Die "Rechtsmittelverzichtsreue"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.04.2016
Rechtsgebiete: RechtsmittelverzichtStrafrechtVerkehrsrecht|2409 Aufrufe

Uiuiuiuiui - da ist aber gewaltig etwas schief gelaufen. Der Angeklagte hatte seinem Pflichtverteidiger wohl nach der Verurteilung gesagt: "Verzichte mal auf Rechtsmittel." Das geschah dann auch. Dann aber bereut der Angeklgte seine Entscheidung. Er beauftragt einen Verteidiger. Der versucht es - erfolglos - mit einer Rechtsmitteleinlegung:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung
in sechs Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren verurteilt.
Gegen dieses Urteil haben die nach dessen Verkündung neu gewählten
Verteidiger Be. (Schriftsatz vom 1. September 2015) und J. (Schriftsatz
vom 2. September 2015) sowie der Angeklagte selbst (Schreiben vom
1. September 2015) Revision eingelegt. Das Rechtsmittel ist unzulässig, weil
der Pflichtverteidiger des Angeklagten bereits am 26. August 2015 wirksam auf
Rechtsmittel verzichtet hatte, wozu er von seinem Mandanten ausdrücklich ermächtigt
war.

1. Dieser Rechtsmittelverzicht wurde formgerecht erklärt.
Der Rechtsmittelverzicht ist grundsätzlich an die gleiche Form wie die
Einlegung des Rechtsmittels gebunden. Er muss also zu Protokoll der Geschäftsstelle
oder schriftlich erklärt werden (§ 341 Abs. 1 StPO). Der schriftliche
Rechtsmittelverzicht erfordert daher eine durch den Urheber selbst oder eine
dazu ermächtigte Person niedergeschriebene Erklärung und die eindeutige Erkennbarkeit
des Erklärenden (BGH, Beschluss vom 12. April 2011 – 4 StR
48/11, Rn. 4).

Der über die Verzichtserklärung des Pflichtverteidigers des Angeklagten
G. auf der Geschäftsstelle des Landgerichts erstellte „Vermerk“ vom
26. August 2015 genügt diesen Anforderungen. Denn die Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle hat dort nicht nur die Erklärung des Pflichtverteidigers des Angeklagten
niedergeschrieben, sondern dieser hat die Erklärung selbst – über
der Justizbeschäftigten – unterschrieben. Damit bestand weder über den Inhalt
der Erklärung noch über die Person des Erklärenden irgendein Zweifel (vgl.
BGH, Beschluss vom 12. April 2011 – 4 StR 48/11, Rn. 5; Beschluss vom
23. Juni 1983 – 1 StR 351/83, NJW 1984, 1974 f.).
2. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten war zur Abgabe der Verzichtserklärung
auch ermächtigt (§ 302 Abs. 2 StPO).
Eine Ermächtigung zum Rechtsmittelverzicht kann mündlich erteilt werden;
zu ihrem Nachweis kann eine anwaltliche Erklärung genügen (BGH, Beschluss
vom 14. Januar 2003 – 4 StR 516/02, NStZ 2004, 55). Hier hatte der
Pflichtverteidiger des Angeklagten G. , Rechtsanwalt C. , bei Abgabe
der Verzichtserklärung am 26. August 2015 mitgeteilt, „namens und im Auftrag
des Verurteilten G. “ zu handeln.
An der Richtigkeit dieser Erklärung hat der
Senat keinen Zweifel. Soweit Rechtsanwalt J. erklärt hat (Schriftsatz vom
7. September 2015), von einem Jo. erfahren zu haben, dass der
Angeklagte G. „das Mandatsverhältnis“ mit Rechtsanwalt C. gekündigt
habe und der Rechtsmittelverzicht offensichtlich ohne entsprechenden Auftrag
erklärt worden sei, vermag dies die Richtigkeit der Erklärung von Rechtsanwalt
C. nicht in Zweifel zu ziehen. Rechtsanwalt J. hatte zugleich mitgeteilt,
„auf postalischem Wege“ Kontakt zu seinem Mandanten aufgenommen
und diesen um eine weiter gehende Stellungnahme ersucht zu haben. Eine solche
Stellungnahme ist nicht eingegangen. Stattdessen hat Rechtsanwalt J.
unter dem 8. Oktober 2015 erklärt, dass er den Angeklagten nicht mehr vertrete.

3. Der somit wirksam erklärte Rechtsmittelverzicht kann als Prozesshandlung
nicht widerrufen, wegen Irrtums angefochten oder sonst zurückgenommen
werden. Die trotz wirksamen Rechtsmittelverzichts (mehrfach) eingelegte
Revision ist daher als unzulässig zu verwerfen.

BGH, Beschl. v. 2.3.2016 - 4 StR 580/15 

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