Abschleppen ok => Abschleppkosten (-)

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.07.2015
Rechtsgebiete: AbschleppenUmsetzenVerkehrsrecht1|3764 Aufrufe

Mal wieder Verkehrsverwaltungsrecht. Es geht heute um ohne langen Vorlauf aufgestellte mobile Halteverbotsschilder. 

Hier ein wenig Sachverhalt:

...Das Straßenverkehrsamt des Landkreises Dahme-Spreewald ordnete am 19. April 2013 für den Zeitraum 19. April 2013 bis zum 31. Dezember 2013 u. a. Verkehrsbeschränkungen für nicht näher bezeichnete Gemeindestraßen und Geh- bzw. Radwege in der Stadt an, um „kleinere Reparaturarbeiten im Straßenbereich und auf Geh- und Radwegen“ durchführen zu können. Am 27. Mai 2013 stellten Mitarbeiter des Bauhofs der Stadt ausweislich ihrer Tätigkeitsnachweise in der Zeit von 09.00 - 10.30 Uhr im ...weg und in der ...straße in mobile Verkehrsschilder auf. Der ...weg wurde im Bereich der beabsichtigten Baumaßnahmen mit dem Zeichen 286 (Eingeschränktes Haltverbot) und dem Zusatzzeichen 1052-37 (Halteverbot auch auf dem Seitenstreifen), gültig für den 30. und für den 31. Mai 2013 in der Zeit von 7.00 bis 16.00 Uhr, beschildert. Am 30. Mai 2013 beauftragte das Ordnungsamt der Stadt einen Abschleppdienst, den Wagen des Klägers, der auf dem unbefestigten Seitenstreifen des Veilchenwegs in einem Bereich geparkt war, für den das Parkverbot galt, umzusetzen; das Kraftfahrzeug wurde etwa 250 Meter entfernt in der Straße ... geparkt. Ausweislich der Rechnung des Abschleppdienstes, die sich auf einen Betrag in Höhe von 89,25 € einschließlich Mehrwertsteuer beläuft, wurde der Einsatz am 30. Mai 2013 um 08.30 Uhr begonnen und um 09.30 Uhr beendet...

Der Kläger wendet sich nun gegen diese von ihm erhobenen Kosten. Das VG Cottbus meint: Abschleppen war ok - die Kosten muss der Kläger aber nicht tragen:

Die Kostenforderung des Beklagten ist allerdings rechtswidrig.

