LAG Niedersachsen: Umkleidezeit für Klinikpersonal nicht vergütungspflichtig

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 09.08.2016
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht7|5824 Aufrufe

In der jüngeren Vergangenheit hatte die Rechtsprechung sich wiederholt mit der Frage zu beschäftigen, ob Umkleidezeiten vom Arbeitgeber zu vergüten sind. Soweit keine einzel- oder kollektivvertraglichen Regeln bestehen, hat das BAG eine Vergütungspflicht u.a. angenommen, wenn es dem Arbeitnehmer wegen der objektiven Auffälligkeit der Dienstkleidung nicht zugemutet werden kann, diese bereits auf dem Weg zur Arbeitsstätte zu tragen (BAG 10.11.2009 - 1 ABR 54/08, NZA-RR 2010, 301; 12.11.2013 - 1 ABR 59/12, NZA 2014, 557).

Das LAG Niedersachsen hat diese Grundsätze jetzt auf die weiße Dienstkleidung eines Krankenpflegers übertragen und die Klage abgewiesen:

Es ist in der Dienstvereinbarung vorgesehen und insoweit auch unstreitig, dass die Tätigkeit bei Isolationspatienten und in Spezialbereichen wie insbesondere dem OP-Bereich das Anlegen einer gesonderten Schutzkleidung erfordert. Diese Schutzkleidung wird unstrittig während des Dienstes an- und abgelegt.

Daraus ergibt sich im Gegenzug, dass die für einen großen Teil aller Gesundheitsberufe typische weiße Dienstkleidung nicht nach denselben Kriterien zu beurteilen ist wie eine echte Schutzkleidung. Eine Fremdnützigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ergibt sich zunächst nicht aus der dem äußeren Erscheinungsbild der Kleidung. Zwar kann man eine rein weiße Dienstkleidung im öffentlichen Straßenbild durchaus als auffällig bezeichnen. Da die weiße Berufskleidung aber auch etwa bei Apothekern, Physiotherapeuten und privaten Arztpraxen usw. üblich ist, lässt sich eine Zuordnung zu einem bestimmten Berufsbild oder einem bestimmten Arbeitgeber daran nicht festmachen. Unstrittig sind weder eine besondere farbliche Gestaltung noch etwa Namenszüge auf der Dienstkleidung angebracht.

Die Revision wurde zugelassen.

LAG Niedersachsen, Urt. vom 3.5.2016 - 11 Sa 1007/15, BeckRS 2016, 71216

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

7 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Als Leitender Arzt an einem Krankenhaus kann ich hierzu sagen:

Dieses Urteil ist eine bodenlose Unverschämtheit und von Ignoranz und gänzlich fehlender Sachkenntnis geprägt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier irgendein Sachverständiger, schon gar kein Facharzt für Hygiene oder ein sonstiger Hygienebeauftragter, zu Rate gezogen wurde.

Selbstverständlich bedarf es für hochinfektiöse Patienten weiterer, besonderer Schutzmaßnahmen. Auch sieht die Kleidung im OP natürlich anders aus als die Kleidung auf Station (meist grün). Doch der "Umkehrschluss" ist grob fehlerhaft: "Daraus ergibt sich im Gegenzug, dass die für einen großen Teil aller Gesundheitsberufe typische weiße Dienstkleidung nicht nach denselben Kriterien zu beurteilen ist wie eine echte Schutzkleidung".

Selbstverständlich wird vom Personal das Tragen bestimmter Berufskleidung nicht nur aus kosmetischen oder optischen Gründen (Erkennbarkeit) verlangt. Es ist aus hygienischen Gründen verboten, mit der normalen Straßenkleidung am Patienten zu arbeiten, und umgekehrt ist es verboten, die weiße Klinikschutzkleidung als Straßenkleidung zu gebrauchen. Natürlich sollte die Schutzkleidung dann auch täglich gewechselt werden und hygienisch gereinigt werden, um die Keimzahl im Krankenhaus zu vermindern. Allerdings kann man darüber diskutieren, ob langärmlige Kittel für Ärzte wirklich hygienischer sind - einige Kliniken bevorzugen mittlerweile kurzärmlige Saccos und verpflichten die Ärzte stattdessen, die freien Unterarme nach jedem Patientenkontakt großflächig zu desinfizierten. Aber darum geht es in o.g. Entscheidung ja nicht.

Über solche bornierten Richter kann man nur den Kopf schütteln. Ich empfehle den Besuch eines Einführungskurses für Hygiene.

 

 

 

0

Noch schlimmer: das LAG kannte sogar die Grundregeln der Hygiene und zitiert sie sogar. Auf die m.E. zentrale Aussage des LAG möchte ich hinweisen:

Hinsichtlich der Richtlinien des Robert-Koch-Instituts und des Infektionsschutzgesetzes hat das Arbeitsgericht weiter zutreffend darauf hingewiesen, dass die Zielrichtung dieser Regelungen das Verhältnis zwischen Krankenhaus und Patienten betrifft. Es liegt insoweit im Verantwortungsbereich der Leitungsorgane der Beklagten, wie weitgehende Maßnahmen sie für erforderlich halten. Für die arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen der Beklagten und ihrem Mitarbeiter lassen sich daraus nicht notwendige Schlüsse ziehen.

