ArbG Berlin: sexuelle Belästigung rechtfertigt nicht in jedem Fall die fristlose Kündigung

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 21.07.2015

Einer Kollegin tätschelte er den Po und umarmte sie, eine andere fasste er von hinten an und schüttelte sie. Wegen wiederholter sexueller Belästigung wurde ein Berliner Vertriebsmanager fristlos entlassen. Doch für die Frauen in der Zeitarbeitsfirma ist der umstrittene Leiter keine Vergangenheit: Die Kündigung ist unwirksam, entschied das Berliner Arbeitsgericht. Auch entgangenes Gehalt seit Dezember 2014 solle nachgezahlt werden. Die fristlose Kündigung sei unwirksam, heißt es im Urteil vom 8.4.2015 (Az.: 10 Ca 18240/14), das erst jetzt bekannt wurde und der Deutschen Presseagentur vorliegt und deren Bericht diesem Beitrag zugrunde liegt. Das Gericht moniert, dass der Kläger zuvor nicht abgemahnt worden ist. Die fristlose Kündigung sei das letzte Mittel. Verwiesen wurde auch darauf: Zu den Vorfällen sei es schon ein halbes Jahr vor der Kündigung gekommen – augenscheinlich hätten die betroffenen Arbeitnehmerinnen die Übergriffe als nicht so gravierend empfunden, sonst hätten sie diese der Unternehmungsleitung doch zeitnah mitgeteilt, hieß e s im Urteil. Die Richter ließen das Argument des Unternehmens nicht gelten, dass die Kolleginnen verängstigt gewesen seien und sich erst nicht trauten, die Übergriffe anzusprechen. Das sei nicht nachvollziehbar, so die Richter. Der Rechtsstreit geht nun in die zweite Instanz: Die Firma habe Berufung eingelegt, wie ein Gerichtssprecher sagte. Das Referenzurteil des BAG zu Beurteilung solcher Fälle ist das sog. Busengrapscher-Urteil (20.11.2014, NZA 2015, 294), welches eine - dem Kündigungsrecht auch eher fremde - Rigorosität vermeidet. Eine sexuelle Belästigung i. S. d. § § 3 Abs. 4 AGG ist demnach zwar ein „an sich“ geeigneter wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Ob im Einzelfall eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt ist, hängt jedoch – so das BAG - von den konkreten Umständen, u. a. von Umfang und Intensität der Belästigung ab. Die außerordentliche Kündigung könne unverhältnismäßig sein, wenn eine Verhaltensänderung in der Zukunft zu erwarten ist, z. B. weil der Arbeitnehmer sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt hat, nicht einschlägig abgemahnt ist, die Belästigung offen zugibt und einen Ausgleich mit seinem Opfer herbeiführt.

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6 Kommentare

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Insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich sind konkrete Lebenssachverhalte häufig verschieden, und es wäre nicht sachgerecht und nicht angemessen, alle Vorfälle sexueller Belästigung pauschal über einen Kamm zu scheren und immer rigoros zu ahnden.

Solch eine differenzierte Rechtsprechung setzt jedoch wohl einen gewissen Mut oder eine gewisses Verantwortungsbewußtsein und eine gewisse Souveränität der Richterinnen und Richter voraus, denn sie müssen befürchten womöglich von Feministinnen und politisch Korrekten heftig kritisiert oder gar der Frauenfeindlichkeit oder des Sexismus beschuldigt zu werden.

Bequemer wäre es für die Richter, sich dem Zeitgeist anzupassen, sich politisch korrekt zu empören, und von einer Kündigung wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung betroffene betroffene Männer wie rechtlos (um nicht zu sagen vogelfrei) zu behandeln.

Es ist gut und ermutigend immer öfter wieder zu sehen, daß der Opportunismus, der sich vor Jahren mal in der Richterschaft breitzumachen schien, wieder rückläufig ist, und daß inzwischen die meisten Richter (in allen Rechtsgebieten) wieder sehr verantwortungsbewußt und ernsthaft und gewissenhaft um Einzelfallgerechtigkeit bemüht arbeitet und Recht spricht.

