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Das Novum Hauptausschuß im Deutschen Bundestag – ein verfassungsrechtlich strittiges Provisorium

Matthe-Siegfried

2013-12-04 19:58

1.

 

Der Deutsche Bundestag hat aufgrund eines von CDU/ CSU und SPD eingebrachten gemeinsamen Antrages ( BT- Drks. 18/ 101 v. 27. Nov 2013 ) in seiner Sitzung am 28. November 2013 einen sogenannten „ Hauptausschuß “ eingesetzt, der sich unter selbigem Datum konstituiert hat. Anlaß zu einem derartigen Vorhaben geben die sich einzigartig immer noch hinziehenden Verhandlungen zur Bildung einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD nach den Ergebnissen der Bundestagswahl am 22. September 2013. Der Hauptausschuss zählt je 47 ordentliche und stellvertretende Mitglieder, von denen die CDU/CSU 23, die SPD 14, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen jeweils fünf stellen. Vorsitzender ist – ohne Stimmrecht – Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert, der sich durch andere Mitglieder des Präsidiums vertreten lassen kann. Der Hauptausschuß hat kein Selbstbefassungsrecht und kann nur Vorlagen behandeln, die ihm vom Bundestagsplenum überwiesen wurden, er fungiert als Haushaltsausschuß und befasst auch Aufgaben des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (Artikel 45 des Grundgesetzes), des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses (Artikel 45a) sowie des Petitionsausschusses (Artikel 45c). Der Hauptausschuss ist dem parlamentarischen Beschluss zufolge aufgelöst, wenn sich ständige Ausschüsse für die laufende Wahlperiode im Bundestag konstituiert haben, diese Ausschüsse sollen vom Plenum am 19. Dezember 2013 eingesetzt werden und sich in der ersten Sitzungswoche des Bundestages im neuen Jahr (13. bis 17. Januar 2014 ) konstituieren. Nach seiner Auflösung werden alle dort noch nicht erledigten Vorlagen vom Plenum an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.1

 

2.

 

Das GG spricht von „ der Bundestag und seine Ausschüsse “ ( z.B.Art. 42 Abs.3; Art. 43 Abs.1 GG etc. ),von „ Untersuchungsausschuß “ ( Art. 44 Abs.1 GG ), einem Ausschuß für Angelegenheiten der EU ( Art. 45 GG ), einem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und einem Ausschuß für Verteidigung ( Art. 45 a GG ), einem Petitionsausschuß ( Art. 45 c GG ) und schließlich einem Gemeinsamen Ausschuß im Verteidigungsfall etc. ( Art. 53 a GG ). Weiter sind der Wahlprüfungsausschuß ( Art. 41 GG ) , der Richterwahlausschuß ( Art. 95 Abs.2 GG; 94 Abs.1 S. 2 GG )  und der Vermittlungsausschuß ( Art. 77 GG ) normiert. Das GG kennt einen “ Hauptauschuß “, zumal in auch nur vorübergehender Ersetzung anderer verfassungsrechtlich normierter Ausschüsse aber nicht. Entsprechend formulierte die Weimarer Reichsverfassung v.11. August 1919 „ der Reichstag und seine Ausschüsse “ ( Art. 33 Abs.1 WRV ), Untersuchungsausschuß ( Art. 34 WRV ) usw.. Anders als das GG normiert die WRV aber in Art. 35 Abs.2 WRV ( i,.d. F. v. 15. Dez 1923, RGBl. 1923, S. 1185 ): „Der Reichstag bestellt ferner zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung gegenüber der Reichsregierung für die Zeit außerhalb der Tagung und nach Beendigung einer Wahlperiode oder der Auflösung des Reichstags bis zum Zusammentritt des neuen Reichstags einen ständigen Ausschuß.“ ( Dieser Ausschuß hat die Rechte eines Untersuchungsausschusses ( Art. 35 Abs.3 WRV ).) Dieser „ ständige Ausschuß “ wird also ausdrücklich durch Verfassungs- Rechtssatz begründet, geregelt und regelmäßig bestellt und fußt nicht nur auf einem parlamentarischen Einsetzungsbeschluß.

 

Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages i.d.F.d.B v. 2. Juli 1980 (BGBl. I 1980, S.1237 ff.), zuletzt geändert laut Bekanntmachung vom 7. Mai 2012 ( BGBl. I 2012, S. 1119 ff. ) trifft die Regelungen zu den Ausschüssen in §§ 54 bis 74 GeschOBT und kennt einen „ Hauptausschuß“ ebensowenig wie das GG.

