"Neu für alt"-Abzug nicht für Schäden an Straßentunnel

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.08.2015

Das OLG Hamm hatte sich mit einem Schadensereignis zu befassen, das zu einem Schaden des Landes NRW an einem Tunnel führte. Frage: Gibt es da einen Abzug "Neu-für-alt"? Das OLG: "Nein!"

Das klagende Land nimmt die Beklagten wegen eines Schadensereignisses vom 20.01.2009, bei dem ein bei der Beklagten zu 2.) haftpflichtversicherter Lkw-Schwertransporter des Beklagten zu 1.) mit seinem Auflieger über eine Länge von 75 m die im Jahr 1997 fertig gestellte Lärmschutzverkleidung an der Decke des X-Tunnels in T beschädigte, als Gesamtschuldner auf Zahlung von restlichem Schadenersatz in Anspruch. Die in der Zeit zwischen dem 20.03.2010 und 17.05.2010 durchgeführte Reparatur der Lärmschutzverkleidung kostete inklusive Ingenieurleistungen 225.026,68 €. Mit Schreiben vom 13.12.2010 forderte das klagende Land die Beklagte zu 2.) unter Setzung einer Frist von 30 Tagen zur Zahlung des vorgenannten Betrages auf. Die Beklagte zu 2.), die bereits mit Schreiben vom 08.12.2009 ihre Schadensersatzverpflichtung dem Grunde nach anerkannt hatte, zahlte hierauf am 15.03.2011 lediglich einen Betrag in Höhe von 177.171,26 €. Zur Zahlung des Restbetrages von 47.855,42 € sah sie sich wegen eines ihrer Ansicht nach dem klagenden Land anzurechnenden Vorteils „neu für alt“ als nicht verpflichtet an. Diesen Restbetrag macht das klagende Land nunmehr nebst Zinsen in Höhe von 8% Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 14.10.2011 mit der vorliegenden Klage geltend.
2Das klagende Land hat in erster Instanz die Ansicht vertreten, dass ein Abzug „neu für alt“ von dem Reparaturkostenaufwand nicht zu erfolgen habe, weil der teilweise Austausch der Lärmschutzelemente, der 50% der Lärmschutzverkleidung umfasst habe, zu keiner messbaren Vermögensvermehrung geführt habe. Denn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seien bei einer zukünftigen Erneuerung der Lärmschutzverkleidung in ca. 30 Jahren die Elemente nicht mehr zu beschaffen. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass sich bis dahin die technischen Vorgaben dergestalt ändern würden, dass zum Zeitpunkt der altersbedingten Sanierung des Tunnels eine vollständige Erneuerung der Lärmschutzverkleidung erforderlich sei.
3Die Beklagten haben demgegenüber unter Bezugnahme eines von ihnen vorgelegten Gutachtens der E behauptet, aus Anlass des Schadensereignisses hätten 72% der Lärmschutzverkleidung erneuert werden müssen. Da die funktionale Lebensdauer der Verkleidungselemente mit allenfalls 50 Jahren anzusetzen sei, die beschädigten Elemente aber zum Zeitpunkt des Schadensereignisses erst 11 Jahr alt gewesen seien, rechtfertige dies nach der ImmowertV 2010 einen Abzug „neu für alt“ in Höhe von 22% bezogen auf den Gesamtschaden einschließlich der Baunebenkosten, was sogar eigentlich einen Abzug von den Reparaturkosten in Höhe von 49.505,87 € gerechtfertigt hätte. Das klagende Land habe durch den teilweisen Austausch der Verkleidungselemente einen messbaren Vorteil erlangt, weil sich dadurch der Zyklus für die Erneuerung der gesamten Deckenverkleidung deutlich zeitlich verzögert habe. Da die technische Lebensdauer der Lärmschutzelemente in Bezug auf die Haltbarkeit ihres Materials wesentlich höher sei als ihre funktionale Lebensdauer von 50 Jahren könnten die verbliebenen 28% der alten Lärmschutzelemente durchaus bis zum erforderlichen Austausch der neuen Elemente im Bauwerk verbleiben. Die vom klagenden Land geltend gemachte Zinsforderung in Höhe 8% über dem Basiszinssatz sei unbegründet.
4Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen I vom 13.02.2013 sowie zwei schriftlicher Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 24.06.2013 und 29.01.2014 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass es - anders als für Wohngebäude - für Straßentunnel technisch gebotene Erneuerungszyklen gebe, die sich unabhängig vom tatsächlichen Zustand der Schallschutzverkleidungen nach den sicherheitsrelevanten Gegebenheiten wie der Standsicherheit und Verkehrssicherheit des Tunnels richteten. Gerade in der heutigen, insbesondere zur technischen und materialkundlichen Fortentwicklung schnelllebigen Zeit bei zugleich gesteigerten Sicherheitsbedürfnissen und -anforderungen namentlich bei Straßentunneln sowie der weiter steigenden Lohnkosten erscheine die Bewertung des Sachverständigen I deutlich überzeugender als die allgemein gehaltene Einschätzung des Schadensgutachters der E im pauschalen Vergleich zu anderen Gebäuden, die der Sachverständige I ausdrücklich für unzulässig erachtet habe. Der Einholung des von den Beklagten beantragten weiteren Sachverständigengutachtens habe es deshalb nicht bedurft, zumal die Beklagten die gesetzlichen Voraussetzungen des § 412 ZPO nicht darlegt hätten.
5Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringen der Parteien, der vom Landgericht getroffenen Feststellungen und der Urteilsbegründung wird auf den Inhalt der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
