Loveparade Duisburg 2010 - Fahrlässigkeiten, 21 Tote, keine Hauptverhandlung?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 05.04.2016

Wie soeben berichtet wird (Spiegel Online), hat das LG Duisburg im Zwischenverfahren die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in der Sache Loveparade Duisburg 2010 abgelehnt. Diese Entscheidung kann zwar noch angefochten werden, bedeutet aber erst einmal einen Schlag ins Gesicht der vielen Opfer und Angehörigen. Meines Erachtens gibt es genug Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit (siehe die Links unten) für fahrlässiges Verhalten bzw. Versagen auf allen drei Ebenen - Veranstalter, Genehmigungsbehörden, Polizei. Und aus meiner Sicht hätte es auch eine hinreichende Verurteilungswahrscheinlichkeit gegeben. Allerdings zielte schon der Auftrag für das Gutachten von Keith Still, das als entscheidendes Beweismittel betrachtet wurde (und offenbar jetzt vom Gericht verworfen wird) in eine falsche Richtung. Auch dass die Staatsanwaltschaft sehr frühzeitig alle Polizeibeamten aus der Reihe der Verdächtigen ausschloss, war kaum zu vereinbaren mit den zu beobachtenden Fakten am Tag der Katastrophe (siehe ebenfalls die Links zu meinen früheren Beiträgen, die unten angehängt sind).

Nach einer Presseerklärung des LG Duisburg (Link) waren die entscheidenden Gründe für die Nichteröffnung:

1.  Inhaltliche und methodische Mängel des Gutachtens - die in der Erklärung im Einzelnen konkretisiert werden

2.  Besorgnis der Befangenheit gegen den Gutachter Keith Still

3.  Zweifel an den der Anklage zugrundeliegenden Kausalitätserwägungen

Nach der Anklageerhebung hatte ich am 9.9.2014 schon ungute Vorahnungen geäußert:

"Wenn die Staatsanwaltschaft (in der Pressekonferenz zur Anklage, ich denke das ist so auch in der Anklage enthalten) nun sagt: "Insbesondere die polizeilichen Maßnahmen waren nach den Feststellungen eines international anerkannten Sachverständigen weder für sich genommen noch insgesamt ursächlich für den tragischen Ausgang der Loveparade", dann wird m. E. erstens das Gutachten nicht zutreffend wiedergegeben. Und zweitens widerspricht diese Aussage (was das Errichten der Kette 3 angeht) eklatant dem, was jeder mit offenen Augen erkennen kann: Ohne diese Kette wäre der konkrete Erfolg an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt  nicht eingetreten. Die Kette 3 war erkennbar ursächlich für die Menschenverdichtung im unteren Drittel der Rampe zu diesem Zeitpunkt. Das entlastet nicht diejenigen, die bei der Planung und Genehmigung der Veranstaltung fahrlässig gehandelt haben und die mit ihren Handlungen eben auch wichtige Ursachen gesetzt haben für die Katastrophe. Das bedeutet auch nicht notwendig, dass einzelne Beamte "schuld" sind, denn dafür müssten auch noch subjektive Merkmale nachgewiesen werden.

Aber die Polizeiketten ganz herauszulassen aus der Erklärung des Unglücks kann schlimme Folgen haben, denn dann bleibt der konkrete Erfolg letztlich unerklärlich."

Das scheint jetzt zumindest einer der wesentlichen Gründe zu sein, weshalb das LG die Eröffnung ablehnt: Die Kausalität der (möglichen) Planungsfehler zum konkreten Unglücksgeschehen bleibt in der Anklage offen. Ein Vorwurf, der sowohl der Staatanwaltschaft als auch dem Gutachter recht deutlich gemacht wird, neben anderen Erwägungen zu den (vorgeworfenen) Pflichtverletzungen der Angeschuldigten.

Die soeben beendete Pressekonferenz des LG Duisburg hat über die Presseerklärung hinaus keine wesentlich neuen Erkenntnisse gebracht. Natürlich war man seitens des Gerichts vorsichtig, was die Bewertung der Staatsanwaltschaft oder die Prognose eines evtl. OLG-Beschlusses angeht. Momentan wird m. E. etwas einseitig allein dem Gutachter die Schuld am Scheitern der Anklage zugewiesen. Dahinter steht aber klar der Vorwurf an die Staatsanwaltschaft, nicht rechtzeitig erkannt zu haben, dass es mit diesem Gutachten nicht möglich sein würde, die Verantwortlichkeit nachzuweisen. Die Staatsanwaltschaft hätte also ggf. noch einen weiteren Gutachter beauftragen müssen. Da m. E. kein Weg daran vorbeiführt, den konkreten Taterfolg (auch) mit dem Verhalten der Mitarbeiter des Veranstalters und der Polizei am Tag der Loveparade zu erklären, war es letztlich fatal für die Anklage, die polizeilichen Maßnahmen als Ursache auszuschließen.

(Update, 16.00 Uhr):

Die Staatsanwaltschaft hat sofortige Beschwerde eingelegt!

Einige strafprozessuale Erwägungen:

Die strafprozessuale Streitfrage wird sich u.a. zu § 202 StPO ergeben. Danach kann das Gericht durchaus "ergänzende" "einzelne" Beweiserhebungen im Zwischenverfahren anordnen. Die Rechtsprechung sieht dies aber als Ausnahme an - nur Lücken in der Beweisführung der Staatsanwaltschaft dürfen geschlossen werden. Darauf wird sich das LG Duisburg berufen. Udo Vetter meint dennoch:

"Zwar wird immer betont, das Gericht dürfe natürlich nicht das komplette Ermittlungsverfahren neu aufrollen. Aber spätestens nachdem der Sachverständige sich durch seine Auftritte auch noch der Besorgnis der Befangenheit ausgesetzt hat, hätte es nach meiner Meinung juristisch ausreichend Spielraum gegeben, um auch nach Erhebung der Anklage ein vernünftiges Gutachten einzuholen."

(Quelle: Law Blog)

Das Gericht wird sich demgegenüber darauf berufen, man habe ja in diesem Sinne den Gutachter umfassend ergänzend befragt. Ein neues Gutachten einzuholen, sei auf Grundlage des § 202 StPO nicht zulässig gewesen, da es eine so zentrale Rolle in der Anklage gespielt habe.

