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Verwertungsverbot bei verdachtslosem "Stop and Frisk"?

recktenwald

2014-11-22 00:26

Terry v. Ohio ist Stop and Frisk und wie wir hier gleichwohl einen vernuenftigen Grund verlangen, so legt auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof § 13 Bayerisches PAG aus. Wir brauchen eine spezifische erhoehte abstrakte Gefahr -- und zwar nicht erst bei der Durchsuchung, sondern schon beim Stop. Fuer die Schengen-Faelle muss der Mensch wenigsterns aus einem internationalen Zug gekommen sein, im Bahnhof muss wenigstens irgendeine Beziehiung zu einem konkreten Verbrechertreffpunkt gegeben sein usw.

 

Der Angeklagten D. begegnete beim Umsteigen zwischen zwei Bahngleisen auf der tieferen Eberne darunter zwei Zivilpolizisten, die eine "Kontrolle nach § 3 PAG" durchführen. Wohin er denn wolle? Aufs nadchste Gleis. "Da haben wir ja noch eine Viertelstunde Zeit fuer eine Kontrolle!" Sie finden dann ein paar Gramm Drogen so wie sie in den USA auf den Autobahnen gelegentlich Bargeld finden. Ein solcher Stop duerfte weder mit der Rechtsprechung des bayrischen Verfassungsgerichtshof noch mit Terry zu vereinbaren sein und wuerde in Amerika ganz selbstverstaendlich auch ein Verwertungsverbot begruenden.

 

In Deutschland wird es ein Verwertungsverbot vor allem bei Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung diskutiert. In einem solchen Fall durfte der Fund von 200 Gramm Gras zum Eigenverbrauch bei einem Hobbygärtner nach Ansicht des OLG Koblenz nicht verwertet werden. Der staatliche Strafanspruch trat bei der Abwaegung hinter dem Integritaetsinteresse des Beschuldigten zurueck. Wieso sollte das nicht auch in den Stop und Frisk-Faellen gelten, wenn es fuer dei Kontrolle keinen vernuenftigen Grund gab?

 

 

 

 

 

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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12 Kommentare

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Az gibt es. Bin ganz zufaellig darauf gestossen und dann, hey, was ist das? Das Bayerische Innenministerium hat erklaert, fuer strafprozessuale Aktionen, also um mal ganz allgemein zu schauen, was dieser Rastamann in seinen Taschen hat, seien diese Kontrollen nach Art. 13 PAG nicht da. Tatsaechlich scheinen sich die Bahnhoefe aber in allgemeine "Kifferfallen" verwandelt zu haben. Das duerfen sie nicht sein.

Zukunftsmusik: Bei den Schwerpunktkontrollen kommt die bundesweit einmalige Prognosesoftware Precobs zum Einsatz;  sie wird seit Oktober 2014 in München und Mittelfranken getestet. Precobs errechnet auf mathematisch-statistischer und kriminologischer Basis, wann und wo eine Straftat mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. "Nach einer Lagebewertung durch die Kriminalpolizei können wir die Prognosegebiete gezielt durch die Polizei bestreifen lassen", erklärte Herrmann. Die verwendeten Daten umfassen lediglich Informationen zu Tatorten, Tatzeiten und Vorgehensweisen zurückliegender Einbrüche. Personenbezogene Daten sind nicht enthalten. Aufgrund von Precobs- 'Alarmmeldungen' konnten in München und Mittelfranken bereits erste Einbrecher geschnappt werden.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat die Bedeutung eines Stops etwas heruntergespielt. Man muesse sich dauernd ausweisen. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass schon ein Stop ein Eingriff ist, so auch Terry.

 

Die Vorstellung, es gaebe solche Minima, um die sich der Praetor nicht kuemmern muesse, ist schon der Anfang des Uebels -- hier und auch bei Strafbefehlen usw. Die Amerikaner nennen es die equal protection. Equal justice under law.

