichtfertigkeit ist eine qualifizierte Form der Fahrlässigkeit, insofern ist eine strafbegründende Leichtfertigkeit eine ausdrückliche Fahrlässigkeitsstrafbarkeitsbestimmung im Sinne des § 15 StGB. "Erkennbarkeit" ist aber keine andere Bezeichnung oder engere Beschreibung von Fahrlässigkeit, sondern lediglich eine mögliche Voraussetzung derselben.

Hinsichtlich der notwendigen Korrektur des Gesetzeswortlauts bin ich mit Ihnen einer Meinung. Das "erkennbar" müsste gestrichen werden.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Das sind alles kluge dogmatische Erwägungen. Aber auch Frau Prof. Hörnle stellt klar, dass die Gerichte das Verkennen des tatsächlichen Willens des Opfers zukünftig eben als "Offensichtliche Schutzbehauptungen" einstufen werden. In der Strafverfolgungspraxis wird schlicht kein Unterschied mehr zu einem Fahrlässigkeitsdelikt bestehen, wenn ein Gericht ex-post bewertet, was nach Auffassung des Gerichts hätte "erkennbar" sein müssen, daraus den Täter treffende Verhaltensanforderungen herleitet und den tatsächlich fehlenden Vorsatz nach eigenem Gutdünken als Schutzbehauptung einstuft. Der vorsätzlich vollzogene Beischlaf als solcher ist per se keine Straftat. Weitere objektive Tatbestandsmerkmale wie etwa irgendein Nötigungselement, auf das sich der Vorsatz des Täters erstrecken könnte, gibt es nicht. De facto sind wir dann beim "Fahrlässigen Beischlaf" angelangt, strafbar mit einer Mindeststrafe von 2 Jahren Haft.

Besonders bedenklich ist, dass sich kein Gericht bei der Bewertung dessen, was "erkennbar" war, von eigenen Moralvorstellungen lösen kann. Entgegen des vereinfachenden Slogans "Nein-heißt-nein" kommt es schließlich auf den "erkennbaren", tatsächlichen Willen des Opfers an und nicht unbedingt, was es sagt. Es kommt auch nicht darauf an, wie das Opfer aktiv handelt, wie die zweite Alternative von § 177 Abs. 1 StGB ausdrücklich klarstellt. Selbst einverständlicher Beischlaf, zu dem beide Sexualpartner ausdrücklich "JA" (!) gesagt haben und den beide Partner durch eigene Handlungen aktiv gefördert haben (nicht bloß passiv-sich-nicht-wehrend erduldet haben), kann zukünftig als Vergewaltigung bestraft werden, wenn ein Landgericht in bestimmten Teilen der Republik der Auffassung ist, es sei doch wohl "erkennbar", dass eine verheiratete, religiöse, anständige oder was auch immer Frau so etwas tatsächlich nicht gewollt haben könne. Aus meiner Sicht werden hier mal eben die Grundlagen eines rechtsstaatlichen Strafrechts entsorgt, das allein sexuelle Autonomie schützt.

Völlig absurd erscheint mir zudem die Wertung des Gesetzgebers, dass eine erwachsene, selbstbestimmte, autonome, von keinerlei Gewalt, Zwang oder Nötigung beeinflusste Frau (der Tatbestand ist zwar geschlechtsneutral formuliert, aber offenkundig dachte der Gesetzgeber vor allem an "unmündige" Frauen) etwas bejahen oder gar tun könne, was sie aber erkennbar (für ein häufig männlich besetztes Gericht!) tatsächlich nicht gewollt haben. Der Staat soll bitte alle Menschen (hart) bestrafen, die durch Gewalt, Drohung, Nötigung etc. in schwerkrimineller Weise in meine Selbstbestimmung übergreifen, aber nicht die Ausübung meiner Selbstbestimmung eingreifen, in dem er die autonome Betätigung meines Willens (!) der nachträglichen und normativen Bewertung meines Willens durch staatliche Instanzen unterwirft. Meint denn der Gesetzgeber, letztlich Frauen letztlich unmündige Kinder? Gibt es sonstige Beispiele in unserer Rechtsordnung, in denen der Gesetzgeber die Handlung eines erwachsenen Menschen ohne hinzutreten besonderer Gründe wie Gewalt oder Nötigung nicht als Betätigung ihres Willens anerkennt? Auf die Gefahr hin, zynisch zu klingen, aber: Nach welchen Kriterien bestimmen sie eigentlich, ob der Täter eines Sexualdelikts, ob er die Handlungen, die er wissentlich vorgenommen hat, auch tatsächlich wollte?

