Fall Mollath - Einige Anmerkungen zur schriftlichen Urteilsbegründung des LG Regensburg

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 20.11.2014

Die schriftlich verfassten Gründe des noch nicht rechtskräftigen Urteils im wiederaufgenommenen Prozess gegen Gustl Mollath liegen seit 14 Tagen  vor.

Ein erster Blick in die mit 120 Seiten außergewöhnlich umfangreiche Begründung bestätigt meinen Eindruck aufgrund der Pressemitteilung am Tag der mündlichen Urteilsverkündung.

Damals hatte ich von einem „salomonischen Urteil“ geschrieben und bin dafür kritisiert worden. Vielleicht habe ich das Wort „salomonisch“ unangemessen gebraucht – gemeint war, dass dieses Urteil für Herrn Mollath einerseits einen Erfolg darstellt, andererseits auch nicht. Erfolgreich für ihn ist es insofern, als die jahrelange Unterbringung aufgrund einer nachgewiesenen gefährlichen Wahnerkrankung, Ergebnis des Urteils des LG Nürnberg-Fürth, nun vom LG Regensburg nachträglich als rechtsfehlerhaft zurückgewiesen wurde. Herr Mollath ist für die Unterbringungszeiten zu entschädigen.

Dieses Urteil ist aber nur Teil eines außergewöhnlichen Gesamterfolgs: Vor gut zwei Jahren, Anfang November 2012, war Herr Mollath ein seit sechseinhalb Jahren in der forensischen Psychiatrie Untergebrachter und nahezu ohne Chance in absehbarer Zeit freigelassen und rehabilitiert zu werden. Auf seiner Seite standen zwar schon damals einige private Unterstützer, eine Strafverteidigerin und einige Journalisten. Auf der Gegenseite, die ihn als nach wie vor gemeingefährlichen Wahnkranken ansah, standen aber nicht nur das seit 2007 rechtskräftige Urteil, sondern  auch seine Behandler in der Psychiatrie, mehrere psychiatrische Gutachter, die Strafjustiz an drei bayerischen Standorten und die zunächst noch vom Ministerpräsidenten gestützte bayerische Justizministerin. Gegen diese Institutionen hat Gustl Mollath im Verlauf eines knappen Jahres die Wiederaufnahme seines Strafverfahrens, und zwar in einmaliger Weise auf Antrag der Staatsanwaltschaft (!), die Freilassung aus der Unterbringung, eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde und nunmehr auch ein neues Urteil erreicht. Im Verlauf dieser Zeit wurden anhand des „Falls Mollath“ außerdem wichtige Fehlkonstruktionen aufgedeckt, was in ein Bundesgesetzgebungsverfahren (StGB) sowie ein Landesgesetzgebungsverfahren (Maßregelvollzugsgesetz) mündete. Ohne dies aktuell empirisch überprüft zu haben: Ein solcher Erfolg ist in der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte einmalig. Wer nun davon spricht (sei es auf Seiten Herrn Mollaths oder auf der Gegenseite), Herr Mollath sei insgesamt gescheitert, der hat einen verzerrten Blick auf die Wirklichkeit. Allerdings: Die verlorenen Jahre kann ihm niemand zurückgegeben; die zu erwartende Entschädigung kann diesen Verlust nicht ansatzweise ausgleichen.

Zugleich enthält das Urteil auch einen „Misserfolg“ für Gustl Mollath, weil  der schwerste Vorwurf, seine Frau am 12.08.2001 geschlagen, gebissen und gewürgt zu haben, als seine rechtswidrige Tat festgestellt wurde. Seiner Darstellung, diese Tat habe so gar nicht stattgefunden bzw. er habe sich nur gegen einen Angriff seiner Frau gewehrt, ist das LG Regensburg nicht gefolgt. Dieser Misserfolg fällt allerdings gegenüber den oben genannten Erfolgen geringer ins Gewicht.

Die  Beweiswürdigung zum Tatvorwurf am 12.08.2001, ausgeführt auf  mehr als 50 Seiten der Urteilsgründe, ist nicht nur ausführlich, sondern akribisch und auch logisch stimmig. Im Kern glaubt das Gericht den Angaben der Nebenklägerin, die sie im früheren Verfahren gemacht hat, und den Beobachtungen des Arztes, den sie zwei Tage nach der Tat aufsuchte. Eine sehr kritische Würdigung dieser Angaben war geboten, denn die Nebenklägerin hat in der Hauptverhandlung nicht ausgesagt, aber dennoch auf den geschilderten Vorwürfen beharrt. In einem Strafprozess, der als Prinzipien die Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung kennt, ist ein solches Aussageverhalten  problematisch. Der BGH hat es dennoch zugelassen, die früheren Angaben eines Hauptbelastungszeugen zu verwerten, auch wenn dieser  die Aussage in der Hauptverhandlung (berechtigt) verweigert. Allerdings erweist sich eine derartige Beweiswürdigung auch im Fall Mollath als bedenklich: Die schriftlich niedergelegten Angaben der Nebenklägerin konnten praktisch nur untereinander und indirekt über die Vernehmung von Drittzeugen geprüft werden, ohne dass die Nebenklägerin in Gefahr geraten konnte, sich bei Rückfragen  in Widersprüche zu verwickeln. Da das Gericht die Nebenklägerin nie persönlich gesehen hat, konnte ein Gesamteindruck der entscheidenden personalen „Quelle“ der Vorwürfe nicht gewonnen werden. Wenn sich das Gericht dann zentral auf die früheren Aussagen stützt, muss diese Würdigung mit Leerstellen auskommen, die positiv gefüllt werden. So spricht nach Auffassung des Gerichts für die Glaubhaftigkeit der Angaben zentral, dass die Nebenklägerin zum Zeitpunkt ihrer ersten Angaben über die Tat noch nicht die Absicht gehabt habe, sich von ihrem Mann zu trennen bzw. ihn anzuzeigen. Vielmehr habe sie ja noch Monate mit ihm zusammengelebt. Gerade dieser Umstand kann aber auch umgekehrt interpretiert werden: Dass sie noch so lange mit ihm zusammengeblieben ist, könnte eher gegen einen lebensgefährlichen Angriff sprechen. Welche Absicht die Nebenklägerin mit dem Attest positiv verfolgte, ist unbekannt. Dass es keine Motive gewesen sind, die dem Wahrheitsgehalt ihrer Angaben entgegenstanden, wird vom Gericht unterstellt. Dass die Gründe in der "Vorsorge" für ein späteres Scheidungsverfahren gelegen haben könnten, wird vom Gericht nicht diskutiert. Im Übrigen stützt sich die Kammer darauf, dass es sich bei den Tatschilderungen im Kern um konstante und darum auch zuverlässige Äußerungen handele. Das Konstanzkriterium ist allerdings ein recht schwaches Wahrheitsindiz, weil es auch einer lügenden Person ohne Weiteres gelingen kann, eine konstante Tatschilderung in mehreren Vernehmungen aufrecht zu erhalten. Angaben zum Randgeschehen (wie kam es zur Tat, was passierte vorher und nachher?) sind in den verwerteten Angaben nicht enthalten. Hierzu hätte es zur Aufklärung der mündlichen Vernehmung der Nebenklägerin bedurft.

Anders als die Nebenklägerin hat sich der Angeklagte als Beweismittel gegen sich selbst auch in der Hauptverhandlung zur Verfügung gestellt. Seine Äußerung, er habe sich gewehrt, wird vom Gericht dahingehend gewürdigt, dass es jedenfalls am 12.08.2001 zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen sein müsse. Diese Würdigung ist nachvollziehbar. Wenn es eine Auseinandersetzung gab, bei der sich der Angeklagte gewehrt hat, dann kann erwartet werden, dass dieser die Auseinandersetzung auch im Einzelnen schildert. Hierzu aber schwieg der Angeklagte in der Hauptverhandlung. Es trifft allerdings nicht zu, dass sich – wie das Gericht meint (S. 66) – die Verteidigungsstrategien Mollaths (einerseits: Verletzungen vom Sprung aus dem Auto, andererseits: Verletzungen von einer Gegenwehr) widersprechen: Es ist denkbar, dass beides zutrifft und die Verletzungen von der Nebenklägerin beim Arzt als von einem einzigen Ereignis herstammend geschildert wurden.

Zentral ist der Zeuge Reichel, nach dessen Aussage er die Nebenklägerin zwei Tage nach der vorgeworfenen Tat gesehen hat und Verletzungszeichen schildert, die zu den Schilderungen der Nebenklägerin passen. Auch hier bemüht sich die Kammer, eventuelle Zweifel gar nicht erst aufkommen zu lassen. [Update 22.02.2015: Das Zustandekommen des Attests und des zugrundeliegenden Krankenblattinhalts ist sowohl inhaltlich als auch datumsmäßig  nach wie vor nicht eindeutig nachvollziehbar, diesbezügliche Widersprüche in der Darstellung Reichels wurden in der HV nicht geklärt.]

Insbesondere bleibe ich bei meiner schon kurz nach dem Urteil geäußerten Auffassung, dass die Frage der gefährlichen Körperverletzung durch eine das Leben gefährdende Handlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) für mich nicht zweifelsfrei erwiesen ist. Da es keine Fotografien der Hämatome gibt, war das Gericht allein auf die – von ihm selbst eingeräumt – unzuverlässige Erinnerung des Arztes angewiesen und auf die durch den Arzt indirekt vermittelte Angabe der Nebenklägerin. Zum Würgen (auch mit Würgemalen) gibt es eine umfassende,  im Kern auch differenzierende Rechtsprechung. Die Schlussfolgerung, nicht näher dokumentierte Würgemale gingen in jedem Falle mit einer Lebensgefährdung einher, wird in der BGH-Rechtsprechung nicht geteilt. Die Angabe der Nebenklägerin, sie sei kurzfristig bewusstlos gewesen, beruht allein auf ihrer nicht überprüfbaren und auch von keinem weiteren objektiven Indiz bestätigten Angabe.

Das Gericht kommt hinsichtlich der Schudfrage zu dem Schluss, Herr Mollath habe am 12.08.2001 nicht ausschließbar unter Einfluss einer schwerwiegenden Störung gehandelt, die nicht ausschließbar zur Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB geführt habe. Obwohl dies in dubio pro reo zu einer Entlastung Mollaths führt, so dass er für den Angriff auf seine Frau weder bestraft noch untergebracht werden kann, wird diese Wertung von ihm als belastend empfunden. Ob diese subjektive Belastung als „Beschwer“ für eine Rechtsmittel (Revision) genügt, wird sicherlich Gegenstand der Begründung des von Mollath und seinem neuen Verteidiger eingelegten Rechtsmittels  sein.

Ohne auf diese verfahrensrechtliche Frage näher eingehen zu wollen, kann man aber bezweifeln, dass die materiellen Maßstäbe, die das Gericht hier an eine Subsumtion der Merkmale des § 20 StGB (und sei es auch nur in dubio pro reo) angelegt hat, zutreffend sind.

Diese Maßstäbe werden üblicherweise recht eng gesehen: Es genügen eben nicht schon jegliche Anhaltspunkte oder die bloße Nicht-Ausschließbarkeit einer Störung zur Tatzeit, um dann per Zweifelsgrundsatz eine Exkulpation vorzunehmen. Hier hat das Gericht den Zweifelsgrundsatz doppelt wirken lassen: Erstens hinsichtlich der Frage, ob an dem Tag überhaupt eine schwerwiegende Störung vorlag und zweitens dahingehend, dass diese Störung zum Ausschluss der Steuerungsfähigkeit geführt hat. Regelmäßig sind auch psychiatrische Sachverständige nicht in der Lage, einen vorhandenen Zustand „zurückzurechnen“. Hier hat der Sachverständige weder über ein aktuelle Exploration verfügt noch über Aktenmaterial mit Begutachtungen, die zeitnah zum 12.08.2001 auf eine Störung hinwiesen. Er hat deutlich gemacht, dass man von ihm praktisch Unmögliches verlangt, wenn man erwarte, er könne eine belastbare Einschätzung zu einem 13 Jahre zurückliegenden Zeitpunkt abgeben. Das Gericht hat sich über diese Bedenken hinweggesetzt und den Sachverständigen Nedopil stärker interpretiert als es seiner Stellungnahme nach angemessen war. Natürlich kann er eine Schuldunfähigkeit vor 13 Jahren nicht „ausschließen“. Das kann niemand über den Zustand eines Menschen sagen, den er zum damaligen Zeitpunkt nicht gekannt bzw. gesehen hat. Aber für eine (wenn auch nur aufgrund des Zweifelssatzes) vorgenommene Annahme der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB reicht dieses Nichtwissen normalerweise nicht aus. Die vom Gericht für eine solche Störung aufgeführten Indizien stammen zu einem großen Teil aus der Zeit nach der Trennung der Eheleute und können daher nicht eine Tatwirksamkeit für den August 2001 belegen. Das Gericht meint, der zeitliche Zusammenhang sei „sehr eng“(S. 81), jedoch ist der situationale Zusammenhang eher fern, soweit viele weitere geschilderte Verhaltensauffälligkeiten erst nach dem Auszug der Nebenklägerin aus der gemeinsamen Wohnung auftraten. Eine belastende psychodynamische Ausnahmesituation kommt praktisch in jeder Ehekrise auf beide Partner zu. Nach dieser Logik müssten eine große Anzahl Fälle häuslicher Gewalt unter dem Blickwinkel nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit betrachtet werden.

Die Beweiswürdigung zu den anderen Tatvorwürfen hingegen stimmt mit meiner Einschätzung nach der Hauptverhandlung überein.

Das noch nicht rechtskräftige Urteil kann hier nachgelesen werden: Urteil des LG Regensburg

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Mit dem Fall Mollath zusammenhängende Fragen werden jedoch von mir weiter verfolgt. Schon für demnächst ist ein  Beitrag zur (speziellen) Frage der Revisionszulässigkeit geplant. Zu dieser Frage kann dann auch wieder diskutiert werden. 

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1753 Kommentare

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RSponsel schrieb:

Alle für juristisch relevant gehaltenen Tatsachen ist ein guter Vorschlag, danke. Allerdings wären die im Urteil auszuweisen: RT1, RT2, RT3, ... und bei Verwendung dann Bezug zu nehmen, damit man es konkret nachprüfen kann. Wär ja ziemlich einfach. Und weil man solche einfachen Sachen offensichtlich nicht machen will, verstärken sich meine schrecklichen Ahnungen ...

Die Bezugnahme unter Verwendung von durchnummerierten Tatsachen halte ich für reinen Formalismus.

Inhaltlich wird Ihrem Einwand m.E. in § 267 Abs. 1 bzw. 5 StPO Rechnung getragen. Was die Umsetzung in der Rechtsprechung angeht siehe unten.

RSponsel schrieb:

Schon die Nicht/Auswahl der Sachverhalte gehört ausgewiesen

Gänzlich unbeachtet bleibt meistens, dass es schon bei der Auswahl der Sachverhalte anfängt. Die Auswahl muss bereits begründet werden. Also gegeben seien die Sachverhalte S1, S2, S3, .... Nehmen wir an, alle geradzahlig indizierten Sachverhalte werden genommen und alle ungeraden nicht, dann wäre diese Sachbasis zu begründen. Ist jemand bekannt, ob dieser einfache und solide Grundgedanke im Recht thematisiert wurde (wo?)?

