BGH: Vorgetäuschte Polizeikontrolle und nachfolgender Raub = räuberischer Angriff auf Kraftfahrzeugführer

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.06.2015

Die Entscheidung des BGH iest sich im Tatbestand wie ein echte Fernesehkrimi:

Der Angeklagte S. , H. und S. M. folgten, dem gemeinsamen
Tatplan entsprechend, mit einem PKW dem vom Nebenkläger geführten,
am Flughafen Frankfurt am Main mit Produkten der Firma A. beladenen
LKW auf die Bundesautobahn A 3. Die Täter fuhren kurz vor dem Rastplatz
„St. “ auf der mittleren Fahrspur der Autobahn neben den LKW. S.
betätigte die Hupe, H. gab vom Beifahrersitz aus dem Nebenkläger durch
das geöffnete Fenster per Handzeichen zu verstehen, er solle rechts herausfahren.
Der Nebenkläger nahm – wie von den Tätern beabsichtigt – an, dass es
sich um eine Polizeistreife in Zivil handele und eine Fahrzeugkontrolle durchgeführt
werden solle. Er lenkte daher den LKW auf den Rastplatz, hielt an und
stellte den Motor ab. S. brachte das von ihm geführte Fahrzeug dort ebenfalls
zum Stehen. H. ging auf die Fahrertür des LKW zu und rief: „Polizeikontrolle!
Papiere bitte!“ Während der Nebenkläger nach den Fahrzeugpapieren
und Frachtunterlagen griff, streifte sich H. eine Unterziehhaube über das
Gesicht, öffnete die Fahrertür des LKW und bedrohte den Nebenkläger mit
einer nicht geladenen Pistole. Er zwang ihn, sich auf das Bett in der Kabine hinter
dem Fahrersitz zu legen, wo er ihn fesselte und ihm eine Jacke über den
Kopf legte. Dann fuhr er mit dem LKW zu einem für das Umladen der Beute
vorgesehenen Platz. Dort warteten die Angeklagten M. und Z. mit
einem weiteren Fahrzeug, auf das die Täter Waren im Wert von rund
450.000 Euro umluden.

Für den BGH nach einer Revison der StA die Frage: Ist das schon ausreichend für § 316a StGB? Der BGH meint: "Ja!"

Nach den Feststellungen haben sich die Angeklagten tateinheitlich
auch des (gemeinschaftlichen) räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß
§ 316a Abs. 1 StGB schuldig gemacht.

a) Nach der Grundsatzentscheidung des Senats vom 20. November
2003 (4 StR 150/03, BGHSt 49, 8 ff.) erfasst der Tatbestand des § 316a StGB
als taugliches Tatopfer nur den Führer (oder den Mitfahrer) eines Kraftfahrzeugs.
Erforderlich ist, dass das Tatopfer diese Eigenschaft zum Tatzeitpunkt,
d.h. bei Verüben des Angriffs, besitzt. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass
der Nebenkläger bei dem Angriff auf dem Parkplatz nicht mehr Führer des LKW
war. Zwar hielt sich das Tatopfer noch im Fahrzeug auf. Es war aber zu diesem
Zeitpunkt nach den Feststellungen nicht mehr mit der Bewältigung von Betriebs-
oder Verkehrsvorgängen befasst, damit nach der Rechtsprechung des
Senats nicht mehr Führer des LKW und deshalb zu diesem Zeitpunkt kein taugliches
Angriffsziel im Sinne des § 316a StGB (vgl. BGH, aaO; NK-StGB/Herzog,
4. Aufl., § 316a Rn. 16).

b) Indem die Täter ihr Opfer zuvor durch die vorgetäuschte Polizeikontrolle
zu diesem Halt zwangen, lag jedoch entgegen der Auffassung des Landgerichts
die für die Tatbestandsmäßigkeit erforderliche zeitliche Verknüpfung
zwischen dem Verüben des Angriffs und der Führereigenschaft des Angegriffenen
vor
(vgl. dazu auch BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 4 StR 299/04,
BGHSt 50, 169, 170 f., und vom 25. September 2007 – 4 StR 338/07, BGHSt
52, 44, 45 f.).

