Expertenanhörung zum geplanten Tarifeinheitsgesetz

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 11.05.2015

Am Montag vergangener Woche (4.5.2015) fand die mit Spannung erwartete öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem derzeit vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Tarifeinheit (18/4062) statt. Dabei ist deutlich geworden, dass der Entwurf mit nicht unerheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken belastet das weitere parlamentarische Verfahren durchlaufen wird. Dass es allerdings noch zu nennenswerten Änderungen kommt, die der geäußerten Kritik Rechnung tragen, dürfte eher zweifelhaft sein. Im Folgenden sollen nur die Statements der angehörten Rechtsexperten wiedergegeben werden (die Stellungnahmen der Interessenvertreter waren ja ohnehin schon weitestgehend bekannt). Zitiert wird aus der Pressemitteilung des Deutschen Bundestages: „Für das Tarifeinheitsgesetz sprach sich auch Hans-Jürgen Papier, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, aus: Der Gesetzgeber habe die Pflicht, die durch das Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit gesetzgeberisch auszugestalten, da die Tarifautonomie ein normgeprägtes und zweckgebundenes Grundrecht sei. Der Gesetzentwurf zur Auflösung von Tarifkollisionen sei kein Eingriff in die Koalitionsfreiheit im „engeren verfassungsrechtlichen Sinn“, sondern eine Ausgestaltung des Tarifvertragssystems, sagte Papier. Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn, sprach sich zwar grundsätzlich für das Ziel aus, die Zersplitterung der Tariflandschaft gesetzlich verhindern zu wollen. Er äußerte jedoch in einigen Punkten deutliche Zweifel an den im Entwurf vorgeschlagenen Mitteln. So bezeichnete er einige „Sicherungsmittel“, die die Verfassungskonformität des Entwurfs gewährleisten sollen, als „absurd“. Ein einklagbares Recht der Minderheitsgewerkschaft, ihre Forderungen mündlich vortragen zu dürfen sei genauso funktionslos wie das Recht einer Gewerkschaft, den von ihr nicht mit beeinflussten Tarifvertrag einer Konkurrenzgewerkschaft nachzuzeichnen. Auch glaube er nicht, dass das Gesetz Kooperationsanreize setze oder geeignet sei, Streiks zu verhindern, so Thüsing. Am deutlichsten äußerten der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler und Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister, ihre Kritik. So verwies Däubler darauf, dass die Arbeitgeberseite künftig durch legale Maßnahmen die Struktur der Arbeitnehmerseite so beeinflussen könne, dass die von ihr geschätzte Gewerkschaft die Mehrheit im Betrieb habe. Das greife aber in die Unabhängigkeit der Gewerkschaften ein und lasse sich nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren, sagte Däubler. Außerdem sei es fraglich, wie festgestellt werden solle, welche Gewerkschaft die Mehrheitsgewerkschaft sei. Noch unklar sei, welche Arbeitnehmer als betriebszugehörig gezählt würden, was mit den „Karteileichen“ geschehe oder mit jenen, die sich weigerten, ihre Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft offenzulegen. „Wir brauchen den Gesetzentwurf überhaupt nicht“, sagte Däubler. Zur Seite sprang ihm in dieser Auffassung Gerhart Baum, der den Entwurf als Eingriff in das Streikrecht und deshalb als nicht verfassungskonform bezeichnete und ankündigte, nach seinem Inkrafttreten vor dem Bundesverfassungsgericht Klage einzureichen. Er kritisierte, dass das mehrheitlich bestehende gute Kooperationsklima zwischen den Tarifpartnern durch das geplante Gesetz gestört werde und die Gefahr bestehe, dass die Öffentlichkeit allgemein gegen das Streikrecht mobilisiert werden soll. „Das betrifft dann auch den DGB“, sagte Baum. Kritisch zu im Entwurf festgelegten Verfahrensregeln äußerte sich auch Joachim Vetter vom Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit. So sei der Entwurf unter anderem deshalb enttäuschend, weil er keine Regelungen zum Arbeitskampfrecht enthalte. Klarstellungen seien hier dringend nötig, so Vetter. Als schwierig bezeichnete er es auch, festzustellen, welche Gewerkschaft die meisten Mitglieder in einem Betrieb habe. Dies könne mittels einer einstweiligen Verfügung gar nicht festgestellt werden, weshalb sich Gerichte gar nicht ins Streikrecht einmischen könnten, so Vetter.“

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3 Kommentare

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Woher Papier eine "Pflicht zur gesetzlichen Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit" hernimmt, würde ich ja gerne einmal wissen. Im GG ist - im Gegensatz zu anderen Grundrechten - das Arbeitskampfrecht explizit von einer gesetzlichen Ausgestaltung ausgenommen.

Einer Gewerkschaft, die als tariffähig anerkannt ist, das Recht auf Arbeitskämpfe abzusprechen bzw. es einzuschränken, widerspricht eindeutig Art. 9 GG.

Besonders perfide an dem geplanten Gesetz ist, dass Arbeitgeber durch Umstrukturierungen und Fusionen von operativen Tochtergesellschaften ihre "Wunschgewerkschaft" zur Mehrheitsgewerkschaft machen können - ohne dass ein vergleichbares Instrument wie ein Vetorecht den Gewerkschaften zugestanden wird.

Ich persönlich bin ein Fan Herrn Papiers: viele gute Urteile, viele gute Stellungnahmen.

Aber eine "gesetzliche Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit" im Sinne einer - polemisch verkürzt - gesetzlichen Vorgabe, welche Koalition wirklich Existenzberechtigung hat? Das klingt für mich ungefähr wie eine gesetzliche Ausgestaltung der Meinungsäußerungsfreiheit in dem Sinne, dass es eine gesetzlich vorgebene Meinung gibt, die man dann frei äußern darf.

Es gibt vielleicht Regelungsbedarf. Die Streiks im Bereich des Luftverkehrs haben jedenfalls mich zweifeln lassen, ob Streiks durch Spartengewerkschaft zur Durchsetzung von Partikularinteressen wirklich im Sinne des Erfinders sind. Aber der ggw. eingeschlagene Weg erscheint schon sehr zweifelhaft. Denn wenn man auch eine Gewerkschaft wie die GDL "bestraft", die letztlich darum kämpft, von einer Sparten- zu einer allgemeinen Gewerkschaft zu werden, schießt man über das Ziel hinaus. Denn wie man auch zu den durch sie veranlassten Streiks steht - ihr Ziel ist vollkommen legitim.

Wenn ein Wettbewerb unter Gewerkschaften nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich ist, bringt das die Gefahr schwacher, arbeitgebertreuer Gewerkschaften mit sich. Die (und wenn nur theoretische) Konkurrenz durch streit/kfreudigere Gewerkschaften, auch kleinere, trägt doch dazu bei, dass die etablierten Gewerkschaften ihren Biss behalten.

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