Die Problematik wurde in den Kommentaren zu diesem Blogpost auf Seite 1, #7 angesprochen:

A. Hirsch schrieb:

@Sascha Pommrenke

 

Die von Ihnen angesprochene Diskrepanz zwischen Urteilsbegründung und Mitschriften betreffend Herrn Maske und die Bisswunde ist mir auch aufgefallen. Leider ist so etwas in der Praxis täglich Brot. Es fällt nur nie so auf wie hier - ermöglicht durch die veröffentlichten Mitschriften. Besonders frustrierend ist, dass man an derlei Verdrehungen und Lügen in der Revision (die hier wegen des Freispruchs wahrscheinlich ohnehin nicht zulässig ist) kaum herankommt. Dazu aus Dahs/Dahs, Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl., Rn. 93:

 

"Keine Gesetzesverletzung ist die ,Verhandlungswidrigkeit' der Urteilsgründe. Darunter ist zu verstehen die ,Ausrichtung' des Verhandlungsinhalts bei der Abfassung der Urteilsgründe auf den verkündeten Urteilstenor. Nach den Erfahrungen der Praxis geschieht es nicht ganz selten, dass nach der Beweisaufnahme erwiesene, entlastende Tatsachen in den Urteilsfeststellungen nicht auftauchen, die Aussagen eines oder mehrerer Entlastungszeugen in der Beweiswürdigung nicht erscheinen, einseitig nur für den Angeklagten negative Feststellungen Eingang in das Urteil finden, üngünstige Aussagen durch die Art ihrer Wiedergabe ,verstärkt' und ihr Inhalt ,ausgebaut' wird. Dazu gehört auch das probate Mittel, schwierige oder unerwünschte Rechtsfragen durch etwas ,gewaltsam' geschaffene Tatsachenfeststellungen zu umgehen. (...) Im Ganzen ist eine derartige Praxis ein deprimierendes Kapitel der Strafrechtspflege." 

 

Wenn nicht gar das deprimierendste.

Daraus ist m.E. die Konsequenz zu ziehen, zumindest bei schwerem Tatvorwurf das verpflichtende Wortprotokoll einzuführen und die Rüge einer substantiellen Abweichung zwischen Wortprotokoll und Urteilsgründen zuzulassen.

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Basissachverhaltesausweis nur ein Formalismus?

#7 Neu, MT, 09.12.2014

Die Basis JEDER vernünftigen und begründeten Entscheidung sind Sachverhalte, ihre Auswahl und Bewertung.

MT schrieb:

Die Bezugnahme unter Verwendung von durchnummerierten Tatsachen halte ich für reinen Formalismus.

Inhaltlich wird Ihrem Einwand m.E. in § 267 Abs. 1 bzw. 5 StPO Rechnung getragen. Was die Umsetzung in der Rechtsprechung angeht siehe unten.

Da steht etwas von erwiesen erachteten Tatsachen*. Das ist nur ein Teil der von mir eingeforderten Sachverhaltsbasis. Alle, möglicherweise auch falsch nicht berücksichtigte, Sachverhalte, müssen nicht - aber können wohl - genannt werden. Noch einmal: Es geht um die Basis JEDER vernünftig-begründeten Entscheidung. Diese besteht IMMER und notwendigerweise aus Sachverhalten, die vorlagen und zu beurteilen waren. Allgemein habe ich diese Sachverhalte mit S1, S2, S3, ... bezeichnet. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit habe ich zum Zwecke der Unterscheidung für die Diskussion vorgeschlagen: gerade indizierte Sachverhalte seien die beachteten, ungerade indizierte die unbeachteten (im Prinzip und in der Praxis kann man natürlich durchnumerieren wie man will oder wie es gerade kommt). Wichtig für die Kontrolle ist "nur", dass die betrachtete Sachverhaltsbasis ausgewiesen wird. Aus Gründen einfacher Handhabung habe ich vorgeschlagen, dass man in Klammern die Sachverhaltsbezüge angibt, die für relevant oder nicht relevant gehalten werden. Man könnte diesen Abschnitt einer Entscheidung überschreiben mit "Sachverhaltsbasis". Damit sollte jede Entscheidung nach Rubrum und Tenor anfangen.

"Formalismus" ist kein inhaltliches Argument, eher rhetorisch-entwertendes Meinen. Sei's drum. Es gibt natürlich Formalismen, die ausgesprochen hilfreich und nützlich sind. Und hierzu rechne ich einfache Identifikatoren von Basissachverhalten. Aber ich interpretiere, Sie finden das keinen nützlichen oder guten Formalismus.

MT schrieb:

Die Problematik wurde in den Kommentaren zu diesem Blogpost auf Seite 1, #7 angesprochen:

A. Hirsch schrieb:

@Sascha Pommrenke

Die von Ihnen angesprochene Diskrepanz zwischen Urteilsbegründung und Mitschriften betreffend Herrn Maske und die Bisswunde ist mir auch aufgefallen. Leider ist so etwas in der Praxis täglich Brot. Es fällt nur nie so auf wie hier - ermöglicht durch die veröffentlichten Mitschriften. Besonders frustrierend ist, dass man an derlei Verdrehungen und Lügen in der Revision (die hier wegen des Freispruchs wahrscheinlich ohnehin nicht zulässig ist) kaum herankommt. Dazu aus Dahs/Dahs, Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl., Rn. 93:

"Keine Gesetzesverletzung ist die ,Verhandlungswidrigkeit' der Urteilsgründe. Darunter ist zu verstehen die ,Ausrichtung' des Verhandlungsinhalts bei der Abfassung der Urteilsgründe auf den verkündeten Urteilstenor. Nach den Erfahrungen der Praxis geschieht es nicht ganz selten, dass nach der Beweisaufnahme erwiesene, entlastende Tatsachen in den Urteilsfeststellungen nicht auftauchen, die Aussagen eines oder mehrerer Entlastungszeugen in der Beweiswürdigung nicht erscheinen, einseitig nur für den Angeklagten negative Feststellungen Eingang in das Urteil finden, üngünstige Aussagen durch die Art ihrer Wiedergabe ,verstärkt' und ihr Inhalt ,ausgebaut' wird. Dazu gehört auch das probate Mittel, schwierige oder unerwünschte Rechtsfragen durch etwas ,gewaltsam' geschaffene Tatsachenfeststellungen zu umgehen. (...) Im Ganzen ist eine derartige Praxis ein deprimierendes Kapitel der Strafrechtspflege." 

Wenn nicht gar das deprimierendste.

Daraus ist m.E. die Konsequenz zu ziehen, zumindest bei schwerem Tatvorwurf das verpflichtende Wortprotokoll einzuführen und die Rüge einer substantiellen Abweichung zwischen Wortprotokoll und Urteilsgründen zuzulassen.

 

Ich gehe in den Konsequenzen viel weiter.

 

*§ 267 StPO

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 3 ist anzuwenden.

MT schrieb:
Mit "Gesamtschau" wird zum Ausdruck gebracht, dass (im Idealfall) alle juristisch für relevant gehaltenen Tatsachen in die Ergebnisfindung einbezogen und mit- bzw. gegeneinander abgewägt wurden. Das Wort "Gesamtschau" dient dabei zur Abgrenzung von einer punktuellen Herangehensweise, bei der von vornherein nur bestimmte Tatsachen überhaupt juristisch relevant sind und deshalb auch nur diese bei der Ergebnisfindung berücksichtigt wurden.
Mit anderen Worten: man spart sich das Eingehen auf einzelne Beweise und deren Würdigung sowie eine logische Herleitung dessen, was man in der Gesamtschau "erkannt" hat.

Somit kann die "Gesamtschau" als Mittel dienen, um eine nicht begründbare Meinung als Schlussfolgerung darzustellen und da es kein verpflichtendes Wortprotokoll der HV gibt, kann diese Täuschung  in einem Maße gelingen, der den Rechtsschutz und Rechtsweg effektiv aushebelt.

Ein Wirtschaftsbetrieb, der eine derart nichtexistene "Qualitätskontrolle" und Dokumentation von Arbeitsprozessen hätte, wäre mangels öffentlicher und privater Auftraggeber in wenigen Monaten pleite.

@MT

Ich bin auch kein Jurist, denke aber Ihre Wunsch-Definition zur "Gesamtschau" ist falsch. Sind echte Beweise für einen Tathergang vorhanden, wird von Gerichten nicht mit der Gesamtschau begründet. Erst wenn die Anklage allein auf Indizien oder sehr schwachen Beweisen beruht, kommt eine Gesamtschau ins Spiel.

Unkritisch wäre es, wenn sämtlich denkbare Gegenhypothesen ausgeschlossen wurden und nach angemessen intensiver  und offener Ermittlung zu jedem berücksichtigten Umstand bzw. Indiz, die Verknüpfung dieser Indizien nur eine Folgerung ermöglicht (Gesamtschau). Dies ließe sich nachvollziehbar darlegen und fusst damit nicht auf Spekulation oder Auslassungen.  Dr. Sponsel prüft dies mit aussagepsychologischen Methoden und findet wohl Spekulation und Auslassungen im Urteil.

Das Gericht wendet nämlich dieses Konstrukt "Gesamtschau" offensichtlich in einer anderen Weise an, in dem es vom Ende/vom Ergebnis her denkt. Die Tat, der Täter, das Urteil steht für das Gericht fest, die Konstruktion der Indizien und Bewertungen folgt in einer Gesamtschau dieser Vorgabe. Das Urteil soll damit revisionsfest werden. Es reicht aus Sicht der Juristen für die Zulässigkeit, dass bei dieser "Gesamtschau" nicht eklatant gegen Denkgesetze verstossen wurde. Aber auch die Denkgesetze sind so eine undefinierte Sache bzw. kommen über einfachste, rationale Logik ohne wirkliche Fehlerprüfung nicht hinaus. Irrationale Aspekte eines Falls bleiben damit schon vollkommen der freien (irrationalen) richterlichen Überzeugungsbildung überlassen.

@Dr. Sponsel

Ich beginne inzwischen - was Gerichtsurteile betrifft - Schreckliches zu ahnen, sträube mich aber noch dagegen.

Bleiben Sie kritisch, auch gegen die eigenen Ahnungen. Sie wissen als Psychologe aber auch, welche zersetzende Einflüsse auf ein Gemeinwesen/eine Institution wirken, wenn Macht ohne Kontrolle, innere Abhängigkeiten in einer Gruppe und von Außen kontrollierender Druck durch Finanzen und Karriereplanung zusammen einwirken. Das entschuldigt Nichts, erklärt aber Einiges. 

 

5

Noname schrieb:
Das Buch ist Dr. Simmerl gewidmet, "einem Psychiater, der mit den Augen und Ohren eines Menschen seinen Beruf ausübt".

Und im Fall Mollath ohne das Material, auf das sich die Kollegen zu beziehen hatten.
Ich halte von dieser kaum verhohlenen Good-cop-bad-cop-Stilisierung gar nichts. Noch dazu bei einem Strafverteidiger, der auf öffentlicher Bühne keine Gelegenheit ausläßt, gegen die Psychiatrie als solche zu agitieren, ohne sich erkennbar mit der Materie beschäftigt zu haben. Der bereits die Industrieausstellung als "obszön" verunglimpft, als gäbe es diese nicht bei jedem großen Ärztekongress weltweit.

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Zusammenfassung Analyse Alle Umstände berücksichtigt - Teil-4: Beweismethodik

http://www.sgipt.org/forpsy/Mollath/ipgipt/wa/MkUAPA4.htm

"Alle Umstände berücksichtigt" wird nicht erklärt, nicht belegt und ist zudem falsch und unrealistisch. Bei den fünf Textstellen habe ich 26 Fehler-Signaturen als erfüllt gesehen. Aus dieser Analyse heraus und zu diesem Zweck wurde eine neue Rubrik der RichterInnen-Fehler geschaffen: Allgemeine Beweismethodikfehler der RichterInnen.

Selbst wenn man sich auf die bekannten Umstände beschränken würde, blieben einige Sachverhalte übrig, die auch diese Beschränkung widerlegen würden. Ich führe hier nur zwei Beispiele an: Die Rechtschreib- / Grammatikfehler im ärztlichen Attest werden weder erwähnt noch kritisch erörtert und daher auch gar nicht gewürdigt. Auch die Sachverhalte, die die Komplotthypothese stützen, werden vom Gericht so gut wie  nicht ernsthaft erörtert.

    Im Rahmen dieser Ausarbeitung habe ich auch einen allgemeineren Abschnitt eingebettet:

 

Entscheidungsphraseologie: Worthülsen und Leerformeln.

Worte, im Allgemeinen die Kleider der Begriffe, suggerieren Inhalte. Doch bei genauerer Betrachtung oder Nachfrage, stellt sich bei gerichtlichen Entscheidungen oft heraus, dass weder die Worte und Begriffe erklärt noch die Belege für die jeweils konkrete Bedeutung angegeben werden, nicht einmal in Verweisen, was ja ziemlich einfach zu bewältigen wäre, wenn man die Belege einfach durchnumeriert.

     Entscheidungen strotzen zuweilen von Selbstbekräftigungsformulierungen - keine Zweifel, zur vollen Überzeugung gelangt, umfassend geprüft ...  -  die sich bei näherem Hinsehen als bloße Leerformeln erweisen. Das Gericht bestätigt sich selbst und bekundet, dass es etwas glaubt, für wahr oder falsch hält, aber es begründet nicht, so dass man nicht konkret prüfen kann, auf welche Belege sich der Glaube des Gerichts stützt. So erweist sich manche Begründung nicht nur als Lücke oder Loch, sondern als regelrechter Krater.

 

@Max Mustermann

"Das soll jetzt zu provokant sein, denjenigen mal aufzufordern, einen solchen Hypothesenraum in diesem Falle mal zu formulieren, so dass er seinen hohen Ansprüchen genügt? Das ist doch grober Unfug, der da getrieben wird. Soll er halt mal vormachen. Kennt ja die Protokolle."

Sie verfolgen m.E. einen ganz anderen Ansatz als z.B. Dr. Sponsel und auch ich. Ich verstehe Sie so, dass aus Ihrer Sicht das Urteil korrekt ist, wenn ein anderer Tathergang nicht durchgreifend dargestellt werden kann und den Zeugen keine Lügen nachgewiesen werden. Sie wollen das Gegenteil des Urteils in einem (schlüssigen) Hypothesenraum präsentiert (eigentlich bewiesen) bekommen. Klassische Beweislastumkehr. Wo ist denn der wertvolle Kronleuchter geblieben, der gestern morgen noch in Ihrem Büro hing und seit Ihrem Weggehen fehlt? Fällt Ihnen dazu ein schlüssiger Hypothesenraum ein oder könnten Sie diese Behauptung sicher als Lüge beweisen? 

Es muss von der Anklage bzw. dem Gericht der behauptete Tathergang bewiesen werden bzw. aus den Umständen als ausschließliche Möglichkeit hervorgehen. Wenn dieser Nachweis mangelhaft ist oder entgegenstehende Umstände nicht oder nur verfälscht gewürdigt werden, dann spricht das gegen den Nachweis des Tathergangs und gegen das Urteil. Oder was bedeutet für Sie: "Im Zweifel für den Angeklagten"?

Auch die Glaubwürdigkeit eines Zeugen entscheidet sich nicht daran, ob ihm eine Lüge nachzuweisen ist. Es sollte bereits reichen, dass wichtige Angaben nicht sicher der Wahrheit entsprechen bzw. Hinweise auf Mängel der Glaubwürdigeit in der Person oder des primären Erinnerns dieser Person bestehen.

Wenn Sie also Kommentatoren vorwerfen, dass diese den Zeugen Lügen oder Gefälligkeiten vorwerfen, ist das unangemessen und vollkommen unnötig. Ein Gericht muss sich verfahrensrechtlich am selbstbehaupteten Anspruch messen lassen. Und natürlich können und müssen die "üblichen" Verfahren der richterlichen Überzeugungsbildung zum Tathergang und den Zeugen in diese Prüfung einbezogen werden. Darum geht es doch hier.

 

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Lieber Herr Lippke,

natürlich ist der Rechtsgrundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" von hohem Wert, aber das gilt doch nicht uferlos.

Man sollte in seiner Darlegung schon Wert darauf legen, dass begründete Zweifel vorliegen.

Wenn der Arzt sagt, dass Attest habe er geschrieben, dann wird das wohl so sein, ausser er lügt.

Und selbstredend hat sich das Gericht mit dieser Möglichkeit auseinandergesetzt und verworfen.

Den Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Arztes -und nur um dessen Glaubwürdigkeit geht es beim Attest- ist nicht zu begründen.

