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Geborene Verbrecher_innen?

Meyer-Falk

2016-01-26 11:43

Kürzlich legte ein Student im Fach „Erziehungs- und Bildungswissenschaften“ der Universität Marburg sein Bachelor-Arbeit zum Thema „Der biologisierende Diskurs in der Kriminologie an Beispiel der Sicherungsverwahrung“ vor. Seine Arbeit soll hier kurz vorgestellt werden.

 

Auf 46 Seiten bietet J. B. einen komprimierten Einblick in die Kriminalbiologie aus der Zeit vor 1933, die schließlich zur Einführung der Sicherungsverwahrung unter der Herrschaft der Nationalsozialisten führte und analysiert dann die aktuelle der Debatte um die Aufgabe der Neurowissenschaften im Bereich der Kriminologie.

 

Was meint „Biologismus“?

 

In der Kriminalistik gibt es in den letzten Jahren den Trend, sich intensiv mit genetischen und neurologischen Phänomen zu beschäftigen, also die Wurzeln für abweichendes Verhalten in der Biologie zu suchen - ob in den Genen, oder aber im Gehirn. Dadurch werden auch gesellschaftliche Konfliktfelder individualisiert, denn wo das Individuum mit seinen Genen und Hirnstrukturen verantwortlich ist für abweichendes Verhalten, braucht man sich um politische und soziale Ursachen nicht weiter zu kümmern.

 

Gelegentlich wird in Forschungsprojekten, so auch in Baden-Württemberg, untersucht, ob nach der Absolvierung einer (Psycho-) Therapie sich bspw. neuronale Veränderungen im Gehirn nachweisen lassen. Wer bestimmte genetische Dispositionen aufweist, oder dessen Hirn bestimmte Auffälligkeiten zeigt, gilt dann als Risiko.

 

Am Beispiel des Bielefelder Professors für physiologische Psychologie, Dr. Markowitsch, der 2007, gemeinsam mit einem FOCUS-Redakteur Werner Siefer das Buch „Tatort Gehirn“ publizierte, stellt Becker das (hohe) Gefahrenpotential in menschlicher, insbesondere jedoch in politischer Hinsicht dar, welches von der Wiederbelebung des biologischen Diskurs ausgeht.

 

Markowitsch und weitere Vertreter seiner Denkschule vertreten die Ansicht, für Kriminalität sei fast stets ein „hirnbiologischer Hintergrund“ ausschlaggebend, dass also „Veränderungen in bestimmten Hirnregionen“ des Typus des/der Verbrecher/Verbrecherin ausmache. Deshalb so Markowitsch sei künftig auch nicht mehr auf Strafe, sondern auf Sicherung abzustellen, wobei dann zusätzlich zu neurologischen Ursachen, auch genetischen „Defekte“ bemüht werden.

 

B. vertritt die Auffassung, dass die bewusst neutral konstruierten politischen Aussagen und Forderungen vom Schlage Markowitschs nur „schwer angreifbar oder widerlegbar“ seien, da entsprechenden KritikerInnen Schuld an zukünftigen Gewalttaten zugewiesen werde, sobald diese sich gegen diese Form der biologisch orientierten Kriminologie positionierten.

 

Allerdings betont B., Kritik sei unverändert notwendig und auch aus politisch emanzipatorischer Sicht geradezu notwendig, da nur die Einordnung der Forschungsergebnisse in die „jeweiligen Diskurse und Machtdynamiken“ dazu führe, dass deren Subjektivität aufgezeigt und deren Macht dekonstruiert werden könne.

 

Am Beispiel des Sicherungsverwahrung legt er dar, dass diese als Ergebnis eines solchen machtpolitischen Diskurses angesehen werden könne, in dessen Folge Menschen langfristig weggesperrt und ganze Lebenswege zerstört würden. Die Kritik dürfe, so fährt B. in Fazit seiner Arbeit fort, jedoch an dieser Stelle nicht halt machen, sondern müsse biologisierende, rassistische und nationalistische Konstrukte angreifen.

