Sittenwidrige Vergütung angestellter Rechtsanwälte

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 08.06.2015

Dass der Arbeitsmarkt für (junge) Rechtsanwälte abhängig von ihren Examensergebnissen zweigeteilt ist, ist kein Geheimnis. Auf der einen Seite bieten internationale Großkanzleien Spitzenkräften Einstiegsgehälter von 100.000 Euro und mehr pro Jahr, auf der anderen Seite werden mit schwachen Examina Bezüge teilweise kaum über Hartz IV-Niveau erreicht. Bereits vor einiger Zeit hatte ich hier im BeckBlog auf einen Beschluss des BGH aufmerksam gemacht, der die Grenze der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) deutlich betont hat.

Nunmehr hatte auch das BAG die Gelegenheit, sich zur Lohnuntergrenze für angestellte Rechtsanwälte zu äußern: Der Kläger, 1973 geboren, hat ein "befriedigendes" und ein "ausreichendes" Staatsexamen abgelegt. Er verfügt über beachtliche Fremdsprachenkenntnisse. Als Angestellter einer Münsteraner Rechtsanwaltskanzlei erhielt er für eine Teilzeitbeschäftigung (20 Stunden wöchentlich) 1.200 Euro brutto im Monat. Er ist der Auffassung, diese Vergütung liege um mehr als 20% unter dem Üblichen und sei daher sittenwidrig. Seine Klage blieb in allen drei Instanzen erfolglos:

Ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Wert der Arbeitsleistung und der Vergütungshöhe liegt vor, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel der üblicherweise gezahlten Vergütung erreicht. Ein Anlass, von dieser Richtgröße im Sinne einer Heraufsetzung der Zwei-Drittel-Grenze abzuweichen, besteht weder wegen der Besonderheiten in der Beschäftigung angestellter Rechtsanwälte noch der in § 26 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) enthaltenen Vorgabe, Rechtsanwälte nur zu angemessenen Bedingungen zu beschäftigen.

(BAG, Urt. vom 17.12.2014 - 5 AZR 663/13, NZA 2015, 608)

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3 Kommentare

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Das Urteil überspannt die Anforderungen an den Beweisantritt mit Sachverständigengutachten. Nach § 403 ZPO erfordert der Beweisantritt nur die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte. Wer sich auf Erhebungen und ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer Hamburg stützt, trägt sehr wohl so hinreichende Anknüpfungstatsachen vor, dass diese - mutatis mutandis -  einen Rückschluss auf die im OLG-Bezirk Hamm übliche Vergütung erlauben und  der Vorwurf eines "Ausforschunsbeweises" überzogen ist. Hamm und Hamburg liegen ja (jedenfalls bis zur nächsten Kontinentalverschiebung) nicht auf verschiedenen Kontinenten! Es genügt die "summarische Bezeichnung der streitigen Frage" (Zöller). Hier im Blog mehren sich in letzter Zeit solche höchst bedenklichen Entscheidungen in bedenklichem Umfang.

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Der Schwerpunkt der Entscheidung scheint mir auch eher in der Frage der Darlegung zu liegen, und auch ich zweifle, dass die Rechtsprechung hier wirklich fair geblieben ist. Wurde ein Hinweis erteilt, dass das LAG den Vortrag als unzureichend ansah? Das BAG weist selbst darauf hin, dass die Angabe einer Höhe + Angebot eines SV-Gutachten ausreichen können.

Dass das in diesem Fall anders gesehen wurde, mag vertretbar sein, ist aber zumindest überraschend genug, um einen Hinweis zu rechtfertigen. Die 1.200,00 € für tatsächlich 35 h/Woche für diesen - das meine ich ernst - Tausendsassa (Prädikat im 1. Examen + LLM + Sprachkenntnisse + "Fernsehauftritt" + Erfahrung als RA und Rep + laufende Diss.) lassen doch auch ohne weiteren Sachvortrag die Frage nach der Angemessenheit stellen.

Was läuft denn in Münster sonst so an Rechtsanwälten herum, wenn das LAG weiteren Sachvortrag brauchte, um das als seltsam zu erkennen? Was war da der Maßstab - ein Prof. Dr. Dr. h. c. mult. StS a. D. RA, der unter einer Brücke schläft?

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Auf dem Arbeitsmwakt in der mit einer großen juristischen Fakultät ausgestatteten Universitätsstadt Münster gibt es ein Überangebot an Juristen.

In einer freien Marktwirtschaft bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis bzw. Marktwert. 

An einem anderen Ort, etwa in Ahaus hätte der junge Mann (auch als Berufsanfänger) vermutlich das Doppelte verdienen können, und zugleich wären seine Lebenshaltungskosten (Miete u.s.w.) dort wahrscheinlich sehr viel niedriger gewesen.

20 Stunden wöchentlich bedeuten ca. 80 Stunden im Monat, so daß 1.200.- Euro einen Stundenlohn von 15.- Euro ergeben würden.

Der gesetzliche Mindestlohn für unqualifizierte Hilfskräfte (etwa z.B. nichtgeschulte Parkplatzwächter) liegt bei 8,50 Euro.

Der Gesetzgeber hat sich dagegen entschieden, für Menschen mit erfolgreich abgeschlossener Ausbildung einen höheren Mindestlohn zu bestimmen.

Allerdings macht mir als Patient Sorge, daß hierzulande zunehmend Ärzte (oft aus Entwicklungsländern) mit Überstunden überlastet und zugleich zu Dumpingpreisen bzw. Dumpinglöhnen beschäftigt werden.

Mein Vertrauen in die Qualität der ärztlichen Versorgung stärkt das nicht gerade.

Wenn sich zukünftig für rechtssuchende Bürger eine ähnliche Entwicklung ergeben würde, wäre das sicherlich auch nicht unbedenklich. 

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