Noch nicht einmal die Verteidigung kommt auf die lachhafte Idee, dem Arzt in der HV die Schreibfehler von P3M unter die Nase zu halten. Wozu auch? 

Und warum soll sich das Gericht mit Dingen auseinandersetzen, die noch nicht einmal die Verteidigung ernsthaft behauptet? In dem Punkt obliegt die Beweislast nämlich der Verteidigung.

Und wer das weiterhin stur behaupten will, weil Strate ihm einmal ins Ohr geflüstert hat: "Wollt ihr den totalen Zweifel?", der darf ja gerne bis zum Endsieg zweifeln, aber sollte dann zumindest beim Motiv des Arztes anfangen. Hat er gar ein Konto bei der Hypo-Bank?!?

Solcherart Zweifel sind doch unhaltbar. (Da fiele mir beim Arzt besseres ein)

Die Absurdität solcher Gedankengänge gipfelt dann in folgender Aussage:

Beim Attest-Komplex hat die Kammer  schon den grundlegenden Fehler gemacht, nicht geprüft zu haben, falls man die Verletzungen einer Tat und Zeit zuordnen kann, wer diese Verletzungen herbeigeführt haben könnte, also einen ordentlichen Hypothesenraum für die VerletzungsverursacherInnen aufgebaut. Unter der Hypothese, dass Mollath etwas angehängt werden sollte, ergibt sich natürlich zwingend die Frage, wer alles für solche Verletzungen als VerursacherIn in Frage gekommen wäre. Das gar nicht zu denken, bedeutet natürlich auch etwas.

Natürlich bedeutet das was: Nämlich dass das Gericht noch nicht grenzdebil geworden ist.

 

Was soll der obige Satz denn bedeuten?

Dass der grosse Unbekannte P3M einvernehmlich vermöbelt und diese dann kichernd zurück in die Ehe geht, da sie ja jetzt auf die Trennung in 9 Monaten vorbereitet ist und ihrem Ehemann dann endlich was anhängen kann?

 

Das soll der grundlegende Fehler beim Denken des Gerichtes sein?

 

Gottlob, müssen unsere Gerichte nicht offenkundigen Unsinn, den übrigens auch niemand behauptet hat, erst ins Urteil aufnehmen, um es dann als solchen zu widerlegen.

Das sind keine begründete Zweifel, das ist schlicht Unfug.

Strengt Euch halt mehr an. 

Gruss

 

 

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Welcher Beweiswert kann aus einem mangelhaften aber in sich nicht widersprüchlichen Attest entnommen werden? 

Gemessen an dem Urteil des LG Regensburg kann man 

1. damit die Angaben der Nebenklägerin zum Tathergang ersetzen, wenn sie die Aussage verweigert, aber die Verwertung verfügt sowie den Arzt von der Schweigepflicht entbindet und

2. daraus zugleich die "Vereinbarkeit" von Verletzungshandlung und Verletzungsbild und damit die Glaubhaftigkeit der die Aussage verweigernden Zeugin herleiten und

3. in einer Gesamtschau, die es im Grunde so nicht gibt - schließlich gibt es im Wesentlichen nur das Attest - zu der Überzeugung gelangen, dass die Tat sich genau so ereignete wie im Attest steht.

Was braucht man denn mehr? Ein korrektes und genaues Attest, gar ein Attest eines Rechtsmediziners? Nein. Das ist nicht nötig. Das könnte allenfalls den Angeklagten noch entlasten, weil es sich eher dafür eignet, Widersprüche oder Ungereimheiten aufzudecken als ein mangelhaftes Attest. 

Ach, da wäre noch die Zeitnähe der Schilderung, die auf die Überzeugungsbildung der Kammer einen so großen Einfluss genommen hat. Ein Attest über mehrere Monate alte Hämatome wäre vermutlich noch unschädlich. Nur wenn die Geschichte mehrere Monate alt wäre, dann hätte das wohl eine nicht so große Überzeugungskraft.

@Kolos

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe sehr viel Sympathie für Ihre Argumentation.

Bei Ihrem Unmut, dass Urteile  auch bei unklarem Tathergang möglich sein sollen, kann ich Ihnen aber nicht ganz zustimmen.

Beispiel:

Bei XY werden folgende Verletzungen festgestellt:

Veilchen am rechten Auge, ausgeschlagener Eckzahn links und Bluterguss am Schienbein.

Soll das Gericht den Angeklagten denn nun freisprechen, weil es nicht eindeutig sagen kann:

Erst kam linke Gerade, dann rechter Haken und am Ende der Tritt vors Schienbein?

Weil auch rechter Haken, Tritt, linke Gerade möglich ist?

Körperverletzung ist Körperverletzung, in unproblematischen Fällen wie unserem sollte eine Verurteilung doch möglich sein, auch wenn das Gericht von sich aus freimütig zugibt, es könne den Ablauf nicht feststellen. 

Darauf kommt es doch gar nicht an.

 

 

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An die vereinigte "Gesamtschaukritikerschaft":

Die "Gesamtschau" stellt jeder Psychologe an, wenn er bei einer Person mehrere Testverfahren anwendet, seien es Persönlichkeits- oder Intelligenztests. Da wird ausgewertet und danach aus dem Vergleich verschiedener Testergebnisse in einer "Gesamtschau" eine Einschätzung  getroffen, sei es bei der MPU, im Personalbereich oder bei Angststörungen. 

Auch  jeder Historiker, dem verschiedene Quellen vorliegen und der so schöne Fragen wie die Echtheit der Pippinschen Schenkung oder die Kriegsschuldfrage 1914 beurteilen will, muss werten, gewichten und  kommt dann zu der einen oder anderen diskussionsfähigen Entscheidung. 

Die "Gesamtschau" ist  nichts Neues und nichts Ungewöhnliches und auch kein Sport von Strafrichtern, die ihre Urteile revisionsfest zimmern wollen, nur weil Herr Sponsel in seinem Zählfuror irgendwelche Zahlenspiele veranstaltet (falls Síe viel Zeit haben, Herr Sponsel, dann zählen Sie mal im "Todt"-Urteil auf der probence-Seite die Häufigkeit des Wortes "glaubhaft", da werden Sie, der Sie so gerne auf die Jahrhundertentscheidung 1999 verweisen und die Bedeutung dieses Begriffs, Ihre wahre Freude haben.

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@ gaestchen: niemand hat etwas dagegen, wenn eine Kammer - wissenschaftlichen Grundsätzen entsprechend, wie von Ihnen angesprochen - zuvor erörterte Einzelaspekte in einem Fazit zusammenfasst.

Wenn aber statt dessen die "Gesamtschau" zuvor nur angerissene, aber nicht den Standards der Beweiswürdigung genügend erörterte Aspekte umfasst, dann ist das handwerklich gesehen Pfusch.

Nichts anderes als nachzuschauen, ob ersteres oder letzteres vorliegt, hat Hr. Sponsel getan.

Für das "Bence-Urteil" gilt das, was ich auch zum Doppelmord von Babenhausen schon geschrieben habe: es wäre ein linguistisch interessantes Forschungsprojekt, ob die Unsicherheit der Indizienlage mit dem Gebrauch der Worte "glaubhaft", "Überzeugung" und ähnlichen, Gewissheit suggerierenden Formulierungen in der Urteilsbegründung korreliert. Nach dem Motto: wir wissen's zwar nicht, aber wir glauben es - aber so können wir das nicht hinschreiben, also müssen wir "revisionssichere" Ausdrücke verwenden.

"Und für meine sprachliche Defizite bitte ich um Entschuldigung. Ich habe gar nicht die Absicht kryptisch zu sein. Ich bemühe mich schon redlich Verständlichkeit. Ich weiss gar nicht, wie weit runter das Niveau denn noch gedrückt werden muss...noch profaner kann ich kaum mehr."

Lieber Max Mustermann, Sie sind mir von den bankseitigen Ausfüllhilfen so vertraut, dass es mir fast als selbstverständlich anmutet, Sie in diesem Zusammenhang auch als Erklärhilfe für Gerichtsurteile wieder anzutreffen. Man möchte gern mit Ihnen im Bilde sein, auf das Wohlwollen und die Kompetenz der Institutionen vertrauen und mit Ihnen werbetauglich beruhigt und fröhlich sein. Ob ein solches Werbeniveau noch zu drücken ist, möchte ich aber arg bezweifeln.

Es gäbe auch wirklich Wichtigeres, wie auch Schöneres, als sich mit eskaliertem Ehestreit, halbseidenen Bankgeschäften und substanzarmen juristischen Dokumenten zu beschäftigen. Wenn da nicht das unglaubliches Unrecht der fristlosen Verwahrung durch Gerichte wäre, das grundsätzlich Jeden (auch Sie), jederzeit und ohne besondere Vorwarnung treffen kann.

Auf die akribische, aussagepsychologische Analyse der Glaubwürdigkeit der Argumentation des Gerichts durch Dr. Sponsel reagieren Sie mit pauschalen Behauptungen und Beharren auf angeblichen Selbstverständlichkeiten. Ich behaupte, selbstverständlich ist bei der Untersuchung eines Gewaltopfers ein akribisch, dokumentiertes ärztliches Attest. Vielleicht nicht im Sinne einer rechtsmedizinischen Perfektion, aber zumindest im Sinne der (haus)ärztlichen Verantwortung für den Patienten und die Berufspflichten. Das Gericht behauptet aber pauschal, die Mängel des vorliegenden Attests seien üblich. Schließt das Gericht von sich auf die Ärzteschaft? Schließen auch Sie von sich auf Andere?

Als Techniker kann ich Ihnen nur sagen, so löst man keine Probleme. Ich arbeite auch mit Heuristiken und Vorerfahrung. Zu meiner Erfahrung gehört aber auch das Erkennen von Situationen, die Substanz und analytische Durchdringung verlangen, um das Problem zu lösen. Modultauschern und Todo-Listen-Abarbeitern fehlt diese Fähigkeit. Die könnten allenfalls die vorgabegemäße Abarbeitung einer Liste als erfolgreiche Tätigkeit behaupten, jedoch ohne damit sicher das Problem zu lösen. Es ergeben sich daraus im Grundsatz 2 Fragenkomplexe.

1. Wurde die Aufgabenliste wirklich formal und inhaltlich entsprechend der Vorgabe und den beruflichen Anforderungen abgearbeitet?

2. Ist die Vorgabe prinzipiell geeignet, das Problem zu lösen?

Das werden wir weiter diskutieren, auch wenn es Ihnen missfällt.

5

Lutz Lippke schrieb:

Als Techniker kann ich Ihnen nur sagen, so löst man keine Probleme. Ich arbeite auch mit Heuristiken und Vorerfahrung. Zu meiner Erfahrung gehört aber auch das Erkennen von Situationen, die Substanz und analytische Durchdringung verlangen, um das Problem zu lösen. Modultauschern und Todo-Listen-Abarbeitern fehlt diese Fähigkeit. Die könnten allenfalls die vorgabegemäße Abarbeitung einer Liste als erfolgreiche Tätigkeit behaupten, jedoch ohne damit sicher das Problem zu lösen. Es ergeben sich daraus im Grundsatz 2 Fragenkomplexe.

1. Wurde die Aufgabenliste wirklich formal und inhaltlich entsprechend der Vorgabe und den beruflichen Anforderungen abgearbeitet?

2. Ist die Vorgabe prinzipiell geeignet, das Problem zu lösen?

 

So wollen Sie Dr. Sponsel gegen Kritik verteidigen? Toi, toi, toi.

Er ist doch der Einzige, der hier mit selbsterstellten, duraplus-würdigen Checklisten arbeitet.

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@Gast

Ich verteidige Dr. Sponsel nicht gegen inhaltliche Kritik an seiner Arbeit, denn die gibt es ja faktisch leider nicht. Dr. Sponsel prüft hauptsächlich den 1. Fragenkomplex. Dass er dafür nach Ihren Worten mit selbsterstellten duraplus-würdige Checklisten arbeitet, liegt wohl nur daran, dass es bisher keine anderen Mittel der Evaluation gibt. Warum eigentlich nicht? Ist es ein Wissenschaftsgebiet ohne Evaluation? Geht das?

5

"Daraus ist m.E. die Konsequenz zu ziehen, zumindest bei schwerem Tatvorwurf das verpflichtende Wortprotokoll einzuführen und die Rüge einer substantiellen Abweichung zwischen Wortprotokoll und Urteilsgründen zuzulassen."

Eine weitere Konsequenz ist der Versuch des Nachweises, dass es konkret im hiesigen Wiederaufnahmefall zu "etwas ,gewaltsam' geschaffene[n] Tatsachenfeststellungen" gekommen ist, wie diese richterliche Methode funktioniert, wer sie verursacht und als vermutlich übliche Methode verantwortet. Dazu sind weitere Konsequenzen zu überdenken. Man sollte nicht vergessen, dass sich die gesamte Justiz, die Politik und die Medien in dieser Sache eingebracht haben. Also all Diejenigen, die dazu berufen sind, Rechtsfragen für die Allgemeinheit zu klären, rechtsstaatlich zu organisieren und die willkürfreie Umsetzung zu kontrollieren. Man kann also davon ausgehen, dass sich das Gericht in der Wiederaufnahmesache schon allergrößte Mühe gab, übliche Mängel zu vermeiden. Eine Vermeidung von Aufklärung aus einem übergeordneten Interesse ist bereits aus Prinzip kategorisch auszuschließen, was bedeutet, dass verbliebene Mängel als systematisch und in der Gerichtspraxis üblich anzusehen sind. Die Aufarbeitung dieser Thematik beginnt gerade erst.

5

@ Lutz Lippke

Auf die akribische, aussagepsychologische Analyse der Glaubwürdigkeit der Argumentation des Gerichts durch Dr. Sponsel reagieren Sie mit pauschalen Behauptungen und Beharren auf angeblichen Selbstverständlichkeiten.

Akribie kann die fehlende Begründung der Methodenwahl nicht ersetzen. Diese wäre grundsätzlich zu erwarten und gerade dann, wenn eine Methode aus ihrem eigentlichen Anwendungsbereich in einen anderen transferiert wird. Es mag schon sein, dass Ihnen als Techniker die Systematik der Aussagepsychologie entgegenkommt, weshalb Sie diese Herangehensweise nicht hinterfragen. In diesem Sinne würden Sie wie selbstverständlich von sich auf andere schließen.

Akribie kann auch nicht Erfahrung ersetzen - diese kommt in der Tat oft als Selbstverständlichkeit daher, manchmal muss man allerdings die eigene Erfahrung durch Integrieren anderer Erfahrungen ergänzen. Nur aufgrund eines soliden Welt- und Fachwissens kann man doch überhaupt erst entscheiden, wie relevant ein Parameter im Hinblick auf die Fragestellung überhaupt ist. Und diese Entscheidung muss immer wieder reflektiert werden, wenn ggf. neue Erkenntnisse hinzukommen, was üblicherweise im Austausch im Kollegenkreis, sozusagen auf Augenhöhe, stattfindet. Genauso wie überhaupt immer wieder zu reflektieren ist, ob die gewählte Methode der Fragestellung angemessen ist, ob die Methode geeignet ist, das zu messen bzw. zu beschreiben, was zu messen bzw. zu beschreiben beabsichtigt ist.

Diese wissenschaftlichen "Selbstverständlichkeiten" muss man hier bedauerlicherweise vermissen. Andererseits werden vermeintliche "Selbstverständlichkeiten" als unumstößliche Wahrheiten behauptet und durchaus autoritär durchgesetzt, nehmen Sie nur die Bewertung der Rechtschreibfehler. Dass ein Arzt die Orthografie sicher beherrscht, hat als Grundtatsache zu gelten, da er ja Akademiker ist - was spielt es da für eine Rolle, dass Ärzte in der Ausbildung die schriftliche Ausdrucksform so gut wie gar nicht und im Beruf erst ab einer bestimmten Funktionsebene üben. Auf dieser vermeintlich sicheren Basis werden dann einige Rechtschreibfehler identifiziert, um Defizite des Gerichts zu belegen - was spielt es da für eine Rolle, dass es sich um eine regionale Normvariante des Siezens handelt (Personalpronomen plus Flexionsformen plus entsprechendes Possessivpronomen). Max Mustermann hat zurecht darauf hingewiesen, dass der Strafverteidiger später die eigene Dokumentation nicht mehr aufgegriffen hat.

