Kosten des OWi-Sachverständigengutachtens - muss auch beim AG Reutlingen der Betroffene tragen - natürlich!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.03.2015

Der Betroffene hatte in einer OWi-Sache an der Messung rumgemäkelt und detailreiche Einwendungen gebracht. Verurteilt wurde er trotzdem. Und die Sachvertändigenkosten musste er trotz Erinnerung auch zahlen:

Die Erinnerung des Betroffenen gegen seine Inanspruchnahme als Kostenschuldner für die Entschädigung des Sachverständigen in Höhe von 640,76 Euro wird

zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe: 

I.
Der Betroffene ist schuldig eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes. Der Bußgeldbescheid der Stadt Reutlingen vom 19.05.2014 ist rechtskräftig seit dem 02.09.2014. Mit einer Kostenabrechnung des Landes Baden-Württemberg vom 08.10.2014 wird er auf die Verfahrenskosten in Anspruch genommen.
Der Betroffene wendet sich gegen die Kosten des Sachverständigen in Höhe von insgesamt 640,76 Euro. Er trägt vor, die Erstellung eines solch kostenintensiven Gutachtens sei nicht verhältnismäßig. Die Kosten des Gutachtens übersteigen das Bußgeld um 200,- Euro um ein Vielfaches. Zumindest wäre vor der Terminsbestimmung und des Ladung eines Sachverständigen ein entsprechender richterlicher Hinweis an den Betroffenen geboten gewesen. Der Betroffene lässt beantragen, die Kosten gemäß § 21 GKG niederzuschlagen.

II.

Die seitens des Betroffenen eingelegte Erinnerung ist zulässig, § 66 GKG. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Der Höhe nach greift der Betroffene die Abrechnung nicht an. Es besteht im Übrigen kein Anlass nach § 21 GVG von der Erhebung von Kosten und Auslagen abzusehen.

1.    Der Betroffene war im Bußgeldverfahren seit 07.04.2014 frühzeitig anwaltlich vertreten. Folgt man dem Vorbringen in der Erinnerungsschrift, welches in einem deutlichen inhaltlichen Kontrast zum technischen Vorbringen im Schriftsatz vom 07.05.2014 steht, ist nicht nachvollziehbar, warum der Einspruch nicht frühzeitig auf die Rechtsfolgen beschränkt worden ist (Prinzip des „sichersten Weges") oder auf technische Einwendungen ganz verzichtet wurde.
Der Betroffene ließ zunächst detailreich Einwendungen vorbringen, die das Gericht nur mit technisch sachverständiger Hilfe überprüfen kann. Was genau und wann einen „Sensor" ausgelöst hat, muss ein Sachverständiger im Regelfall abklären. Überdies wird behauptet: „Eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs, die durch den Spurwechsel eingetreten wäre, ist nicht ersichtlich". Um die Behauptung, jede abstrakte Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer sei ausgeschlossen, zu überprüfen, muss ein technischer Sachverständiger beauftragt werden. Die Verkehrssituation zur Vorfallszeit muss von ihm zeitlich, räumlich und verkehrsdynamisch analysiert werden. Das Fahrverhalten, die Geschwindigkeiten, die Abstände, die Ampelphasen oder mögliche Fahrlinienänderungen kann ein technischer Sachverständiger regelmäßig detailreich aus den Messbildern, die mit zu diesem Zwecke zweifach erstellt werden, herausarbeiten.
Soweit rechtliche Ausführungen gemacht wurden, sind die zwar einerseits rechtlich wenig tragfähig, andererseits knüpfen sie an tatsächliche Umstände an, die nur ein Sachverständiger aufklären kann. Dem Gericht ist es, anders als dem Verteidiger, versagt, einen Abstand „zu schätzen, bei Betrachtung des Satellitenbildes(sic!) auf mindestens 15 bis 20 Meter von der Haltelinie an gemessen". Der Betroffene lässt nicht nur hier vorfallsbezogen Tatsachen behaupten, die weder gerichtsbekannt noch allgemein bekannt sind.

