Fall Mollath - Einige Anmerkungen zur schriftlichen Urteilsbegründung des LG Regensburg

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 20.11.2014

Die schriftlich verfassten Gründe des noch nicht rechtskräftigen Urteils im wiederaufgenommenen Prozess gegen Gustl Mollath liegen seit 14 Tagen  vor.

Ein erster Blick in die mit 120 Seiten außergewöhnlich umfangreiche Begründung bestätigt meinen Eindruck aufgrund der Pressemitteilung am Tag der mündlichen Urteilsverkündung.

Damals hatte ich von einem „salomonischen Urteil“ geschrieben und bin dafür kritisiert worden. Vielleicht habe ich das Wort „salomonisch“ unangemessen gebraucht – gemeint war, dass dieses Urteil für Herrn Mollath einerseits einen Erfolg darstellt, andererseits auch nicht. Erfolgreich für ihn ist es insofern, als die jahrelange Unterbringung aufgrund einer nachgewiesenen gefährlichen Wahnerkrankung, Ergebnis des Urteils des LG Nürnberg-Fürth, nun vom LG Regensburg nachträglich als rechtsfehlerhaft zurückgewiesen wurde. Herr Mollath ist für die Unterbringungszeiten zu entschädigen.

Dieses Urteil ist aber nur Teil eines außergewöhnlichen Gesamterfolgs: Vor gut zwei Jahren, Anfang November 2012, war Herr Mollath ein seit sechseinhalb Jahren in der forensischen Psychiatrie Untergebrachter und nahezu ohne Chance in absehbarer Zeit freigelassen und rehabilitiert zu werden. Auf seiner Seite standen zwar schon damals einige private Unterstützer, eine Strafverteidigerin und einige Journalisten. Auf der Gegenseite, die ihn als nach wie vor gemeingefährlichen Wahnkranken ansah, standen aber nicht nur das seit 2007 rechtskräftige Urteil, sondern  auch seine Behandler in der Psychiatrie, mehrere psychiatrische Gutachter, die Strafjustiz an drei bayerischen Standorten und die zunächst noch vom Ministerpräsidenten gestützte bayerische Justizministerin. Gegen diese Institutionen hat Gustl Mollath im Verlauf eines knappen Jahres die Wiederaufnahme seines Strafverfahrens, und zwar in einmaliger Weise auf Antrag der Staatsanwaltschaft (!), die Freilassung aus der Unterbringung, eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde und nunmehr auch ein neues Urteil erreicht. Im Verlauf dieser Zeit wurden anhand des „Falls Mollath“ außerdem wichtige Fehlkonstruktionen aufgedeckt, was in ein Bundesgesetzgebungsverfahren (StGB) sowie ein Landesgesetzgebungsverfahren (Maßregelvollzugsgesetz) mündete. Ohne dies aktuell empirisch überprüft zu haben: Ein solcher Erfolg ist in der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte einmalig. Wer nun davon spricht (sei es auf Seiten Herrn Mollaths oder auf der Gegenseite), Herr Mollath sei insgesamt gescheitert, der hat einen verzerrten Blick auf die Wirklichkeit. Allerdings: Die verlorenen Jahre kann ihm niemand zurückgegeben; die zu erwartende Entschädigung kann diesen Verlust nicht ansatzweise ausgleichen.

Zugleich enthält das Urteil auch einen „Misserfolg“ für Gustl Mollath, weil  der schwerste Vorwurf, seine Frau am 12.08.2001 geschlagen, gebissen und gewürgt zu haben, als seine rechtswidrige Tat festgestellt wurde. Seiner Darstellung, diese Tat habe so gar nicht stattgefunden bzw. er habe sich nur gegen einen Angriff seiner Frau gewehrt, ist das LG Regensburg nicht gefolgt. Dieser Misserfolg fällt allerdings gegenüber den oben genannten Erfolgen geringer ins Gewicht.

