Expertenkommission übergibt Abschlussbericht zur Reform des Strafprozessrechts

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 13.10.2015

Die Expertenkommission zur Reform des Strafprozessrechts legte heute ihren Abschlussbericht mit den Empfehlungen für eine effektivere und praxistauglichere Ausgestaltung des Strafverfahrens vor (ergänzend: Anlagenband I Gutachten und Anlagenband II Protokolle).

Experten für audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen!

Neben der Empfehlung eines Anwesenheits- und Fragerechts des Verteidigers bei polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen, Tatortrekonstruktionen und Gegenüberstellungen mit dem Beschuldigten, wird die regelmäßige audiovisuelle Aufzeichnungen von Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen bei schweren Tatvorwürfen oder bei einer schwierigen Sach- oder Rechtslage gefordert. Damit wird eine der wesentlichen Ursachen für Fehlurteile in Angriff genommen und eine der zentralen Forderungen seitens der Strafverteidiger umgesetzt.

Außerdem soll eine fakultative audiovisuelle Dokumentation einzelner Vernehmungen vor dem Amtsgericht sowie eine obligatorische audiovisuelle Dokumentation der gesamten erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor dem LG und OLG unter der Bedingung eingeführt werden, dass damit keine Erweiterung der Revisionsmöglichkeiten verbunden ist. Auch soll das Vorführen einer audiovisuell aufgezeichneten richterlichen Zeugenvernehmung bei einer erstmaligen Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts in der Hauptverhandlung sowie einer richterlichen Beschuldigtenvernehmung zum Zweck der Beweisaufnahme über ein Geständnis ermöglicht werden. – Das ist aus meiner Sicht noch zu wenig, aber schon mal ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung!

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12 Kommentare

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Die Verstärkung der Möglichkeit einer Aussetzung bis zur Klärung verwaltungs- und zivilrechtlicher Vorfragen erscheint mir ein spannender Punkt.

Das kann einerseits eine Qualitätssteigerung bewirken, indem Strafrichter sich nicht mehr - was ggw. teilweise erfolgt - mit zweifelhafter Fachkunde über zivilrechtliche Fragen auslassen.

Andererseits ist aber auch ein Auf-/Abschieben von Arbeit sowie eine Verschlechterung der Verfolgungswirkung zu befürchten. Zivilprozesse können lange dauern - und die Parteien können diese Dauer wesentlich stärker beeinflussen als im Strafprozess. Die strafrechtlichen Sanktionen können so durch den Angeklagten möglicherweise wesentlich hinausgezögert werden.

Eine Art Höchstdauer, eine Wiederaufnahme wegen überlanger Verfahrensdauer vor dem Zivilgericht o. ä. wäre m. E. erforderlich, um diesen Risiken entgegenzuwirken.

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Interessant wie bestimmte Kreise sich mit Händen und Füßen gegen eine Aufzeichnung der Hauptverhandlung wehren:

Von CDU und CSU erntet das Papier massive Kritik, viele der Vorschläge seien praxisfern. Bayerns Justizminister Prof. Dr. Winfried Bauback nimmt besonders an der gleichfalls angeregten Möglichkeit einer Aufzeichnung der Hauptverhandlung Anstoß. Wer solches vorschlage, offenbare, "dass er den Auftrag, das Strafverfahren effektiver und praxistauglicher zu gestalten, nicht verstanden hat."

http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/stpo-reform-vorschlaege-blutabna...

Schade, daß ein Hochschullehrer gerade in solchen Fragen in Politsprech verfällt.

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ad #1 und #2 Neu

 

1. Vielen Dank für Ihren Hinweis daruf, dass der Abschlussbericht wesentlich mehr wichtige Forderungen enthält als das von mir heraus gegriffene Thema, das mir persönlich mit Blick auf Fehlerquellen von Justizirrtümern ein besonderes Anliegen ist.

 

2. Die Aussage belegt, dass wichtige Publikationen wie Thomas Darnstädt "Der Richter und sein Opfer. Wenn die Justiz sich irrt" und neuerdings Max Steller "Nichts als die Wahrheit. Warum jeder unschuldig verurteilt werden kann" (das Buch stelle ich demnächst im Blog zur Diskussion) leider schlicht nicht zur Kenntnis genommmen werden.

 

Mit bsten Grüssen

Bernd von Heintschel-Heinegg

@ OG

Die Reaktion finde ich auch bemerkenswert. Einerseits befürchtet Herr Bauback Einschränkungen bei der Ton-/Bild-Überwachung Verdächtiger, andererseits kritisiert er die - in meinen Worten - Ton-/Bild-Überwachung der Richter, Polizisten usw.

