Das wird teuer: Anwaltliche Haftung wegen versäumter Klagefrist

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 04.12.2014

Versäumt ein Rechtsanwalt trotz entsprechender Beauftragung durch den Arbeitnehmer die rechtzeitige Erhebung der Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG), ist er verpflichtet, ihm den hieraus resultierenden Schaden zu ersetzen. Hätte die Kündigungsschutzklage Erfolg gehabt, muss er ihm als Schadensersatz den entgagenen Arbeitslohn zahlen - bei einem befristeten Vertrag bis zu dessen vorgesehenem Zeitablauf.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat das OLG Hamm einen Dortmunder Rechtsanwalt verurteilt, an den Kläger rund 330.000 Euro zu zahlen, und darüber hinaus festgestellt, dass ein möglicher weiterer Schaden bis zur Höhe von rund 640.000 Euro ebenfalls zu ersetzen ist.

In seiner Pressemitteilung berichtet das OLG:

Der Kläger war seit Oktober 2007 Cheftrainer der 1. Herrenmannschaft eines seinerzeit in der 2. Bundesliga spielenden Fußballvereins. Wenige Spieltage vor dem Abschluss der Saison 2007/2008 entließ der Fußballverein den Kläger aus seiner Verantwortung für die 1. Mannschaft. Grund waren sportliche Misserfolge der vom Kläger trainierten Mannschaft. Mit einem späteren Schreiben kündigte der Verein den ursprünglich mit dem Kläger bis Ende Juni 2010 abgeschlossenen Arbeitsvertrag vorzeitig ordentlich zum 31.12.2008. Der Kläger, der die Kündigung für unberechtigt hielt, beauftragte den beklagten Rechtsanwalt aus Dortmund mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Gegenüber dem Fußballverein widersprach der Beklagte namens des Klägers der Kündigung, unterließ es jedoch, innerhalb der gesetzlich vorgesehenen dreiwöchigen Frist eine Kündigungsschutzklage zu erheben. Der Kläger hat gemeint, dass der Beklagte deswegen seine anwaltlichen Pflichten verletzt habe und Schadensersatz schulde. Als Schaden sei ihm der Verdienst zu ersetzen, den er bei regulärer Fortdauer des Trainervertrages ist zum 30.06.2010 hätte erzielen können. Ausgehend davon, dass die Fußballmannschaft in der Saison 2007/2008 den Klassenerhalt sichern konnte, in der Saison 2008/2009 einen Platz im Tabellenmittelfeld und in der Saison 2009/2010 einen Platz im oberen Tabellenfeld erreichte, hat der Kläger einen Schaden in Höhe eines ihm entgangenen Bruttoverdienstes aus Grundgehalt und Punkteprämien von über 600.000 Euro errechnet.

Das Schadensersatzbegehren war weitgehend erfolgreich. Der 28. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat dem Kläger ca. 330.000 Euro als jetzt bereits bezifferbaren Schaden zugesprochen und festgestellt, dass der Beklagte weitere Belastungen des Klägers aufgrund von zu entrichtenden Abgaben und Steuern bis zur Höhe von insgesamt ca. 640.000 Euro zu tragen habe.

Der Beklagte habe seine Pflichten aus dem Anwaltsdienstvertrag verletzt, indem er den Kläger nicht auf die innerhalb einer dreiwöchigen Frist zu erhebende Kündigungsschutzklage hingewiesen habe. Eine fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage hätte der Kläger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgreich geführt. Aufgrund des bis zum 30.06.2010 befristeten Arbeitsvertrages sei der Fußballverein nicht zu einer vorzeitigen ordentlichen Kündigung berechtigt gewesen. Im Falle einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage hätte der Kläger vom Fußballverein auch bei seiner Freistellung als Trainer bis zum 30.06.2010 vertragsgemäßes Gehalt beanspruchen können. Dass er sich mit dem Verein auf eine Abfindung geeinigt hätte, sei nicht feststellbar. Anderweitigen Verdienst müsse sich der Kläger nicht anrechnen lassen, weil er bis zum 30.06.2010 kostenlos bei anderen Vereinen in Italien und Frankreich hospitiert habe.

