BAG zur Probezeit im Berufsausbildungsverhältnis

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 24.11.2015

§ 20 BBiG sieht vor, dass ein Berufsausbildungsverhältnis mit einer Probezeit beginnt. Diese muss mindestens einen Monat und darf höchstens vier Monate betragen. Während der Probezeit kann das Ausbildungsverhältnis jederzeit nach § 22 BBiG fristlos gekündigt werden. In der Praxis stellt sich nicht selten die Frage, ob auf die Probezeit auch Zeiten einer vorherigen Beschäftigung angerechnet werden können, so dass sie sich entsprechend verkürzt. Im Erfurter Kommentar (16. Aufl. 2016, § 20 BBiG Rn. 2) vertritt beispielsweise Schlachter die Ansicht, eine Beschäftigung als Praktikant unmittelbar vor Beginn der Ausbildungszeit gälte als Ausbildungszeit und werde auf die Probezeit angerechnet, soweit der Zweck mit dem des § 20 BBiG identisch sei. Dasselbe gälte für ein vorgeschaltetes Arbeitsverhältnis. Dieser, auch in der Instanzrechtsprechung anzutreffenden Sichtweise widerspricht nunmehr das BAG in einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 19.11.2015 – 6 AZR 844/14, PM 59/15)). Der Fall lag wie folgt: Der Kläger bewarb sich im Frühjahr 2013 bei der Beklagten um eine Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel. Die Beklagte versprach ihm die Aufnahme der Ausbildung zum 1. August 2013. Zur Überbrückung schlossen die Parteien einen „Praktikantenvertrag“ mit einer Laufzeit bis zum 31. Juli 2013. Nach dem gesonderten Berufsausbildungsvertrag begann anschließend die Ausbildung mit einer Probezeit von drei Monaten. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2013, welches dem Kläger am gleichen Tag zuging, kündigte die Beklagte das Berufsausbildungsverhältnis zum 29. Oktober 2013. Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Sie sei erst nach Ablauf der Probezeit erklärt worden. Das dem Berufsausbildungsverhältnis vorausgegangene Praktikum sei auf die Probezeit anzurechnen. Die Beklagte habe sich bereits während des Praktikums ein vollständiges Bild über ihn machen können. Das BAG stellt sich hingegen auf den Standpunkt, dass das Berufsausbildungsverhältnis während der Probezeit gemäß § 22 Abs. 1 BBiG ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden konnte. Die Probezeit solle beiden Vertragspartnern ausreichend Gelegenheit geben, die für die Ausbildung im konkreten Ausbildungsberuf wesentlichen Umstände eingehend zu prüfen. Dies sei nur unter den Bedingungen des Berufsausbildungsverhältnisses mit seinen spezifischen Pflichten möglich. Die Dauer eines vorausgegangenen Praktikums sei deshalb nicht auf die Probezeit in einem folgenden Berufsausbildungsverhältnis anzurechnen. Auf den Inhalt und die Zielsetzung des Praktikums komme es nicht an. Die Tätigkeit des Klägers vor dem 1. August 2013 ist somit nicht zu berücksichtigen. Bemerkenswert ist der letzte Satz der Pressemitteilung, der auf ein obiter dictum hindeutet: Hierin wird klargestellt, dass dasselbe (keine Anrechnung auf die Probezeit) auch dann gelten würde, wenn es sich bei der Vorbeschäftigung nicht um ein Praktikum, sondern um ein Arbeitsverhältnis gehandelt hätte.

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