Der entscheidende Unterschied zwischen den USA und Deutschland ist der, dass im 4. Amendmend der Schutz vor "unreasonable searches and seizures", mithin vor verdachtsunabhängigen Kontrollen, ausdrücklich formuliert ist und Verfassungsrang hat.

Ein "Stop" ist wegen der in D bestehenden Ausweispflicht (auch das ein Unterschied zu den USA) sicher zulässig; ein "Frisk" auf einer Rechtsgrundlage, die eine Durchsuchung grundsätzlich ohne richterlichen Beschluss und ohne konkreten Tatverdacht vorsieht, m.E. eher nicht (auch wenn die Wohnung ein anderes grundgesetzliches Schutzniveau genießt als die Person im öffentlichen Raum).

Der "Problemartikel" im bayr. PAG ist v.a. Art. 21.

Das 4. Amendment ist in Terry ziemlich relativiert, aber auch nicht ganz auf Null reduziert worden. Wir haben die Allgemeine Handlungsfreiheit und das Rechtsstaatsprinzip, wo die Amerikaner ihren due process bemuehen. Sind das nicht eher nur Unterschiede in der Konstruktion?

 

Art.21 verweist leider nur auf Art 13, der die Voraussetzungen einer Kontrolle regelt. Ein Eingriff ist eine Kontrolle wohl schon, auch wenn man sich nicht mit gespreizten Beinen an eine Hauswand lehnen muss. Siehe auch Eric Garner, der in Ruhe gelassen werden wollte, mag es in seinem Fall auch einen Grund gegeben haben, ueber dessen Vernuenftigkeit man sich allerdings vielleicht streiten kann. 

 

Summum ius, summa iniuria, Danke!

Mit einem verfassungsmäßig garantierten Recht hat man schon eine etwas solidere "Konstruktion", um staatliche Eingriffe abzuwehren als mit ungeschriebenen Grundsätzen, deren Interpretation durch ein Verfassungsgericht Glückssache sein kann (siehe auch die unterschiedlichen Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte zur Schleierfahndung). In D ist es außerdem noch am ehesten Art. 3 GG, der gegen die Art der verdachtsunabhängigen Kontrollen (die im Endeffekt "racial profiling" sind) ins Feld geführt wird.

Dass man sich in D nicht wie die Kommune 1 aufstellen muss, darauf würde ich mich nicht verlassen.

Auch wenn die Kontrolle Garners wegen eines konkreten Verdachts sowohl in D wie auch in D sicher zulässig war: die Maßnahmen, die zu seinem Tod geführt haben, waren es sicher nicht. Das Problem ist, dass es in den USA kein dem in D existierenden Klageerzwingungsverfahren vergleichbares Rechtsinstrument gibt, so dass die Opfer polizeilicher Übergriffe oder deren Angehörige weitaus weniger Schutz genießen als in D. Und dass "Steuerverweigerer" sehr unterschiedlich behandelt werden (lesenswerter Artikel im Atlantic).

Hab heute im RE 2, wo ich immer irgendein Taschenbuch dabeihaben will, entdeckt, dass der geniale George F. Fletcher of Methamorphosis of Larceny fame, mit dem Buch ueber die "Notwehr" im Fall Goetz, der vor genau einer Generation, naemlich exakt 30 Jahren, 4 Jugendliche in der Ubahn, die alle nervten und von denen einer ihn angeschnorrt hatte, angeschossen hat, genau zu unserem Thema geschrieben hat.

 

Man hat Lust, sich mehr mit Amerika zu beschaeftigen.  Sind nicht die oeffentlichen kurzen Fliessbandprozesse viel besser und ehrlicher als iunsere Strafbefehle? Es ist ein Unding, dass diese Dinger als gottgegeben angesehen werden, wenn mal einer eine Frist uebersehen hat. Selbst wenn man eine Frist als default haette, es gibt auch wichtigere Dinge im Leben, die kein vernuenftiger Grund sind, wegen Missachtung der staatlichen Lesepflicht irgendeine strafrechtliche "Drohne" im Sinne eines halbautonomen Kampfroboters, der nach irgendeinem Verdachtspattern eine vage Strafe ausspuckt, hinzunehmen.

