Unfall beim Überholens eines Müllwagens: 50%-Quote

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.09.2015
Rechtsgebiete: OrdnungswidrigkeitenSchadenVerkehrsrecht|3079 Aufrufe

Mal wieder etwas Zivilrecht. Ein schön nachvollziebarer Fall. Hinter einem Müllfahrzeug sind zwei Fahrzeuge, von denen das hintere zum Überholen ansetzt. Dann kommt es zum Unfall zwischen diesen beiden Fahrzeugen, weil das unmittelbar sich hinter dem Müllfahrzeug befindende Fahrzeug auch ausschert. Die natürlich interessierende Frage: Nach welcher Quote ist der Schaden zu liquidieren? 50/50 meint das LG Mainz:

Zum Sachverhalt:
Der Kläger verlangt mit der Klage von den Beklagten Ersatz materiellen Schadens aus einem Verkehrsunfall, der sich am 14.4.2014 in der B...straße in K...-W... in Richtung 0...-0... ereignete.
Am Unfalltag befuhr der Kläger mit seinem Pkw die B...Straße in Richtung 0...-0... . Dort musste er kurz vor der Autobahnbrücke und vor einer Rechtskurve hinter einem am rechten Fahrbahnrand stehenden Müllentsorgungsfahrzeug anhalten. Der Beklagte zu 1) befuhr mit seinem Pkw, für das bei der Beklagten zu 2) Haftpflichtschutz bestand, ebenfalls die B...Straße in gleicher Richtung und hielt seinerseits hinter den beiden vor ihm stehenden Fahrzeugen an.
In der Folge kam es zur Kollision zwischen dem Fahrzeug des Klägers und dem des Beklagten zu 1), als beide im Begriff waren, an dem Müllentsorgungsfahrzeug vorbeizufahren.
Das AG hat die Beklagten lediglich auf der Basis einer Haftung in Höhe von 20 % aus Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) verurteilt. Die Berufung des Klägers führte zu einer Haftungsverteilung von 50 : 50.
Aktenzeichen: 3 S 129/14
80 C 210/14 AG Mainz
Landgericht Mainz
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
- Kläger und Berufungskläger
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte K.. & K,
gegen 1. M
Prozessbevollmächtigte:
- Beklagter und Berufungsbeklagter
Rechtsanwälte T... & Kollegen,
2. DEVK Allgemeine Versicherung AG
- Beklagte und Berufungsbeklagte
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte T & Kollegen,
wegen Schadensersatz aus Verkehrsunfall
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Mainz durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Blaschke, die Richterin am Landgericht Geiger und die Richterin Häuf auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21.07.2015 für Rech t erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Mainz vom 23.10. 2014 teil weise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 721,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.05. 2014 sowie 149,56 € vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten (Rechtsanwaltsgebühren) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.05.2014 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten erster Instanz tragen der Kläger 1/4, die Beklagten 3/4.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger zu 1/3, den Beklagten 2/3 auferlegt. /
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat einen Teilerfolg.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO); von der Darstellung etwaiger Ergänzungen oder Änderungen wird abgesehen (§ 540 Abs. 2, § 313a ZPO).
Sowohl die Beklagten als auch der Kläger haben für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG in Verbindung mit § 115 WG einzustehen, weil, wie das Amtsgerichts zu Recht ausführt, die Unfallschäden beim Betrieb der Kraftfahrzeuge entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG vorgelegen hat.