6Mit ihrer Berufung wenden sich die Beklagten insoweit gegen die erstinstanzliche Entscheidung, als sie damit zur Zahlung von mehr als 14.101,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.01.2011 verurteilt worden sind. Sie meinen, dass das Landgericht zur Aufklärung der zwischen dem Gutachten des Sachverständigen I und dem von ihnen vorgelegten Schadensgutachten der E bestehenden Widersprüche das von ihnen beantragte weitere Sachverständigengutachten hätte einholen müssen. In der Sache wenden die Beklagten ein, dass auch der Sachverständige I letztlich eine Wertverbesserung nicht verneint, sondern es ihm lediglich an einer Grundlage für deren Berechnung gefehlt habe. Auch der Sachverständige I habe letztlich ausgeführt, dass die Schallschutzfunktion der Deckenelemente im Laufe der Jahre durch Rußbildung und Feinstaub beeinträchtigt werde. Tatsächlich würde die Schallschutzeigenschaft der Elemente wegen des im Laufe der Jahre stattfindenden Eintrags von Feinpartikeln und Stäuben in die Steinwolleinlage der Verkleidungselemente nach maximal 50 Jahren nicht mehr vorhanden sein. Zwar sei nicht sicher, dass identische Schallschutzelemente bei einem turnusmäßigen Austausch in 33 Jahren noch lieferbar seien. Vergleichbare, nur in optischer Hinsicht abweichende Elemente würden aber auch dann noch erhältlich sein. Geringfügige Abweichungen in Farbe und Lochung seien in Kauf zu nehmen und dem klagenden Land zuzumuten, weil sie bereits nach wenigen Jahren infolge Verschmutzung und Verrußung der Elemente nicht mehr zu erkennen seien. Als Berechnungsgrundlage für die Höhe des Abzugsbetrages könne der vom Schadensgutachter X angeführte Nutzungsdauer-Katalog aus Österreich herangezogen werden. Mit der Berufung werde von ihnen vorsorglich aber nur noch ein Abzug „neu für alt“ in Höhe von 15% der Gesamtreparaturkostenaufwandes von 225.026,68 €, mithin ein Betrag von 33.754,- € geltend gemacht, weil nach der Ross’schen Progressionsformel lediglich ein Abzug in dieser Höhe gerechtfertigt sei. Darüber hinaus beanstanden die Beklagten, dass das Landgericht dem klagenden Land Zinsen in Höhe von 8% über den Basiszinssatz zuerkannt habe, obgleich es diesbezüglich an jeglichem Sachvortrag des klagenden Landes gefehlt habe und der Zinssatz von ihnen ausdrücklich bestritten worden sei.
7Die Beklagten beantragen,
in Abänderung des Urteils des Landgerichts Siegen vom 03.09.2014, Aktenzeichen 5 O 46/12, die Klage abzuweisen, soweit sie zur Zahlung von mehr als 14.101,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.01.2011 verurteilt worden sind,
8Das klagende Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
9Es verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung mit der Maßgabe, dass ihm Zinsen nur in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hätten zuerkannt werden dürfen, mit näheren Ausführungen als richtig.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
11Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache lediglich insoweit Erfolg, als dass das angefochtene Urteil hinsichtlich des titulierten Zinsanspruchs dahin abzuändern ist, dass das klagende Land lediglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz beanspruchen kann. Im Übrigen hat das Landgericht der Klage zu Recht stattgegeben.
1. Dem klagenden Land steht aufgrund des Unfallereignisses vom 20.01.2009 gegen den Beklagten zu 1.) als Halter des Lkw-Schwertransporters aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 1 Abs. 2 StVO, 249 BGB ein Anspruch auf Zahlung von noch 47.855,42 € zu. § 823 BGB kommt daneben entgegen der landgerichtlichen Entscheidung nicht als weitere Anspruchsgrundlage in Betracht, weil ausweislich der Ausführungen auf Seite 4 des von den Beklagten zur Gerichtsakte gereichten E-Gutachtens vom 15.10.2010 der Lkw-Sattelzug zum Unfallzeitpunkt nicht vom Beklagten zu 1.), sondern von dessen Fahrer C geführt wurde. Allerdings haftet der Beklagte zu 1.) für die von seinem Fahrer C rechtswidrig zugefügte Eigentumsverletzung dem klagenden Land aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Beklagte zu 2.) haftet gemäß §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1. S. 4 VVG, 1 PflVG dem klagenden Land im gleichen Umfang wie der Beklagte zu 1.) neben diesem als Gesamtschuldner.
Die gesetzlichen Voraussetzungen der vorgenannten Haftungsnormen sind vorliegend erfüllt. Von ihrer näheren Darlegung kann abgesehen werden, weil zwischen den Parteien die Frage der Haftung der Beklagten dem Grunde nach unstreitig ist. Auch die Frage der Schadenshöhe ist zwischen den Parteien insoweit unstreitig, als dass sich der Reparaturkostenaufwand für die Instandsetzung des bei dem streitgegenständlichen Schadensereignis beschädigten Teils der Schallschutzverkleidung inklusive der reparaturbegleitenden Ingenieurleistungen auf insgesamt 225.026,68 € belaufen hat. Streitig ist zwischen den Parteien allein die Frage, ob das klagende Land den vorgenannten Geldbetrag gemäß § 249 S. 2 BGB in voller Höhe von den Beklagten beanspruchen kann oder es sich wegen der teilweisen Erneuerung der Schallschutzverkleidung einen Abzug „neu für alt“ gefallen lassen muss.

a) Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur muss sich der Geschädigte, der im Wege der Naturalrestitution für eine beschädigte alte, gebrauchte Sache eine neuwertige Sache oder den dafür erforderlichen Geldbetrag erhält, nicht in jedem Fall einen Vorteil anrechnen lassen. Der Grundsatz, dass ein durch die Schädigungshandlung adäquat kausal verursachter Vorteil auszugleichen ist, gilt nicht ausnahmslos. Vielmehr ist danach im jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Anrechnung des Vorteils dem Sinn und Zweck der Schadensersatzverpflichtung entspricht, und es ist eine Gesamtschau der Interessenlage vorzunehmen, wie sie durch das schädigende Ereignis zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten besteht, wobei auch die Grenzen der Zumutbarkeit zu beachten sind. Denn einerseits soll der Schadensersatz grundsätzlich nicht zu einer wirtschaftlichen Besserstellung des Geschädigten führen; andererseits soll der Schädiger aber nicht unbillig begünstigt werden (BGH, Urteil vom 24.03.1959, VI -ZR 90/58- Rz. 9 zitiert nach Juris). Danach setzt die Vornahme eines Abzuges „neu für alt“ dreierlei voraus: Es muss bei dem Geschädigten eine messbare Vermögensvermehrung eintreten, die sich für ihn wirtschaftlich günstig auswirkt, die Anrechnung des Vorteils muss dem Sinn und Zweck des Schadensersatzrechts entsprechen und die Ausgleichung des Vorteils muss dem Geschädigten zumutbar sein und darf den Schädiger nicht unbillig entlasten (BGH, Urteil vom 19.06.2008, VII ZR 215/06 - Rz. 7 zitiert nach Juris; BGH, Urteil vom 13.07.1981, II ZR 91/80 - Rz. 10 zitiert nach Juris; Palandt-Grünberg, BGB, 74. Auflage 2015, Vorb. v. § 249 Rn. 99 mit weiteren Nachweisen; Schubert in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, § 249 Rn. 108; ), wobei die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen der Schädiger trägt (Schubert, a. a. O. § 249 Rn. 116).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen muss sich das klagende Land vorliegend für den teilweisen Austausch der Lärmschutzelemente keinen Vorteil „neu für alt“ anrechnen lassen, weil die Frage, ob und in welcher Höhe sich der teilweise Austausch der Lärmschutzelemente für das klagende Land in Zukunft tatsächlich wirtschaftlich günstig auswirken wird, mit dermaßen vielen Unwägbarkeiten verbunden ist, dass sich schon ein messbarer Vermögensvorteil des klagenden Landes nicht sicher feststellen lässt. Selbst wenn man einen solchen aber noch bejahen würde, wäre dessen Ausgleich dem klagenden Land jedenfalls nicht zumutbar.

aa) Durch den teilweisen Austausch der Lärmschutzelemente könnte sich für das klagende Land allenfalls dergestalt ein messbarer wirtschaftlicher Vorteil ergeben, als es die anlässlich des streitgegenständlichen Schadensfalls ausgetauschten Deckenelemente im Falle einer zukünftig erforderlich werdenden Erneuerung der restlichen Schallschutzverkleidung noch nicht ausgetauscht werden müsste, sich also durch den jetzt erfolgten teilweisen Austausch der Elemente ohnehin zulasten des klagenden Landes zukünftig anfallende notwendige Instandhaltungskosten zumindest teilweise zeitlich hinausschieben würden.

