Erregung ärgert Jugendrichter - Jugendarrest
von , veröffentlicht am 09.06.2015"Erregung öffentlichen Ärgernisses" nach § 183a StGB ist eine im Universitätsstudium wenig beachtete Norm. Ein Verstoß dagegen - also die Vornahme von sexuellen Handlungen in der Öffentlichkeit - erregt in Zeiten der allgegenwärtigen Sexualisierung in Werbung, Medien, Internet kaum noch Aufmerksamkeit. Staatsanwaltschaft und ein Jugendrichter in Augsburg sahen das lt. Bericht der SZ () anders:
Ein 19 und 18 Jahre altes Paar hatte sich im Erlebnisbad (genauer in der "Erlebnisgrotte") körperlich miteinander vergnügt - jedenfalls nach Überzeugung des Bademeisters, der die beiden erwischt hatte, und des Richters, der beide verurteilte.
Ob der Tatbestand bei dem in der SZ geschilderten Sachverhalt überhaupt vorlag, erscheint auf Anhieb sehr fraglich. Wurde nicht der Taterfolg "öffentliches Ärgernis" durch den Bademeister gerade verhindert? Oder ist der Bademeister schon die Öffentlichkeit?
Dass für diese Tat ein Jugendarrest - also ein stationäres Zuchtmittel - als Reaktion verhängt wurde, erregt allerdings mein Ärgernis. Der Jugendarrest ist im Gegensatz zur Darstellung der SZ, keine ganz "kleine Strafe". Wer dieses Mittel schon bei einer Tat anwendet, die am untersten Rand der Strafwürdigkeit anzusiedeln ist, der begibt sich vorschnell der "Waffen" des Jugendstrafrechts. 70 % der Jugendstrafverfahren werden informell erledigt nach §§ 45, 47 JGG (60 % sind es in Bayern) - und dies sollte kein Verfahren sein, das eingestellt werden konnte?
Andererseits gibt die Verurteilung nun dem LG Gelegenheit, die Verwirklichung des Tatbestands rechtlich noch einmal zu prüfen, wenn denn Berufung eingelegt wird.
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215 Kommentare
Kommentare als Feed abonnierenAndreas Hiller kommentiert am Permanenter Link
Danke für die Aufklärung über die Satire des Bloggers, hatte den vor Artikel nicht mehr im Kopf...
Weiterhin würde ich freuen wenn sie Mal Stellung nehmen, zu meinen Vorwürfen an den Staat, aus niederen Beweggründen an den § 183 und § 183a festzuhalten, welche den Tatbestand der Volkshetze § 130, sowie vorm Völkerrecht welches dieses Land akzeptiert vollzieht.
Dieses betrifft vor allem nackte Männer und masturbierende Männer, die mit bis zu 150 Polizeibeamte und Hubschrauber gesucht werden.
Wer sich ein Mal ein Überblick über diese Art der Strafverfolgung machen möchte brauch nur bei google den Begriff Exhibitionist eingeben und auf news klicken. Dann erscheinen dort min. 100000 Fälle.
Wenn sie Exhibitionistin eingeben erscheinen ganz wenige Fälle! Meist nur Hinweise auf käuflichen Sex.
Waldemar Robert Kolos kommentiert am Permanenter Link
@Andreas Hiller
Jedem Straftatbestand wohnt ein sozial-ethisches Unwerturteil des Gesetzgebers inne, so auch in 183 und 183a StGB. Natürlich kann man unterschiedlicher Ansicht darüber sein, ob die gezielte Verletzung des Schamgefühls einer Person ein solches Unwerturteil trägt. Die Entscheidung des Gesetzgebers ist aber maßgeblich. Sie zu ändern, dürfte in Zeiten des Staatsfeminismus schwierig sein.
Exhibitionistinnen im strafrechtlichen Sinne gibt es nur gegenüber Kindern. Der 183 StGB ist ein reiner Männer-Straftatbestand. Das kann man kritisch sehen. Das BVerfG hält den Gleichheitssatz für Sexualstraftaten aber nicht für anwendbar. Sicher darf man auch damit nicht einverstanden sein. Das ist aber geltendes Recht.