aa) Für die insoweit allein problematische Frage, ob die Angeklagten
einen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Nebenklägers als Führer des LKW
verübt haben, gilt nach der Rechtsprechung des Senats das Folgende (vgl. insbesondere
BGH, Urteile vom 20. November 2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8,
12 f.; Beschluss vom 14. Juli 1987 – 4 StR 324/87, BGHR StGB § 316a Abs. 1
Angriff 1): Einen solchen Angriff verübt, wer in feindseliger Absicht auf dieses
Rechtsgut einwirkt. Ausreichend, aber auch erforderlich ist eine gegen die Entschlussfreiheit
gerichtete Handlung, sofern das Opfer jedenfalls deren objektiven
Nötigungscharakter wahrnimmt; die feindliche Willensrichtung des Täters
braucht das Opfer dagegen nicht erkannt zu haben. Ebenfalls nicht vorausgesetzt
ist, dass der verübte Angriff sich bereits unmittelbar gegen das Eigentum
bzw. das Vermögen des Opfers richtet.

bb) Dadurch, dass der Angeklagte S. und die gesondert Verfolgten
S. M. und H. in Absprache mit den weiteren Angeklagten Z.
und M. M. den Nebenkläger veranlassten, mit seinem LKW die Autobahn
zu verlassen und den Rastplatz aufzusuchen, haben sie im vorbezeichneten
Sinn einen tatbestandsmäßigen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Führers
eines Kraftfahrzeugs verübt. Der Nebenkläger befand sich bereits zu diesem
Zeitpunkt objektiv in einer Nötigungssituation.

Zwar reicht es für das Merkmal des „Angriffs“ nach der (neueren) Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs und der herrschenden Meinung in der Literatur
nicht aus, wenn auf den Führer eines Kraftfahrzeugs mit List eingewirkt
wird, um ihn in eine Situation zu bringen, in der ein Raub durchgeführt werden
soll. Dies ist etwa der Fall, wenn ein vermeintlicher Fahrgast beim Taxifahrer
ein falsches Fahrtziel angibt (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2003 – 4 StR
150/03, BGHSt 49, 8, 13 f.); das Gleiche gilt für das Vortäuschen einer Autopanne
(jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs des § 323c StGB) sowie
in den Anhalterfällen. Hiervon abzugrenzen sind aber Handlungen, welche auf
den Führer eines Kraftfahrzeugs eine objektiv nötigungsgleiche Wirkung haben
(vgl. dazu im Einzelnen Fischer, StGB, 62. Aufl., § 316a Rn. 6 f.; Lackner/Kühl,
StGB, 28. Aufl., § 316a Rn. 2; jew. mwN). Es kommt hierfür nicht darauf an, ob
diese Wirkung vorgetäuscht ist oder ob der objektiv Genötigte von einer
Rechtswidrigkeit der Einwirkung ausgeht.

Fälle einer – wie hier – vorgetäuschten Polizeikontrolle unterscheiden
sich daher substantiell von bloßen Vortäuschungen allgemein motivierender
Umstände der oben genannten Art; sie entsprechen vielmehr der Konstellation
einer Straßensperre. Denn dem Kraftfahrzeugführer ist bei der Einwirkung
durch das Haltezeichen eines Polizeibeamten kein Ermessen eingeräumt; er ist
vielmehr bei Androhung von Geldbuße (§ 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO) verpflichtet,
Haltezeichen Folge zu leisten, wobei der Senat dahinstehen lässt, ob die Täter
hier eine Weisung zur Regelung einer konkreten Verkehrssituation nach § 36
Abs. 1 StVO oder eine solche zur Durchführung einer allgemeinen Verkehrskontrolle
nach § 36 Abs. 5 StVO vorgespiegelt haben (vgl. zur Abgrenzung OLG
Köln, VRS 67, 293; Janker in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht,
23. Aufl., § 36 StVO Rn. 3 f., 12). Der Nebenkläger sollte jedenfalls das
Vorgehen der Täter im fließenden Verkehr als polizeiliche Weisung verstehen
und hat dies auch so verstanden; das Tragen von Zivilkleidung steht der von
den Angeklagten und ihren Tatgenossen angestrebten Vorgabe einer Polizeikontrolle
nicht entgegen (Kudlich, JA 2015, 235, 236; vgl. hierzu auch
BayObLGSt 1974, 137; OLG Düsseldorf, NZV 1996, 458, 459; OLG Hamm,
NJW 1972, 1769 für die telefonische Weisung eines „Kreispolizeibeamten“; zw.
Jahn, JuS 2014, 1135, 1137).