 

Es ist erfreulich zu sehen, wie eine neue Generation von Studierenden sich zumindest partiell mit den dunklen Randbereichen der deutschen Justiz und Justizpolitik kritisch auseinandersetzt und dabei dann durchaus auch kritische Wortmeldungen aus den Gefängnissen (vorliegend werden neben Claus Goldenbaum , “Du kommst nicht mehr als Mensch zurück“ auch ich selbst in der Arbeit zitiert und als Bezugspunkt gewählt) aufgreifen.

 

Gerade weil die Biologie scheinbar neutrale Ergebnisse zu liefern scheint, wird sie auch begeistert in der Kriminologie aufgegriffen - und die Folgen werden verheerend sein!

Link zur Bachelor-arbeit: http://ow.ly/WNc9N

 

Thomas Meyer-Falk, JVA c/o Sicherungsverwahrung

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6 Kommentare

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Zum Problem der Sicherungsverwahrung

Die Justiz hat eine sehr dunkle Geschichte, die noch in die Gegenwart hereinreicht (ich habe das selbst ausführlich dokumentiert). Dennoch möchte ich die Idee der Sicherungsverwahrung gerne ideologiefrei zu betrachten versuchen. Dazu gehört, dass man alle "ismen" außen vorlässt, auch die vermeintlich so fortschrittliche Hirnforschung, von der nicht wenige Vertreter einen ideologisch ziemlich vernagelten Eindruck machen, wenn nicht gerade Plattheiten verkündet werden (z.B. teilweise "Tatort Gehirn").

 

Man muss keiner Ideologie verbunden sein, um die Idee der Sicherungsverwahrung, zu begründen. Ich will es versuchen und nenne erst mal folgende Voraussetzungen:  (1) Wenn Menschen über einen längeren Zeitraum, sagen wir  z.B. 10-20 Jahre,  (2) öfter und (3) schwerer straffällig werden, sagen wir z.B. mindestens 3-6x, dann sieht es so aus, als gäbe es einen gewissen Mangel an Anpassungsfähigkeit (an bestimmte gesellschaftliche Normen).

 

Solche Menschen stellen aus der Perspektive bürgerlicher Gesellschaft eine gewisse Gefahr dar: wer immer wieder schwerer straffällig wird, wird a) für gefährlich und b) für lerneingeschränkt gehalten. Aus dieser Situation ergibt sich eine ideologiefreie Betrachtung der Sicherungsverwahrung. Ideologiefrei deshalb, weil an dieser Stelle keine Konstrukte wie "der geborene Verbrecher" (Lombroso und seine neuro"wissenschaftlichen" Nachfolger: "Biologisten)  oder "Lernunfähige" ("Sozialisations- und Milieutheoretiker") bemüht werden, die man auch gar nicht braucht. Tatsächlich gilt in der modernen und wissenschaftlichen Kriminologie, wie es ja schon in den Mindestanforderungen von Prognosegutachten steht, die Forderung einer individuellen Delinquenztheorie (II.1.4; II.3.2; II.3.3), die die einzelfall-wissenschaftliche Grundlage jeder begründeten Prognose sein muss.  

 

Die Idee der Sicherungsverwahrung ist nun ganz einfach ideologiefrei die: Wenn keine hinreichende Sicherheit dafür besteht, dass ein über längere Zeit und öfter schwererer Straffälliger sich entsprechende Anpassungsfähigkeiten aneignen konnte, dann bleibt er sicherheitshalber in der sog. Sicherungsverwahrung.

 

Akzeptiert man diese Idee, dann stellt sich (4) die Frage, gibt es Möglichkeiten, diesen Mangel an Anpassungsfähigkeit (mindere Gefährlichkeit) so zu bearbeiten, dass künftig mit mehr Anpassungsfähigkeit (weniger oder gar keinen schwereren Straftaten) gerechnet werden darf?

