Sperrfristverkürzung: Auch ohne "extra-Kurs" möglich!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.01.2016
Rechtsgebiete: SperrfristverkürzungStrafrechtVerkehrsrecht1|10958 Aufrufe

Es ist immer noch erstaunlich, wie wenige Sperrfristverküzungsanträge es in der Praxis gibt. Möglich ist dies nach § 69a Abs. 7 StGB: „Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so kann das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre drei Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein Jahr gedauert hat; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend.“

Hier mal wieder ein Fall, in dem ein derartiger Antrag erfolgreich gestellt wurde und zwar ohne den oft obligatorisch geforderten Kurs:

Die mit Strafbefehl des Amtsgerichts Kehl vom 20.04.2015, Aktenzeichen 2 Cs 206 Js 4523/15, verhängte Sperre für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis wird mit sofortiger Wirkung aufgehoben.
Gründe
I.
1Mit dem im Tenor bezeichneten Strafbefehl wurde dem Verurteilten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von neun Monaten festgesetzt. Der Strafbefehl ist rechtskräftig seit dem 09.05.2015. Bereits am Tattag, dem 19.03.2015, wurde der Führerschein des Verurteilten sichergestellt. Die Sicherstellung dauerte bis zur Rechtskraft des Strafbefehls fort.
2Am 14.12.2015 beantragte der Verurteilte eine Verkürzung der Sperrfrist für die Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis. Zur Begründung seines Antrags legt er eine Bestätigung über die erfolgreiche Teilnahme an einem vom TÜV ... angebotenen Kurs „Plus 70“ für alkoholauffällige Kraftfahrer zur Wiederherstellung der Fahreignung vom 10.11.2015 bis 03.12.2015.
Am 09.12.2015 erteilte ihm die Führerscheinbehörde des Landratsamts ... eine sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach verkürzter Sperrfrist, wobei Voraussetzung der Nachweis über den Besuch eines Kurses nach „Modell Mainz 77“ oder „I.R.A.K.S.“ sei.
Die Staatsanwaltschaft trat mit Entschließung vom 18.12.2015 einer vorzeitigen Aufhebung der Fahrerlaubnissperre entgegen. Eine Teilnahme am Kurs „Plus 70“ sei nicht ausreichend. Das Zertifikat „Plus 70“ diene lediglich als Beleg eines positiven Bescheids der medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU).

II.
Die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis an den Verurteilten ist gemäß § 69a Abs. 7 StGB mit sofortiger Wirkung aufzuheben, weil der Verurteilte Umstände dargetan und glaubhaft gemacht hat, die Grund zu der Annahme geben, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, und die Mindestdauer der Sperre von drei Monaten (§ 69a Abs. 7 S. 2 StGB) eingehalten ist.
Die Aufhebung der Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis hat zu erfolgen, wenn eine auf neuen Tatsachen gestützte hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich der Verurteilte im Straßenverkehr nicht mehr als gefährlich erweisen wird. Die Beurteilung dieser Wahrscheinlichkeit darf dabei nicht schematisch erfolgen, sondern muss sämtliche, allein täterbezogene Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Sind solche Umstände festzustellen, steht dem Gericht kein Ermessen zu (vgl. näher zu den Voraussetzungen der vorzeitigen Aufhebung der Sperre AG Kehl, Beschluss vom 21.03.2014 - 2 Cs 206 Js 15342/13 -, Blutalkohol 51, 182, m. w. N.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt:
Mit der vorgelegten Bestätigung über die Teilnahme am Kurs „Plus 70“ wird dem Verurteilten bescheinigt, dass er regelmäßig und pünktlich für insgesamt zwölf Stunden an allen Terminen teilgenommen habe, alle im Kursprogramm vorgesehenen Themen mit dem Verurteilten aktiv in und mit der Gruppe bearbeitet worden seien, die Kursaufgaben in und zwischen den Sitzungen erfüllt worden seien und die Teilnahme des Verurteilten am Gruppengeschehen aktiv gewesen sei. Mit der Bescheinigung wird die Erwartung geäußert, dass die Anlass gebende Thematik individuell aufgearbeitet habe werden können und dass beim Verurteilten eine hohe Motivation gegeben sei, das im Kurs Erlernte nunmehr in der Praxis umzusetzen. Es sei deshalb davon auszugehen, dass durch die erfolgreiche Kursteilnahme die Wahrscheinlichkeit, erneut durch ein Trunkenheitsdelikt aufzufallen, deutlich reduziert sei.
Der Verurteilte ist mit der durch den Strafbefehl abgeurteilten Tat erstmals und bisher einmalig strafrechtlich in Erscheinung getreten. Über Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr, insbesondere im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol oder Betäubungsmitteln ist dem Gericht nichts bekannt.
Anhaltspunkte, die den Schluss auf einen, insbesondere noch andauernden, Alkoholmissbrauch des Verurteilten hindeuten würden, sind nicht ersichtlich, auch wenn die Alkoholisierung des Verurteilten bei der Tat mit 1,41 Promille nicht unerheblich und bedenklich hoch war.
Unter Berücksichtigung der Sicherstellung des Führerscheins des Verurteilten am 19.03.2015 ist es dem Verurteilten bereits seit über neun Monaten verwehrt, fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen. Damit ist davon auszugehen, dass der Verurteilte eindrucksvoll gespürt hat, welche persönlichen Einschränkungen bestehen, wenn er nicht über eine Fahrerlaubnis verfügt.
Für die Frage der vorzeitigen Aufhebung der Sperre nach § 69a Abs. 7 StGB ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, ob die Führerscheinbehörde eine sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt oder diese an bestimmte Bedingungen geknüpft hat. Eine solche Unbedenklichkeitsbescheinigung ist keine Voraussetzung für die Aufhebung der Sperre (LG Offenburg, Beschluss vom 26.06.2015 - 3 Qs 75/15 -, juris).
Die vorzeitige Aufhebung der Sperre hängt auch nicht von der Absolvierung eines bestimmten Kurses ab. Das Gesetz schreibt keine bestimmten Maßnahmen zur Wiedererlangung der Fahreignung vor. Entscheidend ist allein, welchen Inhalt der vom Verurteilten besuchte Kurs hat und ob die von ihm durchgeführte Maßnahme den notwendigen Erfolg hinsichtlich seiner Fahreignung verspricht. Dies ist beim Kurs „Plus 70“ des TÜV ... offenbar der Fall.

AG Kehl, Beschluss vom 22.12.2015 - 2 Cs 206 Js 4523/15

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1 Kommentar

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Gem. § 3 Abs. 4 StVG ist die Verwaltungsbehörde an die Beurteilung der charakterlichen Eignung eines Straftäters durch das Strafgericht gebunden.

Zitat: Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist . . . . . .

Fraglich ob dies auch wie in o.g. Fall nach Erlass eines bereits wirksamen Strafbefehls anwendung findet.

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