OLG Hamburg: Schlechte Gitarren und Youtube
von , veröffentlicht am 14.08.2015In Hamburg sind die Nächte heiß und am Strand machen sich schweißumnebelte OLG-Richter Gedanken über schlecht gespielte Gitarrenklänge …
OLG Hamburg, Urteil vom 1. Juli 2015 - 5 U 87/12 und 5 U 175/10
Youtube ist im Verhältnis zur GEMA kein Täter bei der urheberrechtsverletzenden Bereitstellung von Musikvideos, sondern nur Störer (ähnlich übrigens auch LG München I, Urteil vom 30.6.2015 - 33 O 9639/14). Wird ein solcher Störer auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen, muss er nicht nur das konkrete Angebot unverzüglich sperren, sondern auch Vorsorge treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren derartigen Schutzrechtsverletzungen kommt. Welche Pflichten den Dienstanbieter dabei treffen, insbesondere ob und wieweit er zur Sperrung und dann zur Prüfung und Überwachung der bei ihm hochgeladenen Inhalte verpflichtet ist, bestimmt sich danach, was dem Betreiber nach den Umständen des jeweiligen Falles zuzumuten ist. Eine Verletzung derartiger Pflichten hat der Senat in beiden Verfahren hinsichtlich einzelner Musiktitel bejaht und YouTube bzw. Google insofern zur Unterlassung verpflichtet angesehen.
Letztlich obliege YouTube eine "absolute Erfolgsabwendungspflicht" nach einer Inkenntnissetzung jegliche weitere Rechtsverletzung zu verhindern. Da die GEMA nicht Rechte an bestimmten Soundrecordings, sondern an dem zugrundeliegenden Werk als solches geltend mache, müsse YT auch den upload von Videos sämtlicher zukünftigen Werkfassungen verhindern. Das Gericht formuliert diesbezüglich selbst ein schönes Beispiel (5 U 87/12):
“In gleicher Weise rechtsverletzend - und dem tenorierten Unterlassungsgebot unterliegend - wäre aber z.B. auch ein Video, das ein Nutzer von seinem Urlaub am Mittelmeer bei YouTube hochlädt, auf welchem z.B. bei Laufzeit 32 min. 14 sec. seine Freunde nachts tanzend am Strand zu sehen sind und er diese Szene mit selbst auf der Gitarre (schlecht) gespielten 5 Takten der Melodie von “Ritmo de la noche” unterlegt, wobei die Musik zum Teil von Meeresrauschen überdeckt wird. […] Auch eine derartige Rechtsverletzung hat die Beklagte als Störer zu verhindern bzw. zu unterbinden." (S 101 des unglaublich langen Urteils, das man m.E. nur mit Fassungslosigkeit und Entsetzen zur Kenntnis nehmen kann)
Beide Urteile sind nicht rechtskräftig. In dem Verfahren 5 U 87/12 hat der Senat die Revision zugelassen, für die der Bundesgerichtshof zuständig wäre; Revision wurde auch eingelegt. In dem Verfahren 5 U 175/10 unterliegt die Entscheidung, die Revision nicht zuzulassen, der sogenannten Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof.
Volltext liegt "offiziell" noch nicht vor.
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14 Kommentare
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Warum kann man diese Entscheidung "mit Fassungslosigkeit und Entsetzen zur Kenntnis nehmen"?
Dr. Marc Mewes kommentiert am Permanenter Link
Volltext liegt "offiziell" noch nicht vor
Aber die Vorinstanz:
LG Hamburg, 27.08.2010 - 310 O 197/10
LG Hamburg, 20.04.2012 - 310 O 461/10
Prof. Dr. Thomas Hoeren kommentiert am Permanenter Link
Zu 1)
"Entsetzen" allein schon wegen des furchtbaren Songs
https://www.youtube.com/watch?v=G7ocfBKdjXg
https://www.youtube.com/watch?v=3QMKr_EoSWI
https://www.youtube.com/watch?v=MEXSNwll9nU
https://www.youtube.com/watch?v=WaQ6OWltlzg
https://www.youtube.com/watch?v=L6Qdcr0xvxs
https://www.youtube.com/watch?v=Ni2sQnyJ0jk
https://www.youtube.com/watch?v=UqYU-yGoCxQ
u.v.a.
Gruss TH
Gast kommentiert am Permanenter Link
Na jut, gibt aber schlimmere Musik, weshalb kann man das trotz der Entscheidung noch abrufen?
