Wieviel Ausfallerscheinungen braucht es eigentlich für die RELATIVE Fahruntüchtigkeit?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.11.2015

Die Frage ist schwierig zu beantworten. Bekanntlich sind im Bereich von 0,3 Promille bis zum errichen der 1,1 Promillegrenze Alkoholfahrten nur dann strafbar, wenn alkoholbedingte Ausfallerscheinungen festgestellt werden können. Aber: Wann zeigt sich eigentlich, dass der Alkohol sich auf die Fahrtüchtigkeit auswirkt? Rechtsprechungsübersichten dazu findet man etwa in meinem Buch "Fahrerlaubnis | Alkohol | Drogen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht". Hier ein ganz interessanter Fall, in denen der Angeklagte wohl ganz schön viele Schwierigkeiten hatte, die aber dem OLG nicht für § 316 StGB reichten:

Auch die Feststellungen des Amtsgerichts zu der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit der Angeklagten i.S.d. § 315c StGB sind unzureichend und halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Die nachträglichen Ausfallerscheinungen, die im ärztlichen Untersuchungsbericht der ppp. vom 22.01.2015 festgestellt wurden (Gang der Angeklagten unsicher, plötzliche Kehrtwendung nach vorherigem Gehen unsicher und Finger-Finger-Probe unsicher) sind zwar Indizien für die relative Fahruntüchtigkeit. Auch die Feststellung des Gerichts, dass bei der Durchführung der Atemalkoholprobe die Angeklagte mehrfach nicht in der Lage gewe-sen sei, das Gerät lange genug zu beatmen (UA S. 5), spricht für eine alkoholbedingte körperliche Beeinträchtigung.
Allerdings hätte es für die Annahme alkoholbedingter Ausfallerscheinungen einer Gesamtwürdigung sämtlicher Tatumstände unter Einbeziehung des Unfallhergangs und von Darlegungen zu der Kausalität zwischen der fest-gestellten Alkoholisierung und dem Unfallereignis bedurft.

Zwar teilt das Gericht mit, dass die Angeklagte beim Abbiegevorgang in eine vorfahrtsberechtigten Straße den aus ihrer Fahrtrichtung gesehen von links kommenden Pkw des Zeugen    aufgrund ihrer hohen Alkoholisierung und der damit einhergehenden Einschränkung ihrer Reaktions- und Wahrnehmungsfähigkeit übersehen habe (UA S. 3), obgleich die Straße für die Angeklagte nach links zum Tatzeitpunkt etwa 30 m frei einsehbar gewesen sei, zum Tatzeitpunkt um 7:35 Uhr Berufsverkehr geherrscht habe (UA S. 5) und es dunkel gewesen sei (UA S. 3). Allerdings stellt das Amtsgericht auch fest, dass das Übersehen eines Vorfahrtsberechtigten, der für die Angeklagte auf der vorfahrtsberechtigten Straße von links käme, einen typischen bedingten Fahrfehler dar-stelle (UA S. 5).

Hierbei verkennt das Gericht, dass eine falsche Einschätzung einer Verkehrssituation für sich alleine keine Aus-fallerscheinung ist, die als Indiz für eine alkoholbedingte Fahruntauglichkeit genügt. Selbst ein verkehrswidriges Fahrverhalten stellt nur dann ein Untauglichkeitsindiz dar, wenn es sich dabei um typische Fahrweisen alkoholi-sierte Kraftfahrer im Straßenverkehr handelt (vgl. BGH, 20.03.1959, 4 StR 306/58). Es ist jedoch allgemein be-kannt und entspricht der Verkehrserfahrung, dass es auch einem nüchternen Kraftfahrer passieren kann, beim Linksabbiegen in eine bevorrechtigte Straße ein entgegenkommendes Fahrzeug zu übersehen. Bei dem Fahrfeh-ler der Angeklagten, wie es sich im Urteil darstellt, handelt es sich daher nicht um einen der „klassischen" Aus-fälle unter Alkoholeinfluss, wie etwa Schlangenlinienfahren, grundloses Abkommen von der Fahrbahn oder auffallend übervorsichtiges Fahrverhalten. Vielmehr könnte der Unfall auch durch alkoholunabhängige Unachtsamkeit, wie z. B. eine den morgendlichen Beleuchtungsverhältnissen geschuldete Fehleinschätzung wie z. B. eine den morgendlichen Beleuchtungsverhältnissen geschuldete Fehleinschätzung der Verkehrssituation, der Entfernung sowie der Ge-schwindigkeit des entgegenkommenden Fahrzeugs, verursacht worden sein. Einen Erfahrungsgrundsatz, dass ein Übersehen eines Vorfahrtsberechtigten, der für die Angeklagte auf der vorfahrtsberechtigten Straße von links kam, ein typisch alkoholbedingter Fahrfehler sei (vgl. UA S. 5), besteht jedenfalls nicht. Vor diesem Hintergrund ist es daher rechtsfehlerhaft, wenn das Tatgericht von einem nichtbestehenden Erfahrungssatz ausgeht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 337 Rn. 31 m.w. N.).

Aus den oben genannten Gründen lässt sich die Besorgnis nicht ausräumen, das Amtsgericht könne von einem fehlsamen Prüfungsansatz und einem nicht bestehenden Erfahrungssatz ausgegangen sein.

3. Auch können allein aus nachträglichen Ausfallerscheinungen noch keine Rückschlüsse auf das Bewusstsein der Angeklagten gezogen werden, dass ihre Gesamtleistungsfähigkeit so beeinträchtigt sei, dass diese den Schluss auf eine fahrlässige Verwirklichung der Straßenverkehrsgefährdung rechtfertigen.
Im vorliegenden Fall wird die Indizwirkung, die das Amtsgericht der hohen Blutalkoholkonzentration zumisst, zwar durch die Feststellungen im ärztlichen Untersuchungsbericht vom 22.01.2015 sowie den Angaben der auf-nehmenden Polizeibeamtin am Unfallort bestärkt.

Allerdings ergibt sich aus dem Urteil nicht, ob und wenn ja, welche Beobachtungen der Zeuge    im Hinblick auf das Verhalten der Angeklagten nach dem  Verkehrsunfall bis zum Eintreffen der Polizei gemacht hat.
Solche zeugenschaftlich festgestellten Auffälligkeiten bzw. Unauffälligkeiten der Angeklagten am Unfallort könnten jedoch gleichfalls von Bedeutung sein, zumal im Urteil festgestellt wird, dass der Ablauf des Verkehrs-unfalls auf den Angaben des Zeugen beruhen (UA S. 4). Ohne die Wiedergabe der Aussage des unmittelbar betroffenen geschädigten Zeugen und ihrer Würdigung kann jedoch nicht geprüft werden, ob der Tatrichter die Bedeutung der Erklärung zutreffend erkannt und bewertet hat, sodass unklar bleibt, ob den Feststellungen eine erschöpfende Würdigung des Sach-verhaltes zugrunde liegt (BGH StV 1984, S. 64L; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 267 Rn. 12)..."

Diesen Ausführungen tritt der Senat — mit Ausnahme des Passus, dass die mehrfachen Fehlversuche bei der Durchführung der Atemalkoholprobe für eine alkoholbedingte Beeinträchtigung sprächen — bei.

OLG Naumburg, Beschl. v. 24.08.2015 - 2 RV 104/15

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