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Geldentschädigung für Sicherungsverwahrten?

Meyer-Falk

2015-05-17 11:34

Mit Klageschrift vom 15.12.2014 versucht der in Freiburg in Sicherungsverwahrung sitzende Herr H. vom Land Baden-Württemberg über 10.000 Euro Geldentschädigung für rechtswidrig erlittene Freiheitsentziehung zu erstreiten.

Sachverhalt

Mit Urteil vom 20.02.2004 wurde Herr H. zu neun Jahren Freiheitsstrafe mit anschließender Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt. Strafhaftende wurde am 17.10.2012 erreicht. Entgegen den gesetzlichen Vorgaben, die vorsehen, dass (rechtzeitig) vor Strafhaftende über die Erforderlichkeit der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung (SV) zu entscheiden sei (vgl. § 67c StGB), kam es im Fall des Herrn H. zu einigen Verzögerungen.

So wurde schon die erforderliche mündliche Anhörung erst auf den 22.10.2012 terminiert. Ohne Einholung eines psychiatrischen Sachverständigen-Gutachtens wurde dann am 06.02.2013 (15 StVK 251/12-BR-) vom Landgericht Karlsruhe entschieden, dass die Vollstreckung der SV nicht erledigt sei. Diesen Beschluss hob das OLG Karlsruhe (2 Ws 91/13) nur wenige Wochen später, am 06.03.2013 auf, da die untere Instanz es zu Unrecht versäumt habe, ein Prognosegutachten einzuholen.

Erst am 23.12.2013 erstattete Dr. O.-F. ein schriftliches Gutachten und kam zu dem Ergebnis, dass es nicht verantwortet werden könne, Herrn H. jetzt schon zu entlassen. Das Landgericht benötigte bis zum 16.05.2014, bis es dann die Entscheidung traf, die Vollstreckung der SV sei erforderlich.

Zwar bestätigte dies dann das OLG Karlsruhe (2 Ws 217/14, Beschluss vom 21.07.2014), stellte jedoch zugleich fest, dass auf Grund der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen der bislang erlittene Freiheitsentzug in der SV rechtswidrig gewesen sei. Auf diese Entscheidung stützt Herr H. nun seine Zivilklage gegen das Land Baden-Württemberg.

Die Klageschrift

Nachdem die 2.Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe (Az.: 2 O 333/14) Prozesskostenhilfe bewilligte und die Freiburger Rechtsanwältin Christina Gröbmayr Herrn H. beiordnete, erhob diese am 15.12.2014 in seinem Auftrag Klage. Unter Hinweis auf Artikel 5 Absatz 5 EMRK (Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte), der einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch bei Verletzung des Freiheitsgrundrechtes vorsieht, wurde für jeden Monat der zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung ein Beitrag von 750,- Euro geltend gemacht.

Artikel 5 Abs. 5 EMRK soll also dem Einzelnen eine Geldentschädigung gewähren, ohne dass es darauf ankommt, dass einem/einer konkreten RichterIn ein persönliches Fehlverhalten nachgewiesen werden muss, es reicht, wenn ein Gericht zu der Einschätzung gelangt, die Freiheitsentziehung sei rechtswidrig gewesen.

Ausführlich legte die Rechtsanwältin zudem dar, wie die 21 Monate Sicherungsverwahrung Herrn H. psychisch belastet hatten, insbesondere weil die ganze Situation ungeklärt gewesen und die Anstalt der Ansicht gewesen sei, ohne einen rechtskräftigen, das bedeutet den Vollzug der SV für erforderlich erachtenden Beschluss, habe man keinen 'Arbeitsauftrag' und könne folglich auch nicht ernsthaft in eine therapeutische Aufarbeitung eintreten.

Die Reaktion des beklagten Landes

Das Land lässt sich anwaltlich vertreten von der Karlsruher Anwaltskanzlei Hannemann, Eckel & Moersch (http://www.rechts-undsteuerkanzlei.de). Auf 23 Seiten versucht RA Hannemann mit Schriftsatz vom 16.03.2015 die Klageschrift zu zerreden und zu zerpflücken.

Er unterstellt dem Kläger, an Ich-Bezogenheit kaum überbietbar zu sein, der lieber einmal Tatunrecht einsehen und an sich arbeiten solle, anstatt ungerechtfertigte Ansprüche gegen das Land zu erheben. Zwar gestehe man zu, dass es zu Verfahrensverzögerungen gekommen sei, jedoch sei der Kläger ausreichend hierfür entschädigt worden, in dem nämlich das Oberlandgericht am 21.07.2014 bestätigt habe, dass die Verfahrensverzögerung rechtswidrig gewesen sei, wie auch der bis dorthin erlittene Freiheitsentzug. Dies sei eine ausreichende Genugtuung für den Kläger.

Bei welchem es sich im übrigen um einen sehr gefährlichen Wiederholungstäter handele, der in Folge eines extrem egozentrischen, von Anspruchsdenken beherrschten Weltbildes zu der völlig verfehlten Ansicht gelangt sein müsse, ein Haftaufenthalt müsse nach Art eines Erlebnisurlaubs gestaltet sein.