Wenn ich nein sage, dann heißt das auch nein, soweit ist die Regelung gut. Aber wenn ich ja sage, dann heißt das für Dritte und den Staat auch ja. Und wenn ich aktiv etwas tue, dann sollte der Staat auch bitteschön davon ausgehen, dass ich dies tatsächlich auch so gewollt habe, wenn keine besonderen Gründe dafür vorlagen, dass ich meinen Willen nicht autonom betätigen konnte. Der jetzigen, völlig unbestimmten und wertungsoffenen Rechtslage mit ihrem weitgehenden Verzicht auf  objektiven Tatbestandsmerkmale wohnt eine gefährliche Tendenz zu paternalistischer Bevormundung inne, die sich für viele Unschuldige, aber vor allem für die Opfer von Sexualstraftaten noch bitter rächen wird.

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Ich nehme meine Anmerkung teilweise zurück. Nur in der Kurzbegründung des Entwurfs wie auch - wohl - in den Presseverlautbarungen ist der Gesetzesentwurf damit begründet, dass die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens nunmehr ausreicht.

In der (ausführlichen) inzwischen rezipierten Entwurfsbegründung wird hingegen klargestellt, dass es hinsichtlich des entgegenstehenden Willens beim Vorsatzerfordernis bleiben soll.

Dieser Wille des Gesetzgebers wird wohl zur eindeutigen Auslegung in diesem Sinne hinreichend aber auch erforderlich sein, weil eben die Leichtfertigkeit als solche ebenfalls nicht in § 15 StGB erwähnt ist.

Im Übrigen teile ich Ihre Auffassung.

 

 

Es bleibt ein sehr missverständlicher Gesetzeswortlaut.

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Rein sprachlich gesehen, ohne die Feinheiten der aktuellen Auslegung von § 15 StGB zu kennen, finde ich das Gesetz auch unklar. Wenn man es wörtlich nimmt, beschreibt es ein Fahrlässigkeitsdelikt. Allerdings tut es das nicht so ausdrücklich, wie das sonst wegen § 15 StGB üblich ist. Mit "erkennbar" ja auch ausnahmsweise "für den Täter erkennbar" gemeint sein.

Der von Ihnen zitierte Satz spricht aber eher für ein Vorsatzdelikt. Entgegensetzen ist eine aktive Handlung, die Vorsatz erfordert. Man kann sich einem Willen nur dann entgegensetzen, wenn man ihn auch erkannt hat. (Bestenfalls kann man auch dann noch davon sprechen, wenn man sich nicht sicher ist.)

Das ist auch alles durchaus relevant. Autisten beispielsweise haben häufig sehr große Probleme, den Willen anderer (nicht autistischer) Menschen zu lesen. Sie können sich eigentlich nie sicher sein. Heißt das, dass Autisten sich ab jetzt vor etwaigem GV mit Nicht-Autisten eine Unterschrift holen müssen? Und zwar ganz theoretisch, als beabsichtigte Wirkung des Gesetzes, und nicht etwa nur in der Praxis?

Wenn das ein Fahrlässigkeitsdelikt sein sollte, hätte man sich solche Auswirkungen vorher genau überlegen müssen. Auch das wird doch wohl eine beabsichtigte Folge des Ausdrücklichkeitsgebots von § 15 StGB sein. Diese für Fahrlässigkeitsdelikte notwendige Diskussion wurde hier aber meines Wissens nicht geführt.

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Schon interessant, dass Frau Hörnle meint, dass wenn es um die sexuelle Selbstbestimmung des Mannes geht, es nur eine "geringe Schuld" geben könnte. Der Mann als dauergeiles, immer wollendes Wesen. Und als Frau, die ihrem Partner an die Wäsche geht, soll man sich also darauf verlassen, dass man an eine Richterin gerät, die trotz Tatbestandsverwirklichung das Verfahren einstellt? Und darf man als Mann, der mit seiner Partnerin analog verfährt auf derartige Milde hoffen? Im Zweifel wohl eher nicht.
 

"Interessant", sehr richtig - oder auch einfach nur eine ziemlich unpassende Auffassung, zumal für eine Professorin für Strafrecht und "führende Expertin für Sexualstrafrecht", Zitat: taz.

