Wie schreibt man ein Urteil: Ist Darstellung des Vollstreckungsstands bei der Darstellung der Vorstrafen nötig?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.07.2015
Rechtsgebiete: GesamtstrafeVorstrafenStrafrechtVerkehrsrecht|7608 Aufrufe

Heute mal "echte StPO": Vorstrafen, die das Gericht in seiner Entscheidung verwertet, müssen dargestellt werden. Aber wie weit? Damit hatte sich das OLG Hamm zu befassen: "Ein Schweigen eines Urteils zum Vollstreckungsstand einer gesamtstrafenfähigen Entscheidung ist kein Erörterungsmangel, weil grds. dann davon auszugehen ist, dass dem Tatrichter keine weiteren Feststellungen möglich waren. Das gilt aber dann nicht, wenn sich aus den Urteilsgründen konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Tatrichter die Möglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung übersehen hat."

Die Entscheidung:

Das Amtsgericht Hamm hat den Angeklagten am ##.##.2014 wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Dortmund mit dem angefochtenen Urteil mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt worden ist.

Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil gab sich der Angeklagte unter Mitwirkung der gesondert verfolgten Zeugen F und H-Q in der Nacht vom ##.##.2012 auf den ##.##.2012 in der Stadtmitte in I gegenüber dem Geschädigten T als Polizist aus und forderte ihn auf, im Rahmen einer angeblichen Drogenkontrolle seine Taschen zu entleeren und den Inhalt abzulegen. Wie von vornherein gemeinsam geplant, nahm der gesondert verfolgte H-Q das so abgelegte Mobiltelefon des Geschädigten an sich und versetzte es später. Den Veräußerungserlös teilte er sich mit dem Angeklagten.

Am ##.##.2012 ging der Angeklagte unter Mitwirkung des gesondert verfolgten F gegenüber dem Geschädigten E, wiederum in I, in entsprechender Weise vor. Der Geschädigte verweigerte aber seine Mitwirkung bei der angeblichen Kontrolle. Daraufhin versetzte der Angeklagte ihm einen Faustschlag ins Gesicht. Der Geschädigte ging zu Boden, was der Angeklagte ausnutzte, um ihn zu durchsuchen und ihm ein Mobiltelefon im Wert von rund 300 Euro sowie mindestens 20 Euro Bargeld und Weiteres zu entwenden. Der Geschädigte erlitt eine Schädelprellung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und Verfahrensrügen erhebt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

1.

Der Gesamtstrafenausspruch war auf die Sachrüge hin aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 SPO).

Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte am 27.01.2014 durch das Amtsgericht Minden wegen „Diebstahls in einem besonders schweren Fall“ zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Mit Urteil des Amtsgerichts Dortmund wurde er am 07.07.2014 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe verurteilt. Nähere Angaben zu diesen beiden Vorstrafen werden nicht mitgeteilt. Der Senat kann daher nicht prüfen, ob die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe zu Recht unterblieben ist oder ob ggf. ein Härteausgleich zu gewähren ist. Zwar ist ein Schweigen eines Urteils zum Vollstreckungsstand einer gesamtstrafenfähigen Entscheidung kein Erörterungsmangel, weil grds. dann davon auszugehen ist, dass dem Tatrichter keine weiteren Feststellungen möglich waren (BGH Urt. v. 17.02.2004 – 1 StR 369/03 - juris). Das gilt aber dann nicht, wenn sich aus den Urteilsgründen konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Tatrichter die Möglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung übersehen hat (BGH, Beschl. v. 15.09.2006 – 2 StR 280/06 – juris). So verhält es sich hier. Zur Frage einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung bzw. eines Härteausgleichs verhalten sich die Urteilsgründe mit keinem Wort, obwohl dies angesichts der vorbezeichneten Vorverurteilungen und angesichts des Umstandes, dass im Urteil festgestellt wird, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung Strafhaft verbüßt (wobei angesichts der zeitlichen Abfolge der Vorverurteilungen wahrscheinlich ist, dass es sich um die Strafe aus dem Urteil des AG Minden handelte), nahe gelegen hätte.

2. 
Im Übrigen war die Revision aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Hamm als offensichtlich unbegründet i. S. v. § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Bzgl. der Verfahrensrüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO merkt der Senat ergänzend an, dass der Senat der Formulierung der Anfrage durch den Vorsitzenden der Berufungsstrafkammer nicht entnehmen kann, dass dieser sich vor Durchführung der Hauptverhandlung bereits auf die Schuld des Angeklagten festgelegt hätte. Vielmehr erfolgte die Anfrage unter Bezugnahme auf das amtsgerichtliche Urteil, in dem tatsächlich festgestellt wurde, dass die beiden Geschädigten den Angeklagten „hundertprozentig“ identifiziert hätten. Der Fall ist insoweit daher anders gelagert als der, der dem Beschluss des OLG Nürnberg vom 20.11.2007 (2 St OLG Ss 133/07 –juris) zu Grunde lag, auf den sich der Angeklagte beruft. Dort hatte der Vorsitzende der kleinen Strafkammer ausgeführt, dass „keine Zweifel“ an bestimmten tatrelevanten Umständen bestehen konnten und somit eine eigene, verfestigte Wertung zur Schuldfrage vorgenommen.

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 1.6.2013 - 1 RVs 35/15

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