Fahrverbot: Probleme bei Fahrten ins Pflegeheim zur pflegebedürftigen Ehefrau sind hinzunehmen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.05.2015

Die Rechtsprechung zu Fahrverbotshärten ist richtigerweise streng. Das KG hatte sich jetzt mit der Frage zu befassen, wann persönliche Härten für ein Absehen vom Fahrverbot ausreichen. Das Amtsgericht war hier zu großzügig gewesen und hatte unter Verdoppelung der Geldbuße von der Regelfahrverbotsanordnung abgesehen - bemerkenswert auch die zusätzliche Einlassung, der Betroffene habe den Geschwindigkeitsverstoß wegen eines dringenden Toliettenbedürfnisses begangen:

 2. Der Senat lässt offen, ob die Beweiswürdigung revisionsrechtlich Bestand haben kann. Zweifel ergeben sich daraus, dass das Amtsgericht den Angaben des Betroffenen in Bezug auf die belastenden Auswirkungen des Fahrverbots Glauben geschenkt hat, ohne sie der hierbei angezeigten besonders kritischen Prüfung (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt VRS 127, 259) zu unterziehen. Dies hätte insbesondere im Hinblick auf die ohnehin recht vage Behauptung des Betroffenen nahe gelegen, das Pflegeheim in W. sei mit öffentlichen Verkehrsmitteln von seinem Wohnort N. und insbesondere vom Bahnhof in W. „schwer zu erreichen“ (UA S. 2).

3. Denn jedenfalls rechtfertigen auch die als Ergebnis der Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen nicht, vom Fahrverbot abzusehen.

a) Nach der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 Abs. 1 BKatV ist eine grobe Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG bei der hier abgeurteilten Verkehrsordnungswidrigkeit indiziert, so dass sie regelmäßig zur Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme Anlass gibt (BGHSt 38, 125 und 231; BayObLG VRS 104, 437; ständige Rspr. des Senats). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284).

b) Folgerichtig ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass aufgrund der rechtskräftigen Feststellungen des Bußgeldbescheids (nach §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 1. Alt., 26a StVG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV i. V. m. Nr. 11.3.7 der Tabelle 1c zum BKat) wegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers neben der Anordnung einer Geldbuße die Verhängung eines Regelfahrverbots indiziert war. Das Amtsgericht hat dem Betroffenen offenbar seine Einlassung, er habe dringend auf die Toilette gemusst, geglaubt, jedenfalls hat es dies seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Zutreffend hat es daraus aber nicht abgeleitet, dass die durch den Bußgeldbescheid rechtskräftig festgestellte Ordnungswidrigkeit nicht grob verkehrswidrig wäre (vgl. OLG Zweibrücken zfs 1997, 196 [Stuhldrang]; OLG Düsseldorf zfs 2008, 167 [Durchfall]; OLG Bamberg zfs 2014, 650 [Brechreiz eines Fahrgasts]; AG Lüdinghausen NZV 2014, 481 [Stuhldrang]).

c) Die Begründung, mit der sich das Amtsgericht dazu veranlasst gesehen hat, trotz des Vorliegens einer groben Pflichtverletzung vom Fahrverbot abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung aber nicht stand.
aa) Zwar gilt die Vorbewertung des Verordnungsgebers, die in § 4 Abs. 1 BKatV bezeichneten Ordnungswidrigkeiten seien in der Regel durch ein Fahrverbot zu ahnden, nicht uneingeschränkt. Auch wenn nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Kraftfahrzeugführer, der ein Fahrverbot durch mangelnde Verkehrsdisziplin riskiert, nicht geltend machen kann, auf den Führerschein angewiesen zu sein (vgl. zuletzt VRS 127, 74; 117, 197), können sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgebot und dem Übermaßverbot in besonderen Einzelfällen doch Ausnahmen ergeben. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die durch das Fahrverbot bedingte Einschränkung der Mobilität und berufliche oder wirtschaftliche Nachteile als häufige Folgen hinzunehmen sind, ohne dass schon deshalb ein Absehen vom Fahrverbot gerechtfertigt wäre (vgl. Senat VRS 127, 259; 108, 286; 108, 288; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 344). Vielmehr muss das Fahrverbot zu einer Härte ganz außergewöhnlicher Art führen, wie etwa dem Verlust des Arbeitsplatzes bei einem Arbeitnehmer oder dem Existenzverlust bei einem Selbstständigen, wobei nach der Einführung des § 25 Abs. 2a StVG mit der für einen unvorbelasteten Betroffenen bestehenden Möglichkeit, den Beginn der Wirksamkeit des Verbots in einem Zeitraum von vier Monaten selbst zu bestimmen, ein noch strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl. OLG Frankfurt DAR 2002, 82). Hierbei ist auch in Rechnung zu stellen, dass einem Betroffenen zuzumuten ist, durch eine Kombination von verschiedenen Maßnahmen (Einstellung eines Fahrers, Benutzung anderer Verkehrsmittel usw.) die Zeit eines Fahrverbots zu überbrücken und für die finanziellen Belastungen notfalls einen Kredit aufzunehmen (vgl. Senat VRS 127, 259; OLG Frankfurt DAR 2002, 82).