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Mein Eindruck als Laie war, dass es hier eigentlich nur um politischen Aktivismus ging und eine feministische Bewegung mit Hilfe des ewig schlechten männlichen Gewissens diesen Erfolg wollte und dann eingefahren hat. Schlimm in der Diskussion war die Intoleranz von Schwarzer & Co., im Gefolge dann zahlreiche Politiker/innen, welche auf die Kritik anderer Frauen erst gar nicht reagiert, die gleiche Kritik männlicher Kollegen als chauvinistisch, rückständig, frauenfeindlich diffamiert haben. Die Einstimmigkeit führe ich ganz einfach darauf zurück, dass eine Ablehnung oder Enthaltung den jeweiligen Abgeordneten unter die Dampfwalze des lebendigen Zeitgeistes hätte geraten lassen. Es war meines Wissens keine geheime Abstimmung ...

Als Jurist mit - auch - etwas strafrechtlicher Erfahrung bin ich geradezu verzweifelt, wie sich hier der Gesetzgeber populistisch mit Texten prostituiert, die von vorneherein dazu verdammt sind, das gesetzte Ziel nicht zu erreichen.  Was in der Diskussion außer Acht gelassen wird, ist, dass der Gesetzgeber an Handlungen im Rahmen einer dynamischen privaten Beziehung nicht herankommt. Das liegt in der Natur privater Beziehungen, ihrer Anbahnung und ihres Endes. In keinem Bereich des Strafrechts sind die Interessenlage von Täter und Opfer

Was diesem Gesetz fehlt, ist die für jedes Gesetz erforderliche Folgenprognose. Diese wiederum setzt sorgfältige Vorarbeit voraus, wofür der Bundestag einen eigenen wissenschaftlichen Apparat hat. Das macht der verabschiedete Text unmittelbar evident, wobei das Wort "erkennbar" bereits in der Tat eine Schlüsselrolle einnimmt. Man könnte geradezu meinen, dass ausgewiesene Experten von den Erörterungen ausgeschlossen waren. Es ist bereits der erste Schritt dahin, dass vor jeder Berührung (es muss ja nicht einmal das andere Geschlecht sein!) erst einmal ein Formular auszufüllen und von beiden Seiten zu unterschreiben ist, dass die Berührung gewünscht ist. Gut, jetzt sind wir erst einmal nicht bei der einfachen Berührung, sondern bereits ein zwei Schritte weiter. Dennoch: es gibt kaum eine Beziehungssituation, in welcher Gefühle und Gedanken, Wünsche dafür und dagegen so Achterbahn fahren können wie im Zusammenhang mit Sexualttatbeständen. Und hier mit Texten einzugreifen, die beiden Betroffenen auch im Hinblick auf ihre Grundrechte gerecht werden, ist extrem schwierig. Gerecht zu werden - das ist dem Bundestag jedenfalls nicht gelungen.

Ich fülle eine versehentlich gelassene Lücke wie folgt: "In keinem Bereich des Strafrechts sind die Interessen- und Motivlagen von Täter und Opfer so diffus, konfus und kontrovers sie im Sexualstrafrecht. Kaum in einem Bereich des Strafrechts ist das Verhältnis zwischen Tathandlung, Vorsatz und Willens- und Motivlage des Opfers selbst (!) so unübersichtlich, strafprozessual kaum zu entstricken.

Ich stimme Herrn Professor Rumpf zu. Mir ist im Übrigen auch nicht klar welche Strafbarkeitslücke eigentlich geschlossen werden sollt, die der Beweisschwierigkeiten? Egal, in der Realität ist es nach meiner Erfahrung als Verteidiger ohnehin so, dass man nur sehr, sehr schwer aus "Nummer wieder raus kommt". Wer einmal wegen Vergewaltigung angezeigt wurde oder gar ein Kind irgendwie als Opfer genannt wird muss sich schon wirklich warm anziehen. Meistens liegt es übrigens daran, dass der nüchterne sachlich-professionelle Blick durch die Betroffenheit  über die in Rede stehende Tat völlig verstellt ist. Das ist im Gerichtssaal wie in der Politik. Hinzu kommt, dass häufig die eigenen Vorstellungen der Richterinnen und Richter - gleiches gilt für die Anklagebehörden - über "noch akzeptable" Sexualität entscheidungsleitend aind. Dann entsteht nicht selten eine hochgefährliche tendenziöse und von Resentiments durchsetzte Verhandlungsathmosphäre. Durch konturlose Normen und Tatbestandsmerkmale wird das nur befördert und das ist wirklich unerträglich!

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Die Frage mit dem Penis betrifft doch im Grunde genau das, was sehr wohl und sehr absichtlich durch dieses Gesetz geregelt werden sollte?! Man könnte sagen "Nein heißt Nein" heißt "Nein heißt Nein". :-)

Person A möchte sexuelle Handlungen, Person B lehnt diese ab. Person A begeht trotzdem sexuelle Handlungen an Person B, in der Hoffnung, dass Person B es sich im Laufe dessen noch anders überlegt. Das ist doch "Nein heißt Nein" in Reinform! Der einzige Grund, warum das hier kontrovers sein soll, ist weil es in einer Beziehung stattfindet, weil Person B es sich tatsächlich später anders überlegt und weil die Geschlechterverteilung eine weibliche Täterin und ein männliches Opfer hat. Keiner dieser drei Punkte ist für das Rechtliche relevant und das ja wohl zurecht.