Die  Beweiswürdigung zum Tatvorwurf am 12.08.2001, ausgeführt auf  mehr als 50 Seiten der Urteilsgründe, ist nicht nur ausführlich, sondern akribisch und auch logisch stimmig. Im Kern glaubt das Gericht den Angaben der Nebenklägerin, die sie im früheren Verfahren gemacht hat, und den Beobachtungen des Arztes, den sie zwei Tage nach der Tat aufsuchte. Eine sehr kritische Würdigung dieser Angaben war geboten, denn die Nebenklägerin hat in der Hauptverhandlung nicht ausgesagt, aber dennoch auf den geschilderten Vorwürfen beharrt. In einem Strafprozess, der als Prinzipien die Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung kennt, ist ein solches Aussageverhalten  problematisch. Der BGH hat es dennoch zugelassen, die früheren Angaben eines Hauptbelastungszeugen zu verwerten, auch wenn dieser  die Aussage in der Hauptverhandlung (berechtigt) verweigert. Allerdings erweist sich eine derartige Beweiswürdigung auch im Fall Mollath als bedenklich: Die schriftlich niedergelegten Angaben der Nebenklägerin konnten praktisch nur untereinander und indirekt über die Vernehmung von Drittzeugen geprüft werden, ohne dass die Nebenklägerin in Gefahr geraten konnte, sich bei Rückfragen  in Widersprüche zu verwickeln. Da das Gericht die Nebenklägerin nie persönlich gesehen hat, konnte ein Gesamteindruck der entscheidenden personalen „Quelle“ der Vorwürfe nicht gewonnen werden. Wenn sich das Gericht dann zentral auf die früheren Aussagen stützt, muss diese Würdigung mit Leerstellen auskommen, die positiv gefüllt werden. So spricht nach Auffassung des Gerichts für die Glaubhaftigkeit der Angaben zentral, dass die Nebenklägerin zum Zeitpunkt ihrer ersten Angaben über die Tat noch nicht die Absicht gehabt habe, sich von ihrem Mann zu trennen bzw. ihn anzuzeigen. Vielmehr habe sie ja noch Monate mit ihm zusammengelebt. Gerade dieser Umstand kann aber auch umgekehrt interpretiert werden: Dass sie noch so lange mit ihm zusammengeblieben ist, könnte eher gegen einen lebensgefährlichen Angriff sprechen. Welche Absicht die Nebenklägerin mit dem Attest positiv verfolgte, ist unbekannt. Dass es keine Motive gewesen sind, die dem Wahrheitsgehalt ihrer Angaben entgegenstanden, wird vom Gericht unterstellt. Dass die Gründe in der "Vorsorge" für ein späteres Scheidungsverfahren gelegen haben könnten, wird vom Gericht nicht diskutiert. Im Übrigen stützt sich die Kammer darauf, dass es sich bei den Tatschilderungen im Kern um konstante und darum auch zuverlässige Äußerungen handele. Das Konstanzkriterium ist allerdings ein recht schwaches Wahrheitsindiz, weil es auch einer lügenden Person ohne Weiteres gelingen kann, eine konstante Tatschilderung in mehreren Vernehmungen aufrecht zu erhalten. Angaben zum Randgeschehen (wie kam es zur Tat, was passierte vorher und nachher?) sind in den verwerteten Angaben nicht enthalten. Hierzu hätte es zur Aufklärung der mündlichen Vernehmung der Nebenklägerin bedurft.