cc) Auf die Entschlussfreiheit eines Kraftfahrzeugführers wird daher bereits
dann durch einen Angriff eingewirkt, wenn vom Täter eines geplanten
Raubes eine Polizeikontrolle vorgetäuscht wird und sich der Geschädigte
dadurch zum Anhalten gezwungen sieh
t (König in Hentschel/König/Dauer,
Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 316a StGB Rn. 2; SSW-StGB/Ernemann,
2. Aufl., § 316a Rn. 9; Sander in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 316a Rn. 11; LKStGB/Sowada,
12. Aufl., § 316a Rn. 11; Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/
Schröder, StGB, 29. Aufl., § 316a Rn. 4; SK-StGB/Wolters, § 316a Rn. 3c
[„psychische Autofalle“]; Roßmüller/Rohrer, NZV, 1995, 253, 263; Steinberg,
NZV 2007, 545, 550; Geppert, DAR 2014, 128, 130; in der Tendenz ebenso
schon BGH, Beschlüsse vom 23. Juli 2014 – 2 StR 104/14, NStZ-RR 2014,
342, und 2 StR 105/14; aA Krüger, NZV 2004, 161, 165 f.; Duttge/Nolden, JuS
2005, 193, 197; wohl auch Bosch JK 1/2015 StGB § 316a).

c) Die Angeklagten und ihre Tatgenossen haben als Mittäter bei der Begehung
der Tat in der tatbestandsmäßigen Absicht die besonderen Verhältnisse
des Straßenverkehrs ausgenutzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Senats ist dieses zusätzliche Tatbestandsmerkmal in der Regel erfüllt, wenn
der Angriff im Sinne des § 316a StGB zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem sich
der Fahrer mit dem Kraftfahrzeug im fließenden Verkehr befindet (BGH, Urteil
vom 20. November 2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8, 14 f.; Beschlüsse vom
28. Juni 2005 – 4 StR 299/04, BGHSt 50, 169, 172 f., und vom 22. August 2012
– 4 StR 244/12, NStZ 2013, 43); so liegt es auch hier.

2. Aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts
vom 16. Mai 2014 und vom 23. Januar 2015 haben sich die Angeklagten
nicht des erpresserischen Menschenraubs (so in erster Linie die revisionsführende
Staatsanwaltschaft) oder der Geiselnahme (so die Generalstaatsanwaltschaft
in Frankfurt am Main) schuldig gemacht.

3. Der Senat kann den Schuldspruch nicht selbst ändern und die Angeklagten
auch des tateinheitlich begangenen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer
schuldig sprechen (§ 265 Abs. 1 StPO); er hebt das angefochtene Urteil daher
auch insoweit auf, als die Angeklagten – an sich rechtsfehlerfrei – wegen
schweren Raubes in Tateinheit mit Amtsanmaßung und Kennzeichenmissbrauch
schuldig gesprochen sind (vgl. KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 353 Rn. 12).

Einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf es nicht
(§ 353 Abs. 2 StPO); insoweit liegt der Fall im Blick auf die die Angeklagten treffende
Beschwer anders als bei einem erstinstanzlichen Freispruch (vgl. MeyerGoßner/Schmitt,
StPO, 58. Aufl., § 354 Rn. 23). Der nunmehr zur Entscheidung
berufene Tatrichter ist nicht gehindert, ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch
stehende Feststellungen zu treffen.

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