Fundstück: Passivrauchen von Cannabis führt zu Freispruch

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.12.2014
Rechtsgebiete: PassivrauchenStrafrechtVerkehrsrecht3|4370 Aufrufe

Vor kurzem habe ich diese schon ältere Entscheidung im Rahmen von Recherchen in anderem Zusammenhang gefunden. Viele Anwälte in der Blogleserschaft wird`sicher interessieren: 

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Landeskasse.

Gründe:

Der 27-jährige Betroffene ist von Beruf Bäcker. Er suchte nachts, nachdem er mit seinem dort bereits anwesenden Bruder telefoniert hatte, am 15. 7. 2009 gegen 3.00 Uhr die Veranstaltung „M. C.“ am ...see auf, die er gegen 5.00 Uhr wieder verließ.

In N. wurde er am 5.20 Uhr als Führer seines Kraftfahrzeuges ... (Rangehalten und kontrolliert.

Ein Atemalkoholtest mittels Evitec ergab einen Wert von 0,22 o/oo. Ein freiwilliger Drogenvortest auf Speichelbasis mittels Dräger DrugTest 5000 ergab einen positiven Befund auf THC. Die polizeilichen Feststellungen zur Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit (Bl. 6 d. A.) ergaben normale Reaktionen, keine körperlichen Auffälligkeiten, gepflegte äußere Erscheinung, der deutschen Sprache mächtig, die Aussprache deutlich, die Orientierung orientiert, ruhiges beherrschte Stimmung/Verhalten, sicherer Gang, Alkoholgeruch ja , Bindehäute gerötet, Pupillen rechts 2 mm, links 2 mrn, Verhalten während der Amtshandlung gleichbleibend. Sonstige Beobachtung: Lidflattern, bleiche Gesichtsfarbe in Verbindung mit geröteten Bindehäuten, Pupillen dauerhaft eng.

Im ärztlichen Untersuchungsbericht (Bl. 7 d. A.) wurde festgestellt, dass die Bindehäute gerötet, wässrig glänzend, die Pupillendurchmesser 6 mm, die Pupillenlichtreaktion träge, der Drehnachnystagmus hochfrequent, kleine Auslenkung, der Blickrichtungsnystagmus provozierbar war, Lidflattern, sichere Finger, Fingerprobe, sichere Finger-Nasen-Probe, die Orientierung o.p.B., Denkablauf geordnet, Sprache deutlich, Verhalten und Stimmung jeweils o.p.B., Alkoholbeeinflussungseindruck gering, Drogenbeeinflussungseindruck ebenfalls gering waren.

Die Blutalkoholbestimmung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,11 o/oo.

Der vorläufige Befund der immunchemischen Voruntersuchung kam bei Cannabis zu dem Ergebnis „fraglich“ (Bl. 11 d. A.).

Die toxikologische Untersuchung (Bl. 12, 13 d. A.) zum Nachweis von Cannabinoiden verlief positiv. Bei der quantitativen Bestimmung ergaben sich Werte von 0,002 mg/l Tetrahydrocannabinol, 0,001 mg/l Hydroxy-THC und 0,008 mg/l Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure.

Der Betroffene hat sich eingelassen, er habe 3 M. über 3 Stunden getrunken, jedoch kein Cannabis geraucht. Im Bosarium sei trotz Rauchverbot überall geraucht und auch Cannabis konsumiert worden. Insofern könne nur davon ausgegangen werden, dass er als Passivraucher
das Cannabis aufgenommen habe.

Von einem fahrlässigen Fahren unter Wirkung berauschender Mittel gemäß §§ 24 a Abs. 2, Abs. 3; 25 Abs. 2 a StVG könne nicht ausgegangen werden.