Eines der Probleme und noch längst nicht das größte, das diese Herangehensweise mit sich bringt, ist die Gefahr, dass durch die Fixierung auf eine Auffälligkeit der Blick auf andere Auffälligkeiten verstellt wird. Einen Arzt, der die Orthografie nicht sicher beherrscht, muss man nicht suchen, wohl aber einen, der die Fachterminologie und die korrekte Beschreibung häufiger Hautveränderungen nicht sicher beherrscht, noch dazu, wenn er einem Arzthaushalt entstammt - auch das gehört zum Wissen über diesen Fall.

Besonders problematisch ist, dass keineswegs ergebnisoffen vorgegangen wird. Es wird vielmehr eine formalistische Methode verwendet, um berechtigte Kritik wie auch einfache Ressentiments durch einen quasi-wissenschaftlichen Duktus zu adeln. Es ist Ihnen, Herr Lippke, unbenommen, weiterhin Akribie und Systematik als Objektivität und angemessenes Problemlösungsverhalten zu betrachten. Und Herrn Dr. Sponsel sind ausreichend Zeit und Fleiß zu wünschen, dass er durch Analyse einer großen Anzahl anderer Urteile eine umfassende Datenbasis bereitstellt, die es erlaubt, die Signifikanz der jeweils identifizierten Mängel zu berechnen.

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Leser schrieb:

@ Lutz Lippke

Auf die akribische, aussagepsychologische Analyse der Glaubwürdigkeit der Argumentation des Gerichts durch Dr. Sponsel reagieren Sie mit pauschalen Behauptungen und Beharren auf angeblichen Selbstverständlichkeiten.

Akribie kann die fehlende Begründung der Methodenwahl nicht ersetzen. Diese wäre grundsätzlich zu erwarten und gerade dann, wenn eine Methode aus ihrem eigentlichen Anwendungsbereich in einen anderen transferiert wird. Es mag schon sein, dass Ihnen als Techniker die Systematik der Aussagepsychologie entgegenkommt, weshalb Sie diese Herangehensweise nicht hinterfragen. In diesem Sinne würden Sie wie selbstverständlich von sich auf andere schließen.

Akribie kann auch nicht Erfahrung ersetzen - diese kommt in der Tat oft als Selbstverständlichkeit daher, manchmal muss man allerdings die eigene Erfahrung durch Integrieren anderer Erfahrungen ergänzen. Nur aufgrund eines soliden Welt- und Fachwissens kann man doch überhaupt erst entscheiden, wie relevant ein Parameter im Hinblick auf die Fragestellung überhaupt ist. Und diese Entscheidung muss immer wieder reflektiert werden, wenn ggf. neue Erkenntnisse hinzukommen, was üblicherweise im Austausch im Kollegenkreis, sozusagen auf Augenhöhe, stattfindet. Genauso wie überhaupt immer wieder zu reflektieren ist, ob die gewählte Methode der Fragestellung angemessen ist, ob die Methode geeignet ist, das zu messen bzw. zu beschreiben, was zu messen bzw. zu beschreiben beabsichtigt ist.

Diese wissenschaftlichen "Selbstverständlichkeiten" muss man hier bedauerlicherweise vermissen. Andererseits werden vermeintliche "Selbstverständlichkeiten" als unumstößliche Wahrheiten behauptet und durchaus autoritär durchgesetzt, nehmen Sie nur die Bewertung der Rechtschreibfehler. Dass ein Arzt die Orthografie sicher beherrscht, hat als Grundtatsache zu gelten, da er ja Akademiker ist - was spielt es da für eine Rolle, dass Ärzte in der Ausbildung die schriftliche Ausdrucksform so gut wie gar nicht und im Beruf erst ab einer bestimmten Funktionsebene üben. Auf dieser vermeintlich sicheren Basis werden dann einige Rechtschreibfehler identifiziert, um Defizite des Gerichts zu belegen - was spielt es da für eine Rolle, dass es sich um eine regionale Normvariante des Siezens handelt (Personalpronomen plus Flexionsformen plus entsprechendes Possessivpronomen). Max Mustermann hat zurecht darauf hingewiesen, dass der Strafverteidiger später die eigene Dokumentation nicht mehr aufgegriffen hat.

Eines der Probleme und noch längst nicht das größte, das diese Herangehensweise mit sich bringt, ist die Gefahr, dass durch die Fixierung auf eine Auffälligkeit der Blick auf andere Auffälligkeiten verstellt wird. Einen Arzt, der die Orthografie nicht sicher beherrscht, muss man nicht suchen, wohl aber einen, der die Fachterminologie und die korrekte Beschreibung häufiger Hautveränderungen nicht sicher beherrscht, noch dazu, wenn er einem Arzthaushalt entstammt - auch das gehört zum Wissen über diesen Fall.

Besonders problematisch ist, dass keineswegs ergebnisoffen vorgegangen wird. Es wird vielmehr eine formalistische Methode verwendet, um berechtigte Kritik wie auch einfache Ressentiments durch einen quasi-wissenschaftlichen Duktus zu adeln. Es ist Ihnen, Herr Lippke, unbenommen, weiterhin Akribie und Systematik als Objektivität und angemessenes Problemlösungsverhalten zu betrachten. Und Herrn Dr. Sponsel sind ausreichend Zeit und Fleiß zu wünschen, dass er durch Analyse einer großen Anzahl anderer Urteile eine umfassende Datenbasis bereitstellt, die es erlaubt, die Signifikanz der jeweils identifizierten Mängel zu berechnen.

Um wieder eine lebensnahe Verbindung zur Causa Mollath herzustellen, möchte ich auf die Realität hinweisen, dass davon auszugehen ist, dass das Rezept sicherlich nicht mit der Schreibmaschine

von Reichl jun. geschrieben worden ist, sondern m.E. von der Arzthelferin Frau Simbeck, der Freundin und jetzigen Schwägerin von der Ex-Frau von G.M. Ein Jungakademiker beherrscht in der Regel nicht das Schreibmaschinenschreiben, nicht das Zehnfingerssystem und kann sich nicht die Zeit erlauben mit zwei Fingern mühsam ein längeres Attest zu tippen. Insofern ist es durchaus möglich, dass auf diesem Weg nicht nur die auffälligen und verdächtigen Schreib- u n d  Grammatikfehler im Attest auftauchen, die auch nachweislich auch einer anderen verdächtigen Person zugeordnet werden können und es nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese den Text verfasst, verfälscht, ergänzt oder sogar Dr. Reichel u n t e r g e s c h o b e n  hat.

Es ist lebensfremd, wenn Herr Reichl jun. sich nach über 12 Jahren verlässlich und ausreichend

darin erinnern kann, wie er das Attest formuliert hat. Bekanntlich liegt der Teufel im Detail....

und Kriminalfälle werden über viele Details aufgeklärt.

4

Sehr geehrter Herr Kolos,

Sie hatten in #44 am 5.12. wichtige Hinweise u.a. auch an mich gegeben

"Sie verlieren sich in unwichtigen Details und versuchen das Urteil mittels eigener Beweiswürdigung zu kritisieren. Das ist ein Alice-Schwarzer-Fehler, den Sie nicht machen sollten. Akzeptieren Sie einfach, dass es nicht auf Ihre, nicht meine und auch nicht auf die Würdigung des BGH ankommen kann. Entscheidend ist die Beweiswürdigung des LG Regensburg. Die Kritik kann sich also insoweit nur auf mögliche Rechtsfehler beschränken.

Dazu ein Tipp: Schauen Sie sich doch mal an, wie die Kammer das Attest und die Aussage des Arztes gewürdigt hat. M.E. hat beides zweierlei Bedeutung für die Kammer: Einführung der früheren Aussage der die Aussage verweigernden Zeugin in die HV und deren Würdigung als glaubhaft. Nicht das Attest und nicht die Aussage des Arztes haben einen eigenständigen, von der Aussage der Zeugin unabhängigen Beweiswert in der Beweiswürdigung. Wegen der vom Sachverständigen festgestellter Mängel, die von der Kammer beachtet wurden."

Damit haben sie (formal-juristisch) natürlich absolut recht, wenn man über Rechtsmittel/Rechtsbehelfe gegen das Urteil nachdenkt. Allerdings macht Alice Schwarzer ihre ganz eigenen Sachen und Fehler. Den Vergleich finde ich fehlplatziert.

Es gibt aber auch andere Blickwinkel auf diese Rechtssache zu Gewalt, Falschbeschuldigung, Freiheitsentzug und Psychiatrisierung. Denn bei aller Dramatik des Einzelfalls, ist allein damit das große Interesse in der Öffentlichkeit nicht zu begründen.

Ein Blickwinkel ist genau der kritische Blick auf die juristischen Selbstverständlichkeiten, die Sie mit dem Hinweis formuliert haben. Demnach verbietet die richterliche Unabhängigkeit einen Eingriff von Außen außerhalb von Rechtsmitteln. Dieser Grundsatz fußt jedoch auf einer unabhängigen, unvoreingenommenen Richterschaft, die nur an das Gesetz, die Verfassung und den Eid gebunden ist. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, mutiert Rechtsprechung zur Richterwillkür. Diesen gar nicht neuen Vorwurf entschärft die Richterschaft wiederum global mit der Thematisierung der Abhängigkeit der Richterschaft von der Verwaltung und der engen finanziellen Ausstattung. Es gibt also nachweislich keine Selbstverständlichkeiten im juristischen System, sondern vor allem Mangel an Aufklärung, Regelungsstau und Verlagerung von Verantwortung. Mit Rechtsmitteln oder Rechtsbehelfen lässt sich das nicht lösen.

 

 

5

@Leser

Zunächst herzlichen Dank für Ihren kritischen Kommentar. Sie haben natürlich recht, die akribische Anwendung einer Methode ersetzt nicht die Begründung der Methodenwahl. Aussagepsychologie ist aber wohl eine probate Methode zur Prüfung der Substanz von Aussagen und der Glaubwürdigkeit des Aussagenden, gerade auch in Gerichtsverfahren. Wenn Sie gedanklich kurz den respektlosen Ansatz zulassen, dass diese Anwendbarkeit vor dem Gericht, also dem Richter nicht halt macht, dann ist die Methodenwahl nicht willkürlich und unüberlegt. Soweit Üblichkeiten der Verfahrenspraxis die Anwendbarkeit erschweren, können sogar die Begründungen dieser gerichtlichen Praxis in eine solche Analyse einbezogen werden. Das ist allerdings eine Fleißaufgabe, die kaum von Einzelnen erbracht werden kann.

Ebenfalls recht haben Sie mit der Feststellung, das Akribie nicht alles ist. Allerdings gibt es komplexe Probleme, nennen wir sie multidimensionale Ursache/Wirkungsketten, die sich erst aus einer detaillierten Analyse der einzelnen Einflussfaktoren und den gegenseitigen Wirkzusammenhängen erschließen. Kann man auf erfolgreiche Erfahrungen zurückgreifen, lassen sich bei der Analyse natürlich auch Abkürzungen nehmen. Aber gibt es diese Erfahrungen?

Sie fokussieren als Beispiel auf das Phänomen der schriftlichen Ausdrucksform im Attest und verweisen auf die gegensätzliche Bewertungen dieses Phänomens. Es handelt sich dabei faktisch um einen einzelnen Aspekt, der allein nichts beweist. Er ist also weder zu verwerfen, noch mit einer festen Bewertung zu belegen. Erst im Zusammenhang mit anderen Aspekten kann aus den möglichen Wertungen eine gültige Bewertung gefolgert werden. Wird diese Methode korrekt angewandt, sind aus den Zusammenhängen von einzeln schwachen Auffälligkeiten durchaus vollkommen neue Erkenntnisse ermittelbar oder zumindest Ansätze davon.

Auffällig ist für mich in der Diskussion hier, dass die verschiedentlich vorgebrachten Aspekte, die gegen eine ordentliche Beweiserhebung und -würdigung sprechen, im Einzelnen bewertet, kritisiert und verworfen werden, bevor ein Zusammenhang gebildet wurde. Damit werden Aspekte als unerheblich bzw. bereits entschieden vorbelegt, womit dann eine Bewertung im Zusammenhang entfällt. Andererseits stützt sich das Urteil auf eine Gesamtschau, weil kein Aspekt für sich allein überzeugend ist. Da "wittere" ich einen methodischen Widerspruch.

Ein vergleichbares Beispiel aus einem anderen Bereich wäre die Prüfung von Wirkzusammenhängen von Medikamenten. Wenn auf der einen Seite bei der Darstellung der Wirksamkeit einer Therapie das Zusammenspiel mehrerer Wirkstoffe hervorgehoben wird, aber bei der Bewertung der Nebenwirkung nur jeder einzelne Wirkstoff isoliert betrachtet und bewertet wird, liegt eine willkürliche und methodisch unsaubere Vorgehensweise vor.

5

Herr Lippke,

es wäre hilfreich zu wissen, worum es Ihnen den im Kern geht.

Wenn Sie allgemeine und globale Kritik am gerichtlichen Erkenntnisverfahren üben wollen, sind Ihre Ausführungen durchaus verständlich.

Wenn Sie aber die Unsicherheiten, die ein menschlicher Bewertungsvorgang allgemein so mit sich bringt, auf den konkreten, vorliegenden Einzelfall übertragen wollen, sollten Sie sich schon spezifischer ausdrücken. 

Dem Strafrecht liegt doch ein methodischer Aufbau zugrunde. Daher wäre es wirklich gut, bei welchem Element Sie dem Gericht Willkür vorwerfen und die alternative, saubere Vorgehensweise dann auch formulieren. Und diese nicht nur allgemein in den Raum werfen, sondern mit konkretem, einzelfallbezogenen Inhalt füllen.

Es reicht nun einmal nicht, pauschal die Rechtschreibefehler als auffällig zu bezeichnen und Hypothesenräume zu fordern, wenn man diese selbst gar nicht anschaulich konstruieren kann. So sieht Inhaltskritik nämlich nicht aus.

Es ist doch unzweifelhaft so, dass die Richter auch nur begrenzten Spielraum haben. Zum einen unterliegen sie einem Entscheidungszwang, zum anderen trifft sie eine Begründungspflicht.

Auch bei einem Freispruch muss sich das Gericht ausführlich erklären.

Und nach der Beweisaufnahme ist die Sachlage unstrittig, dass Verletzung vorgelegen haben müssen. Oder nicht?

Ebenso unstrittig ist, dass nur GM als Täter in Frage kommt. Oder nicht?

Da der Staat einen verfassungsmässigen Strafanspruch hat, kommt das Gericht nun nicht mehr umhin in der Sache zu entscheiden.

Und erst an diesem Punkt sollte m.E. die Mangelhaftigkeit des Attest zum Tragen kommen und in die Bewertung einfliessen.

Was das Gericht meiner Ansicht nach gemacht hat, ist -kurz gefasst- folgendes:

Hämatome am Hals entstehen nach X Sek. 

Lebensgefährlich wird ein Würgen nach Y Sek.

Schlussfolgerung: Da Y>X war das Würgen lebensgefährlich.

 

Und meiner Meinung nach ist das fehlerhaft.

Ob der Griff den Mollath angewendet hat, überhaupt derart die Blutbahnen abgeknickt hat, lässt sich aus der Verletzungsbeschreibung nicht entnehmen.

Dazu fehlen die sekundären Marker, die einen Sauerstoffmangel/Blutstau  indizieren würden.

In so einer Situation, wenn der Nachweis nicht unwiderlegbar erbracht ist, sollte Ihr "dubio pro reo" unbedingt greifen.

Da bin ich mit @Kolos ganz einer Meinung: das Verletzungsbild erlaubt keine qualifizierte Aussage über den Tathergang.