 

Es gibt auch wichtiger Dinge und man muss sicher abwaegen und es aendert doch am staatlichen Strafanspruch nichts. Der Staat will es bequem, na und? Fuer 70 Euro oder so sollte man schon mehr verlangen koennen. Dass sich jemand unter Umstaenden schaemt, ist kein Grund dafuer, ein schriftliches Verfahren zum default zu machen. Der Strafbefehl ist sozusagen Spamming mit opt out, wo die Verbraucherverbaende toben wuerden. Der Richter fragt: sind Sie damit einverstanden? Ansonsten bleibt alles beim alten. Der "Kunde" sagt ja oder nein. Nur das ist ein deal.

 

Ansonsten meine ich, dass die besagten Landesverfassungsgerichte, vor allem der Rechtsanwalt im Norden, eine gute Arbeit geleistet haben, die aus Bayern kommenden Entscheidungen aber am besten gefallen, wenn man die Kontrolle nicht vergisst und von der letzten etwas absieht. Er hat ein Strafgeld bekommen, weil er anfing zu nerven. Es ging aber auch um Schengen. Meiner Meinung nach ist ein profiling auf der zweiten Stufe ok, aber erst muss die erste genommen sein. Der internationale Zug, der Flughafen von Tel Aviv.

 

Kommune 1 hab ich einmal erlebt und gedacht, ich sei im Film. Nachts beim Bundeshaus am Rhein, als da diese nervenden Minipanzer immer herumschlichen. Sozusagen Panzer in meinem Vorgarten. Einmal wollte mich so ein POM auch mal kontrollieren und ich haette ihm fast irgendetwas gezeigt, Studentenausweis oder Bahncard oder so, da dachte ich, hey, warum mache ich eigentlich StPO? Da hat er gesagt, "jetzt zeigen wir ihnen mal, was wir alles duerfen." Razzia in der Wohnung mit MPs, damit ich auf der Suche nach meinem Pass nicht aus dem Fenster sprang. Ob mein Telefon angeschlossen war,. ich im Telefonbuch stand. Sie haben die Schwelle zu meiner Wohnung gegen meinen Willen uebertreten, waren dann aber doch von der Masse der Staudingers usw so weiter, die da auf dem Fussboden herumlagen, so verunsichert, dass sie mir nicht auch noch ganz gefolgt sind.

 

Ich glaub auch, dass Loewer Recht hat. Junktim sollte dann aber ein absolutes Verwertungsverbot sein. Sagen wir dann: auch in der Wohnung. Vielleicht hatte sowas auch die Bayern in der amtlichen Kommentierung im Sinn. Leider finde ich sie nicht mehr. Strafverfolgung und Gefahrenabwehr in Ausnahmesituationen sind zwei ganz verschiedene Sachen. Das Verwertungsverbot entspraeche der Zusicherung der Straffreiheit fuer die Zeugen/Opfer im Fall Goetz. Die frei erzaehlen sollen, wie alles war. Und natuerlich geht es nicht um Rassismus, sondern die Gleichheit, klar! Die "Unterschicht" wird preiswert fertig gemacht, der "Krieg gegen die Kleinkriminalitaet", aber wie im permanenten "Drohnenkrieg" zwischen targetted und signature killing sollte man auch im Fall Garner an die Zwecke denken. Ist es wirklich notwendig, auf den Verkauf unverzollter Einzelzigaretten, die dort so etwas wie die Regenschirme an der Riviera oder illegale mp3s "ohne nenneswerte kommerzielle Bedeutung", die kluge WIPO, sind, ueberhaupt konsequent zu reagieren? Fuer mich drueckt jener Taeter nach "I cant breath" auch noch einmal kraeftig zu. "Habt Ihr noch nicht genug?" hat Goetz gesagt.

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