Schwägerschaft nach „Roma-Sitte“ = Zeugnisverweigerungsrecht?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.05.2015

Das Zeugnisvereigerungsrecht ist ein prozessualer Klassiker. In NStZ-RR 2015, 65 bin ich im Aufsatz "Aus der Rechtsprechung des BGH zum Strafverfahrensrecht – 1. Teil" von Cirniak/Neihaus auf folgende BGH-Entscheidung getroffen, die sich mit der Frage befasst, ob auch verchwägert ist, wer nach Roma-Sitte Schwager ist:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der neue Tatrichter das Verwandtschaftsverhältnis des Angeklagten J. zu dem Zeugen R. näher aufzuklären haben wird. Eine schwägerschaftliche Verbindung deutscher Staatsangehöriger nur nach „Roma-Sitte“ vermittelt verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NStZ 1993, 349) nicht das Recht, das Zeugnis zu verweigern.“

BGH, Beschl. v. 15.1.2013 – 2 StR 488/12, BeckRS 2013,  03228

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

8 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Dass wir eine Verlobung als hinreichenden Grund für eine Zeugnisverweigerung ansehen, dieses Recht aber einem seit Jahrzehnten eine Ehe "nach Roma-Art" führenden Paar verweigern wollen, ist doch so offensichtlich falsch, dass man das nur als Skandal bezeichnen kann.

4

@ Gastmann

Ich verstehe den Bezug zum Fall nicht. Es geht doch um eine schwägerschaftliche Beziehung (= durch Heirat vermittelte indirekte Verwandtschaftsbeziehung), nicht um Verlobung.

3

@ Gastmann

Ich verstehe Ihren Einwand nicht. Er hat keinen Bezug zum Fall.

 

Es geht, wie der Hinweis auf  BVerfG NStZ 1993 zeigt, offensichtlich um die Folgen, die sich aus einer Eheschließung nach "Sinti-Art" bzw. "Roma-Art" ergeben, also um Folgen aus Eheschließungen, die dem deutschen Staat nicht gemeldet wurden und auch nicht vor einem Standesamt vollzogen wurden.

 

Sicher geht es nicht um die Frage, bis zu welchem Verwandtschaftsgrad dann ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht. Das ist zudem in § 52 Abs. 1 (3) genau geregelt:

wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.

 

Hier ist dann sehr wohl der Einwand berechtigt, warum eine einfache Verlobung (die ja auch nicht meldepflichtig ist) für ein Zeugnisverweigerungsrecht genügen soll, aber eine Ehe nach Roma-Art nicht.

Konsequenterweise müsste die StPO entweder die Verlobung als Grund für Zeugnisverweigerungsrecht herausnehmen (oder meldepflichtig machen) oder aber Verwandte bis zum 3. Grad ebenfalls einbeziehen. Warum man bei Verwandten zwischen Verlobung (ohne Zeugnisverweigerungsrecht) und Ehe (mit Z.V.R.) unterscheidet, während man es bei dem Paar selbst nicht tut, entzieht sich meinem Verständnis.

 

3

@ MT: Die Prämisse ist doch: Die "Roma-Ehe" ist, auch wenn sie von den Beteiligten und ihrem persönlichen Umfeld mit allen Konsequenzen als Ehe angesehen und gelebt wird, für das deutsche Strafverfahrensrecht keine Ehe, sondern eine unverbindliche Lebensgemeinschaft. Das betrifft nicht nur die Ehepartner, die ggf. gegeneinander zur Zeugenaussage verpflichtet sind und z.B. auch keine Nebenklagebefugnis haben, wenn der Partner ermordet wird, sondern auch ihre Geschwister, denen die Rechtsvorteile aus der Schwägerschaft versagt werden. Für meine Begriffe ist das ein haarsträubender Formalismus und wird dem vernünftigen Sinn sowohl des Zeugnisverweigerungsrechts als auch der Nebenklagebefugnis nicht gerecht.

5

@ Gastmann

Es geht doch gerade darum, schnell und einfach ein Zeugnisverweigerungsrecht feststellen zu können. Nur die "Roma-Ehe" anzuerkennen würde dem Gleichheitsgrundsatz zuwiderlaufen, man müsste dann allgemein feststelllen, ob sich zwei Personen "nah" genug sind, um ein Ehe zu begründen. Wenn man sich allein die Probleme anschaut, die das Thema Verlobung in dem Zusammenhang macht, ist die formalistische Sichtweise m.E. begründet.

5

@Gastmann

Sie haben recht, auch wenn der Ausruf "Skandal" übertrieben ist. So kenne ich Sie gar nicht! :-)

Richtig ist, daß der Formalismus der derzeitigen Gesetzeslage anachronistisch ist und nicht mehr den Kern dessen, was heute als schützenswert angesehen wird, trifft. Ich sehe es allerdings nicht als besonderes Problem der Roma oder des Rechtsinstituts des Verlöbnisses. Praktischerweise kann man das am "oberen" Rand der Gesellschaft demonstrieren: Der Bundespräsident hat in Bezug auf die "erste Dame" der Bundesrepublik kein Zeugnisverweigerungsrecht und umgekehrt. In Bezug auf die Dame, von der er sich vor 25 Jahren getrennt hat, schon.