 

Ich  bin sogar der Meinung, dass selbst wenn die Belastungszeugin zur Verfügung gestanden und uns glaubhaft Ihre Ohnmacht/Bewusstlosigkeit, sowie ihre subjektive Erfahrung einer Lebensbedrohung geschildert hätte, wäre es immer noch fraglich, ob man eine gefährliche KV einwandfrei subsumieren könnte.

Dafür ist das Attest schlicht zu ungenau. 

 

LG

5

Gast schrieb:

...

Ich  bin sogar der Meinung, dass selbst wenn die Belastungszeugin zur Verfügung gestanden und uns glaubhaft Ihre Ohnmacht/Bewusstlosigkeit, sowie ihre subjektive Erfahrung einer Lebensbedrohung geschildert hätte, wäre es immer noch fraglich, ob man eine gefährliche KV einwandfrei subsumieren könnte.

Dafür ist das Attest schlicht zu ungenau. 

 

LG

 

Ja. Gewiss hätte die Aussage der Nebenklägerin an dem dilettantischen Attest - wie es Meindl bezeichnete - nichts geändert. Aber sie hätte der Befragung des Gerichts, der Anklagevertretung und der Verteidigung zur Verfügung gestanden. Damit wäre die Möglichkeit zur Beurteilung ihrer Glaubhaftigkeit nicht eingeschränkt. Dieser Schwierigkeit ist sich die Kammer m.E. nicht einmal bewusst gewesen, indem sie im Wesentlichen aus der "Vereinbarkeit" des Verletzungsbildes mit der geschilderten Verletzungshandlung aus dem "dilettantischen" Attest auf die Glaubhaftigkeit der Nebenklägerin schloss (S. 50 UA). Das ist für mich der entscheidende Punkt meiner Urteilskritik. Daher kann ich nicht zwischen gefährlicher und einfacher Körperverletzung differenzieren. Die eingeschränkten Möglichkeiten zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Nebenklägerin lassen sich nicht nach den jeweiligen Delikten trennen.

Aussagepsychologie, Aussagemethodologie und das Loreley-Prinzip im Recht

Aus manchen Beiträgen schließe ich, dass ich Folgendes noch nicht richtig vermitteln konnte: Als ich merkte, dass das LG Regensburg zwar die aussagenpsychologisch bekannten Schlüsseelworte verwendet, aber nicht deren Begriffe, deren Bedeutung im LG-Urteil dunkel und unklar bleiben, habe ich meine Terminologie diesem Umstand angepasst hier* und ausgeführt:

"Teil 1:  Aussagemethodologische Argumentation

Wichtige Begriffe im Urteil sind z.B: Aussage, Aussagequalität, Aussagevalidität, Gesamtschau, Konstanz,  Kerngeschehen, Randgeschehen, Stimmigkeit u.a. Was das Gericht genau darunter versteht, ist unbekannt oder muss mühsam gesucht werden, z.B. die Bestimmung des Kerngeschehens (S. 43, S. 61; abweichend S. 48), wie ich belege. Da die Worte zugleich in der Aussagepsychologie eine grundlegende Rolle spielen, möglicherweise aber nicht die Begriffe, die von diesen Worten "bekleidet" werden, habe ich die Terminologie geändert und spreche jetzt nicht mehr von aussagepsychologischer, sondern aussagemethodologischer Argumentation. Aussagemethodologie bedeutet hier die allgemeine Methodenlehre von den Aussagen, womit sich viele Wissenschaften befassen: Germanistik, JuristInnen, Kommunikationswissenschaftl, Linguistik und SprachwissenschaftlerInnen, Logik, Methodologie, Philosophie, Psychologie, Psychopathologie (die kein Reservat der Psychiatrie ist), PsychiaterInnen, Wissenschaftstheorie.

   Terminologisch schlage ich zur eindeutigen Kennzeichnung vor, von rechtlicher Aussagemethodologie zu sprechen."

Füe die Rechtswissenschaft und die Rechtssprechung gilt offenbar das Loreley-Prinzip: ich weiß nicht, was soll es bedeuten. Allein das kann niemals wohlverstandenes Recht sein, sondern das gehört in die Metaphysik weit vor der Aufklärung. Mit Rationalität, Methodik, Wissenschaft oder dem gesunden Menschenverstand hat solcherart Worthülsen- und Leerformeltum das nicht das Geringste zu tun.

* http://www.sgipt.org/forpsy/Mollath/ipgipt/wa/MkUAPA1.htm#Teil%201:%20%2...

@ #13

Ich habe Ihre Ausführungen zu den Tatvorwürfen [1] einmal kurz angelesen. Um mir eventuell längere Ausführungen zu ersparen: Sind Ihnen die beiden grundsätzlichen in der Rechtswissenschaft verwendeten Darstellungsformen der Entscheidung(sfindung), Gutachtenstil und Urteilsstil, ein Begriff?

[1] http://www.sgipt.org/forpsy/Mollath/ipgipt/wa/MkUAPA1.htm#Teil%201:%20%2...

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MT schrieb:

@ #13

Ich habe Ihre Ausführungen zu den Tatvorwürfen [1] einmal kurz angelesen. Um mir eventuell längere Ausführungen zu ersparen: Sind Ihnen die beiden grundsätzlichen in der Rechtswissenschaft verwendeten Darstellungsformen der Entscheidung(sfindung), Gutachtenstil und Urteilsstil, ein Begriff?

[1] http://www.sgipt.org/forpsy/Mollath/ipgipt/wa/MkUAPA1.htm#Teil%201:%20%2...

Es sollte mich sehr wundern, wenn diese Worte mit klaren Begriffen gefüllt sind. Aber vielleicht teilen Sie Ihre Quellen zu den Bedeutungen einfach mit und was Sie damit argumentativ bezwecken wollen. Das könnte die Kommunikation vereinfachen.

 

Sehr geehrter Herr Lippke,

Sie missverstehen mich, wenn Sie meinen, ich hätte einen Hinweis darauf geben wollen, dass die richterliche Unabhängigkeit einen Eingriff von Außen verbiete. Weder Ihre noch meine Kritik ist geeignet, um in die richterliche Unabhängigkeit einzugreifen. Auch ein Rechtsmittel greift nicht in die richterliche Unabhängigkeit ein, und auch nicht eine Rechtsmittelentscheidung. Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit sind grundsätzlich nur von Innen möglich, wie z.B. durch die Kritik des Justizministers, es sei denn, die Entscheidung enthält grobe Fehler oder verletzt Grundrechte. 

Mein Hinweis beschränkte sich nur auf die Maßgeblichkeit der Beweiswürdigung durch das Tatgericht und dass sie nicht einmal der BGH durch eigene Beweiswürdigung ersetzen darf. Ich meine auch nicht, dass die Urteilskritik streng darauf beschränkt sein sollte, was revisionsrechtlich zulässig ist. Aber ein wenig sollte sie schon danach ausgerichtet sein. Jedenfalls macht es wenig Sinn und kommt auch allgemein nicht gut an, wenn man in der Kritik versucht eigene Beweiswürdigung einzubringen.

Das bedeutet auch nicht, dass die richterliche Beweiswürdigung für die Kritik tabu sei. Keineswegs. 

Sehr geehrter Herr Sponsel,

worauf Sie MT hinweisen wollte: Ihre Kritik bezieht sich zum Teil auf die Darstellungsweise im Urteil. Sie schreiben:

 "Tatsächlich liest sich das nach Anklageschrift. Es scheint üblicher staatsanwaltschaftlicher Stil zu sein, Sachverhaltshypothesen als Tatsachenbehauptungen vorzutragen.So fällt als erstes auf, dass hier im Indikativ formuliert wird, als ob es sich um Tatsachen handelte. In Wirklichkeit sind das Vorhalte, wissenschaftlich gesprochen reine Hypothesen, deren Wahrheitsgehalt erst durch das Gericht herauszufinden und festzustellen ist. Rein sprachlich wird hier hochgradig (auto-) suggestiv im Sinne des Tatvorwurfes gelabelt.  Dass die Staatsanwaltschaft einen solch wissenschaftlich unhaltbaren Stil pflegt, mag ja noch einer reformträgen Tradition geschuldet werden. Aber dass das Gericht das so distanzlos und unkritisch übernimmt, verstehe ich nicht."

Ein Urteil ist im "Urteilsstil" zu verfassen, d.h. das Ergebnis wird zu Beginn mitgeteilt, die Begründung folgt dann. Es geht hier nicht mehr um "Hypothesen", sondern um die Begründung eines bereits gefassten Urteils. Ein Urteil ist KEINE aussagepsychologische Studie und auch kein Gutachten (dann wäre "Gutachtenstil" angemessen)  und kann deshalb fairerweise - jedenfalls formal -  auch nicht nach den Maßstäben einer solchen beurteilt werden. Sie können dem Gericht nicht vorwerfen, im Urteilsstil zu schreiben, weil das die einzig anerkannte Art und Weise ist, ein Urteil zu formulieren. Das Gericht berichtet über die in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen, die dem Urteilstenor zugrundeliegen, es handelt sich inhaltlich um das Ergebnis der Beweiswürdigung, nicht um Hypothesen.

Auch wenn ich Ihre Ausführungen immer gern und mit Gewinn  lese, werden Sie unter Juristen kaum nachhaltig Anerkennung finden, wenn Sie grundlegende Konzepte (Erstsemesterstoff) einfach nicht kennen und dann von oben herab ("sollte mich sehr wundern, wenn diese Worte mit klaren Begriffen gefüllt sind"), nämlich ohne vernünftige Sachverhaltshypothese, über die Methoden einer anderen Wissenschaft bzw. Praxis  "urteilen". Das entwertet Ihre Ausführungen ganz erheblich.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Überarbeitung - Urteilsanalyse aus allgmeiner beweistmethodischer Sicht

#18, Prof. Dr. Henning Ernst Müller, 09.12.2014

 

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrter Herr Sponsel,

Ein Urteil ist im "Urteilsstil" zu verfassen, d.h. das Ergebnis wird zu Beginn mitgeteilt, die Begründung folgt dann. Es geht hier nicht mehr um "Hypothesen", sondern um die Begründung eines bereits gefassten Urteils. Ein Urteil ist KEINE aussagepsychologische Studie und auch kein Gutachten (dann wäre "Gutachtenstil" angemessen)  und kann deshalb fairerweise - jedenfalls formal -  auch nicht nach den Maßstäben einer solchen beurteilt werden. Sie können dem Gericht nicht vorwerfen, im Urteilsstil zu schreiben, weil das die einzig anerkannte Art und Weise ist, ein Urteil zu formulieren. Das Gericht berichtet über die in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen, die dem Urteilstenor zugrundeliegen, es handelt sich inhaltlich um das Ergebnis der Beweiswürdigung, nicht um Hypothesen.

Auch wenn ich Ihre Ausführungen immer gern und mit Gewinn  lese, werden Sie unter Juristen kaum nachhaltig Anerkennung finden, wenn Sie grundlegende Konzepte (Erstsemesterstoff) einfach nicht kennen und dann von oben herab ("sollte mich sehr wundern, wenn diese Worte mit klaren Begriffen gefüllt sind"), nämlich ohne vernünftige Sachverhaltshypothese, über die Methoden einer anderen Wissenschaft bzw. Praxis  "urteilen". Das entwertet Ihre Ausführungen ganz erheblich.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

vielen Dank für die Nachhilfe, die ich in der Tat gebrauchen kann, wenn sie auch für meine Argumentation nichts ändert, da meine Urteilsanalyse bewusst aus allgemeiner beweismethodischer Sicht erfolgt. Dennoch ist es natürlich hilfreich, juristische Darstellungsweisen zu verstehen und ich nehme die Nachhilfe zu Gutachtenstil und Urteilsstil gerne an. Ich habe den Teil 1 Aussagemethodologie* daher überarbeitet. 

An welcher Stelle etwas steht, ist nicht entscheidend, sondern ob es aufgeführt wird. Die Sachverhaltsbasis - ich gehe später noch auf MT ein - sollte nach dem Urteilsstil dann in der Begründung auftauchen. Und das tut sie nach meiner Aufassung eben nur unzulänglich, enthält also wesentliche Lücken (Beispiel Rechtschreib-/ Grammatikfehler im Attest). Ich will das Urteil ja nicht juristisch kritisieren, das kann ich ja gar nicht (wie hier ausgeführt**), sondern aus allgmeiner beweismethodischer Sicht (steht auch so dort).

    Nachdem ich gemerkt habe, dass das LG viele Schlüsselworte der Aussagepsychologie anders verwendet, habe ich auch die Bezugsbasis meiner Kritik von Aussagpsychologie hin zur Aussagemethodologie verändert (#13) und nun bei der Überarbeitung den RiAMPF12*** kreiert.

 

*

http://www.sgipt.org/forpsy/Mollath/ipgipt/wa/MkUAPA1.htm

**

http://www.sgipt.org/forpsy/NFPMRG/PFFPGMRJ.htm#Rechtsfehler%20%28Revisi...

***

http://www.sgipt.org/forpsy/Mollath/ipgipt/wa/MkUAPA1.htm#RiABMF12

Sehr geehrter Herr Sponsel.

Was die für erwiesen erachteten Tatsachen aber angeht, so bestimmen sie sich immer noch nach der freien richterlichen Beweiswürdigung (261 StPO). Das bedeutet, es gibt keine Beweisregel. 

So ist das Gesetz. (Und ich habs nicht gemacht.)

Beweisregel?

WR Kolos schrieb:

Sehr geehrter Herr Sponsel.

Was die für erwiesen erachteten Tatsachen aber angeht, so bestimmen sie sich immer noch nach der freien richterlichen Beweiswürdigung (261 StPO). Das bedeutet, es gibt keine Beweisregel. 

So ist das Gesetz. (Und ich habs nicht gemacht.)

Sehr geehrter Herr Kolos,

so klar bin ich mir nicht, was für eine Antwort Sie erwarten. Daher nun einfach dies: Ich habe das bislang so verstanden, es gibt keine detailliert schematischen, starren Beweisregeln (ich schätze mit guten Gründen). Deshalb wird wohl auch der Ausdruck kaum verwendet. Ich spreche ja von allgemeiner Beweisstruktur und beweisartiger Begründungsregel*.

Freie richterliche Beweiswürdigung bedeutet ja wohl nicht, dass die RichterInnen machen können, was ihnen so einfällt. Begründen müssen sie doch immer, aber sie sind nicht eingeengt in ein geistiges Korsett.  Bei den 18 Revisionsgründen* sind ja genügend dabei, die sagen, was sie nicht tun dürfen.

Das Revisionsrecht - das Geipel-Zitat wurde ja schon Prof. Müller bestätigt - krankt vermutlich daran, dass das schwer zu kontrollieren ist und die Revision oft - nicht immer - ein Inszenierungsspiel der autosuggestiven Selbstberuhigung einerseits und andererseits eine Demonstration nach außen für Naive ist. 2 der 5 beim BGH scheinen ohnenhin nur dabeizusitzen. Alles nicht sehr prickelnd - insbesondere für die SteuerzahlerIn.

*

http://www.sgipt.org/forpsy/NFPMRG/PFFPGMRJ.htm#Rechtsfehler%20%28Revisi...

 

@ #16

Ich kann mich #18 nur anschließen

Vielleicht noch zur Verdeutlichung: Im Gutachtenstil wird zuerst ein Obersatz gebildet. "Herr Mollath könnte sich, indem er Frau Mas Mas würgte, einer gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht haben".

Es folgen die Voraussetzungen dafür. "Dazu müsste er die Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen haben."

Dann wird definiert. "Eine das Leben gefährdende Behandlung besteht, wenn eine Verletzungshandlung den konkreten Umständen nach objektiv geeignet war, das Leben des Opfers in Gefahr zu bringen."