Ich denke die Moral von der Geschicht' ist, dass auch Frauen klar sein muss, dass nein eben wirklich nein heißt und nicht-einvernehmliche Handlungen kein Vorspiel sind und dass Beziehungen keine Entschuldigung für sexuelle Übergriffe sind. It's not a bug, it's a feature.

In der Praxis wird ein derartig konstruierter Fall aber eh nur in verschwindend geringen Fällen vor Gericht landen und in gegen null tendierenden Fällen zu einer Verurteilung führen.

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@Professor Müller: einstimmig hat der Bundestag das nicht beschlossen.

Von der BT-Homepage:

"Der Deutsche Bundestag nahm am Donnerstag, 7. Juli 2016, einen entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/8210, 18/8626, 18/9097) in erheblich geänderter Fassung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD nach dritter Lesung an."

"Die Opposition enthielt sich bei der Abstimmung des Gesamtpaketes in dritter Lesung. Die Neuregelung im Paragrafen 177 StGB stieß bei der Opposition aber auf Zustimmung. Redner der Grünen und Linken kritisierten allerdings die Regelungen zu Gruppen-Straftaten und im Aufenthaltsgesetz scharf. Die Opposition hatte daher in zweiter Lesung drei getrennte namentliche Abstimmungen beantragt, um ihre Positionen zu dokumentieren. Die Regelungen zum „Nein heißt Nein“ wurden dabei einstimmig mit 599 Stimmen angenommen. Die Einführung der Gruppen-Straftaten-Norm erhielt bei zwei Enthaltungen 477 Ja-Stimmen und 119 Nein-Stimmen. Die Regelung zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes wurde von 479 Abgeordneten angenommen, 121 stimmten dagegen."
 

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@gastchen,

doch, die Regelung zum "Nein heißt Nein", die ich hier kommentiere, wurde einstimmig angenommen, genauso steht es doch auch auf der BT-Homepage, die Sie zitieren!

Henning Ernst Müller

Vielleicht lese ich das falsch. Aber wenn über ein Gesamtpaket abgestimmt wird und sich die Opposition beim Gesamtpaket enthalten hat ?  Dann hilft diese außerhalb der Beschlussfassung erteilte  "Zustimmung"  zur Neuregelung des 177 auch nicht und macht das  Abstimmungsergebnis doch  nicht zu einem"einstimmigen"? Oder meinen Sie, dass einstimmig schon dann gegeben ist, wenn alle Abstimmenden zustimmen, egal wie viele sich enthalten?
 

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Die problematischen Fälle gibt es viel öfter als man meint:

 

A trifft in einem billigen Bordell die Prostituierte P aus Nigeria. Sie kommen in ein etwas persönlicheres Gespräch als normalerweise vielleicht üblich. P erzählt A, dass sie ihren Job nicht ertragen kann in Ermangelung einer Alternative vorerst weiter als Hure arbeitet. Sie wünscht sich eigentlich eine Familie. Den Beischlaf mit einer vielzahl von Männern ist wider ihre Erziehung usw. In Ihrem Heimatland verschweigt sie ihren Beruf - sie benötigt schlicht das Geld. Sie vollzieht dann den Beischlaf mit A gegen Zahlung von 60 Euro.

vergewaltigung?

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Das ist genau der Punkt, der diese Regelung aus meiner Sicht verfassungswidrig macht. Zulässige Formen der Willensbeeinflussung werden nicht von unzulässigen Formen der Willensbeeinflussung abgegrenzt. Früher war der Maßstab klar. Frei handelt der Mensch, der nicht genötigt, bedroht oder gar mit Gewalt gezwungen wurde. Und jetzt? Wann Sie sich strafbar machen, können Sie mit einem Blick ins Gesetz praktisch nicht mehr ersehen. Trotz der schlichten Formel "Nein heißt nein" ist nicht mehr ersichtlich, unter welchen Umständen eine Handlung, die ein erwachsener Mensch vornimmt, nicht ihrem oder seinem tatsächlich "erkennbaren Wille" entsprechen sollte.