Das, was früher als "wilde Ehe" bezeichnet wurde, ist heute ein Massenphänomen und der Gesetzgeber findet doch keine Antwort darauf (vielleicht aus dem Irrglauben heraus, sich damit bei Art. 6 Abs. 1 GG einzuschmeicheln). In vielen europäischen Ländern ist die tatsächliche eheähnliche Verbundenheit der Ehe gleichgestellt, was bestimmte Rechte betrifft. Das muß man nicht in allen Bereichen (etwa dem Steuerrecht) machen, aber im Kernbereich des Privatlebens ist es schon sinnvoll.

4

@ MT:  Bei der üblichen "nichtehelichen Lebensgemeinschaft" haben sich die Partner entschieden, die mit einer Ehe verbundenen Bindungen gerade nicht eingehen zu wollen. Genau das ist bei einer "Roma-Ehe" aber anders  -  da fehlt wirklich nur der staatliche Trauzeuge.

Trotzdem mag man ja für bestimmte Fragen im Verhältnis Staat ./. Bürger legitimerweise auf dem amtlichen Segen bestehen. Aber doch nicht für das Zeugnisverweigerungsrecht, das keineswegs eine belanglose, primär nach den Kriterien "schnell und einfach" zu behandelnde Verfahrensfrage darstellt (und wie gesagt schon gar nicht, wenn man es den bloß Verlobten ohne weiteres zubilligt).

5

Der von Vorkommentator Gastmann angestellte Vergleich zwischen Ehe nach "Roma-Sitte" und Verlobung hinkt m.E. aus zwei Gründen:

Erstens ist die Verlobung zumindest per definitionem ein vorübergehendes Durchgangsstadium zur amtlich dokumentierten Eheschließung, während die Ehe, ob standesamtlich, kirchlich oder nach Roma-Sitte geschlossen, per definitionem ein Dauerzustand sein soll.

Der Charakter der Verlobung als in der Regel kurzzeitiges Übergangsstadium zur amtlich dokumentierten Ehe rechtfertigt m.E., dass Verlobte in Bezug auf das Zeugnisverweigerungsrecht ausnahmsweise besser gestellt werden als andere Personen, die in einer nicht amtlich dokumentierten Nähebeziehung  zueinander stehen.

Zweitens geht es in der von Herrn Krumm erwähnten BGH-Entscheidung nicht um das Zeugnisverweigerungsrecht zugunsten der anderen nach Roma-Sitte als Ehegatte angesehenen Person, sondern um ein Zeugnisverweigerungsrecht wegen einer durch eine nach Roma-Sitte geschlossene Ehe vermittelten Schwägerschaft. Zutreffender Vergleichsmaßstab ist also nicht der/die Verlobte, sondern der Schwager/die Schwägerin in spe. Denn die Schwägerschaft entsteht erst durch die Ehe, nicht bereits durch die Verlobung. Und soweit ersichtlich, hat auch der zukünftige Schwager/die zukünftige Schwägerin infolge der Verlobung noch kein Zeugnisverweigerungsrecht.

Ein Zeugnisverweigerungsrecht der nach Roma-Sitte als Ehegatten angesehenen Personen zueinander in analoger Anwendung der für Verlobte geltende Regelung lässt sich m.E. noch diskutieren. Denn das Fehlen amtlicher Dokumente als Nachweis wird hier in der Regel durch die persönliche Anwesenheit der Betroffenen  kompensiert, so dass sich das Gericht einen unmittelbaren Eindruck von der behaupteten Beziehung verschaffen kann.

Bei der Schwägerschaft hingegen wird das Zeugnisverweigerungsrecht über eine dritte Person vermittelt, die im Zweifel nicht im Gerichtssaal anwesend ist. Insofern ist es m.E. legitim, insoweit nur eine amtlich (durch Geburts- und Heiratsurkunden) dokumentierbare Schwägerschaft anzuerkennen.

Im Übrigen sehe ich auch keine Grund, weshalb es nach Roma-Sitte getrauten Ehegatten nicht zumutbar sein soll, zusätzlich auch standesamtlich zu heiraten. Dass für die Betroffenen im Verhältnis zueinander und zu ihrer Familien die Trauung nach Roma-Sitte wichtiger ist, bleibt ihnen ja unbenommen. Ebenso wie bei vielen Ehepaaren, die sowohl standesamtlich als auch kirchlich getraut sind, die kirchliche Trauung emotional wichtiger ist als die standesamtliche und als die "eigentliche" Hochzeit angesehen wird.

Wer die Vorteile einer Rechtsordnung (hier: ein Zeugnisverweigerungsrecht) in Anspruch nehmen möchte, wird m.E. nicht diskriminiert, wenn hierfür auch von ihm das Vorliegen der von dieser Rechtsordnung geforderten Formvoraussetzungen  (hier: die standesamtliche Eheschließung) verlangt wird.   

4

Kommentar hinzufügen