 

 

3.

 

Das Rechtsstaatsprinzip des GG (  Artt. 20, 28 GG usw. ) verlangt streng und unverbrüchlich die Ausübung jeglicher staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen, es zielt auf die Gewährleistung verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich  gesicherter Rechtsbeziehungen, auf individuelle Rechtssicherheit, Transparenz, Nachvollziehbarkeit. judikative Kontrollierbarkeit. Ihm wohnt insofern auch normative Strukturiertheit staatlicher Institutionen und Gremien inne. Insbesondere auch die gesamte  parlamentarische Tätigkeit des Deutschen Bundestages, d.h. auch die Einrichtung eines derartigen Ausschusses bedarf der verfassungsrechtlichen Regelung und Abstützung als rechtsstaatlich geforderte Einrichtungsvoraussetzung und auch als rechtsstaatliche Arbeitsgrundlage, die etwa zuerst auch den Namen, Thema und Zuständigkeit und die Kompetenz, in klarer abgrenzender Bestimmung zu anderen Ausschüssen und Gremien, aber auch den Zeitpunkt der Einsetzung und den Zeitpunkt der Auflösung des Ausschusses ausdrücklich regelt = verfassungsgesetzlicher, gesetzlicher Ausschuß. Der hier beschriebene rechtsstaatliche strenge Maßstab hat angesichts der unmittelbaren Empfehlungskompetenzen des Hauptausschusses an das Plenum des Bundestages besondere Bedeutung. Eine derartige verfassungsrechtliche Normierung indessen fehlt, ein parlamentarischer Gründungsbeschluß und Einsetzungsbeschluß genügt dem Rechtsstaatsprinzip hier nicht ( bea auch z.B. den Verfassungsvorbehalt im Hinblick auf gfls. betroffene subj.- öff. Rechte einzelner Bürgerinnen und Bürger ( Petitionen etc. ). Der „ ständige Ausschuß “ nach Art. 35 Abs.2 WRV war dagegen verfassungsrechtlich abgestützt und könnte in der Übertragung auf das GG helfend herangezogen werden. Insofern bedürfte es einer entsprechenden Ergänzung des GG, alsdann der de constitutione lata aufgegebenen parlamentarischen Bestellung des Ausschusses. Eine verfassungsrechtlich gebotene zügige Regierungsbildung, namentlich eine dringende Prüfung und Anbahnung einer Großen Koalition hätte allerdings dieses Bestreben nach einem derartigen neuen Hauptausschuß gar nicht erst aufkommen lassen.

 

 

 

 

 

 

1 http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2013/48079762_kw48_de_hauptausschuss/( Zugriff 3.Dez. 2013 )

http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2013/48079762_kw48_de_hauptausschuss ( Zugriff 4. Dez. 2013

)

 BT- Drks. 18/ 101 v. 27. Nov. 2013; aA DIE Grünen, BT-Drks. 18/102v. 27.Nov. 2013= 22 geschäftsführende ( ehemalige )  Ausschüsse; Die Linke, BT – Drks. 18/54 v. 14. Nov. 2013= vorab Einsetzung 9 Ausschüsse.

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4 Kommentare

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Das Thema eignet sich eigentlich ganz gut für eine Klausur. Wahrscheinlich wird sie auch mittlerweile in den aktuellen Prüfungsverfahren gestellt.

 

 

Die Rechte des Parlaments werden systematisch demontiert

Beispiele:

Aus der Debatte des Deutschen Bundestages zur parlamentarischen Verabschiedung des sog. GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz am 02.02.2007

 

"Geben Sie der Öffentlichkeit doch bekannt, dass 81 Änderungsanträge am Tag vor der Abstimmung um 21 Uhr in die Büros geschickt wurden! Wer sollte sie dann noch lesen, geschweige denn mit seinen Kolleginnen und Kollegen beraten oder ernsthaft analysieren? Sie haben 81 Änderungsanträge, die niemand ernsthaft behandeln konnte, im Ausschuss durchgepeitscht. ......Sie nehmen uns als Parlamentarierinnen und Parlamentarier gar nicht ernst...... "

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Zwischenruf an Herrn Zöller,

 

Frau Widmann-Mauz, ....Sie können mit keiner einzigen noch so schnodderigen Bemerkung ......zurückweisen, dass es ein unglaublich schlechtes parlamentarisches Verfahren war, dass wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier - ich selbst bin stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuss - kaum die Chance hatten, Beratungen wirklich ordentlich durchzuführen."