Ich persönlich möchte auch nicht ungewollt mit der Nacktheit oder dem Sex Anderer konfrontiert werden. Theoretisch aber kann ich damit auch ungewollt konfrontiert werden, ohne dass es eine Straftat ist. Diese Straftatbestände schützen mich einerseits also nicht gänzlich davor. Andererseits gibt es dazu auch noch den OWi-Paragraphen. Hinzu kommt, dass die Verletzung meiner Person und damit die Strafbarkeit von einigen zufälligen (Launen) und tatbestandsfremden Faktoren beeinflusst werden kann - auch ungewollt.
Die Strafbarkeit des Exhibitionismus und der Erregung öffentlichen Ärgernisses schützen nicht die Sittlichkeit oder die Moral. Gleichwohl können sie dazu missbraucht werden. Darin sehe ich die größte Gefahr. Diese Straftatbestände waren schon immer, auch als sie noch die Sittlichkeit schützten, sehr anfällig für Missbrauch durch Moralaposteln. Diese Gefahr lässt sich u.a. dadurch reduzieren, dass die von BGH aufgestellten Anforderungen für richterliche Überzeugungsbildung beachtet werden, die dann gelten, wenn die Entscheidung sich im Wesentlichen auf eine einzige Zeugenaussage stützt. Das kommt auch vor.
kabo_web kommentiert am Permanenter Link
@ Waldemar Robert Kolos
Danke für diesen wertvollen Beitrag.
Und als Anmerkung:
Ich spreche als Frau zwar nicht für alle Frauen, aber doch für eine immer größer werdende Gruppe.
Wir finden die derzeitige Diskriminierung von Männern auch nicht in Ordnung. Gleichberechtigung kann nicht bedeuten, wir Frauen picken uns hier die Rosinen aus dem Kuchen.
Offensichtlich haben viele Feministinnen das noch nicht begriffen.
alfred esser kommentiert am Permanenter Link
Das ist ja alles schön und gut - aber wer liest diese "Aussagen/ Meinungen" - die ofiziellen Stellen (Gesetzgeber)vermutlich leider nicht. Alfred
MT kommentiert am Permanenter Link
Ist der Volltext des Berufungsurteils schon online einsehbar?
OG kommentiert am Permanenter Link
Die Begründung des Berufungsurteils ist inzwischen veröffentlicht worden (https://dejure.org/2015,21858). Am Schluß des obigen Beitrags hatte Prof. Müller die Hoffnung geäußert, daß das Landgericht noch einmal sorgfältig prüft, ob hier der Tatbestand des § 183a StGB überhaupt erfüllt ist (das Gesetz verbot es den Angeklagten hier ohnehin, unmittelbar Art und Höhe der Sanktion anzugreifen, § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG). Wie diese Prüfung durch die kleine Strafkammer am Landgericht (Besetzung: ein berufsrichterliches Mitglied und zwei Schöffen) ausfiel, kann man nun seinerseits prüfen.
Die Begründung dafür, daß der objektive und subjektive Tatbestand erfüllt sind, lautet so:
Die einschlägigen Stellen im bezuggenommenen Abschnitt III lauten so:
Diese Begründung trägt die Verurteilung meiner Auffassung nach nicht. Die Kammer hat keine tragfähigen Feststellungen zum Vorsatz getroffen. Es ist, wie es im Urteil ausdrücklich heißt, von direktem Vorsatz lediglich "ausgegangen". Der direkte Vorsatz ("absichtlich oder wissentlich") muß sich nicht auf die Handlung beziehen, sondern auf die Ärgerniserregung und damit auf eine Wahrnehmung durch mindestens eine Person, die Anstoß nimmt. Ein direkter Vorsatz, der sich auf ein "Wahrgenommenwerdenkönnen" bezieht, reicht nicht. Aus der Kommentarliteratur beispielsweise MüKoStGB/Hörnle StGB § 183a Rn. 9:
Vom subjektiven Tatbestand (bei dem m.E. die Musik spielt) abgesehen fehlt es auch an der ausreichenden Feststellung des objektiven Tatbestands. Daß der "unbekannt gebliebene Badegast", in dessen Person nach der Begründung der Kammer das öffentliche Ärgernis erregt worden ist, überhaupt das Verhalten der Angeklagten selbst wahrgenommen hat, ist nicht festgestellt worden. Festgestellt wurde ausdrücklich nur, daß er sich "kurz danach" (also nach Verlassen des Beckens durch die Angeklagten) über die „Schweinerei“ beschwert hat. Ob er die „Schweinerei“ selbst beobachtet hat oder von ihr nur (aufgrund des zwischenzeitlichen Trubels) gehört hat, bleibt damit offen.