 

In jedem Fall wird die Straffällige aber Sachverhalte (Kriterien) angeben müssen, wieso sie  nun an Anpassungsfähigkeit gewonnen haben will. Hierzu kann sie unterschiedliche Möglichkeiten, Angebote und Methoden nutzen.

 

Psychotherapie und Sozialtherapie, weil mit dem Wort "-therapie" ein Zustand mit Krankheitswert steckt, sollte man an dieser Stelle nicht verwenden, da Sicherungsverwahrte ja meist nicht als psychisch krank angesehen werden, denn diese gehörten dann in der Forensik untergebracht.

 

Will man ein rein sachliches Wort, schlage ich Persönlichkeitsentwicklung (II.3.5), speziell mit Entwicklung der Anpassungsfähigkeit, vor. Damit Sicherungsverwahrte also (bedingt) entlassen werden können, müssen sie eine entsprechende Persönlichkeitsentwickung oder Entwicklung ihrer Anpassungsfähigkeit mit Hilfe von Beratern, Trainern, Sachverständigen nachweisen.

Antwort auf Kommentar von Sponsel

„Die Idee der Sicherungsverwahrung ist nun ganz einfach ideologiefrei die: Wenn keine hinreichende Sicherheit dafür besteht, dass ein über längere Zeit und öfter schwererer Straffälliger sich entsprechende Anpassungsfähigkeiten aneignen konnte, dann bleibt er sicherheitshalber in der sog. Sicherungsverwahrung.“ (s.o.)

Nun ist es leider so, dass bereits die Annahme der Existenz einer „ideologiefreien Denkweise“ in gewisser Weise eine Ideologie darstellt und Normen beinhaltet. Grundannahme Ihrer Ausführungen ist weiterhin die Individualschuld des Straftäters, das auch Grundlage unseres Justizsystems ist. Gesellschaftliche Strukturen und Hintergründe bleiben meistens leider unsichtbar und werden nicht thematisiert - schon garnicht vor Gericht. Fördert nicht die Gesellschaft selbst Gewalt?

Sicherlich gibt es Menschen mit wiederholenden Handlungsmuster, aber zu glauben die absolute und langfristige/unbegrenzte Einsperrung gegen den Willen der Personen sei eine gute Lösung, ist bereits eine u.a. staatliche und ökonomisch-kapitalistische Perspektive und Argumentation. Welche Probleme und Auswirkungen dies dabei auf die bestrafte Person, ihre Freund_innen und engsten Vertrauten hat spielt hier nur eine Rolle wenn dadurch wieder die staatliche Gesetzesordnung zu schaden kommen. Auch die Betroffenen werden nur als Zeug_innen der Straftaten beachtet und haben darüber hinaus in den meisten Verfahren kaum etwas zu bestimmen, was ebenfalls doppelt negativ auf diese zurückwirken kann. Oftmals wird viel eher ein inhaltlicher Austausch mit Täter_innen befürwortet und gewünscht.
Täter-Opfer-Ausgleich ist dazu möglicherweise ein erster Schritt, aber zu kurz gedacht. Da er eingerahmt vom Strafrecht ist, bleibt hier immer noch der repressive Beigeschmack im Hintergrund

 

Eine zweite Kritik meinerseits wäre die Sicherheitsargumentation. Das Einsperren von Personen führt nicht zu mehr Sicherheit und löst erst recht keine gesellschaftlichen Probleme. Das *präventive* Einsperren noch weniger. Alleine, dass so viele rechtsstaatliche Instanzen bereits die Sicherungsverwahrung - sowohl gesetzlich als auch die jeweilige Umsetzung - als menschenunwürdig etc. eingestuft haben spricht Bände.
Für die Sicherungsverwahrung wird ja sehr oft mit den Tätern sexualisierter Gewalt argumentiert. Hier ist aber der sogenannte Dunkelbereich bei weitem größer als die vor Gericht gezogenen Fälle und der Schwerpunkt liegt auch im privaten Raum (vgl. https://www.frauen-gegen-gewalt.de/tl_files/downloads/sonstiges/Streitsa...)
Es wird also nie möglich sein über Gerichtsverfahren eine allgemeine ‚Sicherheit‘ herzustellen.