Die Annahme eines dahingehenden wirtschaftlichen Vorteils des klagenden Landes scheitert nicht schon daran, dass es bereits aus technischen Gründen zukünftig eines Austausches der Elemente nicht bedürfte. Denn wie die Beklagten bereits in erster Instanz geltend gemacht haben und auch das klagende Land nunmehr in der Berufungsinstanz einräumt, besitzen die Elemente nur eine begrenzte Lebensdauer, weil ihre Schallschutzeigenschaft im Laufe der Jahre dadurch verloren geht, dass durch die Verkehrsbelastung entstehende Feinstäube in der Steinwolleinlage der Elemente eindringen und diese zusetzen. Nach welchem genauen Zeitraum die Schallschutzfunktion verloren geht, hat der Sachverständige I nach seinen Ausführungen trotz intensiver Recherchen nicht feststellen können. Insoweit mag zwar zweifelhaft sein, ob die von ihm diesbezüglich angestellten Erkundigungen umfassend genug waren, er insbesondere nicht auch diesbezügliche Auskünfte bei der Herstellerfirma und der Vertriebsfirma der Elemente hätte einholen können, nachdem der Schadensgutachter der E in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 20.03.2013 und 31.07.2013 wiederholt darauf hingewiesen hatte, dass ihm von der Firma C, die seinerzeit die Elemente vertrieben habe, auf Nachfrage die Auskunft erteilt worden sein, dass bei einer Verkehrsbelastung in einem Tunnel nach maximal 50 Jahren keine nennenswerte Schallschutzfunktion der Elemente mehr gegeben sei. Soweit die Beklagten dagegen zuletzt mit Schriftsatz vom 04.05.2015 vortragen ließen, dass die Elemente bereits nach wenigen Jahren ihre Funktionalität verlieren würden, fehlt es dafür angesichts der vorgenannten Feststellungen des von ihnen selbst beauftragten Schadensgutachters X an jeglicher tragfähigen näheren Begründung und ist schon deshalb unbeachtlich.
Ob die Schallschutzelemente, wie die Beklagten unter Bezugnahme auf das Schadensgutachten der E behauptet haben, in maximal 50 Jahren keine nennenswerte Schallschutzeigenschaft mehr aufweisen, bedarf keiner weiteren Aufklärung durch den Senat. Denn selbst wenn man hiervon ausginge, ließe sich ein dem klagenden Land durch teilweisen Austausch der Schallschutzelemente zugeflossener Vorteil überhaupt nur dann annehmen, wenn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nach dem Wegfall der Schallschutzeigenschaft der Verkleidungselemente deren Austausch zu erwarten wäre. Schon das kann aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, weil es hierfür an entsprechenden Erfahrungswerten aus der Praxis fehlt. Wie der Sachverständige I nämlich in seinem Ergänzungsgutachten vom 13.02.2013 ausgeführt hat, konnten von diesem deshalb keine Angaben zu Lebensdauerzyklen von Schallschutzdecken in Straßentunneln gemacht werden, weil derartige Nutzungsdauerzyklen in der Baupraxis nicht verfügbar sind. Nach Einschätzung des Sachverständigen I wird es bei Straßentunneln zu einer Erneuerung der Lärmschutzverkleidung erst im Zuge von aus anderen Gründen, insbesondere wegen Sicherheitsmängel vorzunehmenden umfassenden Sanierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen kommen, für die es aber keine bestimmte Zyklen gibt und die ebenso gut bereits nach 10 Jahren wie auch erst nach einer wesentlich längeren Nutzungsdauer als 50 Jahren erforderlich werden können. Auch der von den Beklagten beauftragte Schadenssachverständige X hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.03.2013 ausgeführt, dass in der Praxis wahrscheinlich in den wenigstens Fällen ein Austausch der Elemente erfolgen wird, wenn deren Schallschutzfunktion nicht mehr gegeben ist, weil keine Prüfungspflicht bestehe, um die seinerzeit geforderten Schallschutzanforderungen im Bestand nachzuweisen. Eine Prüfung werde daher nur aus besonderem Anlass durchgeführt, so etwa wenn die Anwohner sich über eine im Laufe der Jahre zugenommene Lärmbelastung beklagen würden. Dass es zu solchen Beschwerden von Anwohnern zukünftig tatsächlich kommen wird, steht aus heutiger Sicht jedoch keineswegs fest.