Mit anderen Worten: Was Richtlinien des Robert-Koch-Instituts zur Hygiene besagen und was im Infektionsschutzgesetz (allgemein) geregelt ist, kümmert arbeitsrechtlich wenig. Es ist allein Sache des Arbeitgebers, welche Hygienemaßnahmen er letztendlich für notwendig hält für den Schutz von Patienten und Allgemeinheit und wieweit der Schutz gehen soll. Interessante Sichtweise. Schämen sich diese Schwarzkittel nicht?

0

Obgleich kein Arzt, verstehe ich das Urteil, ehrlich gesagt, auch nicht. Es kann doch nicht der Sinn der Sache sein, dass der Arzt mit seinem Arztkittel Bus fährt und seinen Kittelhintern auf Sitze setzt, wo vorher inkontinente oder ungewaschene Zeitgenossen ihren Allerwertesten hatten, und dann damit Patienten behandelt. Auch die Vorstellung, dass der Arzt oder die Krankenschwester mit dieser Kleidung Fahrrad fährt oder 30 Minuten auf der Straße durch das schweineverseuchte Niedersachsen zu Fuß laufend schwitzt oder die Hose auf einer öffentlichen Toilette auf den Boden herabläßt etc., ist nicht gerade erheiternd. Der User "Arzt" hat vollkommen recht; das Gericht tummelt sich gottgleich wieder einmal in Gefilden, von denen es nichts, aber auch gar nichts versteht und sondert in hygienischer Hinsicht völlig kenntnisfrei verbindliche Urteile ab. Ich fasse es nicht! Weder dem Arzt, noch dem Patienten noch der ohnehin immer mehr unter MRSA leidenen Allgemeinheit ist zuzumuten, diese Kleidung "bereits auf dem Weg zur Arbeitsstätte zu tragen"!

0

"Zwar kann man eine rein weiße Dienstkleidung im öffentlichen Straßenbild durchaus als auffällig bezeichnen."

Ungewöhnlichkeit ist kein Beweis, auch kein Indiz für einen Fehler. Aber wenn man etwas beabsichtigt, dass sonst niemand so macht, sollte man sich schon überlegen, ob es vielleicht einen Grund dafür gibt, dass alle anderen anders handeln.

Und genau so hätte ein LAG sich hier fragen müssen, wieso es eigtl. auffällig wäre, wenn Krankenschwestern und Ärzte in Klinikkleidung durch die Fußgängerzone trotten. Weil's (hygienemäßig) nicht erlaubt ist. Deswegen. Arbeitsrechtlich wäre das berücksichtigen gewesen: Denn einerseits darf der Arbeitnehmer eben nicht in Klinikkleidung zur Arbeit kommen, andererseits er ohne Klinikkleidung auch nicht arbeiten. Folglich handelt es sich um Arbeitszeit.

Entgegentreten möchte ich aber der allgemeinen Juristenschelte, die hier meinem Eindruck nach anklingt: Es handelt sich um ein schlechtes Urteil, aber nicht alle Urteile sind schlecht, sondern wohl nur etwa ein Drittel. Überwiegend wird also im Rahmen des Rechts (und damit auch der Vernunft) geurteilt.

 

 

0

Aus der Entscheidung:

"Auch deutet die Organisationsweise, dass nämlich die verschmutzte Kleidung mindestens alle 2 Tage zu wechseln und im Dienstgebäude abzugeben ist – und nicht etwa zuhause zu waschen – darauf hin, dass der Arbeitgeber hier hygienische Standards einhalten will. Es ergibt sich aber aus dem Sachvortrag des Klägers nicht mit hinreichender Notwendigkeit, dass das Tragen der weißen Dienstkleidung einen so wesentlichen „Baustein“ im Gesamtkonzept der Krankenhaushygiene darstellt, dass ein Wechseln der Kleidung ausschließlich im Krankenhaus selbst rechtlich geboten wäre".

Ja natürlich, ist nicht "rechtlich geboten". Ist aber aus hygienischen Gründen geboten!

Dann soll also der Krankenpfleger mit Dienstkleidung den Dienst antreten und auch in Dienstkleidung nach Hause fahren. Andererseits verpflichtet der Arbeitgeber ihn, nicht zu Hause zu waschen, sondern spätestens alle zwei Tage die Kleidung in der Hauswäscherei abzugeben. Schön und gut. Und anschließend soll er wohl nackig nach Hause radeln?

Es führt kein Weg daran vorbei: der Pfleger muss sich im Haus umziehen, wie es überall üblich ist. Schon um die Wäsche im Krankenhaus waschen zu lassen. Besser jeden Tag.  Zu Recht würde sich die Bevölkerung darüber mokieren, wenn weißgekleidetes Pflegepersonal frisch aus dem Krankenhaus und frisch vom Krankenbett beim Bäcker und Metzger einkaufen ginge und schnell mal nach dem Dienst die Keime (MRSA etc.) ordentlich in der Öffentlichkeit verbreiten würde. Aber bitte schön: Das nächste Mal, wenn ich vor Gericht erscheinen muss, werde ich auch meine weiße Schutzkleidung anbehalten. Mal sehen, was das Gericht dazu sagt.

 

0

@ Arzt

Ich kann Ihnen nur voll und ganz zustimmen. Bleibt zu hoffen, dass der Fall in der Revision anders entschieden wird.

0

Das sollte eigentlich kein Problem sein. Vielleicht sollte sich das Pflegepersonal einfach eine alte Richterrobe umlegen, wenn ein Richter auf dem OP-Tisch liegt.

Ich dagegen will nicht von Pflegepersonal umsorgt werden, dessen Kleidung u.U. schon mehrere Bahn- und S-Bahnfahrten überstanden hat.

0

Kommentar hinzufügen