Darauf wird subsumiert, d.h. die festgestellten Tatsachen werden daraufhin überprüft, ob die Definition erfüllt ist. "Herr Mollath griff der auf dem Boden liegenden Frau Mas mit beiden Händen so stark gegen den Hals, dass sie Würgemale in Form von flächigen Hämatomen an beiden Seiten des Halses seitlich der Luftröhre/ Kehle unterhalb des Kehlkopfes ventral medial erlitt und nach einer Unterbrechung der Blutzufuhr von mindestens 5 Sekunden entweder vollständig das Bewusstsein verlor oder sich zumindest in einem Zustand zwischen klarem Bewusstsein und vollständigem Bewusstseins- verlust befand.  Dadurch befand sich Frau Mas objektiv in Lebensgefahr."

Schließlich wird das Ergebnis dargestellt. "Herr Mollath hat daher den objektiven Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung erfüllt."

Diese Arbeitsweise wird an den Universitäten im Fach Rechtswissenschaften gelehrt. Die Universitätsklausuren und das erste Staatsexamen sind von den Studenten im Gutachtenstil zu schreiben. Im Referendariat und im zweiten Staatsexamen ist dann der Urteilsstil vorherrschend, wie er in #18 beschrieben ist. Trotzdem läuft im Kopf des Juristen immer noch der Gutachtenstil, da ja erst einmal durchdacht werden muss, ob die Voraussetzungen für das Ergebnis vorliegen, bevor das Ergebnis voran gestellt wird.

@ #20

Anhand welcher Kriterien ist die auszuweisende Sachverhaltsbasis denn abzugrenzen? Es gibt schließlich eine Menge denkbarer Sachverhaltsalternativen, die möglicherweise passiert sind. Ich möchte nicht spekulieren, wie lang das Urteil im Fall Mollath geworden wäre, wenn das Gericht diese Methode angewendet hätte.

Das einzige Problem, was ich in derzeitigen Handhabung sehe, ist das schon in #7 angesprochene Verhandlungswidrigkeit. Dafür ist m.E. das Wortprotokoll mit Rügemöglichkeit eine wirksame Gegenmaßnahme. Welchen Mehrwert hätte es Ihrer Meinung nach, wenn das Gericht Sachverhaltsalternativen darstellt, die es gar nicht für erwiesen hält?

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Sachverhaltsbasis

Zunächst vielen Dank für die Ausführungen zum Gutachtenstil. Ich habe eine Überarbeitung vorgenommen. Zu Ihrer Frage:

MT schrieb:

@ #16 ...

@ #20

Anhand welcher Kriterien ist die auszuweisende Sachverhaltsbasis denn abzugrenzen? Es gibt schließlich eine Menge denkbarer Sachverhaltsalternativen, die möglicherweise passiert sind. Ich möchte nicht spekulieren, wie lang das Urteil im Fall Mollath geworden wäre, wenn das Gericht diese Methode angewendet hätte.

Das, was von den Parteien eingebracht wird, in der Hauptsache wohl Beweisanträge, die (teil-) angenommen oder abgelehnt und verwertet werden; dazu gehören dann wohl auch neue Sachverhalte, die während der HV bekannt werden.

MT schrieb:

Das einzige Problem, was ich in derzeitigen Handhabung sehe, ist das schon in #7 angesprochene Verhandlungswidrigkeit. Dafür ist m.E. das Wortprotokoll mit Rügemöglichkeit eine wirksame Gegenmaßnahme. Welchen Mehrwert hätte es Ihrer Meinung nach, wenn das Gericht Sachverhaltsalternativen darstellt, die es gar nicht für erwiesen hält?

Ihre Ausführungen zur Verhandlungswidrigkeit habe ich mit einem gewissen Entsetzen zur Kenntnis genommen. Was wäre denn der Weg für Ihre Vorschläge?

Der Mehrwert besteht darin, dass klar positiv ausgedrückt wird, welche Alternativen geprüft und verworfen wurden. Nicht erwähnen heißt, man müsste aus dem Nichts, dem Nichterwähnen Schlüsse ziehen. Das ist fast immer gefährlich und zu vermeiden.

Urteilsstil und Gutachtenstil

Mir sind diese Konstrukte und deren theoretische Begründung halbwegs bekannt. Wenn ich mich nicht irre, sind diese Denk- und Darstellungsweisen nicht gesetzlich vorgegeben und zwingend, sondern allenfalls indirekt aus Verfahrensordnungen als Möglichkeit ableitbar.

Die Theorie geht davon aus, dass der unbefangene Richter in der Beweisstation mittels Gutachtenstil im Kopf die Beweise nach den Subsumtionsregeln würdigt und damit zu einem Urteil gelangt. Dieses Urteil wird dann in umgekehrter Abfolge im schriftlichen Urteil dargestellt. Dabei fallen die im Kopf verworfenen oder die Entscheidung nicht stützenden Überlegungen weg und das Urteil wird "schlüssig" vom Ergebnis her begründet. Wie unter diesen Bedingungen die Beweiswürdigung und Urteilsfindung in einer Kammer konkret abläuft, wäre noch ein anderes Thema.

MT schreibt in #22

Diese Arbeitsweise wird an den Universitäten im Fach Rechtswissenschaften gelehrt. Die Universitätsklausuren und das erste Staatsexamen sind von den Studenten im Gutachtenstil zu schreiben. Im Referendariat und im zweiten Staatsexamen ist dann der Urteilsstil vorherrschend, wie er in #18 beschrieben ist. Trotzdem läuft im Kopf des Juristen immer noch der Gutachtenstil, da ja erst einmal durchdacht werden muss, ob die Voraussetzungen für das Ergebnis vorliegen, bevor das Ergebnis voran gestellt wird.

Was soll man davon als Nichtjurist halten, wenn gleichzeitig unisono von "Richter sind auch nur Menschen", Überlastung durch hohe Fallzahlen und Kosten- und Effizienzdruck in der Justiz berichtet wird?

Herr Kolos schreibt in #21

Was die für erwiesen erachteten Tatsachen aber angeht, so bestimmen sie sich immer noch nach der freien richterlichen Beweiswürdigung (261 StPO). Das bedeutet, es gibt keine Beweisregel. 

So ist das Gesetz. (Und ich habs nicht gemacht.)

Das Urteil im Fall Mollath ist schon unter verschärfter öffentlicher Beobachtung und mit dem großen Vorzug einer detaillierten Dokumentation der Sachverhalte u.a. durch Dr. Strate zustande gekommen. Der Versuch gerade dieses Urteil in den Gutachtenstil (zurück?) zu transformieren und damit die Substanz der richterlichen Beweiswürdigung nachvollziehen zu können, sollte also nicht unmöglich sein. Offensichtlich kommt es dabei zu einer breiten Streuung der Einschätzungen. Auch die Einschätzung, dass eine gefährliche KV nicht zu beweisen war, würde das Urteil als willkürlich ausweisen.

Meine grundsätzlichen Vorbehalte gegen die ideelle Konstruktion der Urteilsfindung und Darstellung haben auch etwas mit Lebens- und Berufserfahrung zu tun. Wenn man Erfolg als die wirkliche Lösung eines Problems definiert, ist die absolut korrekte Einhaltung des gedachten Ablaufs entscheidend für den Erfolg. Aus der Notwendigkeit einer wirklichen Problemlösung erwächst i.d.R. der Anspruch einer  Nachvollziehbarkeit dieses korrekten Ablaufs. Im positiven Sinne ein notwendiges Qualitätsmanagement.

Definiert man Erfolg allerdings allein als Prozess der Entscheidungsfindung, in dem am Ende widerstreitende Elemente unsichtbar bleiben und nur stützende Elemente sichtbar werden, dann ist eine wirksame Qualitätskontrolle erheblich erschwert oder sogar ausgeschlossen. Im wissenschaftlichen Sinne handelt es sich dann nicht um ein Beweisverfahren sondern eine Hypothesenbildung, die ihre Reputation auf Glauben oder Wollen stützt.

Wenn das so sein soll oder sein muss, sollte man es auch klar so vertreten und nicht mit Leerformeln zu etwas Gewichtigerem aufblasen.    

 

 

 

 

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@ #24

Die Beweiswürdigung hat mit Gutachten- oder Urteilsstil nichts zu tun. Entgegen Ihrer Auffassung erfolgt die Beweiswürdigung nicht nur im Kopf des Richters, sondern muss zwingend in die Urteilsgründe aufgenommen werden.

Die Beweise werden auch nicht nach den Subsumtionsregeln gewürdigt. Vielmehr ist die Beweiswürdigung die Vorstufe zur Subsumtion. Die Subsumtion dient dazu, die aufgrund der Beweiswürdigung  als erwiesen erachteten Tatsachen unter die Definition eines Tatbestandsmerkmals zu bringen.

Zur weiteren Erläuterung: In #22 habe ich bei der Subsumtion keine Beweiswürdigung vorgenommen. Ich habe lediglich die vom Gericht als erwiesen erachteten Tatsachen bezüglich des Tatbestands der gefährlichen Körperverletzung übernommen. Eine Beweiswürdigung war zur Erläuterung des Gutachtenstils nicht notwendig.

Wenn noch eine Beweiswürdigung dazu käme, müsste man die Fragen aufwerfen, ob Herr Mollath Frau Mas mit den Händen gegen den Hals gegriffen hat, ob dabei Würgemale entstanden sind, ob und ggf. wie lange dadurch die Blutzufuhr unterbrochen wurde etc. Dabei würde man dann, wie es so schön in § 261 StPO heisst, nach der aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu einem Ergebnis kommen - also die Tatsachen festgestellt haben - mit denen dann subsumiert wird.

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Welchen Einfluss hat die Frage, ob das Urteil mit eindeutigen Beweisen oder einer "Gesamtschau" begründet wird?

Nachvollziehbar ist, dass eindeutige Beweise (Geständnis, Tatvideo etc.) eine detaillierte Darstellung aller anderen Sachverhalte in der Urteilsbegründung erübrigen können. Allerdings mit der Folge, dass die spätere Feststellung einer Manipulation dieser entscheidenden Beweise das Urteil arg ins Wanken oder sogar zu Fall bringen.

Eine "Gesamtschau" ist nach meiner Kenntnis nicht eine Anhäufung von mehreren eindeutigen Beweisen, sondern eine Würdigung von Sachverhalten, Indizien und allenfalls indirekten Beweisen, die nur im Zusammenhang das Urteil begründen können. Wie läuft in diesem Fall die Beweiswürdigung des Gerichts im Kopf ab?

In den Urteilsgründen erscheinen nur noch die stützenden Sachverhalte und Indizien, die im Zusammenhang den Urteilsspruch rechtfertigen sollen. Die einzelnen Gründe sind schwach, weil sie isoliert das Urteil nicht rechtfertigen oder ihnen andere Sachverhalte entgegen stehen. In Anlehnung an Dr. Sponsel seien als Beispiel S1,S3 usw. Sachverhalte die dem Sachverhalt S2 entgegen stehen, der aber wiederum durch Sachverhalt S4, S6 usw. gestützt wird. Im Kopf wägt der Richter also bestenfalls S2, S4 usw. gegen S1, S3 usw. im Zusammenhang sorgfältig ab und bildet sich sein Urteil. Im Urteil verschwinden S1, S3 vollständig und S2, S4 begründen in einer Gesamtschau das Urteil. Viele (schwache) stützende Sachverhalte S2, S4 usw. stellen ein Urteil auf eine breite Basis. Die den einzelnen stützenden Sachverhalten entgegenstehenden Sachverhalte S1, S3 usw. sind nicht nur in den Urteilsgründen nicht zu finden, sondern auch die Abwägung des Richters im Kopf ist nicht dokumentiert. Um gegen ein solches Urteil auf breiter aber im Einzelnen schwacher Begründungsbasis anzukommen, müssten nicht nur einzelne stützende Sachverhalte als falsch oder manipuliert entzaubert werden, sondern sämtliche Im Kopf- Abwägungen gegen die entsorgten Sachverhalte neu aufgearbeitet und schlüssig widerlegt werden.

Was bei eindeutiger Beweislage als sinnvoll und ausreichend nachvollziehbar ist, führt bei schwacher Beweislage als "Gesamtschau" zu einem Urteil, dass sich einer Überprüfbarkeit entzieht und in der Konsequenz unangreifbar macht. Der Bezug auf eine "Gesamtschau" von ausschließlich stützenden Sachverhalten ist für mich unter diesen Umständen ein deutlicher Marker für eine willkürliche Beweis- und Urteilsbildung, die sich einer Überprüfung entziehen will.     

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Sehr geehrte Kommentatoren,

die Spekulationen darüber, ob am 14.08.2001 überhaupt ein Attest erstellt wurde ("Backups können gefälscht werden") oder ob es der Arzt Markus R. selbst geschrieben hat, erübrigten sich für das Gericht deshalb, weil es aus der Angabe von G.M. in der Hauptverhandlung schließen konnte, dass am 12.08.2001 tatsächliche eine körperliche Auseinandersetzung stattgefunden hat. Dies und die -  wenn auch rechtsmedizinisch kaum verwertbare -  aber dem Gericht glaubhaft erscheinende Aussage des Arztes, er habe bestimmte Verletzungen gesehen, lassen es müßig erscheinen, über Rechtschreibfehler im Attest zu diskutieren.

Mit der Aussage von G.M. hatte sich die Verteidigungsstrategie erledigt, den Inhalt des Attests und der ärztlichen Zeugenaussage komplett in Zweifel zu ziehen: Denn dass am 12.08.2001 etwas geschehen ist, das möglicherweise Verletzungen der Frau M. bewirkt hat, hat G.M. nun einmal selbst eingeräumt. Nun konnte es nur noch darum gehen, die Unglaubhaftigkeit der Gesamtaussage von Frau M. darzulegen. Das Gericht ist diesem Ansatz nicht gefolgt, sondern hat differenziert: Im August 2001 habe Frau M. noch kein unlauteres Belastungsmotiv gehabt. Wie schon Herr Kolos schrieb: Inhaltlich können wir (von außen) durchaus anderer Auffassung sein, und ich hätte auch gravierende Vorbehalte gehabt, irgendein Faktum auf die in der Hauptverhandlung nicht anwesende Zeugin zu stützen, die ja Vorteile aus ihrer Anschuldigung gezogen hat. Dass kein Belastungsmotiv bestand, kann m.E. bei einer Zeugin, die sich gerichtlicher Befragung entzogen hat, nicht einfach unterstellt werden. Revisionsrechtlich ist die gerichtliche Beweiswürdigung aber nur unter weit engeren Maßstäben angreifbar.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrte Kommentatoren,

die Spekulationen darüber, ob am 14.08.2001 überhaupt ein Attest erstellt wurde ("Backups können gefälscht werden") oder ob es der Arzt Markus R. selbst geschrieben hat, erübrigten sich für das Gericht deshalb, weil es aus der Angabe von G.M. in der Hauptverhandlung schließen konnte, dass am 12.08.2001 tatsächliche eine körperliche Auseinandersetzung stattgefunden hat. Dies und die -  wenn auch rechtsmedizinisch kaum verwertbare -  aber dem Gericht glaubhaft erscheinende Aussage des Arztes, er habe bestimmte Verletzungen gesehen, lassen es müßig erscheinen, über Rechtschreibfehler im Attest zu diskutieren.

