Jobcenter streitet mit Hartz-IV-Empfänger um zehn Cent bis zum Bundessozialgericht

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 12.01.2016

Kopfschütteln ruft ein Vorgang hervor, über den mehrere Medien (z.B. Spiegel Online) in diesen Tagen berichten. Demnach soll sich das das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel nach dem Willen des Jobcenters Unstrut-Hainich-Kreis mit einem Streit um zehn Cent befassen. Das Jobcenter war in einem Rechtsstreit mit einer Hartz IV-Empfängerin, die mehr als 100 Euro geltend machte, im Juni 2012 vom Sozialgericht in Nordhausen zur Nachzahlung von zehn Cent verurteilt worden. Dagegen legte die Behörde Berufung ein. Das Landessozialgericht in Erfurt lehnte diese jedoch ab. Die Erfurter Richter hielten es nicht für gerechtfertigt, dass wegen derart niedriger Beträge die Gerichte beschäftigt werden. Aber auch mit dieser Entscheidung gab sich das Jobcenter nicht zufrieden. Es zog nun vor das Bundessozialgericht und damit in die dritte Instanz, wie ein Gerichtssprecher mitteilte. Bereits 2013 hatte sich das Jobcenter in einem anderen Verfahren erfolglos an das Bundessozialgericht gewandt. Damals ging es um 15 Cent. Nun gibt es keinen anerkannten Grundsatz, dass man nicht auch wegen geringfügiger Beträge den Klageweg beschreiten kann (minima non curat praetor). Handelt es sich aber um staatliche Stellen oder Einrichtungen der Selbstverwaltung, die mit öffentlichen Geldern umgehen, so wird man doch erwarten dürfen, dass diese Mittel ökonomisch eingesetzt werden. Jedenfalls dann, wenn ein Jobcenter schon in erster Instanz zur Zahlung von 10 Cent verurteilt worden ist, stellt die Einlegung weiterer kostenträchtiger Rechtsmittel einen Verstoß gegen das Gebot sparsamer Haushaltsführung dar. Man könnte gar den Eindruck gewinnen, dass manche Jobcenter derzeit nicht hinreichend ausgelastet sind. Anders könnte man das nur sehen, wenn dem Rechtsstreit um die 10 Cent eine für viele weitere Verfahren präjudizielle, grundlegende Bedeutung zukommt, was sich den Presseberichten nicht entnehmen lässt. Ein Aktenzeichen ist nicht bekannt. Das BSG wird sich offenbar in naher Zukunft mit dem Rechtsstreit zu befassen haben. 

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7 Kommentare

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Bei diesen Rechtsstreitigkeiten kann man jeden verstehen, der für ein Grundeinkommen plädiert. Das wuerde den Steuerzahler entlasten, weil Dienststellen im Bereich der Jobcenter und Sozialgerichte eingespart werden könnten. Ausserdem muesste kein ALG II-Empfaenger mehr einen 450-€-Job annehmen, bei dem weder Lohnsteuer noch effektive Sozialversicherungsbeitraege bezahlt werden (müssen).

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Ganz so eindeutig scheint die Sache nicht zu sein.

Einerseits wird behauptet, der Hartz4 Empfänger habe wegen mehr als 100 Euro geklagt und schließlich 10 Cent zugesprochen bekommen. Andererseits hatte das Jobcenter 80 Prozent der Anwaltskosten des Klägers zu tragen, wie sich nachfolgend ergibt:

 

Im aktuellen Fall hatte ein Kläger das Jobcenter Unstrut-Hainich-Kreis im Jahr 2011 vor dem Sozialgericht Nordhausen wegen höheren Leistungen verklagt und bekam Recht. Es wurden 10 Cent zugesprochen und das Jobcenter verpflichtet, 80 Prozent der Anwaltskosten des Klägers zu tragen.

http://www.tlz.de/web/zgt/wirtschaft/detail/-/specific/Cent-Betrag-Jobcenter-Unstrut-Hainich-Kreis-wehrt-sich-gegen-Schelte-932526592

 

Da stimmt etwas nicht. Ich kann das Jobcenter verstehen, welches einer solchen Kostenexplosion wegen solch geringfügiger Beträge einen Riegel vorschieben wollte. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts erscheint völlig unverständlich.

Im übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde mittlerweile zurückgenommen, da die Rechtsfragen zu solch geringfügigen Beträgen mittlerweile geklärt seien.

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@ Gast #2

Ich bin im Arbeitsrecht nicht ganz firm. Wie kann es sein, dass eine Partei zu 99,9% gewinnt, aber 80% der Kosten zu tragen hat?

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Lt. Recherche in juris ist die Entscheidung des LSG Thüringen (29.10.2015, L 9 AS 1423/12) rechtskräftig; eine Revision wurde nicht zugelassen.

Das LSG hat die Berufung des Jobcenters als unzulässig mangels Rechtsschutzbedürfnis verworfen. Zur Begründung führt es u. a. aus:

Der Wert des Beschwerdegegenstandes beschränkt sich auf lediglich 0,10 €, zu deren Zahlung der Beklagte verurteilt wurden ist. Dieser Betrag ist so niedrig, dass er die Inanspruchnahme vom gerichtlichen Rechtsschutz objektiv nicht gerechtfertigt erscheinen lässt, denn ein wirtschaftlich sinnvoller Vorteil des Beklagten ist nicht erkennbar.

Das irgendwas mit der Kostenentscheidung ist, lässt sich zwar anhand der Urteilsgründe der Berufungsentscheidung vermuten. Dort heißt es:

Das Kosteninteresse hat nach der Auffassung des Senats wegen § 144 Abs. 4 SGG außer Betracht zu bleiben.

Damit stellt es sich ausdrücklich gegen die Rechtsprechung des BSG; dann keine Revision zuzulassen, irritiert auf den ersten Blick.

Was das SG Nordhausen (14. Juni 2012, Az: S 28 AS 5009/11) als Vorinstanz in diesem Punkt letztlich entschieden hat, lässt sich nicht überprüfen, die Entscheidung scheint nicht veröffentlicht worden zu sein.

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Wenn das Jobcenter einen objektiv fehlerhaften Bescheid erlässt, warum sollte der Bürger, der lediglich auf sein gesetzlich bestimmtes Recht besteht, dann für die Korrektur zahlen?

 

Man klagt ja auch nicht (in erster Linie) auf Zahlung von 10 Cent sondern auf Erlass eines korrekten Bescheids.

Die Behörde hat versagt, nicht der Bürger. 

 

Die 80% statt 100% halte ich dann nur für rechtfertigbar, wann der Kläger selbst unnötig weitere Kosten verursacht hat.

 

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