Darf eine Mann oder Frau sich trotz offen geäußerter Ambivalenz oder gar unter widrigen Umständen zu einer sexuellen Handlung entschließen? Darf eine Frau - oder auch ein Mann – ihren einmal klar geäußerten ablehnenden Willen nie mehr ändern, und sei es nur, weil sich vertragen, gebettelt, Vorteile versprochen oder verhandelt wurde? Natürlich darf sie das, sie ist ein  freier und autonomer Mensch! Geschützt wird, was sie WILL, nicht was sie nach Auffassung eines Mannes, eines Gerichts, des Staates oder jedes beliebigen Dritten wollen sollte. Es kommt insbesondere nicht darauf an, was ich oder ein Dritter als schön oder unschön, sittlich oder unehrenhaft empfinden, so lange eine Handlung allein dem Willen einer selbstbestimmten Frau (oder Mann) entspricht.

Wo aber liegt dann die Grenze, an der die willensgetragene Handlung eines Subjekts in schwerstkriminelle Fremdbestimmung umschlägt? Bisher war das klar: Nötigung, Gewalt, Drohung, Erpressung, etc. Und jetzt? Ich finde dazu nichts im Gesetz. Noch nicht einmal Anhaltspunkte. Dabei ist das die alles entscheidende Frage.

Bilden Sie den Fall einmal um: Der tief christliche A ist glücklich verheiratet, aber von der Prostituierten P aus Nigeria, die ihm seine geheimsten Wünsche erfüllt, sexuell abhängig. Er sucht sie einmal pro Woche auf und bezahlt sie. Vor dem Beischlaf aber äußert er unter Tränen, dass er diesen Sex nicht wolle, da er seine Frau doch über alles liebe und sein Glauben ihm seine Sünden verbiete. Dann nimmt die bezahlte Prostituierte P sexuelle Handlungen an A vor, die das Regelbeispiel einer Vergewaltigung erfüllen, während dessen der auf dem Bett der Prostituierten P liegende und die an ihm vollzogenen sexuellen Handlungen passiv hinnehmende A noch einmal in Tränen ausbricht und wiederholt, dass er, Gott sei sein Zeuge, doch nicht wolle, was Frau P mit ihm mache.

Strafbar? Mindeststrafe 2 Jahre Haft für die Prostitutierte P? Selbst die schon für sich genommen verfassungswidrige Option, im Bereich der mittleren bis schweren Kriminalität liegendes Verhalten auf "prozessualem" Wege von nicht strafwürdigem Verhalten zu unterscheiden, dürfte hier kaum noch gangbar sein. Zudem droht der Armutsprostitutierten P nach neuem Ausländerrecht nun eine Regelausweisung als verurteilte Sexualstraftäterin, soweit sie sich denn zuvor legal in Deutschland aufgehalten haben sollte.

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Wenn wir die beiden Fälle jetzt noch geschickt kombinieren, vergewaltigen A und P sich gegenseitig.

In manchen Ländern gibt es das bei Kindern und Jugendlichen heute schon bzw. noch. Stichwort: "mutual statutory rape". Das ist besonders lustig, wenn zwei genau Gleichaltrige sich gegenseitig 'vergewaltigen' und die Eltern des Mädchens das anzeigen und dann überrascht sind, wenn ihre Tochter ebenfalls im Gefängnis und lebenslang auf einer Sex-Offender-Liste landet. Das scheint mir nicht weit von Sharia-Recht entfernt zu sein.

Offenbar ist es normal, dass (auch) bei den Gesetzgebern der Verstand völlig aussetzt, wenn es um Sex geht. ("Konnte ja keiner ahnen, dass gelegentlich auch mal zwei gleichaltrige Minderjährige einvernehmlich Sex haben." Oder wie sieht die Ausrede der Trottel aus, die das durchgewunken haben?) Warum muss es denn bei gewissen Themen immerzu dieses Abwechseln zwischen Tabuisierung/Tatenlosigkeit und Hysterie/Hyperaktivität geben?

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"Hörnle: Das Verhalten der Frau mag zwar den Tatbestand des neuen Gesetzes erfüllen. Aber ich bitte Sie, welcher Mann zeigt seine Partnerin nach einer solchen Situation an?"

"Hörnle: Im Lauf von Beziehungen gibt es viele Vergehen, etwa Beleidigungen. Und im Verlauf von Trennungen wird mit Blick auf bestimmte Gegenstände der Vorwurf der Unterschlagung erhoben. Das Strafrecht ist nicht dazu da, all solche Vergehen in Beziehungen aufzuarbeiten. Hier würde das Verfahren wegen „geringer Schuld“ eingestellt."

Diese Antworten sind bemerkenswert.