2.    Auf das in der Erinnerungsschrift monierte, aber erkennbare, „Kostenrisiko" hat der Verteidiger zwei Wochen lang nicht reagiert. Irgendwelche Mitteilungen oder Einlassungen zur Sache seitens des Erinnerungsführers nach dessen Ladung zum Haupttermin finden sich in der Akte nicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob bei einem nicht anwaltlich vertretenen Betroffenen anders zu verfahren gewesen wäre. Auch darauf, ob und in welcher Form in einem solchen Fall zusätzlich eine Belehrung des Betroffenen über die möglicherweise entstehenden Sachverständigenkosten geboten ist, kommt es vorliegend nicht an. Stets bedeutungslos ist die Frage, ob die Verfahrenskosten von einer Rechtsschutzversicherung abgedeckt sind.
Der Erinnerungsführer und sein Verteidiger konnten das mit der Beweiserhebung verbundene „Kostenrisiko" aus der Terminsladung unschwer folgern, § 222 StPO. Die Vorschrift und der Rechtsgedanke des § 109a Abs. 2 OWiG sind bekannt und bei der Anwendung des § 21 GKG zu berücksichtigen. Dem Erinngerungsführer oder zumindest seinem Verteidiger bzw. dessen bestelltem Vertreter, § 53 BRAO, musste klar gewesen sein, dass bei einem technisch aufwendigen Messverfahren von Amts wegen die Messung und der Kontrollvorgang (ganz unabhängig von einem „Bestreiten" der Messung, wie hier, durch den Betroffenen) technisch würde überprüft werden.
Es muss gesehen werden, dass die Strafprozessordnung, die auch im Bußgeldverfahren Anwendung findet, mit ihrer uneingeschränkten Verfahrensförderungspflicht die „frühen ersten (Güte-) Termin" ohne eine Beweisaufnahme, die zwangsläufig stets einige Zeit vor dem Termin vom Sachverständigen aufwendig vorzubereiten ist, nicht kennt.
3. Der Bußgeldrichter hat gemäß § 244 Abs. StPO i.V.m. § 77 OWiG die Beweisaufnahme zur Erforschung der prozessualen Tat von Amts wegen auf alle Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung für Bedeutung sind. Eine oberflächliche „Beweiswürdigung" und Mutmaßungen über technische Abläufe, wie sie als Verteidigungsvorbringen noch tunlich und zweckmäßig sein mögen, stehen dem Gericht gerade nicht zu. Die Aufklärungspflicht erstreckt sich auf alle Tatsachen, die für die Anwendung des sachlichen Rechts und für die Entscheidung über die Schuld sowie Art und Maß der Rechtsfolgen erheblich sind. Notfalls gegen den Willen des Betroffenen oder Dritter muss der Richter Anstrengungen unternehmen, um be- oder entlastende Umstände aufzuklären, wenn von der Heranziehung noch nicht verwerteter Beweismittel Erkenntnisse zu erwarten sind, die Einfluss auf das Beweisergebnis haben können.
a. Der Betroffene behauptet durch seinen Verkehrsverstoß sei niemand gefährdet worden. Die Messbilder zeigen andere Kraftfahrer im Kreuzungsbereich. Wenngleich ein hinreichender Tatverdacht nicht zwingend angenommen werden kann, tragen die eindrucksvollen Messbilder den Anfangsverdacht einer strafbaren Straßenverkehrsgefährdung, § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB. Der Betroffene überholt hier möglicherweise mit einem „Sportwagen" einen anderen Kraftfahrer oder versucht dies. Mit Hilfe der Messbilder hätte ein Sachverständige u.a. die Geschwindigkeiten eingrenzen können.

b.    Regelmäßig werden außerdem Beweisanträge gestellt mit dem Ziel die Messung zu überprüfen. Schon wegen der Belastung des Gerichts mit einer Vielzahl von Verfahren ist es zweckmäßig, die üblichen Einwendungen vorsorglich überprüfen zu lassen bzw. das zumindest vorzubereiten. Die Sachverständigen sind im Regelfalle gehalten, Kosten erst in zeitlicher Nähe zur Hauptverhandlung zu veranlassen. In der Hauptverhandlung werden von den Beteiligen im Regelfalle dann oft Fragen zur Messtechnik gestellt.

c.    Unbenommen ist einem verteidigten Betroffenen, die Überprüfung rechtzeitig auf die Rechtsfolgen zu beschränken oder - zumindest - technische Rügen nur mit Bedacht zu erheben. Die Einschaltung eines Privatgutachters vorab mag sich im Einzelfall anbieten und ist nicht ungewöhnlich. Soweit tatsächliche Behauptungen „in Blaue hinein" erhoben werden, ist das strafprozessual zulässig. Die Kostenfolgen im Falle der Nichterweislichkeit sind freilich im Innenverhältnis zwischen einem Angeklagten oder einem Betroffenem und dessen Verteidiger abzuklären.