Auch ist zu erwägen, ob das Gericht die Sache frühzeitig an die Staatsanwaltschaft informell zurückgeben hätte können. Solche Fälle sind in der Praxis bekannt. Aber ob so ein "großer" Strafprozess eine solche informelle Behandlung vertragen hätte?

Zu  211 StPO: Ja, ein neues Gutachten kann als neues Beweismittel eine neue Anklageerhebung stützen. So z.B.  das OLG Köln.

Update (06.04.2016)

Drei Fragen

Bei der Beurteilung der derzeitigen Situation sind m.E. drei Fragen zu unterscheiden. Ich habe diese Fragen einmal zusammengestellt und ein paar mögliche Antworten formuliert. 

1. Wer bzw. was ist die Ursache des Anklage-Dilemmas? 

a) Die Staatsanwaltschaft, die eine unschlüssige Anklage formuliert hat und als zentrales Beweismittel ein nicht tragfähiges Gutachten präsentierte

b) Ein Gutachter, der methodisch/inhaltlich fehlerhaft gearbeitet hat und noch dazu sich unprofessionell verhalten hat (in Bezug auf Auslösen einer Besorgnis der Befangenheit)

c) Eine Kombination von a) und b)

d) Keine dieser Möglichkeiten, das LG Duisburg liegt falsch, die Anklage hingegen  ist plausibel genug, um das Hauptverfahren zu eröffnen.

2. Konnte das LG Duisburg (und prognostisch: kann das OLG Düsseldorf) das Anklagedilemma selbst lösen?

a) Ja, die Anklage hätte einfach zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet werden können. Streitfragen hätte man im Hauptverfahren klären können.

b) Ja, die Strafkammer hätte - nach § 202 StPO - selbst ergänzende Beweiserhebungen durchführen können, um sodann auf besserer Grundlage zu eröffnen.

c) Ja, die Kammer hätte die Staatsanwaltschaft rechtzeitig veranlassen müssen, ein besseres Gutachten vorzulegen und die Anklage besser zu konkretisieren, um sodann auf besserer Grundlage zu eröffnen.

d) Nein, das Gericht konnte nicht selbst die Anklage verbessern oder die Staatsanwaltschaft von ihrem falschen Pfad abbbringen, die Nichteröffnung war konsequent/richtig, da die Anklage grundlegend verfehlt war.

3. Was folgt nun für die weitere strafrechtliche Aufarbeitung der Loveparade 2010?

a) Das OLG wird das LG Duisburg korrigieren und doch noch das Hauptverfahren eröffnen

b) Die Staatsanwaltschaft wird ein neues Gutachten vorlegen (§ 211 StPO), erneut anklagen, und dann kann eröffnet werden.

c) Die strafrechtliche Aufarbeitung ist voraussichtlich völlig gescheitert und wird auch nicht wieder aufgenommen.

Vielleicht möchten Sie in der Diskussion Ihre Auffassung dazu bzw. Ihre weiteren Antwortmöglichkeiten darlegen.

_________________________________________________________________________________________

Wer sich über die bisherigen Diskussionen informieren möchte, kann sie hier finden - unmittelbar darunter einige Links zu den wichtigsten Informationen im Netz.

Juli 2015: Fünf Jahre und kein Ende – die Strafverfolgung im Fall Loveparade 2010 (98 Kommentare, ca. 9000 Abrufe)

Februar 2015: Was wird aus dem Prozess? (72 Kommentare, ca. 5900 Aufrufe)

August 2014: Zweifel am Gutachten (50 Kommentare, ca. 6900 Abrufe)

Februar 2014: Anklageerhebung (50 Kommentare, ca. 12300 Abrufe)

Mai 2013: Gutachten aus England (130 Kommentare, ca. 14200 Abrufe)

Juli 2012: Ermittlungen dauern an (68 Kommentare, ca. 11600 Abrufe)

Dezember 2011: Kommt es 2012 zur Anklage? (169 Kommentare, ca. 26000 Abrufe)

Juli 2011: Ein Jahr danach, staatsanwaltliche Bewertung sickert durch (249 Kommentare, ca. 36000 Abrufe)

Mai 2011: Neue Erkenntnisse? (1100 Kommentare, ca. 28000 Abrufe)

Dezember 2010: Fünf Monate danach (537 Kommentare, ca. 21500 Abrufe)

September 2010: Im Internet weitgehend aufgeklärt (788 Kommentare, ca. 35000 Abrufe)

Juli 2010: Wie wurde die Katastrophe verursacht - ein Zwischenfazit (465 Kommentare, ca. 42000 Abrufe)

Ergänzend:

Link zur großen Dokumentationsseite im Netz:

Loveparade2010Doku

speziell: Illustrierter Zeitstrahl

Link zur Seite von Lothar Evers: DocuNews Loveparade Duisburg 2010

Link zur Prezi-Präsentation von Jolie van der Klis (engl.)

Weitere Links:

Große Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag NRW

Kurzgutachten von Keith Still (engl. Original)

Kurzgutachten von Keith Still (deutsch übersetzt)

Analyse von Dirk Helbing und Pratik Mukerji (engl. Original)

Loveparade Selbsthilfe

Multiperspektiven-Video von Jolie / Juli 2012 (youtube)

Multiperspektiven-Video von Jolie / September 2014 (youtube)

Interview (Januar 2013) mit Julius Reiter, dem Rechtsanwalt, der eine ganze Reihe von Opfern vertritt.

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252 Kommentare

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@48 Sehr geehrter Prof. Müller,

bisher ist mir keine Quelle zu den von Ihnen als 2. und 3. gutachterliche Äußerung Stills bezeichneten Frage-und-Antwort-Katalogen bekannt. Es findet sich auch keine in Ihrer Linkliste. Da ich wohl kaum die Einzige bin, die sich diese Texte sehr gerne auch mal ansehen würde: Sind diese Dokumente öffentlich verfügbar? Falls ja: wo?

Danke und freundliche Grüße, sdu

0

Nein, diese Texte sind nicht öffentlich verfügbar. Einer Veröffentlichung steht § 353 d Nr.3 StGB entgegen.

