BAG zur Entgeltfortzahlung an alkoholkranke Arbeitnehmer

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 21.03.2015

Nach dem sich einer der letzte Beiträge im Beck-Blog Arbeitsrecht mit der zunehmenden Einnahme leistungssteigernder bzw. stimmungsaufhellender Medikamente durch Arbeitnehmer befasste, geht es jetzt – aus aktuellem Anlass – um die Folgen der Alkoholabhängigkeit von Arbeitnehmern. Das ist leider bei weitem kein Einzelfall. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren geht davon aus, dass fünf Prozent aller Erwerbstätigen alkoholabhängig sind, das wären schätzungsweise 2,1 Millionen Beschäftigte. Die indirekten Folgekosten für Unternehmen und Privathaushalte werden auf jährlich mehr als 16 Milliarden Euro geschätzt. Dazu gehören die Kosten für Produktionsausfälle wegen Arbeitsunfähigkeit, Frühverrentungen sowie Verdiensteinbußen der betroffenen Beschäftigten. In Unternehmen fehlen Alkoholkranke zwei- bis viermal häufiger als die Gesamtbelegschaft. Ein Fünftel der Arbeitsunfälle geschieht unter Alkoholeinfluss. Eine seit langem diskutierte arbeitsrechtliche Frage ist die, ob und unter welchen Voraussetzungen Arbeitnehmer, die infolge ihres Alkoholkonsums ausfallen, Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben. Der maßgebliche § 3 Abs. 1 EFZG formuliert die Anspruchsvoraussetzungen wie folgt: Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung …“. In dem nun vom BAG (Urteil vom 18. März 2015 - 10 AZR 99/14 – PM 14/15) entschiedenen Fall nahm eine gesetzliche Krankenkasse aus übergeleitetem Recht (§ 115 SGB X) einen Arbeitgeber auf Erstattung von Krankengeldleistungen in Höhe von ca. 1.300 Euro in Anspruch, die Sie an einen bei ihr versicherten Arbeitnehmer erbracht hatte. Dieser Arbeitnehmer war alkoholabhängig. Er wurde am 23. November 2011 mit einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) in ein Krankenhaus eingeliefert und war in der Folge für über zehn Monate arbeitsunfähig erkrankt. Zuvor hatte er zwei stationäre Entzugstherapien durchgeführt. Es kam jedoch immer wieder zu Rückfällen. Das BAG gab jetzt in letzter Instanz der klagenden Krankenkasse recht. Ausgangspunkt ist der eingeschränkte Verschuldensbegriff des § 3 EFZG. Eine Arbeitsunfähigkeit ist nur dann verschuldet im Sinne dieser Vorschrift, wenn ein Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt.  Bei einer Alkoholabhängigkeit – so das BAG - handelt es sich um eine Krankheit. Werde ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, könne nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden. Die Entstehung der Alkoholsucht sei vielmehr multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingten. Dies gelte im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie. Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 % je nach Studie und Art der Behandlung könne nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme jedoch ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall nicht generell ausgeschlossen werden. Der Arbeitgeber könne deshalb in diesem Fall das fehlende Verschulden bestreiten. Das Arbeitsgericht habe dann ein medizinisches Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob der Arbeitnehmer den Rückfall schuldhaft iSd. § 3 Abs. 1 EFZG herbeigeführt hat. Lasse sich dies nicht eindeutig feststellen, weil ein Ursachenbündel hierfür vorliegt, gehe dies zulasten des Arbeitgebers. Das im konkreten Fall eingeholte sozialmedizinische Gutachten hatte ein Verschulden des Arbeitnehmers unter Hinweis auf die langjährige und chronische Alkoholabhängigkeit und den daraus folgenden "Suchtdruck" ausgeschlossen. 

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2 Kommentare

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richtige Entscheidung, damit dürfte in anderem Zusammenhang noch enmal bestätigt worden sein, was mit der Entscheidung 2 AZR 123/99 begonnen hat, nämlich dass Alkoholismus als Krankheit keine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen vermag.

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übrigens, wenn man Alkoholismus zutreffend als Krankheit anerkennt, dürfte auch der Anwendungsberech des AGG eröffnt sein.

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