OLG Celle: HAFTBEFEHL ist HAFTBEFEHL

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.04.2015

Bequemer wäre es ja, wenn man den Haftbefehl gar nicht wirklich abfassen müsste, sondern er sich mehr oder weniger in einem Formular erschöpft, das auf den Akteninhalt Bezug nimmt. Geht natürlich nicht. Fast so bequem ist es, auf einzelne Schriftstücke zu verweisen, etwa auf die Tatschilderung in der Anklageschrift. Das gilt vor allem für lange Anklagen. Das ist zulässig - jedoch nur, wenn die Urkunde, auf die Bezug genommen wird dem Haftbefehl als Anlage auch tatsächlich beigefügt wird. Sauber!

Der angefochtene Beschluss und der Haftbefehl der Kammer vom 27. Oktober 2014 werden aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls an das Landgericht Stade zurückgegeben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

G r ü n d e :

I. Mit Anklagen der Staatsanwaltschaft Stade vom 24. September 2009, 16. August 2011, 27. April 2012, 8. Juni 2012, 18. Juni 2012 und 11. Juli 2013 werden dem Angeklagten mehrere Vergehen der Steuerhinterziehung, des Betrugs, der Beihilfe zur Steuerhinterziehung, der Insolvenzverschleppung, des Bankrotts und der Bedrohung vorgeworfen. Über diese Anklagevorwürfe verhandelt derzeit die 5. große Strafkammer des Landgerichts. In der Hauptverhandlung vom 27. Oktober 2014 hat sie durch Verlesen einen Haftbefehl gegen den Angeklagten verkündet, in dem die rechtliche Würdigung der ihm vorgeworfenen Taten wiedergegeben wird und zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Anklagen Bezug genommen wird. Der dringende Tatverdacht ergebe sich aus den in der genannten Anklage aufgeführten Beweismitteln, insbesondere den Bekundungen dreier Zeugen, den beigezogenen Akten sowie den in den Anklagen aufgeführten Urkunden. Zudem werde auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft im jeweiligen wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen Bezug genommen. Als Haftgrund ist Fluchtgefahr angenommen worden, weil der Angeklagte mit einer nicht unerheblichen Strafe rechnen müsse und in der Hauptverhandlung eine neue Anschrift mitgeteilt habe, unter der er jedoch definitiv nicht wohnhaft sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Kammer den Haftbefehl aus den Gründen seines Erlasses aufrechterhalten. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten, der die Kammer nicht abgeholfen hat.

II. Die Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie des ursprünglichen Haftbefehls und zur Rückgabe der Akten an das Landgericht zu neuer Entscheidung.

1.Weder der Haftbefehl noch der Fortdauerbeschluss der Kammer vom 10. November 2014 genügen den Voraussetzungen des § 114 StPO. Es wird dort nämlich nicht angeführt, welcher Taten der Angeklagte dringend verdächtig ist. Soweit auf die dem Angeklagten bekannt gewordene Anklage Bezug genommen wird, genügt dies nicht. Denn eine Bezugnahme auf andere, bei den Akten befindliche Urkunden ist nur dann zulässig, wenn die Urkunde dem Haftbefehl als Anlage beigefügt wird (vgl. OLG Celle, StraFo 1998, 171).

2.Der Mangel kann auch nicht durch den Senat als Beschwerdegericht behoben werden. Denn aufgrund der bereits begonnenen Hauptverhandlung kann der Senat nicht ausschließen, dass sich die aus den Anklagen ergebende Beurteilung mittlerweile durch die in der Hauptverhandlung erfolgte Beweisaufnahme geändert hat. So wie die vorläufige Bewertung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme durch das Tatgericht während laufender Hauptverhandlung nur einer eingeschränkten Überprüfung durch den Senat unterliegt, weil allein das Tatgericht in der Lage ist, das bisherige Ergebnis der laufenden Beweisaufnahme aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen (vgl. Senatsbeschluss vom 24. April 2013, 1 Ws 139/13), kann auch die für den Erlass eines Haftbefehls notwendige Beurteilung des dringenden Tatverdachts durch den Senat während laufender Hauptverhandlung nur eingeschränkt und damit nicht in dem Umfang erfolgen, der es rechtfertigen könnte, die für den Erlass eines Haftbefehls erforderlichen Voraussetzungen für gegeben zu erachten.

OLG Celle, Beschluss vom 01.12.2014 - 1 Ws 516/14

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