 

M.E. liegt der schwarze Peter nach wie vor in erster Linie bei der StA. Die Ermittlungen der StA sind m.E. nach wie vor völlig unzureichend. Es ist deshalb m.E. richtig, ein Ermittlungs-Erzwingungsverfahren gem. §§ 172 ff StPO gegen die StA anzustrengen. Die Erfolgssaussichten eines solchen Verfahrens gem. §§ 172 ff StPO sind sehr viel besser, wenn man auf das Verfahren gem. §§ 172 ff StPO Verwaltungs-Prozessrecht anwendet. Denn dann muss der Strafsenat beim OLG u.a. auch § 86 III VwGO auf das Verfahren anwenden. Und das bedeutet: Ist die Antragsschrift lückenhaft oder sonstwie unvollständig, muss das OLG zunächst richterliche Hinweise erteilen und kann die Antragsschrift nicht sofort als unzulässig zurückweisen. Die Verletzten haben dann immer noch die Möglichkeit, die Antragsschrift nachzubessern. Die Verletzten haben damit die Möglichkeit, beim OLG mit Aussicht auf Erfolg den Antrag zu stellen, dass das OLG die StA zu weiteren Ermittlungen verpflichtet. Diesen prozessualen Weg habe ich weiter ausgeführt in meinem Aufsatz mit dem Titel "Die Zeitenwende im Klageerzwingungsverfahren", HRRS 2016, 29 ff. Hier der Link zu meinem Aufsatz:

http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/16-01/index.php?sz=9

 

             

Sehr geehrter Herr Würdinger,

das ist ja eine schöne Idee, aber was hilft das bei verjährten Tatvorwürfen? Da können Sie auch bei besten Argumenten niemanden mehr zur Verfolgung zwingen. Den Kreis der Angeschuldigten werden Sie also so nicht mehr erweitern können.

Und die von Ihnen geschilderten Ermitttlungsmöglichkeiten, Anordnungskompetenzen, Hinweispflichten etc. hat das OLG auch nach der StPO schon (§§ 199-210 StPO). Inwieweit hilft denn da das Verwaltungsprozessrecht weiter?

Hintergrund: Die Verjährung für fahrlässige Tötung beträgt 5 Jahre. Die Love Parade war am 24.07.2010...

Ich habe nie verstanden, weshalb sich die StA auf einen Kreis der Tatverdächtigen festgelegt und dann so lange ermittelt hat, dass die Übrigen nahezu zwangsläufig in die Verjährung gelaufen sind. Dann hätte ich den Rest der beteiligten Personen doch zumindest verjährungsunterbrechend verantwortlich vernommen, um alle Bewertungsmöglichkeiten offen zu halten.

Viele Grüße,

Cage_and_Fish

Kein Strafprozess, kein Adhäsionsverfahren

Mögliche eingetretene Verjährung zivilrechtlicher Ansprüche bei bestätigter Nichteröffnung?

Die Hemmung der Verjährung von zivilrechtlichen Ansprüchen mit Blick auf das Adhäsionsverfahren findet imho erst statt, wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungsakte zum Gericht schickt und das Gericht die Anklage zulässt. Bei Nichteröffnung müsste man sich zwangsläufig an das Zivilgericht wenden wegen zivilrechtlicher Ansprüche. Das Zuwarten aber, weil das Verfahren bis zum rechtskräftigen Nichteröffnungsbeschluss so lange dauerte, hemmt nicht die zivilrechtliche Verjährung. Sehe ich das so richtig?

 

Die Hemmung der Verjährung von zivilrechtlichen Ansprüchen mit Blick auf das Adhäsionsverfahren findet imho erst statt, wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungsakte zum Gericht schickt und das Gericht die Anklage zulässt.

Nein, das ist nicht so. Nach der Regelung des § 404 Abs. 2 StPO tritt bereits mit der Antragstellung im Adhäsionsverfahren und nicht erst mit der Zustellung des Antrages Rechtshängigkeit ein, die zur Unterbrechung der Verjährung führt.

Ich meinte aber die strafrechtliche Verjährung. Das ist die sog. Verfolgungsverjährung, geregelt in § 78 StGB (hier: § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB).

Den Geschädigten brennt also zivilrechtlich derzeit nichts an, wenn sie Anträge gestellt haben. Das Strafverfahren ist dagegen schon halb abgebrannt (=teilweise verjährt).

Die Antragsschrift des Verletzten im Ermittlungs-Erzwingungsverfahren gem. §§ 172 ff StPO ist in der Tat eine sehr aufwendige juristische Arbeit. Insbesondere muss die Antragsschrift Angaben dazu enthalten, gegen welche Beschuldigten sich der Antrag richtet und welche Ermittlungsmaßnahmen von der StA als Antragsgegnerin gefordert werden. 

Das Verfahren gem. §§ 172 ff StPO gibt es seit rund 140 Jahren. In diesen 140 Jahren war es noch immer die Praxis der Justiz, Antragsschriften für unzulässig zu erklären - und damit das Eintreten in die Sachprüfung zu vermeiden - sobald auch nur die kleinste Kleinigkeit in der Antragsschrift fehlte. Die Erfolgssaussichten eines Verfahrens gem. §§ 172 ff StPO tendierten deshalb schon immer gegen Null.

Das ändert sich dramatisch, sobald das OLG (das OLG ist zuständig gem. § 172 IV StPO) einer Hinweispflicht unterliegt. Dann ist es eben prozessual nicht mehr möglich, Antragsschriften so einfach schlankweg vom Tisch zu wischen, wie es der Praxis der Justiz in den vergangenen 140 Jahren entsprach. Und diese Hinweispficht ist normiert in § 86 III VwGO. § 86 III VwGO ist die einfachgesetzliche Umsetzung des Art. 103 I GG. Kommt das OLG seiner Hinweispflicht gem. § 86 III VwGO nicht nach, stellt das eine Gehörsverletzung i.S.d. Art 103 I GG dar.   

Ob die strafrechtlichen Vorwürfe insbesondere gegen den seinerzeitigen OB verjährt sind, mag dann im Rahmen des Verfahrens gem. §§ 172 ff StPO geklärt werden. Jedenfall ist es prozessual richtig, im Rahmen einer Antragsschrift im Ermittlungs-Erzwingungsverfahren den Antrag u.a. auch darauf zu richten, dass die StA prozessual wirksame Unterbrechungshandlungen tätigt.       

Sehr geehrter Herr Würdinger,

sorry, aber ich verstehe Sie einfach nicht.

Ich lerne aber immer gerne dazu. Was genau soll denn jetzt nach Ihrer Meinung im verwaltungsrechtlichen Ermittlungs-Erzwingungsverfahren passieren, was die StPO nach dem derzeitigen Stand nicht bieten kann?