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@ Prozessbeobachter:

 

Ich stimme Ihnen zum Teil zu, allerdings wenn jemand das wiederholt macht, wie es auch beschrieben wird, dann hat derjenige wohl nichts gelernt und scheint auch sein Verhalten nicht ändern zu wollen. In so einem Fall sehe ich keine Aussicht auf Verbesserung.

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@Gast:

 

Zur Thematik "Aussicht auf Besserung" möchte ich ergänzen. Das ist gerade oftmals das Problem, dass die "Täter" gar nicht wissen, dass sie belästigend oder diskriminierend unterwegs sind. Deswegen wäre gerade in solchen Fällen tatsächlich eine Abmahnung ausreichend und zielführend. Anders wäre die Angelegenheit bei massiveren Belästigungen, die zweifelsfrei jeder als Belästigung empfinden würde, zu beurteilen.

 

Ziehen Sie doch einen Vergleich zum Privatleben. Sie graben eine Dame/einen Herren Ihres Herzens an. Der oder die eine wünschen sich, dass Sie richtig Gas geben und alle Register ziehen, weil die Dame / der Herr erobert werden will. Der oder die andere finden sog. "touchies" eher abstoßend, würden sich jedoch über eine anderweitige Kontaktaufnahme freuen.

 

Ebenso ist es teilweise im Arbeitsverhältnis. Ein Arbeitnehmer erwartet sich einen völlih korrekten und distanzierten Chef. Der andere Arbeitnehmer hätte lieber einen aufgeschlossenen, coolen Typen als Chef, der gerne auch mal ein Bierchen trinkt oder aber ein Draufgänger ist.

 

Gerade im Bereich des Arbeitslebens und insbesondere im Bereich der Führungsebene können sie es keinem recht machen. Genau vor diesem Hintergrund ist eine offene Kommunikation angesagt, die im modernen Arbeitsleben gerne gescheut wird. Deshalb: Dem "touchy" Chef unmissverständlich klar machen, dass derartige Verhaltensweisen nicht geduldet sind. Kapiert er es nicht, dann raus.

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@ Gast6

 

Sie machen es sich mit Ihrer Erklärung aber auch zu einfach. In diesem Fall ist geht es um einen Vertriebsmanager. Es ist durchaus möglich, dass sich gewisse Leiter das Ein oder Andere erlauben oder denke sich erlauben zu können. Zumal keine Zeugen vom Gericht befragt wurde.

Quelle: http://www.haufe.de/oeffentlicher-dienst/personal-tarifrecht/sexuelle-belaestigung-rechtfertigt-nicht-in-jedem-fall-kuendigung_144_312546.html

 

Es macht durchaus Sinn, dass die betroffenen Frauen Angst. Vielleicht ist Ihr Beispiel in dem ein oder anderen Fall möglich, aber die Regel ist das nicht.

 

Gibt es vielleicht das Urteil in Gänze? Der Link funktioniert nicht.

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@ der bestimmte Gast:

 

Wir wissen doch alle, dass es gerade im Bereich des Vertriebs die seltsamsten "Blüten" der sog. Motivation gibt. Denken Sie an das "Göker-Imperium", in dem es Usus war, im Rahmen von sog. "Schein-Hochzeiten" dem Unternehmen ewige Treue zu schwören.

 

Das rechtfertigt im Ergebnis keine "sexuelle Belästigung", aber es setzt möglicherweise die Schwelle herab, wann dem Chef vorher die Grenzen mit einer Abmahnung gesetzt werden müssen

 

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@ Gast6

 

Ich verstehe nicht ganz worauf Sie hinauswollen (aber ich ahne etwas). Was hat Unternehmenstreue mit sexueller Belästigung zu tun?

 

Gerade jemand, der eine leitende Position inne hat, hat auch eine erhöhte Vorbildfunktion. Dieser Grundsatz ist bekannt. Das man so ein Urteil ohne Zeugen fällen kann, verwundert mich auch nicht... . Aber der Richter ist ja jetzt in Pension. 

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