Nach § 11 Abs. 2 Nr. 7 Hs. 1 Bbg KostO gehören zu den vom Pflichtigen zu erstattenden Auslagen der Vollzugsbehörde zwar auch die Beträge, die bei der Ersatzvornahme an Beauftragte oder an Hilfspersonen zu zahlen sind, und die Stadt ist als Gebietskörperschaft, bei der die Auslagen entstanden sind, nach § 37 Abs. 1 S. 2 VwVG BB auch Kostengläubigerin.
Die Kostenforderung erweist sich in dem vorliegenden Einzelfall allerdings als unverhältnismäßig. Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann namentlich dann vorliegen, wenn der Halter oder Fahrer sein Fahrzeug ohne Verstoß gegen straßenrechtliche und straßenverkehrsrechtliche Vorschriften geparkt hat und die Störung, zu deren Beseitigung er nunmehr verpflichtet ist, für ihn nicht vorhersehbar war. Das etwa ist der Fall, wenn das Fahrzeug ohne angemessene Reaktionsfrist (Vorlaufzeit) nach Errichtung eines mobilen Halteverbots abgeschleppt wird. So liegt es hier. Der Vortrag des Beklagten, es werde bestritten, dass der Kläger sein Fahrzeug vor dem Aufstellen der Verkehrsschilder - nämlich, wie von diesem behauptet, am 27. Mai 2013 um 04.30 Uhr - im Veilchenweg in abgestellt habe, gibt dem Gericht keine Veranlassung, den Sachverhalt von Amts wegen weiter zu klären. Zum einen hat der Kläger diesen Vortrag mit der von ihm vorgelegten Bescheinigung seines Arbeitgebers vom 31. März 2014 hinreichend nachgewiesen, zum anderen müsste sich der Beklagte entgegenhalten lassen, dass es an ihm gewesen wäre, entsprechend den üblichen Gepflogenheiten durch entsprechende Lichtbildaufnahmen im Zeitpunkt des Aufstellens der Verkehrsschilder zu dokumentieren, welche Kraftfahrzeuge bereits geparkt waren.
Das Kraftfahrzeug des Klägers ist am 30. Mai 2013 umgesetzt worden, obwohl eine angemessene Vorlaufzeit noch nicht abgelaufen war. Diese ist geboten, weil der Verkehrsteilnehmer einerseits nicht darauf vertrauen darf, dass ein im Zeitpunkt des Abstellens des Kraftfahrzeugs rechtmäßiges Parken unbegrenzt erlaubt bleibt, von ihm auf der anderen Seite aber auch nicht erwartet werden kann, den Parkplatz täglich oder gar stundengenau auf eine Änderung der Verkehrsregelungen zu kontrollieren.
Die Länge der Vorlaufzeit ist strittig: Während es die überwiegende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung im Anschluss an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 1998 (BVerwG 11 C 15.95 - juris Rn. 13) für geboten hält, dass zwischen dem Tag des Aufstellens der Verkehrsschilder und dem Tag der Abschleppmaßnahme (ohne Differenzierung zwischen Werktagen, Sonn- und Feiertagen) drei volle Tage liegen (OVG Ham- burg, Urt. v. 07. Oktober 2008 - 3 Bf 116/08 - juris Rn. 51/52; Bayerischer VGH, Urt. v. 17. April 2008 - 10 B 08.449 - juris Rn. 17 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 13. Februar 2007 - 1 S 822/05 - juris Rn. 22 ff.; Sächsisches OVG, Urt. v. 23. März 2009 - 3 B 891/06 - juris Rn. 32; VG Bremen, Urt. v. 09. Dezember 2010 - 5 K 622710 - juris Rn. 24; Sadler: VwVG, VwZG, 9. Aufl. 2014, § 19 VwVG Rn. 17 m. w. N.), ist die Rechtsprechung der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichte der Auffassung, dass bereits ein zeitlicher Vorlauf von 48 Stunden angemessen sei, sofern es sich nicht um besonders dringliche Angelegenheiten handele; eine längere Frist sei angesichts der vielfältigen Anforderungen, die - insbesondere unter den heutigen großstädtischen Bedingungen - in straßenverkehrsrechtlicher und sonstiger Hinsicht an den Straßenraum gestellt werden, nicht vertretbar (OVG f. d. Ld. Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 23. Mai 1995 - 5 A 2092/93 - juris Rn. 9 - 11). Das OVG A- Stadt-Brandenburg hat eine Zeitspanne von drei Tagen für den Regelfall als notwendig und angemessen beurteilt, jedoch auch die im Land übliche Verwaltungspraxis unbeanstandet gelassen, die auf die geringere Vorlaufzeit von 72 Stunden abstellt (vgl. Beschlüsse v. 06. September 2007 - OVG 1 S 103.07/OVG 1 M 49.07 - S. 4 des Beschlussabdrucks <BA> sowie v. 04. November 2010 - OVG 1 N 75.10 - S. 4 BA).
Das Gericht schließt sich vorliegend der erstgenannten Rechtsprechung an. Die Parkbeschränkung wurde für eine Anwohnerstraße in der lediglich etwa 10.000 Einwohner zählenden Stadt angeordnet, um - nicht nur im ...weg, sondern auch an anderen Orten in - in einem Zeitraum von etwa einem halben Jahr kleinere Reparaturarbeiten im Straßenbereich und im Bereich von Geh- und Radwegen vornehmen zu können. Die Änderung der Verkehrsregelung war mithin für die Stadt plan- und vorhersehbar und ein Verkehrsteilnehmer musste ohne anderweitige Hinweise - etwa eine herannahende „Wanderbaustelle“ -nicht damit rechnen, dass das Parken in dem Seitenbereich einer Anwohnerstraße der Kleinstadt vor Ablauf von drei vollen Tagen unerlaubt werden würde. Die geringere Vorlaufzeit von 72 oder gar 48 Stunden verlangt dem Verkehrsteilnehmer eine zeitlich präzise Reaktion ab, und sie beruht vor allem auf den Gegebenheiten in Großstädten, in denen weitaus zügiger auf unvorhergesehene Ereignisse - etwa Demonstrationen oder Staatsbesuche -mit einer Änderung der Parkmöglichkeiten reagiert werden muss. Die fehlende Eilbedürftigkeit der Straßenbaumaßnahmen und der Umstand, dass zwischen der generellen Anordnung der Maßnahme durch die Straßenverkehrsbehörde und dem Beginn des Parkverbots annähernd sechs Wochen Zeit lagen, lassen die Belastung des Klägers mit den Kosten für das Umsetzen seines Fahrzeugs hier als unverhältnismäßig erscheinen: Zwischen dem Aufstellen der Verkehrsschilder am 27. Mai 2013 zwischen 9.10 Uhr und 09.30 Uhr und dem Anordnen der Umsetzung und ihrer Durchführung am 30. Mai 2013 ab 08.30 Uhr lagen keine drei vollen Tage - und im Übrigen noch nicht einmal 72 Stunden -, denn diese Frist lief erst am 30. Mai 2013 um 00.00 Uhr ab, vgl. § 31 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 1 BGB (vgl. dazu auch Ellenberg in: Palandt, BGB, 72. Aufl., 2013, § 187 Rn. 1 ).

VG Cottbus, Urteil vom 02.02.2015 - VG 1 K 758/13

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Treffend Thorsten Koch, Frank Niebaum,  Ich sehe was, was Du nicht siehst! - OVG Münster, NVwZ-RR 1996, 59 ff., JuS 1997, 312-317 

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