An Frau Hörnle, falls sie mitliest (und sich traut):

Zu 1.: Wieso sollte die Anzeigebereitschaft eines Mannes geringer sein als die einer Frau? Und ist die Anzeigebereitschaft ein wirklich gutes Kriterium für die Abfassung einer Strafnorm?

Zu 2.: Gilt das auch in umgekehrter Konstellation, d. h. wenn der Mann an der Frau gegen ihren Willen Geschlechtsverkehr durchgeführt hat?

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Gast schrieb:

Rath: Unmittelbar danach tut er das sicher nicht. Aber vielleicht geht sie einen Monat später fremd. Er trennt sich, ist verletzt und zeigt sie nun wegen ihrer mehrfachen sexuellen Übergriffe an. Was soll die Staatsanwaltschaft tun?

Hörnle: Im Lauf von Beziehungen gibt es viele Vergehen, etwa Beleidigungen. Und im Verlauf von Trennungen wird mit Blick auf bestimmte Gegenstände der Vorwurf der Unterschlagung erhoben. Das Strafrecht ist nicht dazu da, all solche Vergehen in Beziehungen aufzuarbeiten. Hier würde das Verfahren wegen „geringer Schuld“ eingestellt.

 

Mal abgesehen davon, ob Mann oder Frau. Wenn das Verfahren wegen geringer Schuld eingestellt wird, ist die Sache doch nicht vorbei. Ein Strafverfahren hat unter Umständen auch noch arbeitsrechtliche Konsequenzen. Etwa wenn es im Bezug zum Arbeitgeber steht. Auch wenn es wegen geringer Schuld eingestellt wird. Der Ehemann/Die Ehefrau steckt das der Presse: "Fernseh-Moderator/Jugendamtsmitarbeiter von Noch-Ehefrau wegen sexueller Nötigung angezeigt".

Oder auch wenn beide Partner beim selben Arbeitgeber angestellt sind.

In solchen Fällen wäre eine Kündigung wohl kaum vermeidbar.

Das wäre jedenfalls die deutlich härtere Konsequenz dieser Gesetzesverschärfung.

 

 

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Die Anzeigebereitschaft von Männern ist ja schon bei gewalttätigen Vergewaltigungen viel geringer als die von Frauen: weil sie damit rechnen müssen, dass sie ausgelacht werden und die Sache überhaupt nicht verfolgt wird. (Im Falle einer Täterin ist das männliche Opfer eine lächerliche Witzfigur, weil er sich nicht gegen eine Frau durchsetzen kann und/oder weil er sich über eine geschenkte Gelegenheit zum Sex nicht gefreut hat und auch noch beschwert. Im Fall eines männlichen Täters ist es eine Tat im Homosexuellen-Milieu, mit der man sich nicht weiter befassen muss, weil man diese Leute sowieso nicht verstehen kann.) Frauen dagegen bekommen intensive Unterstützung, nicht selten wohl auch bei der optimalen Formulierung des Vorwurfs und bei der Vermeidung von Widersprüchen in der Aussage.

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Der Vergleich mit Unterschlagung und Beleidigungen in "angekratzten" Beziehungen wirkt tatsächlich sehr befremdlich. Bleibt das Verhalten materiell strafbar, bleibt es verboten, was nicht heruntergespielt werden sollte. Sehen wir von dem deutlich abweichenden Strafrahmen ab und akzeptieren wir den Ausweg über das Prozessrecht. Hier sind für Unterschlagung und Beleidigung jeweils Strafanträge in entsprechender Frist zu stellen. Ist das für "Nein-heißt-Nein" auch vorgesehen? Kommt es hier überhaupt auf die "Anzeige" des Ehepartners an, oder doch nur auf die (ggf. gar nicht notwendige oder in unehelichen Beziehungen nicht verweigerbare) Aussage?

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Also schon bei der Konzeption einer Norm darauf zu hoffen, dass man "strafunwürdiges" Verhalten schon über das Anzeigeverhalten und Einstellungsnormen wieder rausfischen kann, erscheint schon traurig. Letztlich sollte ja die Frage sein, ob wir das von der Norm erfasste Verhalten bestrafen wollen - oder nicht.

Zur Penisfrage (die auch mit weiblichen Geschlechtsteilen gleich beantwortet werden muss, auch wenn vielleicht der erste instinktive Gedanke abweicht): Letztlich geht es um die Bewertung kommunikativen Verhaltens: Was ist ein (beachtliches) 'nein'? Im vorliegenden Fall würde ich das eher nicht so sehen: Durch das drucklose Geschehenlassen dürfte wohl eher keine echte/endgültige/entschiedene Ablehnung zum Ausdruck gebracht worden sein. Aber genau bei dieser Abgrenzung (gerade eigtl. lieber nicht, aber wenn Du willst OK <=> NEIN!) liegt das Problem der Vorschrift. Es wird sich aber, wenn man einen umfänglichen Schutz der sexuellen Selbstbestimmungsfreiheit möchte, nicht umgehen lassen. Ob man das will, ist politische Frage - ich find`s OK. Und tatsächlich funktioniert es ja - um die Fischer-Stokowski-Debatte aufzunehmen - auch bei § 248b StGB.

