BAG erneut zur Massenentlassung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 21.03.2016
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtKündigungMassenentlassung|3726 Aufrufe

Die neuere Rechtsprechung des BAG differenziert bei Massenentlassungen sehr deutlich zwischen den verschiedenen Pflichten, die § 17 KSchG dem Arbeitgeber auferlegt. In Absatz 2 dieser Bestimmung ist ein Konsultationsverfahren normiert, das den Arbeitgeber verpflichtet, dem Betriebsrat vor einer geplanten Massenentlassung rechtzeitig die zweckmäßigen Auskünfte unter Angabe der in den Ziffern 1 bis 6 genannten Angaben zu erteilen. In Absatz 1 und 3 sind dagegen die Anzeigepflichten gegenüber der Agentur für Arbeit statuiert. Das Konsultationsverfahren steht selbständig neben dem Anzeigeverfahren. Beide Verfahren dienen in unterschiedlicher Weise der Erreichung des mit dem Massenentlassungsschutz verfolgten Ziels.

Jedes dieser beiden Verfahren stellt ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis für die im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erfolgte Kündigung dar. § 17 Abs. 2 KSchG einerseits und § 17 Abs. 1 i.V. mit Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 KSchG andererseits sind zwei unterschiedliche Verbotsgesetze, die bei Verstößen gegen die gesetzlichen Anforderungen jeweils unabhängig voneinander zur Unwirksamkeit der Kündigung führen (für das Anzeigeverfahren BAG vom 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, NZA 2013, 845; für das Konsultationsverfahren BAG vom 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, NZA 2013, 966).

Das bedeutet für den Arbeitnehmer, dass er im Kündigungsschutzprozess zwei unterschiedliche Rügen erheben muss, wenn er sich darauf berufen will, der Arbeitgeber habe beide Obliegenheiten verletzt. Allein die Behauptung der Verletzung der Anzeigepflicht gegenüber der Arbeitsagentur beinhaltet noch nicht die Rüge eines fehlerhaften Konsultationsverfahrens. Ist der Arbeitnehmer erstinstanzlich ordnungsgemäß nach § 6 KSchG belehrt worden, kann er vor dem Landesarbeitsgericht eine in erster Instanz unterlassene Rüge nicht mehr nachholen. Ist das Konsultationsverfahren gänzlich unterblieben, kann der Arbeitnehmer mit einer nur auf die Verletzung der Anzeigepflicht gestützten Rüge gleichwohl Erfolg haben, weil zur ordnungsgemäßen Anzeige gegenüber der Arbeitsagentur nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG auch die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats gehört.

Aus diesen Gründen hat das BAG entschieden:

1. bis 5. …

6. Das in § 17 Abs. 2 KSchG geregelte Konsultationsverfahren einerseits und die in § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG geregelte Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit andererseits sind zwei getrennt durchzuführende Verfahren und stellen jeweils ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis für die im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erfolgte Kündigung dar. Darum ist der Arbeitnehmer, der in der ersten Instanz lediglich Mängel hinsichtlich des einen Verfahrens geltend macht, mit Rügen von Mängeln des anderen Verfahrens in zweiter Instanz präkludiert, sofern ein ordnungsgemäßer Hinweis nach § 6 Satz 2 KSchG erfolgt ist.

7. Die Pflicht des Arbeitgebers, gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG der Anzeige die Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen bzw. diese nach den in § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG geregelten Grundsätzen zu ersetzen, ist Teil des Anzeigeverfahrens.

BAG, Urt. vom 20.1.2016 – 6 AZR 601/14, BeckRS 2016, 67000

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