Dazu hatte der Sachverständige Prof. Dr. med. ... Arzt für Rechtsmedizin an der Universität ... ausgeführt, dass es Anzeichen beim Betroffenen gab, die für einen Cannabiskonsum sprechen, für die es jedoch auch Alternativerklärungen gibt wie beispielsweise das festgestellte leichte Lidflattern und die geröteten Augenlider, was auch ein Zeichen für Müdigkeit sein könne. Die festgestellten engen Pupillen des Betroffenen passen jedoch nach Ausführung des Sachverständigen gerade nicht zu einem Cannabiskonsum; ein Anzeichen für Cannabis sind weite Pupillen.

Weiter hatte der Sachverständige ausgeführt, dass der Wert von 0,008 mg/l Tetrahydracannabiol-Carbonsäure niedrig ist, weit unterhalb eines Bereichs liegt, der bei regelmäßigem Konsum anzutreffen ist. Auch der Wert von 0,002 mg/l Tetrahydrocannabiol ist als gering anzusehen. Wenn der Betroffene Cannabis geraucht hätte, könne dies nicht während des Besuchs der Veranstaltung „M. C.“ gewesen sein, da die Konzentration nicht mehr ins Zeitfenster passe.

Insgesamt konnte der Sachverständige nicht ausschließen, dass die ermittelten Werte durch ein Passivrauchen während der Veranstaltung entstanden
sind.

Dies entspricht auch den Ausführungen von Prof. Dr. ... von der Universität ... (zitiert nach DAR 06, S. 175). Danach kann das „Passivrauchen“ von Cannabis eine
geringe positive THC-Konzentration im Blut verursachen wenn diese jedoch unter 1,0 mg/l liegt. Auch haben neueste Untersuchungen an der Universität Tübingen durch Wehner/Wiedemann/Köhling (quantitative Pharmakokinetik der passiven THC-Aufnahme“ ergeben,
dass eine THC-Konzentration von 2,0 mg/l bei passivem
Konsum von Cannabis auf keinen Fall forensisch gesichert ausgeschlossen werden kann.

Kraftfahrzeugführer, in dessen nach § 91 a Abs. 1 StPO entnommener Blutprobe THC nachgewiesen werden kann, müssen daher nicht zwingend selbst Cannabis geraucht haben.

Da aufgrund der eher geringen Werte ein Nachweis der aktiven Aufnahme nicht geführt werden konnte, war der Betroffene freizusprechen.

AG St. Wendel: Urteil vom
23.09.2010 - 1 OWi 67 Js 724/10 (234/10) BeckRS 2010, 32266

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3 Kommentare

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"die Orientierung orientiert" - hach wie schön (erinnert mich irgendwie an blaues Licht). Was mich aber stutzig macht: ist "der deutschen Sprache mächtig" für die deudsche Bollezei allen Ernstes ein Kriterium für Fahrtüchtigkeit?

Und allen Juristen, die auf Schimmel / Drobnik / Röhrich / Becker / Zörntlein / Urban verweisen, sei gesagt: Quellen lesen und verstehen, bevor man sich auf sie beruft:

die teilnehmenden Probanden [repräsentieren] in ihrer Altersstruktur nur bedingt den in diesen Fragestellungen hauptsächlich zu begutachtenden Personenkreis

konkret: diese Ergebnisse gelten - wenn überhaupt - nur für Personen zwischen 27 und 59 Jahren

Zur Untermauerung des Datenmaterials erscheinen weitere Untersuchungen zur Problematik des Passivrauchens unter realistischen Bedingungen an einer größeren Stichprobe und unter vollständig kontrollierten Bedingungen angezeigt.

übersetzt aus dem medizinischen Fachjargon: diese Ergebnisse sind pi mal Daumen und unzuverlässig (da keine kontrollierten Bedingungen und keine ausreichend große Stichprobe), wissenschaftlich fundierte Schlussfolgerungen lassen sich daraus nicht ziehen.

Ist ja nur als OWi verfolgt worden, also per Bußgeldbescheid, gegen den dann Einspruch eingelegt worden ist...

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