Die Gesetzesfassung ist mit dem "erkennbar" aber völlig misslungen. Als einschränkendes Korrektiv ist es nicht zu brauchen: Vorsatz bzgl. des ernsthaften entgegenstehenden Willens ist ohnehin erforderlich. M.E. ändert sich nichts an der Strafwürdigkeit, wenn der Wille (aktuell?) nicht erkennbar, aber dem Täter aufgrund anderer Umstände davon Kenntnis hat.

Lustige weitere Frage: Wenn die Erkennbarkeit objektives Tatbestandsmerkmal ist, muss es vom Vorsatz erfasst sein (ok, laienhaft, weil normativ). Das wirft interessante Irrtumsfragen auf: Versuch, wenn Täter irrig den Willen irrig für erkennbar hält? Freispruch, wenn er zwar weiß, dass Opfer keinen Sex möchte aber die Erkennbarkeit des Willens verkennt?

Als objektive Bedingung der Strafbarkeit taugt das Merkmal aber auch nix. Wahrscheinlich wird man das Merkmal über kurz oder lang als deklaratorisch bzgl. des Vorsatzerfordernisses und der Beweisbarkeit des Willens auffassen oder so. Danke, Gesetzgeber...

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Sehr geehrter Herr Obermann,

vielen Dank für Ihre Eregänzungen zum Tatbestandsmerkmal "erkennbar". Wenn man dies wirklich als objektives Tatbestandsmerkmal behandelt, müsste ganz unabhängig vom sonstigen subj. Tatbetsand sich der Vorsatz des Täters zusätzlich auf gerade diese (objektive) Erkennbarkeit beziehen. Das ergäbe absurde Ergebnisse auch unabhängig von den beiden Irrtumskonstellationen, die Sie schildern: Ein Täter vergewaltigt (dies setzt nun keine Gewalt mehr voraus) sein Opfer, von dessen entgegenstehenden Willen er Kenntnis hat, muss aber freigesprochen werden, weil das Opfer seine Ablehnung nicht erkennbar geäußert hat.

Ich habe im NJW-Editorial von dieser Woche (Heft 31/2016) noch weitere Probleme angemerkt, diese jetzt auch oben im Beitrag als Update ergänzt.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

vielen Dank für den Hinweis.

Ich sehe in den von Ihnen (im editorial) geschilderten Konstellationen (unabhängig von der Erkennbarkeit) auch keine andere Möglichkeit, als letztlich doch auf Gesichtspunkte der Nötigung (durch die Hintertür) zurückzugreifen. Dies ist aber hoch problematisch.

In den Fällen, in denen das Opfer selbst sexuelle Handlungen vornimmt, kann "gegen den Willen" nur als "gegen den ursprünglich freien Willen" verstanden werden, um nicht gerade die herkömmlichen Fälle der sexuellen Nötigung auszuschließen und letztlich völlig leerzulaufen. Die Folge davon wäre dann aber, dass eine Strafbarkeit schon dann vorliegt, wenn kein beachtlicher - weil nicht abgenötigter - "positiver Wille" des Opfers zur Vornahme sexueller Handlungen vorliegt.

Denkt man dies weiter, so zeigen sich Probleme: Insoweit zwischen der Vornahme von Handlungen durch das Opfer und der Duldung von Handlungen des Täters zu differenzieren erscheint indes vor dem Wortlaut der Norm nämlich bedenklich bis unmöglich.

Dann aber wird aus einem "Nein ist nein" schon ein "Ja ist ja" - was rechtspolitisch ja durchaus diskussionswürdig erscheint, aber eigtl. nicht Gegenstand des Gesetzes werden sollte.

Diskutabel erscheint in dieser Auslegung dann zudem die Frage ob auch ein z.B. täuschungsbedingt fehlerhaft gebildeter Wille des Opfers, den Sex zuzulassen / selbst aktiv zu werden ("wahrheitswidriges Versprechen einer Belohnung") schon zu einer Strafbarkeit des Täters führen soll. Mit dem Leitbild einer Vergewaltigung hat das dann schon nur noch wenig zu tun.

Da ist wohl noch einiges zu klären...