Man möchte äußern:

"Was Du nicht willst, was man Dir tu,

das füg' auch keinem ander'n zu."

https://de.wikipedia.org/wiki/Sousveillance

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Leider schlägt die Kommission nicht vor, das verzopfte Zeugnisverweigerungsrecht von Verlobten abzuschaffen.
Vor Gericht  -  besonders beim Mehrfachsturz ungeschickter Frauen gegen allerlei Möbelstücke, der irrtümlich dem Lebensgefährten als Körperverletzung angelastet wird - ist immer wieder mal der schöne Dialog zu hören:

Zeugin: Ich sag  nix, ich bin verlobt.
Richter: Schön, wann heiraten Sie denn?

Zeugin: Wie - Heiraten????

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@gaestchen

Sie haben recht, das ist ein Zopf, der abgeschnitten gehört. Aber bei der Gelegenheit müssen die Prozeßordnungen überhaupt an die Lebenswirklichkeit angepaßt werden. Ein Zusammenleben als Lebensgefährten verdient den selben Schutz, egal ob mit oder ohne "Trauschein". Die früher vielleicht anrüchige "wilde Ehe" ist zu einem Normalfall geworden, bis hin zum Bundespräsidenten. Wenn beispielsweise ein Paar seit 20 Jahren zusammenlebt, vielleicht auch gemeinsame Kinder hat, dann wird es vor Gericht als Fremde behandelt, die verpflichtet sind, gegeneinander auszusagen (wenn man nicht Verlobung als Krücke heranziehen kann). Das versteht kein Mensch.

Schweiz: http://www.gesetze.ch/sr/312.0/312.0_041.htm
Österreich: https://www.jusline.at/156_Aussagebefreiung_StPO.html, http://www.jusline.at/72_Angeh%C3%B6rige_StGB.html
Spanien: http://goo.gl/W4R360

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@OG : Würde ich prinzipiell auch begrüßen, wenn da nicht der fehlende rechtssichere Nachweis wäre. Eheschließung ist nun mal belegbar, und die Eheleute sind die rechtliche Bindung mit allen Vor- und Nachteilen eingegangen. Bei  Österreich scheint mir die Normkette nicht eindeutig zu sein. Die StPO verweist für das ZVR nur auf 72 StGB, nicht auf 73 StGB.

Ich weiß auch nicht, wie das in den drei Ländern praktisch gehandhabt wird (Nachweis des ZVR). Wie lange muss die Partnerschaft /das Zusammenleben dauern? Genügt eine Meldebescheinigung des Einwohnermeldeamtes als Nachweis? Geburtsurkunden der Kinder nebst Sorgerechtsnachweis? Was ist bei zwischenzeitlichen Trennungen und Wiedereinzug (gerade in den Fällen häuslicher Gewalt ja sehr beliebt: phasenweiser Wechsel von der gemeinsamen Wohnung ins Frauenhaus/zu Bekannten/Freunden/Eltern und wieder zurück)? 

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@gaestchen

Danke für die Zustimmung. Es war mir klar, daß ein solcher Vorschlag aber auch auf Praktikabilitätszweifel stößt. Deshalb habe ich mir die Mühe gemacht, drei Länder herauszusuchen, "wo es ja auch geht". Die Auswahl ist willkürlich. Es gibt noch mehr. Österreich: § 156 Abs. 1 Nr. 1 StPO verweist auf § 72 StGB und dessen Absatz 2 lautet: "Personen, die miteinander in Lebensgemeinschaft leben, werden wie Angehörige behandelt, Kinder und Enkel einer von ihnen werden wie Angehörige auch der anderen behandelt."

Nun, es wird schon handhabbar sein. Wenn die deutsche Rechtsprechung über 100 Jahre lang das noch schwerer faßbare Verlöbnis in den Griff bekommen hat, dann wird es bei der Lebensgemeinschaft auch klappen. Ich finde es schon ein bißchen witzig: Die Strafgerichte kennt man als sehr beherzt, wenn es darum geht, jemanden auf unklarer Grundlage durch Indizienketten und -ringe und gesamtbewertende freie richterliche Beweiswürdigung für Jahre ins Gefängnis zu bringen. Demgegenüber sollen sie ausgerechnet bei einer überschaubaren Frage wie dieser hier überfordert sein?

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Clemens Lückemann, Präsident des OLG Bamberg, gegenüber lto zum Einfluss des Strafkammertages auf den Gesetzentwurf.

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