Auch der klägerische Antrag, dem Land zu untersagen, eine etwaige Geldentschädigung nicht mit dem Land noch aus anderen Verfahren zustehenden Prozesskosten verrechnen zu dürfen, sei Ausweis für die dissoziale Ich-Bezogenheit des Klägers.

Die Erwiderung von Herrn H.'s Anwältin Gröbmayr vom 22.04.2015

Auf ganzen 30 Seiten nimmt, mit gewisser Schärfe, die Rechtsanwältin von Herrn H. den Vortrag der Gegenseite auseinander. Schon einleitend stellt sie fest, dass das Land, bzw. dessen anwaltliche Vertreter sich offenbar darin gefielen, den Kläger zu diffamieren und im übrigen weitestgehend laienpsychologische Interpretationen anstellen würden, die ihnen nicht zustünden.

Sie weist dann nach, dass der Vortrag der Gegenseite vielfach einseitig, mitunter objektiv falsch ist und man sich auch aus Schriftsätzen nur jene Passagen heraussuche die genehm seien und der eigenen Sicht widersprechende Passagen unerwähnt lasse.

Insgesamt sei das Vorgehen in dem Schriftsatz der Kanzlei Hannemann, Eckl & Moersch vom 16.03.2015 in höchstem Maße unseriös.

Ausführlich legt sie dar, wäre Herr H. zutreffend beraten und vertreten gewesen, denn vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe hatte Herrn H. die Karlsruher Anwältin M. verteidigt, er – ungeachtet einer etwaigen Gefährlichkeit – sogar seine Freilassung hätte erstreiten können.

Hier bezieht sie sich auf die obergerichtliche Rechtssprechung (u.a. OLG Düsseldorf, 28.07.1992, Az. 2 Ws 303/92) wonach bei einer Überschreitung von Prüffristen, eine weitere Vollstreckung ohne prognostische Abwägung mit der Gefährlichkeit dann nicht mehr in Frage komme, wenn die Verzögerung erheblich ist (im Fall des OLG Düsseldorf: zehn Monate).

Streckenweise lehnt es die Rechtsanwältin auch ab, auf den Vortrag der anwaltlichen Vertreter der Gegenseite einzugehen, da diese sich in haltlosen Diffamierungen des Klägers erschöpfen würden, welche mit einer Wahrnehmung berechtigter Interessen nichts zu tun hätten.

Es stehe fest, nämlich durch die erwähnte OLG-Entscheidung vom 21.07.2014, dass das Freiheitsgrundrecht des Klägers verletzt worden sei, hierfür sei er zu entschädigen.

Ausblick und Bewertung

Der Fall erinnert in seiner Argumentationsweise des beklagten Landes an einen Fall aus Bayern. Dort klagte ein zu Unrecht in SV gehaltener ehemaliger Insasse der JVA Straubing gegen das Land Bayern auf Schmerzensgeld und Verdienstausfall. Die anwaltlichen Vertreter des Landes, die Kanzlei Kroier & Weyer (http://rkw-lawfirm.de) trugen mit Schriftsatz vom 04.09.2013 gegenüber dem Landgericht Nürnberg-Fürth (Az.: 4 O 6720/12) vor, dass dem ehemaligen Gefängnisinsassen „ nicht nur Nachteile“ durch die Unterbringung in der SV entstanden seien, „ sondern auch Vorteile, wie ersparte Aufwendungen für Wohnungsmiete (in der teuren Großstadt München), Kosten für Fahrten zur Arbeitsstätte“, sowie Kosten für häusliche Verpflegung. Diese „ Vorteile“ müssten schadenersatzmindernd Berücksichtigung finden.

Der hier wie dort zum Ausdruck kommende Zynismus empört nicht wenige. Die Bereitschaft der Justiz, bzw. des jeweiligen Landes, Fehler einfach einmal einzugestehen und dann Geldentschädigung zu leisten ist nicht sonderlich ausgeprägt, trifft auch immer wieder jene, die zu Unrecht verurteilt wurden und hernach ihren Schaden einklagen müssen (aus Baden-Württemberg wurde der Fall Harry Wörtz überregional bekannt).

Die in dem nun anhängigen Zivilrechtsfall kritisierte Praxis der Strafvollstreckungskammer des LG Karsruhe, nur sehr verzögert Entscheidungen zu treffen, hat das Oberlandgericht nicht zum ersten Mal gerügt (vgl. 'Karlsruher Landrecht' unter http://de.indymedia.org/2013/03/342720.shtml) ,ohne jedoch damit irgendeine Reaktion bei den RichterInnen-Kollegen zu bewirken.

In ihrem Schriftsatz vom 22.04.2015 stellte Rechtsanwältin Gröbmayr die durchaus nicht unberechtigte Frage, ob hier sogar der Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt sein könnte.

Es bleibt nun abzuwarten, ob die 2.Zivilkammer des LG Karlsruhe der Klage stattgeben und das Land verurteilen wird, für die zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung eine Geldentschädigung zu bezahlen. Bei der selben Zivilkammer ist ebenfalls seit 2014 (Az.:2 O 489/14) ein Verfahren anhängig, in welchem geprüft wird, ob für die aus Sicht der betroffenen Sicherungsverwahrten in der JVA Freiburg dort völlig unzureichenden Haftbedingungen, ebenfalls eine Geldentschädigung von dem Grün/Rot regierten Land zu leisten ist.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV)

 

         

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