Interessant sind insbesondere die Überlegungen des Senats zur Schadenshöhe. Der beklagte Rechtsanwalt hatte erwartungsgemäß eingewandt, dass der Kläger die Erfolgsprämien nicht beanspruchen könne, weil die Mannschaft unter seiner Leitung vermutlich abgestiegen wäre. Dem widerspricht das OLG:

Ca. 330.000 Euro müsse der Beklagte an den Kläger bereits jetzt zahlen, weil der Kläger seinen Netto-Verdienstausfallschaden in dieser Höhe beziffern könne. Er habe Anspruch auf die Vergütung, die er bei einer Weiterarbeit erzielt hätte. Das seien im vorliegenden Fall das im Arbeitsvertrag vereinbarte Grundgehalt und die vereinbarten Punkteprämien abzüglich ersparter Aufwendungen. Dabei seien die Prämien nach den unter den nachfolgenden Trainern tatsächlich erzielten Spielergebnissen zu berechnen. Es komme nicht darauf an, wie die Spielergebnisse mit hypothetischer Beteiligung des Klägers ausgegangen wären. Da der Kläger durch seine vertragswidrige Suspendierung um die Chance gebracht worden sei, bestimmte Arbeitserfolge zu erzielen, könnten ihm im Nachhinein hiervon abhängige erfolgsbezogene Vergütungsbestandteile nicht versagt werden.

Anspruch auf den Bruttolohn habe der Kläger zurzeit nicht, weil er den ausgeurteilten Schadensbetrag noch der Steuer zu unterwerfen habe. Der Senat folge insoweit der modifizierten Nettolohnmethode, nach der der Kläger den ihm entgangenen Nettoverdienst als Zahlbetrag verlangen könne und festgestellt werde, dass die von den Finanzbehörden auf die zuerkannte Schadenssumme später berechneten Steuern und Abgaben als weiterer Schaden zusätzlich zu erstatten seien.

OLG Hamm, Urteil vom 23.10.2014 - 28 U 98/13.

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3 Kommentare

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Vielen Dank für das aufschlussreiche Urteil.

Insbesondere die vom Senat angesprochene modifizierte Nettolohnmethode führt sicherlich zum richtigen Ergebnis, da noch nicht feststeht, in welcher Höhe der Kläger Einkommensteuer zu zahlen hat. Ich frage mich allerdings, ob die Schadenersatzzahlung zum Ausgleich eines eventuellen Einkommensteuersschadens wiederum steuerbar und -pflichtig ist.

Das FG Niedersachsen bejaht die Steuerbarkeit des Einkommensteuerschadens bei einem Vergleich, der zum Ersatz der Einkommensteuer, die auf einen vorherigen Vergleich zu zahlen war, geschlossen wurde (FG Niedersachsen, Urteil v. 14.03.2012, Az. 4 K 79/10). Mir erschliesst sich die Logik dieser Entscheidung nicht. Eine steuerbare Entschädigung liegt nur vor, soweit sie an die Stelle nicht erziehlter Einnahmen tritt (Leitsatz des gleichen Urteils!). Die Schadensersatzzahlung für Einkommensteuerschaden tritt aber gerade nicht an die Stelle der Einnahme einer Einkunftsart nach § 2 Abs. 1 EStG, sondern dient dem Ersatz der Steuer, die aufgrund einer Einnahme erst entsteht.

Umsatzsteuer sollte im Fall des OLG Hamm jedenfalls nicht fällig werden, da die Schadenersatzzahlung nicht für eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlenden erfolgt, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag für den Schaden einzustehen hat (FG München, Beschluss v. 18.07.2012, Az. 14 V 1350/12, m.w.N.).

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Beides. Denn mit diesem Schadensfall wird ihm seine Versicherung kündigen und eine neue wird er nur für drastisch höhere Prämien bekommen.

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