bb) Doch selbst wenn es in Zukunft nochmals zu einem Austausch der Lärmschutzelemente in dem X-Tunnel kommen sollte, lässt sich aus heutiger Sicht nicht mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit feststellen, dass und in welcher Höhe sich dabei für das klagende Land durch den bereits im Jahr 2010 erfolgten teilweisen Austausch der Schallschutzelemente ein wirtschaftlichen Vorteil realisieren lassen wird. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen I kann nicht ausgeschlossen werden, dass bereits vor Ablauf der funktionalen Lebensdauer der nach dem Schadensereignis verbliebenen restlichen 51% der alten Schallschutzelemente aus anderen Gründen, insbesondere wegen eingetretener Schäden und aufgetretener Sicherheitsmängel eine umfassende Sanierung und/oder Instandsetzung des Tunnels erforderlich werden könnte, in deren Rahmen aus bautechnischen Gründen oder wegen zwischenzeitlich verschärfter gesetzlicher Anforderungen an den einzuhaltenden Schallschutz ein vollständiger Austausch der Schallschutzverkleidung vorzunehmen ist.

Doch auch wenn ein solcher vollständiger Austausch der Elemente nicht erforderlich werden sollte, lässt sich heute nicht mit hinreichender Sicherheit sagen, ob für das klagende Land zukünftig - etwa ausgehend von der von den Beklagten angenommenen funktionalen Lebensdauer von 50 Jahre im Jahr 2047 - noch vergleichbare Schallschutzelemente erhältlich sein werden, die lediglich in Farbe und Aussehen von den jetzigen Schallschutzelementen abweichen, oder nur Elemente mit abweichenden Abmessungen, die sich nur mit einem heute noch nicht bezifferten erhöhten Kostenaufwand mit den bereits im Jahr 2010 ausgetauschten Verkleidungselementen kombinieren lassen.

Abgesehen davon würde sich im Falle eines zukünftigen Austausches nur der verbliebenen 51% der alten Schallschutzelemente auch ein erhöhter Kostenaufwand für das klagende Land schon dadurch ergeben, dass dieses die anlässlich des streitgegenständlichen Schadensfalls erneuerten 49% der Schallschutzelemente ihrerseits wiederum nach weiteren 11 Jahren erneuern müsste. Durch einen solchen jeweils nur teilweisen Austausch der Schallschutzverkleidung würde es letztlich allein in Bezug auf die Lärmschutzverkleidung zu deutlich verkürzten Instandsetzungsintervallen kommen, welche wegen der dabei jeweils vorzunehmenden Vorbereitungsarbeiten, Baustelleneinrichtungen, etc. gegenüber einer nur alle 50 Jahre vorzunehmenden kompletten Erneuerung der Schallschutzverkleidung mit einem deutlich höheren Personal- und Kostenaufwand verbunden wäre. Wie hoch diese zusätzlichen Kosten für das klagende Land in 32 Jahren sein werden und ob und in welcher Höhe ihm auch unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Kosten noch ein wirtschaftlicher Vorteil aufgrund des im Jahr 2010 erfolgten teilweisen Austausches der Elemente verbleiben wird, lässt sich aus heutiger Sicht ebenfalls nicht hinreichend sicher sagen.

Vor diesem Hintergrund der Vielzahl der vorstehend aufgezeigten Unwägbarkeiten lässt sich damit aus heutiger Sicht schon nicht mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit feststellen, dass und in welcher Höhe es durch den im Jahr 2010 erfolgten teilweisen Austausch der Schallschutzelemente für das klagende Land zu einer messbaren und sich wirtschaftlich günstig auswirkenden Vermögensvermehrung gekommen ist bzw. kommen wird. Jedenfalls ist nach Auffassung des Senats dem klagenden Land danach auch unter Berücksichtigung der zu beachtenden Interessen der Beklagten die Anrechnung eines Abzuges „neu für alt“ nicht zumutbar, zumal angesichts der bestehenden Unwägbarkeiten, die zulasten der für die Voraussetzungen des Vorteilsausgleich darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten gehen, auch völlig ungewiss ist, ob diese als Schädiger hierdurch überhaupt benachteiligt werden.

 

OLG Hamm, Urteil vom 19.06.2015 - 11 U 168/14

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