Erfreulich: Führerscheinermittlungen Deutschland/Tschechien "laufen" wohl

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.08.2016
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In der Vergangenheit hat man oft gehört, der Führerscheintourismus könne schon deshalb nicht ausgetrocknet werden, weil die Staaten, die meist betroffen seien nicht mitwirken würden. Wie man an nachfolgender Entscheidung sieht, läuft es derzeit mit Tschechien aber wohl ganz gut:

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert wird unter Änderung von Nr. III der erstinstanzlichen Entscheidung für beide Rechtszüge auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I. Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Feststellung, dass er nicht berechtigt sei, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, und der Verpflichtung, seinen tschechischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen.
Der am ... 1954 geborene Antragsteller ist nach Verzicht am 2. Juli 2010 nicht mehr im Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis. Am 18. Januar 2016 erteilte ihm die Stadtverwaltung B. eine tschechische Fahrerlaubnis der Klassen AM, B1 und B.
Mit Schreiben vom 27. Januar 2016 teilte die Polizeiinspektion Marktredwitz der Fahrerlaubnisbehörde beim Landratsamt ... mit, es sei festgestellt worden, dass unter der tschechischen Meldeadresse „CZ - 418 01 B., K. Nr. ...“ neun deutsche Staatsangehörige, darunter auch der Antragsteller, einen vorübergehenden Aufenthalt angemeldet hätten. Sämtliche Personen hätten mit Sitz an dieser Adresse ein Unternehmen (Groß- und Einzelhandel) gegründet. Das um weitere Ermittlungen gebetene Gemeinsame Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit habe mitgeteilt, unter der angegebenen Adresse seien 36 weitere deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz gemeldet. Nach Angaben der Distriktabteilung der Polizei in B. handele es sich bei der Meldeadresse um ein Reihenhaus ohne Türglocke und Briefkasten. Das Anwesen sei zu einer Pension umgewandelt worden; es deute aber nichts darauf hin, dass sich diese derzeit im Betrieb befinde. Bei einer Überprüfung des Anwesens durch die örtliche Polizei sei niemand angetroffen worden. Gegen den Besitzer des Objekts liefen Ermittlungen wegen unerlaubter unternehmerischer Tätigkeit.

Einer Auskunft der Stadt G. ... vom 10. März 2016 zufolge ist der Antragsteller dort unter der Adresse G1-straße ... gemeldet.

Nach Anhörung stellte die Fahrerlaubnisbehörde mit Bescheid vom 7. April 2016 fest, die tschechische Fahrerlaubnis berechtige den Antragsteller nicht, fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu führen (Nr. 1), verpflichtete ihn zur Vorlage seines tschechischen Führerscheins zur Eintragung eines Sperrvermerks (Nr. 2) und ordnete hinsichtlich der Feststellung und der Verpflichtung die sofortige Vollziehung an (Nr. 3). Der Antragsteller habe seinen ordentlichen Wohnsitz seit dem 22. März 1999 durchgehend im Bundesgebiet. Aufgrund der Ermittlungen stehe zweifelsfrei fest, dass es sich bei der tschechischen Meldeadresse um eine Scheinadresse handele.
6Über die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Würzburg noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. Mai 2016 abgelehnt. Der Antrag sei unzulässig, soweit er sich gegen die Zwangsgeldandrohung richte, weil sich diese durch die rechtzeitige Vorlage des Führerscheins erledigt habe. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet. Das Gericht sei davon überzeugt, dass der Antragsteller trotz des Eintrags eines tschechischen Wohnorts im Führerschein bei Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis dort keinen ordentlichen Wohnsitz gehabt habe. Dies ergebe sich aus den unbestreitbaren Informationen der tschechischen Polizeibehörde und den ergänzend heranzuziehenden weiteren Umständen, insbesondere der durchgehend gemeldeten Wohnadresse des Antragstellers im Bundesgebiet. Zu etwaigen beruflichen Tätigkeiten in der Tschechischen Republik habe der Antragsteller keine Angaben gemacht oder aussagefähige Dokumente vorgelegt. Unabhängig davon falle auch die Interessenabwägung aufgrund der straßenverkehrsrelevanten Vorfälle, die im Falle eines Antrags auf Wiedererteilung einer deutschen Fahrerlaubnis eine medizinisch-psychologische Untersuchung erfordert hätten, zu Ungunsten des Antragstellers aus.

Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller im Wesentlichen ausführen, die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Gründe seien nicht geeignet, einen Wohnsitzverstoß des Antragstellers im Zeitpunkt des Erwerbs der tschechischen Fahrerlaubnis mit hinreichender Sicherheit nahezulegen. Hierfür lägen keine unbestreitbaren Informationen des Ausstellungsmitgliedstaats mit ausreichender Beweistiefe vor. Die Auskunft der tschechischen Polizei beschränke sich schlicht auf eine Zustandsbeschreibung des Gebäudes und den Umstand, dass der Eigentümer telefonisch nicht zu erreichen gewesen sei. Benachbarte Personen habe die tschechische Polizei offenbar nicht befragt. Andere Erkenntnisse dürften daher nicht ergänzend zulasten des Antragstellers herangezogen werden. Er sei auch nicht verpflichtet, bei entsprechenden Aufklärungsmaßnahmen mitzuwirken.
8Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Abgesehen davon, dass der Antragsteller den selbstständig tragenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, wonach die Interessenabwägung aufgrund der straßenverkehrsrelevanten Vorfälle, die im Falle eines Antrags auf Wiedererteilung einer deutschen Fahrerlaubnis eine medizinisch-psychologische Untersuchung erfordert hätten, zu seinen Lasten ausfalle, in der Beschwerdebegründung nicht entgegengetreten ist, lassen die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), nicht erkennen, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.

a) Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnisverordnung - FeV) vom 18. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), gilt die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten. Die Behörde kann einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen (§ 28 Abs. 4 Satz 2 FeV). Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder - bei fehlenden beruflichen Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d. h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Ein Bewerber, dessen persönliche Bindungen im Inland liegen, der sich aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder EWR) aufhält, hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV). Die Voraussetzung entfällt, wenn sich der Bewerber zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält (§ 7 Abs. 1 Satz 4 FeV). Diese Bestimmungen entsprechen Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl EG Nr. L 237 S. 1) bzw. Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl EG Nr. L 403 S.18).