Mit der Aussage von G.M. hatte sich die Verteidigungsstrategie erledigt, den Inhalt des Attests und der ärztlichen Zeugenaussage komplett in Zweifel zu ziehen: Denn dass am 12.08.2001 etwas geschehen ist, das möglicherweise Verletzungen der Frau M. bewirkt hat, hat G.M. nun einmal selbst eingeräumt. Nun konnte es nur noch darum gehen, die Unglaubhaftigkeit der Gesamtaussage von Frau M. darzulegen. Das Gericht ist diesem Ansatz nicht gefolgt, sondern hat differenziert: Im August 2001 habe Frau M. noch kein unlauteres Belastungsmotiv gehabt. Wie schon Herr Kolos schrieb: Inhaltlich können wir (von außen) durchaus anderer Auffassung sein, und ich hätte auch gravierende Vorbehalte gehabt, irgendein Faktum auf die in der Hauptverhandlung nicht anwesende Zeugin zu stützen, die ja Vorteile aus ihrer Anschuldigung gezogen hat. Dass kein Belastungsmotiv bestand, kann m.E. bei einer Zeugin, die sich gerichtlicher Befragung entzogen hat, nicht einfach unterstellt werden. Revisionsrechtlich ist die gerichtliche Beweiswürdigung aber nur unter weit engeren Maßstäben angreifbar.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Professor Müller,
Ihr Kommentar bedarf einer wichtigen Entgegnung und Klarstellung:
Sie schreiben, daß das Gericht darauf verzichtet hat, dem Verdacht nachzugehen, ob ein Attest am 14.8.2001 erstellt wurde oder es der Arzt Reichel geschrieben hat, weil am 12.8.2001 tatsächlich eine
Körperverletzung stattgefunden hat.
Diesem begründeten Verdacht nicht nachzugehen war m.E. eine erste  schwerwiegende "nachlässige Unterlassung" des Gerichts , die  mit zu dem Fehlurteil bezüglich der Körperverletzung beigetragen hat.           

Sie schreiben weiter:
Das Gericht ist diesem Ansatz nicht gefolgt, sondern hat "differenziert": Im August 2001 habe Frau M. noch kein unlauteres Belastungsmotiv gehabt.
Wenn diese nicht lebensnahe Hypothese stimmen würde, spräche  diese Annahme eindeutig dafür, dass P3M wirklich keinen Grund hatte, sich ein Attest 2001 ausstellen zu lassen. Der fundamentale Ehekonflikt bestand jedoch bereits lange Zeit vor dem August 2001, sodaß nicht nur potentiell, sondern auch faktisch ein Belastungseifer der P3M bestand, auch wenn dieser sich nicht oder nicht nach außen manifestiert hat.                                                                                                                 Es besteht der begründete Verdacht, dass der erste Arztbesuch zielgerichtet dazu gedient
hat, lediglich die fragwürdigen Spuren der Körperverletzung dokumentieren zu lassen, um später mit dieser  Befunderhebung zielgerichtet und zeitnah das Attest  zu erhalten. Dafür spricht auch die unzureichende Befunderhebung. Reichl jun. sah vermutlich keine Notwendigkeit die Körperverletzung exakter zu dokumentieren, wenn kein Attest verlangt wird.
Für dieses vorausschauende Vorgehen spricht auch das spätere planmäßige destruktive spätere Vorgehen der Ex-Frau.
Sie führen weiter aus:
Mit der Aussage von G.M. hatte sich die Verteidigungsstrategie (von Dr. Strate) erledigt, den Inhalt des Attests und der ärztlichen Zeugenaussage komplett in Zweifel zu ziehen.
Tatsache ist, dass Dr. Strate in seinem Plädoyer m.E. das sehr verdächtige Zustandekommen, den Inhalt des Attestes, die angebliche Körperverletzung, die angegebene Notwehr von Gustl Mollath komplett nicht nur nicht angezweifelt, sondern sogar komplett ausgeklammert hat und  seine Verteidigung nur im "Demolieren" bestand," indem ich P.M. zu einem völlig ungeeigneten Beweismittel profiliere" (vgl. Seite 267 seines sehr lesenswerten Buches!).
Diese Verteidigungsstrategie war nicht erfolgreich und hat Gustl Mollath  bezüglich der Körperverletzung nicht entlastet.

Die "Büchse der Pandora" wurde nach meinem Dafürhalten nicht erst durch das Attest von Frau Dr. Krach eröffnet, wie im Strate-Buch dargestellt, sondern bereits zielgerichtet durch die erste Psychiatrisierung im Attest vom Arzt Reichel.

Es ist schwer nachvollziehbar, dass sich das in sich schlüssige Verteidiger-Plädoyer bezüglich der Unglaubwürdigkeit der P3M weitgehend auf ihre manipulativen Aussagen bei Dr. Krach bezogen und nicht das durchgehende offensichtliche, destruktive Vorgehen der Ex-Frau im Gesamtzusammenhang und auch in der Chronologie eingebracht wurde.

Dieses Vorgehen wurde vom "Menschenrechtler" im nachstehenden Kommentar # 12 vom 5.12.2014 überzeugend dargestellt, die dazugehörige aussagekräftige Chronologie kann dort nachgelesen werden.

Feststeht das der Arzt zunächst nur von e i n e m Attest gesprochen hat!

Nachdem 2013 publik wurde,dass die Körperverletzung  erst nach neun Monaten attestiert wurde und P3M sich dadurch verdächtigt machte , bricht die Ex-Frau im Nov. 2013 ihr Schweigen: behauptet, sie hätte das angebliche erste Attest vom 14.8.2001 verloren und sich dann am 3.6.2002  ein zweites Attest ausstellen lassen. Tatsächlich will m.E. die Ex-Frau den Verdacht von sich  ablenken, dass sie bei der ersten Untersuchung kein Attest bekommen hat und sich das einzige Attest verdächtigerweise auf Ereignisse vor 9  1 / 2  Monaten bezog. Warum hat sich Frau Mollath wegen angeblich schwerer Körperver-letzungen erst nach über neun Monaten ein Attest ausstellen lassen oder die angebliche Zweitschrift eingeholt. Der Arzt Reichel versuchte dies in der Berichterstattung der Medien  so zu erklären, dass viele Frauen -wie auch Frau M.- sich erst später ein Attest für das Scheidungsverfahren ausstellen lassen.
Das Scheidungsverfahren wurde von Frau Mollath erst ca. Mitte 2003  beantragt und die Scheidung erfolgte im Laufe des Jahres 2004 !
Die Rechtfertigung von Frau Mollath, sich die angebliche Zweitschrift erst am 3.6.2002 (also ca. 12 Monate vor dem Scheidungsantrag hat ausstellen lassen ist nicht nachvollziehbar, lebensfremd und nicht glaubhaft!
Diese Ausrede benützte die Ex-Frau m.E. manipulativ vom eigentlichen Zweck des Attestes abzulenken:
Das Attest vom 3.6.2002  hat Frau Mollath zwei Tage nach dem verdächtigen und eidestattlich bezeugten Anruf bei Herrn Braun  z e i t n a h  gebraucht, um mit der kommentarlosen Fax-Übersendung  am 12.8.2002 mit einer eindeutigen Drohung Druck auf ihren Ehemann auszuüben, um zu verhindern, dass er die Schwarzgeldgeschäfte ihrem Arbeitgeber anzeigt.
Erst am 12.8.2003  war Herr Mollath nicht mehr bereit, die Schwarzgeldgeschäfte und das illoyale Verhalten, der Drohung mit dem Attest
hinzunehmen und hat sich an die Geschäftsleitung der Banken mit dem aus-
schließlichne Anliegen gewendet, die illegalen Bankgeschäfte seiner Ehefrau
zu unterbinden. Es lag ein Widerspruch in den Aussagen der Ex-Frau und den ursprünglichen Aussage des Arztes vor! Mit der Behauptung, sie hätte das erste Attest verloren, hat sich die Ex-Frau selbst in ein Dilemma gebracht. Um ihre Glaubwürdigkeit aufrechterhalten zu können, war es notwendig, dass das zweite Attest auftauchen musste!
Wenn eine intelligente Frau angeblich so schwer verletzt wird, erst am zweiten
Tag zum Arzt geht, k e i n Attest will, mit der Begründung sie wüsste noch nicht, ob sie sich scheiden lässt, dann nach 9 1 /2 Monaten mit diesem Anliegen nochmals zum Arzt kommt, wiederum erst auch mit diesem Attest von 2002 und
Befunden vom August 2001 erst nach 35 Monaten nach der schweren Körperverletzung Mitte 2004 die Scheidung beantragt, das angeblich verloren gegangene Attest vom 14.8.2001, erst 2013 nach 12 Jahren "pass- und zeitgerecht" für das WA-Verfahren auftaucht, ist dieses gesamte manipulative Geschichtengebäude völlig unglaubwürdig.

die anschließende wichtige Chronologie dieses Kommentars wurde wegen der Länge des Beitrages

nicht aufgenommen und kann im Blog nachgelesen werden!

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Henning Ernst Müller schrieb:
Wie schon Herr Kolos schrieb: Inhaltlich können wir (von außen) durchaus anderer Auffassung sein, und ich hätte auch gravierende Vorbehalte gehabt, irgendein Faktum auf die in der Hauptverhandlung nicht anwesende Zeugin zu stützen, die ja Vorteile aus ihrer Anschuldigung gezogen hat. 

Ach, ist das so?

Welche Vorteile waren das denn?

Wir vermuten es nur, die Verteidigung ist aber nie darauf eingegangen...(ausser es steht im Buch, das ic noch nicht habe) 

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@ #26

Zwei Dinge müssen scharf voneinander getrennt werden: 1. Wozu ist das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung verpflichtet? 2. Wie ist die diesbezügliche Praxis?

Zu 1.: Ohne das jetzt detailliert geprüft zu haben - ich bitte ggf. von anderen Juristen korrigiert zu werden - ist es nach meiner Kenntnis allgemeine, unbestrittene Meinung in der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung, dass das Gericht im Rahmen der strafrechtlichen Beweiswürdigung nicht nur belastende, sondern auch entlastende Umstände, die in der Verhandlung vorgebracht wurden oder sich ergeben haben, zu berücksichtigen hat. Ein Weglassen von "Sachverhalten und Indizien" ist dabei nicht zulässig. Im Rahmen der Gesamtschau sind dann alle - sowohl be- als auch entlastende - Umstände mit- bzw. gegeneinander abzuwägen. Und das eben nicht nur "im Kopf" des Richters, sondern ausgeschrieben im Urteil.

Zu 2. In der Praxis ergibt sich das Problem der Verhandlungswidrigkeit, also des Weglassens/Veränderns von "Sachverhalten und Indizien" im Urteil, dazu verweise ich auf #7.

 

Dass dem Urteil am Ende die festgestellten Tatsachen vorangestellt werden, hat nur etwas mit der Darstellungsweise zu tun. Die Darstellungsweise sagt aber nichts darüber aus, ob eine zutreffende Beweiswürdigung stattgefunden hat oder nicht. Dementsprechend ist es verfehlt, eine Kritik allein an der Darstellungsweise anzubringen.

@ #28

Ich gebe Ihnen Recht, dass es nicht schlichtweg entscheidend sein kann, wo etwas steht. In diesem Fall muss man aber wissen, dass das Gericht bei Schilderung des Tathergangs gerade nicht das Ergebnis findet, sondern sein bereits gefundenes Ergebnis darstellt. Es ist natürlich einerseits verständlich, dass man als Nicht-Jurist, der sich nicht jahrelang an diesen Darstellungsweisen "erfreuen" durfte, zuerst einmal andere Schlüsse ziehen kann. Andererseits kommt es für eine effektive Kritik an dem Urteil entscheidend darauf an, diesen Hintergrund zu kennen.

@ #29

Soweit ich mich in meinen obigen Ausführungen bezüglich #26 nicht gehörig täusche, ist das, was Sie als Sachverhaltsbasis fordern, schon in der Rechtsprechung anerkannt und dem Urteil in der Beweiswürdigung zugrunde zu legen.

Der Weg, um der Verhandlungswidrigkeit zu begegnen, ist gerade das Problem. Die Forderung nach einem Wortprotokoll ist meines Wissens nach nicht neu in der Rechtswissenschaft. Soweit ich weiss wird vor dem Amtsgericht schon Protokoll von einem/einer Protokollführer/in geführt. Welchen Umfang das Protokoll hat, weiss ich nicht genau. Ein erster Schritt wäre, das festzustellen und herauszufinden, inwieweit dieses Protokoll in höheren Instanzen von Bedeutung ist. Daraus ließen sich eventuell Schlüsse für eine weitergehende Protokollpflicht ziehen.

Vor dem Landgericht dagegen wird kein Protokoll geführt, da den Richtern am Landgericht ein größeres Vertrauen entgegengebracht wird. Da hier die "schweren" Fälle verhandelt werden, gilt es m.E. zunächst hier anzusetzen. Dabei wäre mit einer möglichst breiten Datenbasis festzustellen, ob das Problem der Verhandlungswidrigkeit feststellbar ist und ggf. welchen Umfang es hat.

Wenn das Problem einmal ans Tageslicht gebracht ist, ist es m.E. rechtstechnisch keine große Kunst mehr, es zu lösen. Dafür gibt es die Grundsätze des Strafverfahrens, etwa der Wahrheitsfindung und schuldangemessenen Bestrafung oder den "fair trial" Grundsatz.

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@ #29

Kurzer Nachtrag zum Mehrwert:

Ich denke Ihre Meinung kommt der oben beschriebenen Pflicht zur Würdigung aller Umstände im Rahmen der Beweiswürdigung schon recht nahe. Wenn das Gericht be- und entlastende Umstände abwägt, geht es ja immer davon aus, dass es (mindestens) zwei mögliche Tathergänge gibt - einen, bei dem der Täter sich einer Straftat schuldig gemacht hat, und einen, wo das nicht der Fall ist. Eine Aufzählung aller denkbaren Tathergänge halte ich aber für zu weitgehend. Es muss auf das beschränkt sein, was für eine Strafbarkeit relevant ist. Beispiel: Entweder hat Herr Mollath Frau Mas gewürgt, oder nicht (dazu #27). Entweder kam es dabei zu einer Unterbrechung der Blutzufuhr, oder nicht. Würden sie das noch weiter auffächern? Und wenn ja, wie?

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Nachträgliche Anfertigung Attest oder Veränderung?

MT schrieb:

@ #29

Kurzer Nachtrag zum Mehrwert:

Ich denke Ihre Meinung kommt der oben beschriebenen Pflicht zur Würdigung aller Umstände im Rahmen der Beweiswürdigung schon recht nahe. Wenn das Gericht be- und entlastende Umstände abwägt, geht es ja immer davon aus, dass es (mindestens) zwei mögliche Tathergänge gibt - einen, bei dem der Täter sich einer Straftat schuldig gemacht hat, und einen, wo das nicht der Fall ist. Eine Aufzählung aller denkbaren Tathergänge halte ich aber für zu weitgehend. Es muss auf das beschränkt sein, was für eine Strafbarkeit relevant ist. Beispiel: Entweder hat Herr Mollath Frau Mas gewürgt, oder nicht (dazu #27). Entweder kam es dabei zu einer Unterbrechung der Blutzufuhr, oder nicht. Würden sie das noch weiter auffächern? Und wenn ja, wie?

Auf jeden Falle sollten bei jeder relevanten Hypothesenfrage standardmäßig vier Grundtypen Berücksichtigung finden: Ja, Nein, Teils, unklar/ unsicher (non liquet). Eine wichtigere Hypothese ist: ist das Attest nachträglich angefertigt oder auch verfälscht worden (Authentizität des Textes oder von Textteilen); wie war das mit dem Blanko?

Ich werde den Hypothesenraum noch, wie ich hoffe, einigermaßen vollständig aufstellen. Dazu muss ich aber sämtliche Aussagen der Nebenklägerin genau durchgearbeitet haben. Dazu gehören derzeit:

01a 14.08.2001  Ärztliche Untersuchung Dr. Rei, Attest

01b 03.06.2002  Ärztliches Attest Dr. Rei mit eben diesem Datum

02   09.08.2002  Kommentarloses Fax Ärztliches Attest Nebenklägerin an GM

03   22.11.2002  Anzeige geg. GM wegen Briefdiebstahls durch die Nebenklägerin

04   03.01.2003  Angeblicher Besitz von scharfen Waffen

05   15.01.2003  Aussage Nebenklägerin KD Nürnberg, K 12.1, Zi. 264, 12.40

06   17.01.2003  "Mündlicher" Nachtrag Morddrohung zum 15.01.2003

07   15.05.2003  Aussagen Nebenklägerin Ermittlungsbericht Buckow in Berlin

08   18.09.2003  Ärztliches Attest Dr. Kra-Ol

09   25.09.2003  Vernehmung der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung

10   04.02.2005  Aussage der Nebenklägerin zum Reifenstecher-Video

11   03.04.2005  Aussagebrief 3.4.5 Nebenklägerin & Herr Mas Eing. b.d. Polizei 6.4.5

Hierzu fehlt mir noch das Dokument 03 (Aussage zum angeblichen Briefdiebstahl). Eine Unklarheit zu mutmaßlichen Tattag ist auch noch aufgetreten, weil die Nebenklägerin in ihrer Aussage (15.01.2003) vom 11. spricht. Weiß wer was dazu?