Die falsche Entscheidung (natürlich wird es auch hier Stimmen geben, die sie verteidigen und gesundbeten werden) konnte nicht mehr angefochten werden, da sie sofort rechtskräftig wurde (§ 55 Abs. 2 Satz 1 JGG).
Nicht nur falsch, sondern geradezu skandalös ist die abschließende Kostenentscheidung des Gerichts:
Es ist ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) und das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 MRK), wenn einem Angeklagter, der eine Berufung einlegt, um geltend zu machen, daß er sein Verhalten für nicht strafbar hält, just dieses legitime Prozeßverhalten zum Nachteil im Rahmen einer Kostenentscheidung angerechnet wird. Daß die Kostennorm eine Ausnahmevorschrift zugunsten des Angeklagten ist, deren Anwendung möglicherweise vom Gericht mit anderer Begründung leicht zutreffend hätte abgelehnt werden könnte, ändert daran nichts.
Spätestens an dieser Stelle ist dieses Urteil ein schwerwiegenderer Anschlag auf die Rechtsordnung als das in ihm beurteilte Verhalten.
Kabo_web kommentiert am Permanenter Link
wissen Sie, seit wann es die Urteilsbegründung gibt. Ist noch Zeit für eine Verfasungsbeschwerde?
Die Begründung ist der Hammer!!
OG kommentiert am Permanenter Link
Die Urteilsgründe mußten gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO spätestens fünf Wochen nach Verkündung (19.08.2015) abgesetzt sein, also Ende September 2015.
kabo_web kommentiert am Permanenter Link
hab ich eben auch gelesen!
Schade!!
Ich gehe mal nicht von einer VB aus!
Gast kommentiert am Permanenter Link
Gegen das Urteil ist wohl (noch) überhaupt keine Verfassungsbeschwerde zulässig, da wohl eine Revision möglich (gewesen) ist (§ 333 StPO), die ich auf jeden Fall eingelegt hätte.
MT kommentiert am Permanenter Link
MT kommentiert am Permanenter Link
@ OG
Danke für den Hinweis auf die Veröffentlichung und die ausführliche Stellungnahme. Im wesentlichen hat sich das bewahrheitet, was hier in der Diskussion schon herausgearbeitet wurde: Der Vorsatz ist in diesem Fall nicht trivial zu bejahen. Das Landgericht überzeugt an der Stelle leider nicht, wie Sie treffend ausführen.
Schade nur, dass der "Hype" um das Urteil schon abgeebbt ist und die Urteilsgründe auf Seite 5 der Diskussion "versteckt" sind.
Waldemar Robert Kolos kommentiert am Permanenter Link
Das Urteil macht die Anwendung des 183a StPO auf die getroffenen Feststellungen zu einem Geheimnis. Die kryptischen Ausführungen des Landgerichts sprechen gegen eine Anwendung des 183a StPO als Erfolgsdelikt. Dazu schreibt das Landgericht:
Der tatbestandliche Erfolg wird nicht schon durch die Wahrnehmung an sich verwirklicht. Vielmehr muss der Beobachter in seiner Anschauung und damit in seinem Persönlichkeitsrecht tatsächlich verletzt worden sein. Das ergibt sich auch aus der hier im Blog geführten Diskussion mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. Das Landgericht hatte weder den Unbekannten ermittelt, noch das, was er konkret wahrgenommen hatte. Ob er durch seine Wahrnehmung tatsächlich in seiner persönlichen Anschauung verletzt wurde, das ist nicht bekannt.