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

„Aber diesen Bericht, den ich unterschreiben sollte, hat man mir um 19.35 Uhr zugestellt, und bereits um 20.10 Uhr wurde mir über die parlamentarische Geschäftsführung die - freundlich ausgedrückt - dringende Bitte übermittelt, ich möge jetzt gefälligst unterschreiben.......“

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Die Entrechtung der Parlamentarier  geschieht mit offensichtlicher Billigung des Bundestagspräsidenten:

 

Wir beherrschen die Krise“  Interview mit Norbert Lammert
„DIE ZEIT“ 8.3.2012

 

Zeit:Bei der Abstimmung zum zweiten Griechenland-Rettungspaket bekamen die Abgeordneten am Morgen mehr als 600 Seiten Unterlagen. Die meisten räumten später ein, sie hätten das Material gar nicht gelesen“.

Lammert:Wir haben regelmäßig mit Entscheidungen zu tun, bei denen sich nicht jeder einzelne Abgeordnete durch alle Unterlagen arbeiten kann. Wir verlassen uns wechselseitig auf das Urteil der Kollegen, die sich wochenlang mit dem jeweiligen Thema beschäftigt haben. Wenn es um Europa geht, ist der Kreis der Kollegen, die sich mit der Materie beschäftigen, sogar wesentlich größer als bei anderen Themen“.

 

Damit erklärt sich der Bundestagspräsident einverstanden mit der um sich greifenden Tendenz der Regierung, das Parlament zu einem Abnickverein zu degradieren. Mit der offenbar gängigen Praxis, dem Parlament kurzfristig Gesetze zur Verabschiedung vorzulegen, ohne den Abgeordneten die Chance zu eröffnen, sich mit deren Inhalt (und Konsequenzen!) ausreichend auseinandersetzen zu können, werden entscheidende Grundregeln der parlamentarischen Demokratie außer Kraft gesetzt.

 

Ob sich ein Parlamentarier mit einer wichtigen Gesetzesvorlage vor seinem persönlichen Votum näher beschäftigt (was eigentlich zu seinen elementaren Aufgaben gehören sollte) oder sich auf die Sachkunde eines seiner eigenen Überzeugung(!) nach vertrauenswürdigen Kollegen verlässt, ist hier jedoch unerheblich. Er muss die hinreichende Möglichkeit haben, den zur Abstimmung anstehende Gesetzestext zu erfassen und sich gegebenenfalls zu ihm unklaren Sachverhalten näher zu informieren, bevor er eine Entscheidung trifft.

 

Gesetze werden in aller Regel nicht in parlamentarischen Gremien, sondern nach Vorgaben der Regierung in den jeweils zuständigen Ministerien formuliert. Diese entscheidende Phase der Gesetzgebung entzieht sich dem Blick der Parlamentarier. Erst recht derer der Opposition. Im weiteren Verfahren kommt es üblicherweise allenfalls zu marginalen Änderungen einer Gesetzesvorlage.
Wenn sie denn nicht von einer Parlamentsmehrheit abgelehnt wird!

 

Wie soll ein Parlament seiner originären Aufgabe nachkommen, Gesetze zu beschließen und die Regierung zu kontrollieren, wenn diese den Abgeordneten die Kenntnisnahme der Gesetzestexte vor der Abstimmung de facto verweigert? Die Parlamentarier dürfen dann im Nachhinein lesen, wofür sie ihre Stimme abgegeben haben? Oder sie erfahren es nie!

Wirklich betrübt muss stimmen, dass die Parlamentarier sich das gefallen lassen.

 

Eine der vornehmsten Aufgaben des Bundestagspräsidenten besteht fraglos darin, die Rechte des Parlaments gegenüber der Regierung mit allen Mitteln zu verteidigen und zu schützen, wenn schon die Abgeordneten das nicht mehr wagen. Wer die Trennung von Legislative und Exekutive als eine der Grundlagen der parlamentarischen Demokratie vernachlässigt, legt Hand an die Wurzeln unserer Verfassung.

 

Bundestagspräsident Lammert hat offenbar keine Probleme damit, das Parlament zu einer Herde dummer Schafe zu degradieren, die gefälligst Gesetze zu beschließen hat, ohne deren Inhalt kennen zu können. Mit dieser Gesinnung leistet er zumindest erkennbaren Tendenzen der Exekutive Vorschub, die Kontrollrechte des Parlament zu unterlaufen und so die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland unterminieren.

 

B. Marquardt, Freudenstadt

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