 

 

 

Grüß Gott Herr Eßer,

am besten sollten Sie zunächst noch einmal meinen Aufsatz "Die Zeitenwende im Klageerzwingungsverfahren", HRRS 2016, 29 ff nachlesen. Den Link auf meinen Aufsatz finden Sie oben in Nr. 54 der Kommentare.

Zentrale Bedeutung kommt dabei der Tennessee Eisenberg-Entscheidung des BVerfG vom 26.6.2014 bei. Darin wird - in Abkehr von der bis dahin geltenden ständigen Rechtsprechung - dem Verletzten erstmals ein echter Rechtsanspruch auf ernsthafte Ermittlungstätigkeit der StA zugebilligt, sofern es sich um den Verdacht einer Straftat eines Amtsträgers handelt. Dieser echte Rechtsanspruch - statt dem bloßen sog. Reflexrecht -  ändert die Rechtsstellung des Verletzten im Verfahren nach den §§ 172 ff StPO vollständig: Seit der Tennessee Eisenberg-Entscheidung vom 26.6.2014 kann der Verletzte im Verfahren nach den §§ 172 ff StPO ein eigenes subjektiv-öffentliches Recht geltend machen, das er zuvor gerade nicht hatte. D.h. der Verletzte kann seither eine echte eigene "Klagebefugnis" i.S.d. § 42 II VwGO geltend machen. Das bedeutet: Der Verletzte kann jetzt sein eigenes Interesse an der strafrechtlichen Aufarbeitung aus eigenem Recht, und zwar unabhängig von anderen Verfahrensbeteiligten, geltend machen.         

am besten sollten Sie zunächst noch einmal meinen Aufsatz "Die Zeitenwende im Klageerzwingungsverfahren", HRRS 2016, 29 ff nachlesen.

 Den habe ich wohl gelesen. Die Frage bleibt: Wie hilft das hier weiter?

@RA Würdinger:

Das Ermittlungserzwingungsverfahren, wie Sie es propagieren, harrt aber noch obergerichtlicher Bestätigung. Bis dahin sollte jeder RA seinen Mandanten darauf hinweisen, dass ein deutliches Kostenrisiko (insbesondere auch auf den eigenen Anwaltskosten sitzen zu bleiben) besteht und bis auf Ihren Aufsatz keine gesicherte Rechtsprechung - etwa zu den von Ihnen postulierten "Nachbesserungsmöglichkeiten" nach 86 Abs. 3 VwGO und damit zu einem erst einmal auf Kante gestrickten Klageerzwingungsantrag in der Hoffnung auf Hinweise des Gerichts - existiert. 

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Mich würde interessieren, wie der "Sprung" von der StPO in die VwGO zustande kommt.

Aus dem Bauch heraus würde ich davon ausgehen, dass höchstens die Vorschriften der StPO verfassungskonform auszulegen sind. Die Anwendbarkeit der VwGO verwundert etwas, denn für den Strafprozess gibt es ja die StPO.

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Das Ermittlungs-Erzwingungsverfahren ist seit 1981 anerkannt. Die erste Entscheidung in dieser Richtung war eine Entscheidung des OLG Zweibrücken. Seit 1981 folgten dem zahlreiche weitere OLGe. Im übrigen darf ich Sie in diesem Zusammenhang auf den einschlägigen Wikipedia-Artikel mit diesem Titel verweisen.  

Und nun zum "Sprung" von der StPO in die VwGO: Noch einmal vorab meine Bitte: Lesen Sie bitte zunächst meinen Aufsatz, das macht die Diskussion einfacher.

Das Verfahren nach den §§ 172 ff StPO ist seiner Funktion und Struktur nach ein Verwaltungsprozess. Der Verletzte steht einer Behörde, der StA, gegenüber, der Beschuldigte bleibt - jedenfalls im Verfahren gem. §§ 172 ff StPO - außen vor. Den Rest lesen Sie bitte in meinem Aufsatz nach. 

 

 

Ich beantworte Ihnen Ihre Frage - diesmal in anderen Worten - noch einmal:

Es macht für die Eltern der Getöteten durchaus einen Unterschied, ob sie - folgt man meinem Vorschlag - eine eigene Aktivität entfalten können und kraft der eigenen Aktivität die StA zu weiteren Ermittlungen zwingen können. Oder ob die Eltern der Getöteten die Hände in den Schoß legen müssen und darauf warten müssen, ob sich die StA doch noch zu irgend etwas aufraffen kann.

So wie sich die Dinge in dieser Causa seit 2010 entwickelt haben, erscheint es auch für die Eltern der Getöteten nicht völlig fernliegend, sich die Frage zu stellen, ob die StA auch tatsächlich alle Ermittlungsansätze gegenüber allen Beschuldigten - insbesondere gegenüber den Beschuldigten bei den Behörden - verfolgt hat. Meinen Sie nicht auch, dass es, sagen wir einmal "unbefriedigend" wäre, wenn sich die Eltern der Getöteten weiterhin der Allweisheit und der Alllwissenheit staatlicher Behörden ausliefern müssten?     

 

 

Sehr geehrter Herr Würdinger,

mit allem Verlaub: Das ist mir zu allgemein. Ich bevorzuge konkrete Schlussfolgerungen in der Sache.

Es hilft nämlich leider keinem Angehörigen, wenn man ihn animiert zu versuchen, die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen zu verjährten Taten zu zwingen. Das bringt nur Frust, wenn dann die Standard-Ablehnung kommt, sei es nach der VwGO oder der StPO.

Anders wäre das natürlich, wenn einer der Angehörigen den Weg bereits in unverjährter Zeit beschritten hättte. Je nach damaliger Reaktion der Staatsanwaltschaft könnte die Verjährung ja durch Maßnahmen unterbrochen sein, aber das kann ich nicht beurteilen und möchte es an dieser Stelle auch nicht vertiefen.

Ich stimme übrigens völlig mit Ihnen überein, dass die Behandlung der Sache durch Staatsanwaltschaft und Justiz für die Angehörigen völlig frustrierend und für uns alle beschämend ist. Auch hat Ihre Idee, den Weg über das Verwaltungsrecht zu gehen, durchaus ihrem Charme. Ich habe schließlich ursprünglich mal gelernt, dass auch das Strafrecht Teil des öffentlichen Rechts ist (siehe z.B. hier). Aber da bohren Sie dicke Bretter. Viel Glück!