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Die rechtliche Problematik ist irgendwie faszinierend.

Möglicherweise muss man im "Penisfall" noch genauer hingucken: Lehnt der Mann zwar (zunächst) ernstzunehmend den von der Frau gewollten Geschlechtsverkehrs ab (und bringt dies erkennbar zum Ausdruck) ist aber gleichzeitig - möglicherweise widerstrebend aber gleichwohl relevant - mit dem auch schon eine sexuelle Handlung darstellenden Verführungsversuch einverstanden? Und später ist sein nunmehr bekehrter Wille dann wohl auch (relevant) auf den Sex gerichtet... Oder bringt er den Widerwillen gegen die vorherige Verführung einfach nur nicht erkennbar zum Ausdruck?

Jedenfalls wird die Praxis - hoffentlich mit tatkräftiger Unterstützung der Wissenschaft - zunächst näher die Fragen klären müssen wie a) der Wille des Opfers im Hinblick auf seinen Inhalt und die Intensität der Ablehnung des sexuellen Kontaks beschaffen sein muss und wie b) dieser Wille zustandegekommen sein darf/muss, um eine Strafbarkeit des Täters zu begründen.

Für die letzte Frage wird man an den Streitstand zum tatbestandsausschließenden Einverständnis anknüpfen können, wonach ein abgenötigtes Einverständnis in der Regel irrelevant ist und die Relevanz täuschungsbedingter Willensmängel vor dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm zu diskutieren ist (vgl. LPK/Kindhäuser, 6.Aufl. 2014, vor § 13 Rn. 205ff.). Da nun nach dem Gesetz keine Nötigung mehr erforderlich ist, spricht im Grundsatz nichts dagegen, auch das erschlichene Einverständnis als irrelevant anzusehen. Puh. Also strafbar, wenn man die Bereitschaft zum Sex mit dem konkludenten Versprechen einer Beziehung herbeiführt ("natürlich liebe ich Dich, Schatz"), aber nur einen One-Night-Stand will? Jedenfalls aber käme es so letztlich wieder zur Berücksichtigung von Nötigungskomponenten...

Erst daran anknüpfend wird man dann klären müssen, wie dieser Wille äußerlich erkennbar werden kann.

Schließlich wird man dann im Verfahren herausfinden müssen, wie man das Ganze beweisen will.

Lustig.

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kurzer Hinweis:

Frau Hörnle versucht in NStZ 2017, 13 eine erste Definition der Tatbestandsmerkmale des neuen Gesetzes. Insbesondere will sie "erkennbar" als "kommuniziert" verstehen - verbal oder nonverbal. Zur dogmatischen Einordnung des Kriteriums gibt sie keine Hinweise.

Hat mittlerweile jemand praktische Erfahrung mit der verunglückten Norm gesammelt, als Richter, Rechtsanwalt, Staatsanwalt? Hat irgendjemand klärende Veröffentlichungen gesehen? Wie wird der Tatbestand gelesen?

Mein Vorschlag für eine erneute Reform:

Neben der herkömmlichen sexuellen Nötigung wird ein schlichter Tatbestand (Arbeitstitel: "Sexuelle Anmaßung") der leichten Kriminalität geschaffen:

"Wer an oder vor einem anderen sexuelle Handlungen vornimmt, wird mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren bestraft."

Da der Bereich der sexuellen Selbstbestimmung bei Einwilligungsfähigkein gottseidank in vollem Umfang ohne Begrenzung durch die guten Sitten (im Gegensatz zur körperlichen Unversehrtheit) der Disponibilität unterliegt, dürfte klar sein, dass eine Einwilligung schon den Tatbestand entfallen lässt und Irrtümer des Täters hierüber (angesichts des Vorsatzerfordernisses, § 15) jedenfalls unter § 16 fallen. Bzgl. Willensmängeln bei der Einwilligung könnte zwanglos an die klassische Einwilligungsdogmatik bei persönlichen Rechtsgütern angeknüpft werden. Zwanglos würden auch überraschende Übergriffe erfasst werden, bei denen das Opfer keine Reaktionsmöglichkeit (jedenfalls iSe "Nein") hat.

Ein schutzwürdiges Interesse daran, sexuelle Handlungen an oder vor jemandem vorzunehmen, der damit nicht einverstanden ist, sehe ich nicht. Mit Blick auf den möglichen Eventualvorsatz obliegt es daher jemandem, der Zweifel an der Einwilligung des vorgesehenen Partners hat, sich Sicherheit zu verschaffen. Das sollte doch kein Problem sein und gilt hoffentlich schon jetzt als guter Stil... Oder?

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