Quote:

"An diesem Tag im August. ich glaube es war der 11., hat er mich geschlagen, getreten, gebissen und auch bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt."

Es ist ja schon bemerkt worden, dass vorher, nachher und die Einbettung in den Tag fehlt. Der 11. wäre ein Samstag gewesen.

Heute muss ich mich um meine DSM5 Fortbildung kümmen. Danach ist Teil 2, Psychopathologie, Wahn und Nedopil GA dran. Wenn das abgeschlossen ist, habe ich hoffentlich alles zu den Aussagen der Nebenklägerin beisammen und gehe dann da ran. Die ganze Geschichte gestaltet sich ziemlich aufwendig, ist ja auch ein neues Feld (Urteilsanalyse) aber auch sehr interessant und lehrreich ;-)

 

Sehr geehrter Herr Sponsel,

die Rechtschreib-/Grammatikfehler sind im Buch auf S. 216 f.  Thema. Gegenstand eines Beweisantrags waren sie m. W. nicht.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

@MT

"Vor dem Landgericht dagegen wird kein Protokoll geführt, da den Richtern am Landgericht ein größeres Vertrauen entgegengebracht wird. Da hier die "schweren" Fälle verhandelt werden, gilt es m.E. zunächst hier anzusetzen. Dabei wäre mit einer möglichst breiten Datenbasis festzustellen, ob das Problem der Verhandlungswidrigkeit feststellbar ist und ggf. welchen Umfang es hat.

Wenn das Problem einmal ans Tageslicht gebracht ist, ist es m.E. rechtstechnisch keine große Kunst mehr, es zu lösen. Dafür gibt es die Grundsätze des Strafverfahrens, etwa der Wahrheitsfindung und schuldangemessenen Bestrafung oder den "fair trial" Grundsatz."

Wenn meine Annahme des Im Kopf-Abwägens falsch war, dann steht einer Evaluation dieses Urteils in der Gesamtschau ja doch nichts Unüberwindbares entgegen. Das Dr. Sponsel dafür nicht unbedingt die rechtswissenschaftlichen Begriffe und Vorgehensweisen nutzte, sollte den Wert der Überlegungen nicht grundsätzlich in Abrede stellen. Bisher gibt es neben der sicher fundierten, aber eher zusammenfassenden Darstellung durch Prof. Müller im Blogartikel hier keine vertiefte Analyse der be- und entlastenden Gründe in der Gesamtschau. Vielmehr werden unterschiedliche Einzelfragen immer wieder kontrovers bewertet, bevor überhaupt Zusammenhänge gefunden sind. So wird die Feststellung zum unbestritten mangelhaften Attest mit dem gerichtlichen Verweis auf "üblich" neutralisiert. Die Erinnerung des Arztes gibt dann seiner Begutachtung ein ganzes Stück Glaubhaftigkeit wieder. Man stelle sich nur vor, der Arzt hätte sich nicht so hinreichend erinnert und das Gericht hätte die Vorwürfe explizit wegen des mangelhaften Attestes fallengelassen. Nur gut, dass sich der Arzt an die Sache noch hinreichend erinnern konnte, sonst hätte das möglicherweise zivilrechtliche Haftung und berufsrechtliche Folgen für den Arzt auslösen können. Vermutlich erfolgte die laxe Aufnahme der lebensbedrohlichen Verletzungsmerkmale schon im Wissen des Arztes um seine hervorragende Erinnerungsfähigkeit. Wäre auch eine Logik.

Abstrahiert man mal vom konkreten Fall, dann scheitert eine möglichst breite Datenbasis an der weitgehenden Verweigerung der Justiz zur Evaluation und Qualitätskontrolle, die wiederum mit der richterlichen Unabhängigkeit begründet wird. Dazu habe ich höchstselbst entsprechende Antworten auf Anfragen von der ehemaligen JM Frau Merk und der ehemaligen BJM Frau Leutheusser- Schnarrenberger erhalten.

Aber auch hier könnte die Psychologie aushelfen, da es sich bei dem "größeren Vertrauen" gegenüber Richtern am Landgericht nicht um eine Einzelfallbetrachtung handelt. Damit sind die wissenschaftlich fundierten mathematisch-statistischen Methoden der Psychologie wohl durchaus geeignet zu dieser Frage valide Auskünfte zu geben. Da gibt es sicher auch verwertbare Erkenntnisse aus der Verhaltens- , Sozial- und Organisationspsychologie. Wie sehen Sie das, Herr Sponsel?     

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Lutz Lippke schrieb:

Man stelle sich nur vor, der Arzt hätte sich nicht so hinreichend erinnert und das Gericht hätte die Vorwürfe explizit wegen des mangelhaften Attestes fallengelassen. Nur gut, dass sich der Arzt an die Sache noch hinreichend erinnern konnte, sonst hätte das möglicherweise zivilrechtliche Haftung und berufsrechtliche Folgen für den Arzt auslösen können.

Zivilrechtliche Haftung? Wem gegenüber das denn?

Und in Hinblick auf berufsrechtliche Folgen tippe ich nach über 10 Jahren auf Verjährung.

I.S. schrieb:

Lutz Lippke schrieb:

Man stelle sich nur vor, der Arzt hätte sich nicht so hinreichend erinnert und das Gericht hätte die Vorwürfe explizit wegen des mangelhaften Attestes fallengelassen. Nur gut, dass sich der Arzt an die Sache noch hinreichend erinnern konnte, sonst hätte das möglicherweise zivilrechtliche Haftung und berufsrechtliche Folgen für den Arzt auslösen können.

Zivilrechtliche Haftung? Wem gegenüber das denn?

Und in Hinblick auf berufsrechtliche Folgen tippe ich nach über 10 Jahren auf Verjährung.

Vielleicht haben Sie ja das Haar in der Suppe gefunden. Wie hatte es denn bis dahin geschmeckt?

Zum Haar in der Suppe:

Es geht gar nicht darum, ob Ansprüche juristisch wirklich durchsetzbar wären, sondern allein darum, ob ein Arzt, der ein Opfer von lebensbedrohlicher Gewalt durch ein mangelhaftes Attest möglicherweise um Rechtsansprüche bringt, zivilrechtliche oder berufrechtliche Folgen befürchten könnte. Was wirklich durchsetzbar wäre und gegen wen, ist dabei unerheblich. Es ist ja ein Arzt und kein Jurist. Es könnte zudem bereits das Unbehagen reichen, öffentlich des fachlichen Versagens und der Schlamperei überführt zu werden. Die Behauptung, sich primär an das zu erinnern, was in wenigen Sätzen auf dem Spickzettel (Attest) steht, war dagegen ja wohl risikolos.   

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Lutz Lippke schrieb:

I.S. schrieb:

Lutz Lippke schrieb:

Man stelle sich nur vor, der Arzt hätte sich nicht so hinreichend erinnert und das Gericht hätte die Vorwürfe explizit wegen des mangelhaften Attestes fallengelassen. Nur gut, dass sich der Arzt an die Sache noch hinreichend erinnern konnte, sonst hätte das möglicherweise zivilrechtliche Haftung und berufsrechtliche Folgen für den Arzt auslösen können.

Zivilrechtliche Haftung? Wem gegenüber das denn?

Und in Hinblick auf berufsrechtliche Folgen tippe ich nach über 10 Jahren auf Verjährung.

Vielleicht haben Sie ja das Haar in der Suppe gefunden. Wie hatte es denn bis dahin geschmeckt?

Zum Haar in der Suppe:

Es geht gar nicht darum, ob Ansprüche juristisch wirklich durchsetzbar wären, sondern allein darum, ob ein Arzt, der ein Opfer von lebensbedrohlicher Gewalt durch ein mangelhaftes Attest möglicherweise um Rechtsansprüche bringt, zivilrechtliche oder berufrechtliche Folgen befürchten könnte. Was wirklich durchsetzbar wäre und gegen wen, ist dabei unerheblich. Es ist ja ein Arzt und kein Jurist. Es könnte zudem bereits das Unbehagen reichen, öffentlich des fachlichen Versagens und der Schlamperei überführt zu werden. Die Behauptung, sich primär an das zu erinnern, was in wenigen Sätzen auf dem Spickzettel (Attest) steht, war dagegen ja wohl risikolos.   

@ Lutz Lippke:

Dieses Haar konnte man sogar problemlos noch spalten und die Suppe ging vor Gericht trotzdem runter wie Öl ;-)

Immerhin räumte hier ein Arzt ein, dass er das Opfer von lebensbedrohlicher Gewalt, ausweislich der Arztakten, nicht mal i r g e n d w i e behandelt hat. Und keiner nahm daran irgendeinen Anstoß.

Ihren Beitrag Nr.6 vom 11.12. finde ich eine wirklich ausgesprochen gelungene Zusammenfassung der Situation.

Unabhängig davon folgende Frage in die Runde, die Tage kam im TV ein Bericht über Pathologen, in dem auch erwähnt wurde, dass ja nicht nur Tote sich dort hin "wenden" könnten, sondern auch Lebende und zur Illustration wurde eine Frau geziegt, die zuvor von ihrer Nachbarin verprügelt worden war und sich die Spuren davon fachkundig dokumentieren hat lassen.

Was allerdings dabei nicht geklärt wurde, daher meine Frage, setzt das eine Anzeige voraus? Also kann nur jemand sich solche Verletzungen von einem wirklichen Fachmann dokumentieren lassen, der auch bereit ist, Anzeige zu erstatten?

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Lutz Lippke schrieb:

I.S. schrieb:

Lutz Lippke schrieb:

Man stelle sich nur vor, der Arzt hätte sich nicht so hinreichend erinnert und das Gericht hätte die Vorwürfe explizit wegen des mangelhaften Attestes fallengelassen. Nur gut, dass sich der Arzt an die Sache noch hinreichend erinnern konnte, sonst hätte das möglicherweise zivilrechtliche Haftung und berufsrechtliche Folgen für den Arzt auslösen können.

Zivilrechtliche Haftung? Wem gegenüber das denn?

Und in Hinblick auf berufsrechtliche Folgen tippe ich nach über 10 Jahren auf Verjährung.

Vielleicht haben Sie ja das Haar in der Suppe gefunden. Wie hatte es denn bis dahin geschmeckt?


Juristische Einwände sind in einem juristischen Forum das Salz in der Suppe, nicht das Haar.
 

Quote:
Es geht gar nicht darum, ob Ansprüche juristisch wirklich durchsetzbar wären, sondern allein darum, ob ein Arzt, der ein Opfer von lebensbedrohlicher Gewalt durch ein mangelhaftes Attest möglicherweise um Rechtsansprüche bringt, zivilrechtliche oder berufrechtliche Folgen befürchten könnte.

Natürlich bestehen die Risiken für einen Arzt, genau wie für jeden anderen, dass er möglicherweise für fehlerhaftes Verhalten haften muss. Das ist aber eine Selbstverständlichkeit.

Aber dass es um diese grundsätzliche Frage geht, läßt sich aus Ihrem Post nicht entnehmen. Da sprechen Sie von diesem konkreten Arzt aus dem Prozess gegen GM, der sich an diese Sache erinnern kann. Und Sie spekulieren darüber, was es für Folgen hätte haben können, wenn er das nicht gekonnt hätte.

Und zu diesem konkreten Fall, über den Sie geschrieben haben, hätte ich ja eigentlich gerne gewusst, wo da der zivilrechtliche Anspruch überhaupt hätte bestehen können (die Durchsetzbarkeit können wir da gerne außen vor lassen), wenn "explizit wegen des mangelhaften Attestes" ein Freispruch erfolgt wäre.

@ #35

Niemand sagt, dass das Urteil nicht evaluiert werden kann. Das sollte es, und zwar nicht zu knapp! Ich stelle die Überlegungen von Herrn Sponsel auch nicht grundsätzlich in Frage. Dazu fehlen mir die Kenntnisse der Psychologie. Die Kritik muss nur an den richtigen Teilen des Urteils erfolgen. Eine aussagepsychologische Analyse des vom Gericht dargestellten Tathergangs ist, wenn ich das mal etwas übersptitzt formulieren darf, nur wenig brauchbarer als eine aussagepsychologische Analyse der Rechtsbehelfsbelehrung. Das merkt jeder Jurist auf den ersten Blick, mit den in #18 beschriebenen Konsequenzen.

Was das Attest angeht, würde mich mal Ihre Meinung zu #27 interessieren.

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Ich halte die zwei Schlüsse für sehr gewagt (Attest)

MT schrieb:

@ #35

Was das Attest angeht, würde mich mal Ihre Meinung zu #27 interessieren.

Ich halte die zwei Schlüsse für sehr gewagt:

(1) "weil es aus der Angabe von G.M. in der Hauptverhandlung schließen konnte, dass am 12.08.2001 tatsächliche eine körperliche Auseinandersetzung stattgefunden hat."

(2) " Denn dass am 12.08.2001 etwas geschehen ist, das möglicherweise Verletzungen der Frau M. bewirkt hat, hat G.M. nun einmal selbst eingeräumt. "

RSponsel schrieb:

Ich halte die zwei Schlüsse für sehr gewagt (Attest)

MT schrieb:

@ #35

Was das Attest angeht, würde mich mal Ihre Meinung zu #27 interessieren.

Ich halte die zwei Schlüsse für sehr gewagt:

(1) "weil es aus der Angabe von G.M. in der Hauptverhandlung schließen konnte, dass am 12.08.2001 tatsächliche eine körperliche Auseinandersetzung stattgefunden hat."

(2) " Denn dass am 12.08.2001 etwas geschehen ist, das möglicherweise Verletzungen der Frau M. bewirkt hat, hat G.M. nun einmal selbst eingeräumt. "

Der Auffassung von Dr. Sponsel möchte ich mich anschließen. Diese o.g. Schlussfolgerungen enthalten nicht die Aussage von Herrn Gustl Mollath, dass er sich gewehrt hätte, es sich also um eine Notwehr gehandelt haben könnte. Die relativ leichten Verletzungen, wie die Blutergüsse können bekanntlich sehr schnell bei einer Abwehr von körperlichen Übergriffen insbes. bei einer Frau entstehen. Die Aussage:

(2) " Denn dass am 12.08.2001 etwas geschehen ist, das möglicherweise Verletzungen der Frau M. bewirkt hat, hat G.M. nun einmal selbst eingeräumt. "

Bei diesem Argument entsteht in Verbindung mit dem Ausklammern der Zeugenaussage von Gustl

Mollath, dass er sich nur gewehrt hätte, der nachhaltige Eindruck, dass das Eingeständnis von G.M.

mehr oder weniger ein sublimes Eingeständnis von G.M. für die angeblich begangene Körperverletzung ist.

Diese Argumentation ist m.E. tendenziös und ist und war geeignet eine Vorverurteilung, Verurteilung von G.M. vorzubereiten.

Über diese tendenziöse Interpretatins-Methode, wurde m.E. auch die nur teilweise Verweigerung von Gustl Mollath sich zu der Körperverletzung zu erklären, vom Gericht, vom Oberstaatsanwalt und m.E. auch dem Verteidiger gewertet und G.M. damit vorverurteilt.

Nochmals, ist und war es notwendig Details einer körperlichen Auseinandersetzung, einer möglichen, wenn nicht sogar sehr wahrscheindlichen Notwehr zwischen einer Frau und einem Mann, einem langjährigen Paar in aller Öffentlichkeit auszubreiten!

Gleichzeitig wurde das offensichtlich auffällige destruktive Verhalten der P3M keiner angemessenen kritischen und notwendigen gerichtlichen Prüfung unterzogen.

 

 

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