Den Kardinalfehler, was die Gestaltung des Ermittlungsverfahrens angeht, hat meiner und anderer Meinung nach (siehe hier, hier und hier) die Staatsanwaltschaft gemacht, indem sie sich ohne Not auf die falschen (oder jedenfalls nicht alle richtigen) Personen beschränkt und die weitere Strafverfolgung der Übrigen faktisch unmöglich gemacht hat.

Und dies ist der eigentliche Skandal und gibt, so traurig das für die Angehörigen ist, den heutigen Zustand des Rechtsstaates vermutlich ganz gut wieder. Denn die Versäumnisse geschahen - auch wenn Verschwörungstheorien das gelegentlich anders sehen - höchstwahrscheinlich aus reiner Überforderung mit der Größe der Aufgabe: Zu wenig Leute, zu wenig Mittel, zu wenig Sachverstand und eine bedauerliche Fehlinvestition der vorhandenen Talente.

Grüß Gott Herr Eßer,

die Diskussion scheint sich also auf die Frage der Verjährung zu fokussieren. Ich erkläre das ein bisschen ausführlicher, damit auch Nicht-Juristen unserer Diskussion folgen können:

Man mus für jeden Beschuldigten die Verjährung separat untersuchen. Die Dauer der Verjährung ab Tatbeginn hängt dabei von zwei Faktoren ab: Erstens von der Schwere der Straftat und zweitens davon, was die StA zur Unterbrechung der Verjährung getan hat.  Um das "Ergebnis" vorwegzunehmen: Beide Faktoren könnten - je nach konkretem Beschuldigten - mehr oder minder klärungsbedürftig sein.

Bei dem Faktor "Schwere der Straftat" kommen - je nach konkretem Beschuldigten . m.E. vor allem drei Straftatbestände in Betracht: Fahrlässige Tötung § 222 StGB, Körperverletzung mit Todesfolge § 227 StGB oder auch Totschlag § 212 StGB. Welcher dieser drei Tatbestände vorliegen könnte, hängt zentral vom subjektiven Tatbestand ab. Es ist die Frage - wie immer je nach konkretem Beschuldigten - ob sich ein etwaiger bedingter Vorsatz nur auf die Körperverletzung oder etwa auch auf die Tötung bezieht. Der bedingte Vorsatz - sei es in Bezug auf die Körperverletzung, sei es in Bezug auf die Tötung - hängt von einem kognitiven Element und von einem voluntativen Element ab. Und das muss für jeden einzelnen Beschuldigten separat untersucht werden! Es ist also im Ergebnis alles andere als eine "ausgemachte Sache", dass hinsichtlich jedes Beschuldigten die Verjährungsfrist zum 24.7.2015 schon abgelaufen ist.     

 

Werte Herren Juristen, 

was bitte soll die Staatsanwaltschaft nun denn noch ermitteln?

Bzw. welche Ergebnisse erwarten Sie von weiteren Ermittlungen?

In Duisburg hat man 3,5 Jahre in die falsche Richtung geguckt. Ob da jemand im Hintergrund gesteuert hat  wird die Öffenlichkeit nur erfahren wenn die Gereralstaatsanwaltschaft Düsseldorf die Beiakte zugänglich macht.

Man kann in diesem Fall davon ausgehen, dass dort ähnlich des NSU -Verfahrens alles Schändliche bereits geschreddert ist.

Wenn ich als Laie , die Veröffentlichung der Richter von Landgericht richtig verstehe, gibt es nochnicht einmal begründbare Tatverdächtigungen für die von der Staatsanwaltschaft angeschuldigten Personen.

Das deutet doch wohl darauf hin, dass die Anklageschrift ein fehlerhaftes Machwerk ist.

Ohne eine Verschwörungstheorie entwickeln zu wollen, meines Erachtens hat man Personen angeschuldigt deren Aussagen auf die wirklich Verantwortlichen hindeuten könnten und was gibt es Geschickteres als jemand zu strafrechtlich zu beschuldigen, dann nimmt er sein Schweigerecht in Anspruch und die wirklichen Geschenisse bleiben verschleiert.

Das führt man so lange fort, bis die Verjährung eintritt und die Verantwortlichen  aus dem Schneider sind.

Über das Gutachten haben die befassten Richter offensichtlich sehr lange nachgedacht, alles versucht es verwendbar zu machen, aber offensichtlich sind sie an der völligen Unfähigkeit des Herren aus England gescheitert und mussten erkennen, dass der Mann unzulänglich gearbeitet hat.

Offensichtlich läßt sich ein Tatverdacht gegen die derzeit Angeschuldigten ohne  das Gutachten aus England nicht begründen.

Von daher hat die Staatsanwaltschaft offensichtlich in 3,5 Jahren nichts gefunden was den Angeschluldigten vorzuwerfen wäre.

Nochmal meine Frage was sollten weitere Ermittlungen für ein Ergebniss hervorbringen?

Irgendwo habe ich gelesen, dass nun der Generalstaatsanwalt NRW die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Duisburg eingefordert hat und sich vorbehält nach einer Prüfung selbst zu entscheiden ob die Beschwerde am OLG wirklich geführt wird.

 

Man will sich offensichtlich nicht ein zweites Mal blamieren.

 

 

 

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Mit Leser schrieb:

[...] Irgendwo habe ich gelesen, dass nun der Generalstaatsanwalt NRW die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Duisburg eingefordert hat und sich vorbehält nach einer Prüfung selbst zu entscheiden ob die Beschwerde am OLG wirklich geführt wird.

Man will sich offensichtlich nicht ein zweites Mal blamieren.

Werter Mit Leser,

nur zu diesem Teil: Das ist das völlig normale Vorgehen und taugt zu keinerlei Spekulation.

Um Ihre Frage zu beantworten: Es gibt für die StA noch sehr viel zu tun, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Zunächst muss die StA schleunigst die drohende Verjährung gegenüber allen in Betracht kommenden Beschuldigten in prozessual wirksamer Weise unterbrechen. Allen voran gegenüber dem seinerzeitigen OB. Zweitens muss unbedingt ein zweites Gutachten von einem zweiten Sachverständigen in Auftrag gegeben werden. Der zweite Gutachter sollte zumindest über Grundkenntnisse des Kommunalrechts des Bundeslandes NRW verfügen. Das sind in Stichworten nur die wichtigsten Punkte, was es für die StA vorrangig zu tun gibt.       