Prof. Dr. Thomas Hoeren kommentiert am Permanenter Link
Mir schreibt gerade ein BeckBlog-Leser per Mail. Seine Notiz soll nicht ungehört/ungelesen bleiben:
"Es gibt Erkennungssoftware wie bspw. TuneSat. Diese Firma wirbt damit, dass sie im Auftrag der Rechteinhaber Musikaufnahmen auch dann erkennt, wenn "akustischer Schmutz" drüber ist (Meeresrauschen über Ritmo de la noche bspw.). In meiner Zeit als XXX waren Herrschaften von TuneSat bei uns zu Gast und haben uns das vorgeführt. Das hat damals, etwa 2009 herum, schon beeindruckend funktioniert. Auf dem Smartphone gibt es schon längst die Möglichkeit, Melodien (unabhängig von der Interpretation) zu erkennen. Auch das funktioniert m.W. schon sehr gut. Zur Info bspw.: http://www.soundmouse.com/aboutus/about_us.html (Soundmouse wird m.W. von RTL verwendet) http://www.einsmedien.de/feature/tunesat.html https://www.sonoton.de/profile/news-facts/weitere-news-facts/detail/article/digitale-musikerkennung-sonoton-repertoire-bei-tunesat-2.html Daher bin ich in Bezug auf die technische Umsetzbarkeit von umfassenden Prüfpflichten etwas weniger skeptisch als Sie. Dies nur als kleine Anmerkung. Ich freue mich auf Ihren nächsten Artikel und verbleibe mit herzlichen Grüßen"
Prof. Dr. Thomas Hoeren kommentiert am Permanenter Link
Hier der Hörtest zum Urteil des OLG Hamburg:
https://www.youtube.com/watch?v=62nOxN5LLJ0&feature=youtu.be
M.E. etwas lang geraten (länger als 5 Takte). Ob Youtube das finden könnte?
Gast kommentiert am Permanenter Link
Nochmal due frage, warum kann man die datei noch anhören,?
Gast kommentiert am Permanenter Link
Zu #5: Umsetzbar ist das schon, aber nicht mehr zumutbar. Pro Stunde wird Video bzw. Audio mit einer Laufzeit von zwei Jahren auf Youtube hochgeladen. Das soll alles mit immer aufwändigeren Verfahren abgetastet werden, damit die GEMA ruhig schlafen kann?
Nun mag man sagen, dann solle Google halt kleinere Brötchen backen. Aber schon das OLG setzt mit seinem Beispiel voraus, dass es für vollkommen akzeptabel hält, wenn 32 Minuten Ton erfolglos durchsucht werden müssen, um ein Geklampfe in fünf Takten zu finden. Kostet alles Strom, Geld und Treibhausgase. So eine Auffassung ist aber nicht verwunderlich, wenn man sehen muss, dass andere Juristen Bitcoins mit null Herstellungskosten bilanzieren, sofern sie nebenbei auf einem Computer erzeugt werden, der "ohnehin läuft".
Leser kommentiert am Permanenter Link
Das liest sich ein wenig, als hätte das OLG aufzeigen wollen, wie absurd die Rechtslage ist. Das zitierte Beispiel grenzt ja an Realsatire.
MT kommentiert am Permanenter Link
Die Erkennungssoftware bei Youtube ist eine Google-Eigenentwicklung namens Content ID*, wobei das nicht nur die Erkennung beinhaltet, sondern den sog. Partnern auch umfangreiche Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, wie auf einen Positivfund reagiert werden soll.
Das reicht vom reinen Beobachten der Zuschauerzahlen des Videos über Monetarisieren bis zu Stummschalten oder Vollsperrung des Videos. Beim Monetarisieren wird, soweit noch nicht vorhanden, Werbung auf dem Video geschaltet und der Erlös an den Content ID Partner ausgekehrt.
Die Partner haben die Möglichkeit, umfangreiche automatisierte Regeln einzurichten, um so z.B. nach Land verschiedene Reaktionen auf einen Positivfund auszulösen.
Sie können auch einstellen, ab welcher Länge ein Positivfund eine Reaktion auslösen soll. Voreingestellt ist der Minimal-Schwellenwert, wobei die Länge nicht definiert wird (Content ID Handbook S. 53 "Length of Match"). Dieser dürfte jedoch sehr gering sein, da bereits 2009 ein nur 5-sekündiger Schnipsel erkannt werden konnte** und das System seitdem wohl nur verfeinert wurde.
Man kann Videos seit einiger Zeit vorab auf Content ID Treffer prüfen lassen***.
* Nähere Informationen im Youtube Content ID Handbook: https://support.google.com/youtube/answer/3244015
** http://www.scottsmitelli.com/articles/youtube-audio-content-id unter "time chunks"
*** http://www.pcgameshardware.de/Youtube-Thema-163920/News/Content-ID-Treff...
MT kommentiert am Permanenter Link
Ergänzung:
Das Kürzeste, was ein Content ID Partner für die Erkennung einstellen kann, ist eine Sekunde:
https://i.imgur.com/OdNqsxI.jpg
Quelle: https://www.reddit.com/r/letsplay/comments/1njytf/ive_had_enough_of_your...
Name kommentiert am Permanenter Link
Damit dürfte sowohl die technische Machbarkeit als auch die Zumutbarkeit belegt sein.
MT kommentiert am Permanenter Link
"We compare each upload with all of the reference files in our database"
http://googlepublicpolicy.blogspot.de/2010/09/content-id-explained-at-te... bei 1:33
An anderer Stelle heißt es, youtube vergleiche 100 Stunden hochgeladenes Videomaterial am Tag mit Millionen Einträgen in der Referenz-Datenbank - wohlgemerkt war das 2010. Das herausfiltern von "geistigem Eigentum" ist für youtube also kein Problem.
Youtube wäre wohl auch schon aus dem Geschäft geklagt worden, wenn es keine effizienten Filter hätte.
Notker S. kommentiert am Permanenter Link
Ein Zitat von Westernhagen rundet die Diskussion ab:
"Wir verdienten 400 Mark pro Auftritt /
für 'ne Rollings-Stones-Kopie. /
Die Gitarren verstimmt, das ging tierisch los, /
und wir hielten uns für Genies."
(aus: "Mit 18").