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Wiederaufnahme wegen falschem Tagessatz beim Strafbefehl

recktenwald

2014-12-18 07:34

Glaube zwar nicht, dass ein deutscher Richter so flexibel ist, aber ich hab mal folgendes ausprobiert:

 

Das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens dient dem Ziel, den Konflikt zwischen materialer Gerechtigkeit und Rechtssicherheit angemessen zu lösen, die sich beide aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten. Das Wiederaufnahmegericht darf das Wiederaufnahmeverfahren nicht in dem Sinne ineffektiv machen, dass die Chancen des Verurteilten auf Erlangung eines gerechten Richterspruchs in Abweichung von dem Ziel des Wiederaufnahmeverfahrens wesentlich verschlechtert werden, stattgebender Kammerbeschluss des BVerfG vom 31. Juli 2014 -- 2 BvR 571/14 -- (Juris).

 

 

Die Wiederaufnahmegründe sind deshalb auch nicht eng und doktrinär, sondern möglichst grundrechts- und wiederaufnahmefreundlich auszulegen. Dies betrifft auch den Begriff des "Strafgesetzes". Dafür genügt jede tatsächlich angewandte Strafnorm. Denn nur darauf kommt es für die Strafe an. (...)

 

Man kann nun durchaus sagen, dass die Festsetzung eines niedrigeren Tagessatzes ein neues "Strafgesetz" ist, das eine mildere Bestrafung vorsieht. Denn die Festsetzung des Höhe des Tagessatzes ist eine Regelung. Für den Fall der Verurteilung zu einer in Tagen bestimmten Geldstrafe wird durch einen Akt richterlicher Rechtsschöpfung eine Rechtsfolge geschaffen, die es vorher noch nicht gab. Erst aus der Festsetzung des Tagessatzes folgt die konkret zu bezahlende Geldsumme, die etwas ganz anderes ist als eine Zahl von unbestimmten Tagessätzen. Der gesetzliche Straftatbestand ist ohne diese Regelung überhaupt nicht anwendbar. Dies rechtfertigt es, diese Regelung zum Begriff des "Strafgesetzes" im Sinne des Wiederaufnahmerechtes dazu zu zählen. Eine solche Korrektur von Verstößen gegen den Gleichheitssatz liegt auch näher als der Weg über einen Vollstreckungsschutzantrag gem.

§ 765 a ZPO. Der Schuldspruch bleibt im Übrigen bestehen.

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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3 Kommentare

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Weil ich den Begriff der materialen Gerechtigkeit nicht kannte, hab ich dann mal machgeschaut, es ist wohl ein vor allem sozialwissenschaftlicher Begriff und das ist doch wohl noch schlimmer:

 

Vielmehr findet das strafrechtliche Rückwirkungsverbot seine verfassungsimmanente Grenze in dem Grundsatz, dass es vor Willkür schützen, nicht aber die Willkür selbst schützen will. Es ergibt sich also aus der systematischen Auslegung und nicht etwa aus der materiellen Gerechtigkeit, dass ein Vertrauen in Gesetze, die nicht demokratisch und rechtsstaatlich zustande gekommen sind, nicht schutzwürdig ist. Die Systematik trägt die Entscheidung und nicht etwa ein philosophischer Gerechtigkeitsbegriff.

 

Es gibt da wohl den Satz: extreme cases make bad law.

Glaube dieser Begriff ist ein Feind der Menschheit. Komme mit dem Begriff der materiellen Gerechtigkeit gut klar. Material soll jenseits des Rechtes sein, was wirklich gut sei. Aber das gibt Mord und Totschlag.
 

Anyway, neues Jahr, der Strafbefehl ist ein interessantes Detail des deutschen Strafprozessrechtes. Und vielleicht ist es wie beim "Tanken ohne zu Bezahlen" bei "natuerlicher Betrachtungsweise", trotz Albin Eser und so weiter halten wir an ihm bedenkenlos fest.

 

Schriftliche Verfahren sollen ein Ueberbleibsel des kanonischen Rechtes sein. Der Papst ueber die Verwaltung des Vatikans hat es wohl am besten auf den Punkt gebracht. Da lobe ich mir einmal wieder das rationale Amerika, wo es solche Faelle nicht gibt. Was dem Deutschen zum amerikanischen oeffentlichen Schnellverfahren sofort einfaellt, spricht Baende. Man luegt sich gerne in die Tasche. Und geht vielleicht vor allem auch ueber Leute, die es gibt und die am ehesten in die Haende der "Geier" fallen, die Briefe aus dem Briefkasten sofort auf den Muell schmeissen, hinweg. Wofuer werden die eigentlich bestraft?

 

Klaus Tolksdorf hat, wie das europaeische Strafrecht und die Art eines Kollegen, auch einmal den deal an sich krtitisiert. Diese Kritik hat zu einer Verfassungsgerichtsentscheidung und Gesetzgebung in den "grossen Faellen" gefuehrt, ist am Wandel des Strafbefehls, den es genauso gibt, aber noch nicht angekommen. Der Strabefehl ist das Angebot eines deals mit "opt-out-Klausel", der "grosse deal" braucht ein "opt-in". Die "Groesse" eines Falles kann aber kein Massstab sein, da vor dem Gesetz alle gleich sind.

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