Ich warte immer noch auf fachliche Einwände gegen meinen Aufsatz "Die Zeitenwende im Klageerzwingungsverfahren, HRRS 2016. 29 ff. Bisher kam nur der sozusagen "quantitative Einwand", mein Aufsatz sei die berühmt-berüchtigte "andere Ansicht". Um Ihnen das Scrollen zu ersparen, hier noch einmal der Link auf meinen Aufsatz:

 

http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/16-01/index.php?sz=9

 

Ich bin, wie gesagt, gespannt auf fachliche Einwände.

 

 

Die Diskussion zu den Rechtsfragen begreife ich als Journalist, der seit 2010 am am Geschehen und den Geschädigten ist nur teilweise.

Einige Anmerkungen:
Neben den Hinterbliebenen der 21 Toten geht es auch um die zahlreichen Verletzten und Traumatisierten.
Die hatten gehofft ihre Schadenersatzansprüche im Adhäsionsverfahren durchsetzen zu können.

Der Inhaber / Geschäftsführer der Lopavent GmbHund der Duisburger OB sind nie als Beschuldigte geführt worden.
Es ist ein großes Gerücht, dass der OB die städtischen Angestellten gezwungen hätte, unrecht zu handeln.
Dessen bedurfte es nicht.

Interessant ist wer zunächst als Beschuldigter geführt wurde aber nicht in die Anklageschrift kam:

Das war der der oberste Einstzleiter der Polizei für diesen Nachmittag.

Bei der Stadt alle Angestelten der Ordnungsverwaltung und des Bezirksamtes, die den Teil der Genehmigung für das Straßenland von der Vereinzelungsanlage erteilt hatten.

Im Bereich des Veranstalters: der für den Eingangsbereich zuständige Psychologe und "Crowd Manager".
der einzige übrigens, der bis zu diesem Zeitpunkt nicht anwaltlich vertreten war, auch auf die Beistellung eines Pflichtverteidigers verzichtete und von Anfang an umfangreich aussagte.

In diesem Fall, aber auch im NSU Verfahren erlebe ich eine Chancenunglichheit zwischen Nebenklage und Verteidigung.

Die Verteidigung konnte finanziert von Stadt Duisburg und Lopavent / Schaller  / McFit Millionen Euro ausgeben, eigene Gutachten in Auftrag geben und umfangreicher PR Strategien abfeuern.
Dem hat man als Geschädigter nichts entgegen zu setzen. Auch wenn man anwaltlich vertreten ist.
Kein Nebenklageanwalt kann sich im bisherigen Verfahren auf den gleichen Stand lesen wie die Verteidigung lesern, selbst wenn er von seinen Mandanten schon in dieser Phase eine Honorierung erhält.

Dies als erste Anmerkung

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Grüß Gott Herr Evers,

es geht mir um ein Verfahren nach den §§ 172 ff StPO, das ist ein anderes Verfahren als eine Nebenklage oder ein Adhäsionsverfahren.

Einen Absatz lang zählen Sie m.E. in der Tat diejenigen Beschuldigten auf, gegenüber denen die StA jetzt schleunigst die Verjährung unterbrechen sollte.

Verjährung unterbrechen, auf welcher Grundlage?

Die Staatsanwaltschaft Duisburg vermerkt hierzu ausdrücklich in ihrer Pressekonferenz Zitat: „Es besteht kein Grund, Ermittlungen gegen weitere Personen einzuleiten. Dies betrifft insbesondere den damaligen Oberbürgermeister der Stadt Duisburg und den Geschäftsführer der Veranstalterin. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie selbst Einfluss auf die fehlerhafte Planung oder die Erteilung der rechtswidrigen Genehmigung genommen haben.“

 

 

"Keine Anhaltspunkte" ist natürlich ein Witz. Es liegt in Wahrheit der Anfangsverdacht, der die StA zur förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens verpflichtet, offen sichtbar auf der Hand. 

Tatsächlich aber spricht vieles dafür, das gerade das dreieinhalb jährige staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren Rainer Schaller und Adolf Sauerland rehabilitiert hat. In diesen Jahren haben 5 Staatsanwälte aus Duisburg, über achtzig Sonderermittler der Kriminalpolizei Köln sowie im Anschluss die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf 37.000 Seiten Ermittlungsakten gesichtet. Auf keiner der Seiten findet sich belastbares Material, um gegen Schaller oder Sauerland zu ermitteln, oder gar Anklage zu erheben.

Grüß Gott Herr Rohn,

wie, bitte, kommen Sie zu Ihrer Einschätzung? Haben Sie die 37.000 Seiten Ermittlungsakten höchstpersönlich durchgearbeitet? Wollen Sie sich, ohne die Akten im einzelnen zu kennen, blindlings der  Bewertung der StA anschließen? 

Neben der Staatsanwaltschaft Duisburg lag der Entwurf der Anklageschrift auch der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf vor in 2013, die bis Januar 2014 geprüft hat,  ob tatsächliche eine entsprechende Anklage erhoben werden soll.

Bevor Sie weitere Kommentare zu diesem Thema verfassen, sollten Sie sich zunächst mit dem juristischen Inhalt des Begriffs "Anfangsverdacht" auseinandersetzen. Bis dahin werde ich weitere Kommentare von Ihnen nicht mehr beantworten.

Danke für den Hinweis. Bis  dahin kann man meine Veröffentlichung zum Thema, eingestellt im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, unter http://d-nb.info/1047837617/34 studieren.

U.U. muss man sich auch schon Gedanken über den § 258a StGB, Strafvereitelung im Amt, in Richtung auf die Bediensteten der StA machen: Wenn sich später herausstellen sollte, dass in Hinblick auf Beschuldigte, bei denen der Anfangsverdacht auf der Hand lag, Verjährung bereits zum 24.7.2015 eingetreten sein sollte, müsste man v.a. den subjektiven Tatbestand des § 258a StGB prüfen.

Und an dieser Stelle spielt zum wiederholten Male die Tennessee Eisenberg-Entscheidung des BVerfG vom 26.6.2014 eine entscheidende Rolle: Der 26.6.2014 ist nämlich - wie schon erwähnt - quasi der Geburtstag des "Anspruch auf Strafverfolgung Dritter" (so lautet jedenfalls der einschlägige Wikipedia-Artikel). D.h., dass sich die StA bereits ein gutes Jahr vor Eintritt der Verjährung diesem Rechtsanspruch der Verletzten ausgesetzt sah. Die Tennessee Eisenberg-Entscheidung wurde seinerzeit besprochen in NJW-Spezial 2015, 57, also Anfang 2015, also ein gutes halbes Jahr vor Eintritt der Verjährung. Auch die Nachfolge-Entscheidungen des BVerfG zur Tennessee Eisenberg-Entscheidung - die allesamt durch die juristische Fachpresse gingen - datieren alle vor Ablauf der Verjährung zum 24.7.2015.