Voraussetzung für die Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis, die ein Mitgliedstaat ausgestellt hat, ist gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/126/EG ein Wohnsitz im Ausstellungsmitgliedstaat im Sinne Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG. Die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von durch EU-Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnissen gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG gilt jedoch nicht, wenn entweder Angaben im zugehörigen Führerschein oder andere vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende Informationen vorliegen, die darauf hinweisen, dass das Wohnsitzerfordernis nicht eingehalten wurde. Die Prüfung, ob solche Informationen als vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührend und unbestreitbar eingestuft werden können, obliegt den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats. Dabei muss die Begründung eines Scheinwohnsitzes aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits abschließend erwiesen sein. Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf „hinweisen“, dass der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen. Soweit unbestreitbare Informationen des Ausstellungsmitgliedstaats vorliegen, aus denen sich die Möglichkeit ergibt oder die darauf hinweisen, dass die Wohnsitzvoraussetzung nicht gegeben war, sind zur endgültigen Beurteilung dieser Frage die Umstände des gesamten Falles heranzuziehen, also ergänzend auch die „inländischen Umstände“ (st. Rspr., vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 11.5.2016 - 11 CS 16.658 - juris Rn. 12 m. w. N.).

b) Gemessen daran sind die Fahrerlaubnisbehörde und das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis am 18. Januar 2016 keinen ordentlichen Wohnsitz in der Tschechischen Republik, sondern im Inland hatte.

aa) Da die vom Gemeinsamen Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit weitergegebenen Erkenntnisse auf Informationen beruhen, die ihrerseits von tschechischen Behörden stammen, handelt es sich insoweit um Informationen des Ausstellungsmitgliedstaats (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2013 - 3 B 38.13 - DAR 2013, 594 Rn. 3; EuGH, U.v. 1.3.2012 - Akyüz, C-467/10 - DAR 2012, 193 Rn. 71). Diese sind auch unbestreitbar im Sinne des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV. Aufgrund des in Übersetzung vorliegenden Vermerks der Distriktabteilung der Polizei B. vom 3. Dezember 2015 steht fest, dass diese die Adresse K. Nr. ... in B. überprüft und dabei niemanden angetroffen hat. Die Pension in dem Anwesen ist offenbar nicht mehr in Betrieb; eine Türglocke und ein Briefkasten sind nicht vorhanden. Die ermittelten Telefonnummern erwiesen sich entweder als vermutlich falsch, nicht erreichbar oder abgeschaltet. Aufgrund der ebenfalls unbestreitbaren Auskunft aus dem tschechischen Ausländerregister, wonach unter der angegebenen Anschrift 36 weitere deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz gemeldet sind, liegen Informationen des Ausstellungsmitgliedstaats vor, aus denen sich die Möglichkeit ergibt oder die darauf hinweisen, dass sich der Antragsteller nicht mindestens 185 Tage wegen persönlicher und/oder beruflicher Bindungen in B. aufgehalten hat.

Daher war die Fahrerlaubnisbehörde berechtigt, zur endgültigen Beurteilung der Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses die Umstände des gesamten Falles heranzuziehen, also ergänzend als „inländischen Umstand“ auch die Meldeauskunft der Stadt G. ..., wonach der Antragsteller dort gemeldet war und ist, was ebenfalls gegen einen mindestens 185-tägigen Aufenthalt des Antragstellers in B. wegen persönlicher und/oder beruflicher Bindungen spricht.
16bb) Den Zweifeln an der Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses ist der Antragsteller bisher nicht näher entgegengetreten. Im behördlichen Verfahren hat er sich zum Anhörungsschreiben der Fahrerlaubnisbehörde vom 14. März 2016 nicht geäußert. Im gerichtlichen Verfahren hat er sich lediglich dahingehend eingelassen, die Informationen aus der Tschechischen Republik seien für die Annahme eines Wohnsitzverstoßes nicht ausreichend. Zum Hintergrund seines angeblichen Wohnsitzes und seiner Tätigkeit in B. hat der Antragsteller nichts vorgetragen. Aufgrund der unbestreitbaren Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat hätte es ihm jedoch oblegen, die Zweifel durch entsprechend substantiierte und verifizierbare Darlegungen zu seiner angeblichen Wohnsitzbegründung in Tschechien und zu seiner dortigen beruflichen Tätigkeit und durch Vorlage geeigneter Unterlagen zu entkräften (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2015 - 3 B 48.14 - juris Rn. 6; U.v. 30.5.2013 - 3 C 18.12 - BVerwGE 146, 377 Rn. 30; BayVGH, B.v. 20.5.2015 - 11 CS 15.685 - juris Rn. 15; OVG NW, U.v. 16.5.2014 - 16 A 2255/10 - juris Rn. 30). Wenn ein Beteiligter - wie hier - sich nicht klar und eindeutig zu Gegebenheiten äußert, die seine eigene Lebenssphäre betreffen und über die er deshalb besser als der Verfahrensgegner Bescheid wissen muss, darf ein Gericht ein solches Erklärungsverhalten bei seiner Entscheidung berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2015 - 11 CS 15.1634 - juris Rn. 20).

VGH München, Beschluss vom 11.07.2016 - 11 CS 16.1084

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