 

Ein Problem ist meiner Meinung nach aber auch, dass immer versucht wird, eine geregelte und normierte Lösung für alle Problemlagen zu finden. Menschen sind aber nunmal unterschiedlich, haben verschiedene Bedürfnisse und Gefühle gegenüber Dingen. Eine einheitliche, rational begründete Regelung (Gesetze, Strafmaße, Sicherungsverwahrung) ignoriert genau diese Diversität.
Auch die Wissenschaft sollte da deutlich mehr Empathie mit den eingesperrten Menschen zeigen, natürlich ohne die Bedürfnisse von Betroffenen zu vernachlässigen.

 

Fakt ist, dass Gesetze, und die Sicherungsverwahrung im spezifischen, immer auch als politisches Instrument (aus)genutzt werden können - ganz unabhängig der jeweiligen Argumentationslogik. Ob Nazis (biologisierend/euthanasie) oder andere (Schröder: „Wegsperren und zwar für immer!“ && Neurologie: Biologisierung ), Menschen werden ohne Zukunftsperspektive eingesperrt.

Und wer noch an eine positive Persönlichkeitsentwicklung/Anpassung im Gefängnis glaubt… naja. Die meisten Vollzugsbediensteten glauben da nach meinen Erkenntnissen auch nicht mehr dran…

Die Argumente sind ausgetauscht

anonym schrieb:

Antwort auf Kommentar von Sponsel

...

Eine zweite Kritik meinerseits wäre die Sicherheitsargumentation. Das Einsperren von Personen führt nicht zu mehr Sicherheit und löst erst recht keine gesellschaftlichen Probleme. Das *präventive* Einsperren noch weniger. Alleine, dass so viele rechtsstaatliche Instanzen bereits die Sicherungsverwahrung - sowohl gesetzlich als auch die jeweilige Umsetzung - als menschenunwürdig etc. eingestuft haben spricht Bände.

Wer eingesperrt ist, kann ausßerhalb der Mauern nichts mehr anstellen. So gesehen erzeugt Einsperren natürlich - für die anderen außen - Sicherheit.

Für mich ist das Thema erst mal ausdiskutiert: wer raus will, muss zeigen. Oder, wie oben im Kern gesagt: Damit Sicherungsverwahrte (bedingt) entlassen werden können, müssen sie in der Regel eine Entwicklung ihrer Anpassungsfähigkeit nachweisen

 

In diesem Spannungsfeld, daß aber auch die Öffentlichkeit ein Recht auf Schutz und Sicherheit hat, so wie ja auch die Sicherungsverwahrten selber, gibt es keine Patentlösung.

Der EGMR hat da ja selber mit seinen Urteilen aus 2009 (EGMR Nr. 19359/04 (5. Kammer) - Urteil vom 17. Dezember 2009) und 2015 (Urt. v. 07.01.2015, Az. 23279/14) m.E. einer gewissen gesellschaftlichen Veränderung in der Betrachtung der Sicherungsverwahrung und auch einer Anpassung im Vollzug der Sicherungsverwahrung Rechnung getragen.

Nachtrag: Beide Urteile widersprechen sich, aber der innere Widerspruch gehört zur Rechtsprechnung systemimmanent dazu, eine in sich widerspruchsfreie Rechtsprechung gibt es nicht.

Ein in sich widerspruchsfreies System, das bietet höchstens die Mathematik, aber nicht die Jurisprudenz bzw. die Rechtsprechung an.

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