 

        

Kann unsubstantiiert möglicherweise mit § 344 StGB kollidieren, wenn allein nur ermittelt wird, um die strafrechtliche Verjährung zu durchbrechen.

Mit dem juristischen Inhalt des Begriffs "Anfangsverdacht" habe ich mich seinerzeit bei meinem Studium an der Juristischen Fakultät der RUB auseinandersetzen dürfen und ich vermute, dass diese Kenntnis bei den Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft Duisburg und der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf auch vorliegt. Fehlender Sachverstand oder Strafvereiltelung im Amt sind für mich in dem Fall nicht nachvolziehbar, da bis dato lediglich die subjektiv wertende Aussage vorliegt, ein Anfangsverdacht würde "auf der Hand liegen".

Auch ich lerne gerne jeden Tag hinzu besonders mit Blick auf meine Berichterstattung in der Sache. Nur leider fehlt mir bis jetzt bedauerlicherweise die schlüssige argumentative Unterfütterung.

Grüß Gott Herr Rohn

im Moment dreht sich die Diskussion um die Frage, wie es prozessual weitergehen soll. Es gibt da für die Prozessbeteiligten, nicht zuletzt für die juristische Vertretung der Eltern der Getöteten, verschiedene prozessuale Möglichkeiten, die sich sehr grundsätzlich unterscheiden. Um eine sachgerechte Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen zu können, muss man sich mit den verschiedenenen zur Verfügung stehenden Verfahrensarten wirklich gut auskennen. Ich vermag in diesem Zusammenhang gegenwärtig noch nicht so recht zu erkennen, inwiefern Ihre Kommentare zu dieser fachlichen Diskussion - in der es im Kern um rein prozessuale Fragen geht -  irgend einen Fortschritt erbringen könnten.      

§ 210 StPO beinhaltet die Rechtsmittel gegen den Eröffnungs- oder Ablehnungsbeschluss. Die sich daraus ergebenden Möglichkeiten sind sehr übersichtlich.

Nach dem Kommentar von Herrn Rohn, dem Journalisten, wieder zurück zu einem konkreten Vorschlag, wie die juristische Vertretung der Eltern der Getöteten das Verfahren mit Aussicht auf Aufklärung - das ist ja das, was die Eltern der Getöteten erreichen wollen - weiter betreiben können. 

Auf dem Tisch liegt der Vorschlag, ein sog. Ermittlungs-Erzwingungsverfahren zu betreiben. Grundlage für dieses Verfahren sind die §§ 172 ff StPO. Der Antrag zum gem. § 172 IV StPO zuständigen OLG richtet sich nicht auf Anklageerhebung, sondern auf weitere Ermittlungen der StA. Dass zunächst weitere Ermittlungen der StA notwendig sind, scheint ohnehin die hier überwiegend vertretene Einschätzung zu sein. Die Wahl des Verfahrens nach den §§ 172 ff StPO  scheint damit tatsächlich der Sachlage am besten zu entsprechen.      

Unter der markigen Überschrift "Keine Schuldigen erfinden" ist in die WAZ ein Artikel eingestelt worden. Nachzulesen - ziemlich dominierend -  im Netz.  Die Fraktion, die die Aufklärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit mit aller Macht unter den Teppich kehren will, funktioniert offenbar ganz hervorragend.

Diese Fraktion verfügt offenbar über sehr viel Geld und über ausgezeichnete Beziehungen. Recht viel anders sind solche Nonsens-Artikel wie "Keine Schuldigen erfinden" nicht recht erklärbar.   

@ Herr Würdinger,

 

könnten Sie bitte einmal erläutern, wer mit wem über Ihres Erachtens gute Beziehungen verfügt, um eine Aufklärung unter den Teppich kehren zu können?

Liegt nicht zur Zeit ein Gerichtsbeschluss diesbezüglich vor?

Gehören die Richter nach Ihrer Einschätzung auch zu diesem

"Beziehungsgeflecht"?

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Welche konkreten Personen zu diesem - wie Sie sich ausdrücken - Beziehungsgeflecht gehören, kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Ich selbst habe keinerlei Verbindungen in das Bundesland NRW.

Hier ist der Link zum von Alexander Würdinger erwähnten Artikel "Keine Schuldigen erfinden.
http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/loveparade-prozess-keine-schuld...
Er enthält ein Zitat von Gereon Wolters, Professor für Strafrecht an der Ruhr Universität Bochum:

"Das ist eine mutige Entscheidung des Gerichts. ch glaube nicht, dass sich das Gericht die Entscheidung leicht gemacht hat. Die Kammer hat jetzt natürlich den 'schwarzen Peter', aber sie dürfte dem öffentlichen Druck standhalten. Wir wollen alle einen Schuldigen, aber wenn wir keinen finden, dann dürfen wir auch keinen erfinden".

 

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Das ist ja noch diejenige Passage des Artikels, die vergleichsweise "neutral" klingt. Aber der Artikel hat insgesamt eine sehr bestimmte Tendenz, eine sehr bestimmte "Schlagseite", eine sehr bestimmte Auswahl der hervorgehobenen Gesichtspunkte. Und eben diese Tendenz läuft im Ergebnis auf ein Plädoyer für das klassische Unter-den-Teppich-kehren hinaus.  

Fassen wir mal zusammen: Die so genannte "fachliche Diskussion" mündet derzeit in der Vermutung,  eine Fraktion mit sehr viel Geld und über ausgezeichnete Beziehungen führe ein Plädoyer für das klassische Unter-den-Teppich-kehren. Dagegen wird gehalten §§ 172 ff StPO und angenommen, damit tatsächlich die Grundlage zu haben, die Staatsanwaltschaft zu weiteren Ermittlungen zu veranlassen.

Aber was eine Zeitung schreibt, ist ja eigentlich nicht ein relevanter Gegenstand eines juristischen Diskurses. Ich möchte deshalb wieder auf die Frage zurückkommen, was jetzt richtigerweise prozessual als nächster Verfahrensschritt zu geschehen hat. Und da habe ich immer noch keinen fachlich begründeten Einwand gegen meinen Vorschlag des weiteren Vorgehens  gesehen.  