4. Ein technisches Sachverständigengutachten ist zur Klärung, ob der Messvorgang ordnungsgemäß durchgeführt wurde oder ob dabei Fehler aufgetreten sind, auch bei einem „standardisierten Messverfahren" das geeignete und einzig taugliche Beweismittel.

a.    Es geben eine Vielzahl von Bußgeldverfahren vor dem Amtsgericht Reutlingen und die kritische Berichterstattung in der Fachliteratur und in Medien einen deutlichen Anlass, die mit Rotlicht- und Geschwindigkeitsmessanlagen gemachten technischen Feststellungen mit sachverständiger Hilfe kritisch zu hinterfragen. Eine umfängliche Beweiserhebung ist, vor einer Verurteilung des Betroffenen oder einem Freispruch, regelmäßig schon deswegen erforderlich, weil die Möglichkeit des „Geständnisses" eines fahrlässigen, oder was hier nahe liegt, eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes mit beachtlichen „obergerichtlichen" oder tatsächlichen Bedenken behaftet ist.

b.    Bei einem so genannten „standardisierten Messverfahren" darf sich das Gericht zwar nach allgemeiner Meinung mit wenigen oder weniger Feststellungen in den Urteilsgründen, § 267 StPO begnügen. Es muss sich deswegen bei der Ermittlung des tatsächlichen Sachverhalts freilich nicht einschränken. Das Nichtgebrauchmachen von solchen Erleichterungen, jene alleine zulässig bei der Darstellung eines gefundenen Sachverhalts im Urteil, trägt den Vorwurf einer unrichtigen Sachbehandlung im Sinne des § 21 GKG bei der Erforschung des Sachverhalts nicht. Das schon deswegen nicht, weil sonst umgekehrt, wegen möglicher „Kostenfolgen", die Entscheidung über regelmäßig von Betroffenen gestellte Beweisanträge vorherbestimmt sein könnte.

5. Mit Rücksicht auf das bei Richtern nur unvollkommene menschliche Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit eines Irrtums ist es die Pflicht des Verteidigers, welcher den „sichersten Weg" im Blick zu behalten hat, nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken. Die Anwendung des § 21 GVG ist ausgeschlossen, wenn diese Pflicht nicht erfüllt ist.
Festzuhalten ist zumindest, dass sich der Verteidiger im Schriftsatz unter Datum 07.05.2014 „Einwendungen gegen die ordnungsgemäße Messung" vorbehalten hat. Sogar die Fahrereigenschaft wurde in Frage gestellt. Das Empfangsbekenntnis wurde vom Vertreter des Erinnerungsführers augenscheinlich selbst unterschrieben.
Der Anwalt hat - ebenso wie der Richter - die Befähigung zum Richteramt, § 4 Abs. 1 BRAO. Es ist nicht bloße Aufgabe des Verteidigers Tatsachenmaterial beizubringen oder Einwendungen zu erheben, dabei nicht aber auch den Fall rechtlich zu durchdringen. Überdies sind die Kostenfolgen mit der verkehrsüblichen Sorgfalt abzuklären. Damit korrespondiert die Möglichkeit, auf die rechtliche Beurteilung des Falles und die tatsächliche Verfahrensgestaltung Einfluss zu nehmen. Irgendwelche Mitteilungen, die es nahe legten, die Kostenfolgen des Verfahrens für den Betroffenen möglichst überschaubar zu halten, finden sich in den Verfahrensakten nicht. Sachlich nicht begründet wurde, warum das Gericht von der Heranziehung eines Sachverständigen denn hätte absehen sollen, außer in jenem Fall, in welchem die Behauptungen des Betroffenen - ohne rechtliche Erlaubnis - „kurzer Hand" als wahr unterstellt worden wären.

AG Reutlingen, Beschluss v. 29.12.2014 - 5 OWi 24 Js 14670/14

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