bb) Nach diesen Grundsätzen ergeben die festgestellten Lebensverhältnisse des Betroffenen nicht, dass das Fahrverbot für ihn eine ganz außergewöhnliche Härte darstellen würde. Dies gilt sowohl für jeden einzelnen im Urteil niedergelegten Umstand als auch für eine Gesamtschau aller Umstände. Dass der Betroffene seine Ehefrau, die in einem Pflegeheim in W. wohnt, (zur Zeit) an jedem Wochenende besucht, gibt keinen Anlass, ein einmonatiges Fahrverbot als unzumutbar anzusehen. W. liegt nur etwa 45 km vom Wohnort des Betroffenen, N., entfernt, und ist, was allgemeinkundig ist, mit dem Regionalexpress der Deutschen Bahn in gut 20 Minuten zu erreichen. Dem Betroffenen ist die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln auch dann zuzumuten, wenn das Pflegeheim vom Bahnhof in W., wie festgestellt, nur „schwer“ zu erreichen ist. Denn der Betroffene kann notfalls für die offenbar nicht übermäßig lange Strecke ein Taxi nehmen. Nichts anderes gilt für den ebenfalls im Urteil festgestellten Umstand, dass der Betroffene seine Frau einmal im Monat mit dem Auto nach Hause holt. Wenn er dies unmittelbar vor dem Beginn des Fahrverbots und erneut kurz danach tut, so ergibt sich keine spürbare Veränderung gegenüber der bisherigen Praxis. Auch die Gewohnheit des Betroffenen, seine Frau bei Arztbesuchen zu begleiten, begründet keine besondere Härte. Denn auch hierbei ist es dem Betroffenen für die Dauer eines Monats zuzumuten, für sich und seine Frau ein Taxi zu nehmen. Dass hierbei unzumutbar große Strecken zurückzulegen wären, etwa zu einer weit entfernten Spezialklinik, ist durch das Amtsgericht nicht festgestellt worden. Schließlich lassen auch die Umstände, dass die Eltern des Betroffenen „zunehmend hilfsbedürftig“ seien und der Betroffene sich um sie kümmere und Besorgungen erledige (jeweils UA S. 2), das Fahrverbot nicht als übergroße Härte erscheinen. Das Urteil teilt mit, die Eltern wohnten betreut. Dies legt nahe, dass es der Besorgungen durch den Betroffenen nicht dringend bedarf. Zudem hat das Amtsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, wo die Eltern überhaupt leben, so dass sich aus dem Urteil das Erfordernis, ein Auto zu verwenden (und zudem selbst zu steuern), nicht ergeben kann.
Insgesamt stellen die durch das Amtsgericht bezeichneten Umstände, soweit sie als Grundlage einer Rechtsprüfung geeignet sind, allenfalls geringe Unbequemlichkeiten dar, die als regelmäßige Folge eines Fahrverbots hinzunehmen sind (vgl. BayObLG DAR 2001, 84 [bei täglicher Erhöhung der Reisezeiten zum und vom Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf sechs Stunden]).

KG, Beschluss vom 22.03.2015 - 3 Ws (B) 132/15 - 122 Ss 38/15

Ausführlich zu derartigen persönlichen Härten aufgrund einer Fahrverbotsanordnung:

Krumm | Fahrverbot in Bußgeldsachen | Cover

...darin § 6. 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Streng, richtig und sachgerecht. Das Gesetz setzt sich gegen das weinerliche Getue des Betroffenen durch, auf das sich das Erstgericht völlig zu Unrecht eingelassen hatte.

0

Kommentar hinzufügen