 

 

RA Würdinger schrieb:

[...] Und da habe ich immer noch keinen fachlich begründeten Einwand gegen meinen Vorschlag des weiteren Vorgehens gesehen.  

Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Würdinger,

leider doch: Es dürfte schwierig werden, die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen in verjährten Tatvorwürfen zu zwingen (s.o.). Ich habe dazu zwar eine andere Meinung als die Staatsanwaltschaft, aber ein Vorsatz dürfte tatsächlich schwierig nachzuweisen sein. Dass alle zumindest darauf gehofft haben, dass es gutgehen wird, wird man ihnen nur schwer widerlegen können.

 

Und ganz konkret: Wie sollte das Klageerzwingungsverfahren denn aussehen? Ein Antrag "...wird die Staatsanwaltschaft verpflichtet, bei den Beschuldigten A, B und C die Wohnungen, Geschäftsräume und Fahrzeuge zu durchsuchen, um Dokumente aufzufinden, die belegen, dass die Beschuldigten in ihrer Planung den Tod von Menschen billigend in kauf genommen haben" dürfte zu unkonkret sein. Und alles andere wird ohne Akteneinsicht schwierig. Und wer soll das alles leisten?

 

Aber noch etwas ganz anderes: Mit der Wertung der Staatsanwaltschaft zur fehlenden Verantwortlichkeit des Veranstalters bin ich - wie schon ausgeführt - auch nicht einverstanden. Hat denn jemand mal die Geldströme untersucht? Wie war das Budget? War das der Lopavent GmbH vorgegeben? Ließ sich das geplante und genehmigte Konzept (Lautsprecher, Schilder, Pusher, Crowd-Management) mit dem vorgegebenen Budget verwirklichen? Wenn die Antwort an diese Stelle nein oder "gehofft ja" lautet, würde ich zumindest mal irgendeinen Anfangsverdacht gegen den Veranstalter sehen. Weiß jemand, ob dazu etwas ermittelt wurde?

 

Und wenn man dann bei der Staatsanwaltschaft etwas juristischen Mut gehabt hätte und der Rechtsprechung vom "Täter hinter dem Täter" und der "Täterschaft kraft Organisationsherrschaft" etwas mehr Beachtung geschenkt hätte, wären die weiteren Schritte wahrscheinlich gar nicht so schwierig oder kompliziert gewesen. Ganz abgesehen davon, dass ich - wenn ich denn Staatsanwalt gewesen wäre - den Anfangsverdacht bereits nach dem Betrachten des Live-Interviews mit Herrn Schaller am Tattag um 16:45 Uhr nicht wirksam hätte ignorieren können. Aber da kann man offensichtlich anderer Meinung sein, und wir sind ja auch nicht bei den Naturwissenschaften...

 

 

Es ist mal wieder an der Zeit, gegen Ende der Seite einen Link auf meinen Aufsatz "Die Zeitenwende im Klageerzwingungsverfahren", HRRS 2016, 29 ff zu setzen. In der Einleitung des Aufsatzes habe ich, in Aufzählung der Anwendungsfälle, übrigens damals schon auf die juristische Aufarbeitung der Loveparade hingewiesen.

 

http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/16-01/index.php?sz=9

Grüß Gott Herr Eßer,

sind wird uns darüber einig, dass eine Antragsschrift im Verfahren nach den §§ 172 ff StPO die Zulässigkeitshürde schafft? Gut. Dann sind wir bei Fragen der Begründetheit. Sind wir uns darüber einig, dass das OLG - bei Mängeln der Antragsschrift - verpflichtet ist, ggf. richterliche Hinweise gem. § 86 III VwGO analog zu erteilen? Gut. Dann sind wir bei der Frage nach hinreichend konkreten einzelnen Anträgen. Sind wir uns darüber einig, dass das OLG - wieder gem. § 86 III VwGO analog - auf eine sinnvolle und korrekte Antragstellung der Verletzten hinwirken muss? Gut. Dann sind wir, erst jetzt, bei den prozessualen Problemen, die Sie in Ihrem Kommentar völlig zu Recht ansprechen. Und bei den konkreten einzelnen Anträgen denke ich in erster LInie an die Beantragung eines zweiten Gutachtens. In zweiter Linie denke ich bei den einzelnen konkreten Anträgen daran, dass (sinngemäß) die StA dazu verpflichtet wird, in Hinblick auf die Verjährung zu retten, was noch zu retten ist. Weitere konkrete Anträge sind dem prozessualen Geschick der Verletzten bzw. ihrer Vertretung überlassen.       

Vor allem sollte jetzt die Vertretung der Verletzten im Rahmen des bereits beim OLG anhängigen Verfahrens zu einer richtiggehenden Klageänderung schreiten: Anstatt, wie bisher, im Gleichschritt mit der StA die bestehende Anklageschrift zu verteidigen, sollte die Zielrichtung der Prozessanträge der Verletzten geändert werden: Nunmehr sollten die Prozessanträge der Verletzten darauf zielen, die StA zu weiteren Ermittlungen zu veranlassen. Eine solche Klageänderung entspricht auch den Erfordernissen der Prozessökonomie: Die Akten liegen bereits beim OLG, das OLG ist auch gem. § 172 IV StPO für das Verfahren nach den §§ 172 ff StPO zuständig. Also kann das OLG auch - nach Änderung der Zielrichtung der Prozessanträge der Verletzten - im Verfahren nach den §§ 172 ff StPO verhandeln und nachfolgend entscheiden.    

Im Verfahren nach den §§ 172 ff StPO herrscht Anwaltszwang, § 172 III 2 Hs. 1 StPO. Mit flotten Interviews wird diese juristische Arbeit schon mal nicht geleistet. Flotte Interviews ersetzen keinen seriösen Prozessvortrag. Flotte Interviews sind keine lege artis angefertigten Anwaltsschriftsätze.      

Das ist nicht "differenzierter" sondern - inhaltlich - der Stand vom 1.2.1877, als das Verfahren gem. §§ 172 ff StPO in die seinerzeit neu geschaffene StPO aufgenommen wurde. Burhoff tut so - wider besseres Wissen! - als habe sich seit dem 1.2.1877 prozessual keinerlei Fortentwicklung ergeben.

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