Anders als die Nebenklägerin hat sich der Angeklagte als Beweismittel gegen sich selbst auch in der Hauptverhandlung zur Verfügung gestellt. Seine Äußerung, er habe sich gewehrt, wird vom Gericht dahingehend gewürdigt, dass es jedenfalls am 12.08.2001 zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen sein müsse. Diese Würdigung ist nachvollziehbar. Wenn es eine Auseinandersetzung gab, bei der sich der Angeklagte gewehrt hat, dann kann erwartet werden, dass dieser die Auseinandersetzung auch im Einzelnen schildert. Hierzu aber schwieg der Angeklagte in der Hauptverhandlung. Es trifft allerdings nicht zu, dass sich – wie das Gericht meint (S. 66) – die Verteidigungsstrategien Mollaths (einerseits: Verletzungen vom Sprung aus dem Auto, andererseits: Verletzungen von einer Gegenwehr) widersprechen: Es ist denkbar, dass beides zutrifft und die Verletzungen von der Nebenklägerin beim Arzt als von einem einzigen Ereignis herstammend geschildert wurden.

Zentral ist der Zeuge Reichel, nach dessen Aussage er die Nebenklägerin zwei Tage nach der vorgeworfenen Tat gesehen hat und Verletzungszeichen schildert, die zu den Schilderungen der Nebenklägerin passen. Auch hier bemüht sich die Kammer, eventuelle Zweifel gar nicht erst aufkommen zu lassen. [Update 22.02.2015: Das Zustandekommen des Attests und des zugrundeliegenden Krankenblattinhalts ist sowohl inhaltlich als auch datumsmäßig  nach wie vor nicht eindeutig nachvollziehbar, diesbezügliche Widersprüche in der Darstellung Reichels wurden in der HV nicht geklärt.]

Insbesondere bleibe ich bei meiner schon kurz nach dem Urteil geäußerten Auffassung, dass die Frage der gefährlichen Körperverletzung durch eine das Leben gefährdende Handlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) für mich nicht zweifelsfrei erwiesen ist. Da es keine Fotografien der Hämatome gibt, war das Gericht allein auf die – von ihm selbst eingeräumt – unzuverlässige Erinnerung des Arztes angewiesen und auf die durch den Arzt indirekt vermittelte Angabe der Nebenklägerin. Zum Würgen (auch mit Würgemalen) gibt es eine umfassende,  im Kern auch differenzierende Rechtsprechung. Die Schlussfolgerung, nicht näher dokumentierte Würgemale gingen in jedem Falle mit einer Lebensgefährdung einher, wird in der BGH-Rechtsprechung nicht geteilt. Die Angabe der Nebenklägerin, sie sei kurzfristig bewusstlos gewesen, beruht allein auf ihrer nicht überprüfbaren und auch von keinem weiteren objektiven Indiz bestätigten Angabe.

Das Gericht kommt hinsichtlich der Schudfrage zu dem Schluss, Herr Mollath habe am 12.08.2001 nicht ausschließbar unter Einfluss einer schwerwiegenden Störung gehandelt, die nicht ausschließbar zur Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB geführt habe. Obwohl dies in dubio pro reo zu einer Entlastung Mollaths führt, so dass er für den Angriff auf seine Frau weder bestraft noch untergebracht werden kann, wird diese Wertung von ihm als belastend empfunden. Ob diese subjektive Belastung als „Beschwer“ für eine Rechtsmittel (Revision) genügt, wird sicherlich Gegenstand der Begründung des von Mollath und seinem neuen Verteidiger eingelegten Rechtsmittels  sein.

Ohne auf diese verfahrensrechtliche Frage näher eingehen zu wollen, kann man aber bezweifeln, dass die materiellen Maßstäbe, die das Gericht hier an eine Subsumtion der Merkmale des § 20 StGB (und sei es auch nur in dubio pro reo) angelegt hat, zutreffend sind.