Der Kläger hatte seinen PKW hinter dem Müllfahrzeug angehalten, um den Gegenverkehr passieren zu lassen. Damit war der Kläger aber noch Teil des fließenden Verkehrs und hatte nicht die besonderen Pflichten des Anfahrens vom Fahrbahnrand nach § 10 StVO zu beachten. Muss der Kläger aber, wie hier, zum Vorbeifahren an einem rechts parkenden Fahrzeug ausscheren, treffen ihn die Pflichten aus § 6 Satz 2 StVO, gegen die der Kläger nach den Feststellungen des Amtsgerichts verstoßen hat. Der Kläger hatte auf den nachfolgenden Verkehr zu achten und das Ausscheren und das Wiedereinordnen, wie beim Überholen, anzukündigen. Nicht erwiesen ist, dass der Kläger dem nachgekommen ist. Der Kläger hätte auch den Beklagten zu 1. in der Annäherung erkennen können, dessen weiteres Fahrverhalten beobachten und damit unfallvermeidend reagieren können, wenn er den rückwärtigen Verkehr, wie geboten, hinreichend beobachtet hätte (LG Saarbrücken, NJW-RR 2014, 292, Rdnr. 13 m.w.N.).
Aber auch dem Beklagten zu 1. ist ein Verstoß nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 StVO zur Last zu legen.
Der Beklagte zu 1. hat das Klägerfahrzeug überholt, denn ein Kraftfahrer, der wie hier der Kläger wartet, um an einer Engstelle den Gegenverkehr passieren zu lassen, hält lediglich mit Rücksicht auf die Verkehrslage. An ihm wird deshalb nicht lediglich vorbeigefahren, sondern er wird überholt. Für den Beklagten zu 1. bestand vorliegend ein Überholverbot wegen unklarer Verkehrslage nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 StVO. Eine unklare Verkehrslage besteht, wenn nach allen objektiven Umständen und nicht nach dem Gefühl des Überholwilligen mit einem ungefährlichen Überholen nicht gerechnet werden darf. Unklar ist die Verkehrslage dann, wenn sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun wird. Dafür reicht es im Regelfall zwar nicht aus, dass der Vorausfahrende langsamer wird oder anhält; unklar wird die Verkehrslage erst, wenn weitere Umstände hinzutreten (LG Saarbrücken, a.a.O., m.w.N.). Solche Umstände lagen hier vor. Obwohl an dem Klägerfahrzeug kein Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war, konnte der Beklagte zu 1. nicht davon ausgehen, der Kläger werde hinter dem Müllfahrzeug parken. Dafür bestand, zumal das Müllfahrzeug" unstreitig beladen wurde, auch keine Veranlassung. Ein Müilfahr-zeug pflegt nach dem Beladevorgang bis zur nächsten abgestellten Mülltonne weiter zu fahren. Von daher hätte der überholende Beklagte zu 1. sich darauf einstellen müssen, dass der Kläger nur wegen der Unübersichtlichkeit der Verkehrssituation - vorübergehende anhaltendes Müllfahrzeug und Beachtung des Gegenverkehrs - angehalten hat und bei freier Fahrbahn weiterfahren würde. Dass der Beklagte zu 1. dies beachtet hat, ist nicht erwiesen. Ebenso ist nicht erwiesen, dass er seinen Fahrtrichtungsanzeiger nach links zur Ankündigung des Überholens gesetzt hatte. Nach alledem trifft auch den Beklagten zu 1. ein Verschulden an dem Verkehrsunfall.
Bei der gebotenen Abwägung nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG fällt zu Lasten des Klägers ins Gewicht, dass er die nach § 6 Satz 2 StVO gebotenen Sorgfaltsanforderungen missachtet hat. Dem Verstoß des Beklagten zu 1. gegen das Überholverbot kommt ein gleich hohes Gewicht zu, so dass die Kammer eine Haftungsverteilung von 50 zu 50 für geboten erachtet.
Damit steht dem Kläger die Hälfte des unstreitigen Schadensbetrages von 1.443,88 EUR nebst Zinsen zu. Hinsichtlich der Zinsen und der vorgerichtlichen Anwaltskosten ergibt sich die Entscheidung aus dem Gesichtspunkt des Verzuges. Aus dem geringeren Streitwert von 721,94 EUR ergibt sich keine andere Berechnung, als mit der Klage geltend gemacht.

LG Mainz, Urteil vom 12.08.2015 - 3 S 129/14

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