Für den Vorsatz soll es nach Ansicht des Landgerichts keine Rolle spielen, "welchen Teil des Geschehens der unbekannte Badegast beobachtet und woran er konkret Anstoß genommen hat". Diese Ansicht steht für eine Anwendung des 183a StPO als ein Tätigkeits- und Sittlichkeitsdelikt. Ein grober Subsumtionsfehler.
Ein so grober und unvertretbarer Subsumtionsfehler hätte wohl unproblematisch(?) mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden können. Oder? Ein Eingriff in das Freiheitsgrundrecht wird durch eine unvertretbare Anwendung einer Strafvorschrift nicht gerechtfertigt.
Ich finde Überlegung zu einer VB unabhängig davon interessant, ob tatsächliche eine VB eingelegt wurde. Auch werden das die Verteidiger mit Sicherheit öffentlich nicht bekannt geben, schon allein deswegen nicht, um die jungen Leute zu schützen.
OG kommentiert am Permanenter Link
@ Waldemar Robert Kolos
Ich stimme Ihnen zu. Einsortieren würde ich Ihre Argumentation bei der reichhaltigen Rechtsprechung der 2. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG zu den besonders hohen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung als Voraussetzung eines Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, beispielsweise https://dejure.org/2015,14592:
Hier handelte es sich übrigens um eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde, die von der Beschwerdeführerin ohne anwaltliche Unterstützung eingelegt worden war. Der Sachverhalt hat Anklänge an den Fall Mollath.
Waldemar Robert Kolos kommentiert am Permanenter Link
@OG
Ja, ich denke, so wird man das wohl machen müssen. Nur, genügt es für die VB eben nicht, dass man schlicht die Verletzung des Freiheitsgrundrechts rügt. Es ist ein substantiierter Sachvortrag erforderlich. Zum einen kann man dazu vortragen, dass die Sachverhaltsaufklärung unzureichend (§ 244 Abs. 2 StPO) war und in tatsächlicher Hinsicht ungenügende Grundlage habe. Zum anderen ist der Erfolg dieses Vortrags davon abhängig, wie die einschlägige Strafnorm angewendet wurde. So kann z.B. die Sachaufklärung zureichend gewesen sein, wenn unter einem Tätigkeitsdelikt subsumiert wird. Unzureichend könnte sie bei einem Erfolgsdelikt sein.
Wendet das Gericht die Strafnorm fälschlicherweise als Tätigkeitsdelikt an, dann wird man das wohl zuerst rügen müssen, um die unzureichende Sachverhaltsaufklärung zu begründen. Das Problem liegt aber darin, dass Subsumtionsfehler grundsätzlich mit der VB nicht gerügt werden können, denn die Auslegung einer Strafnorm ist eine Aufgabe der Fachgerichte.
Natürlich kann man sich gut vorstellen, dass Subsumtionsfehler verfassungsrechtlich nicht grenzenlos hingenommen werden können. Denn auf diese Weise könnten viele Grundsätze mit Verfassungsrang unterlaufen werden, so z.B. die Unschuldsvermutung oder nulla poena sine lege. Aber, wo liegt diese Grenze?
Die von Ihnen zitierte Entscheidung des BVerfG liefert einen Anhalt, mit dem man schon mal arbeiten kann:
Der strafrechtliche Rechtsgüterschutz umfasst nicht nur Verletzungen von Rechtsgütern, sondern auch deren Gefährdung. Wird ein Erfolgsdelikt als Tätigkeits- und Gefährdungsdelikt ausgelegt, dann dürfte dadurch allein die verfassungsmäßige Grenze noch nicht erreicht sein.
An dieser Stelle ist die gedankliche Prüfung natürlich nicht beendet. Vielmehr beginnt erst die eigentliche Arbeit. Ich frage mich nur, ob es nicht einen eleganten und griffigen Ansatz gibt.
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