Diese Maßstäbe werden üblicherweise recht eng gesehen: Es genügen eben nicht schon jegliche Anhaltspunkte oder die bloße Nicht-Ausschließbarkeit einer Störung zur Tatzeit, um dann per Zweifelsgrundsatz eine Exkulpation vorzunehmen. Hier hat das Gericht den Zweifelsgrundsatz doppelt wirken lassen: Erstens hinsichtlich der Frage, ob an dem Tag überhaupt eine schwerwiegende Störung vorlag und zweitens dahingehend, dass diese Störung zum Ausschluss der Steuerungsfähigkeit geführt hat. Regelmäßig sind auch psychiatrische Sachverständige nicht in der Lage, einen vorhandenen Zustand „zurückzurechnen“. Hier hat der Sachverständige weder über ein aktuelle Exploration verfügt noch über Aktenmaterial mit Begutachtungen, die zeitnah zum 12.08.2001 auf eine Störung hinwiesen. Er hat deutlich gemacht, dass man von ihm praktisch Unmögliches verlangt, wenn man erwarte, er könne eine belastbare Einschätzung zu einem 13 Jahre zurückliegenden Zeitpunkt abgeben. Das Gericht hat sich über diese Bedenken hinweggesetzt und den Sachverständigen Nedopil stärker interpretiert als es seiner Stellungnahme nach angemessen war. Natürlich kann er eine Schuldunfähigkeit vor 13 Jahren nicht „ausschließen“. Das kann niemand über den Zustand eines Menschen sagen, den er zum damaligen Zeitpunkt nicht gekannt bzw. gesehen hat. Aber für eine (wenn auch nur aufgrund des Zweifelssatzes) vorgenommene Annahme der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB reicht dieses Nichtwissen normalerweise nicht aus. Die vom Gericht für eine solche Störung aufgeführten Indizien stammen zu einem großen Teil aus der Zeit nach der Trennung der Eheleute und können daher nicht eine Tatwirksamkeit für den August 2001 belegen. Das Gericht meint, der zeitliche Zusammenhang sei „sehr eng“(S. 81), jedoch ist der situationale Zusammenhang eher fern, soweit viele weitere geschilderte Verhaltensauffälligkeiten erst nach dem Auszug der Nebenklägerin aus der gemeinsamen Wohnung auftraten. Eine belastende psychodynamische Ausnahmesituation kommt praktisch in jeder Ehekrise auf beide Partner zu. Nach dieser Logik müssten eine große Anzahl Fälle häuslicher Gewalt unter dem Blickwinkel nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit betrachtet werden.

Die Beweiswürdigung zu den anderen Tatvorwürfen hingegen stimmt mit meiner Einschätzung nach der Hauptverhandlung überein.

Das noch nicht rechtskräftige Urteil kann hier nachgelesen werden: Urteil des LG Regensburg

Hinweis: Der Kommentarbereich mit fast 2000 Kommentaren ist nun für neue Kommentare geschlossen.

Mit dem Fall Mollath zusammenhängende Fragen werden jedoch von mir weiter verfolgt. Schon für demnächst ist ein  Beitrag zur (speziellen) Frage der Revisionszulässigkeit geplant. Zu dieser Frage kann dann auch wieder diskutiert werden. 

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1753 Kommentare

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Sehr geehrter Herr Professor Dr. Müller,

Herrn Erwin Brixler möchte ich mich anschließen und wünsche Ihnen, Ihrer Familie ein gesegnetes

Weihnachten und Ihnen persönlich und auch für Ihre wertvolle Lehrtätigkeit und Blog-Arbeit alles

erdenklich Gute! Ich hoffe, dass dieser Blog fortgeführt wird und nicht abrupt ohne Vorankündigung,

wie bereits einemal geschehen, geschlossen wird. Die Entscheidung über eine notwendige Revision

ist ja noch offen und viele Kommentatoren haben sicherlich, weiterhin Pro und Kontra im Fall Mollath

und zum Urteil im WA-Verfahren Wichtiges beizutragen. Ihr Blog dient auch zur Weiterentwickung der Rechtsprechung und zur Wahrung und Weiterentwicklung unseres Rechtsstaates!

Falls Ihr wertvoller Blog doch vor Beendigung der notwendigen Diskussion geschlossen wird, können Kommentatoren in NürnbergWiki- Der Fall Mollath- Diskussionsbeiträge, allerdings unter Nennung Ihres Namens posten. Auch im Opa-blog wurde der Fall Mollath behandelt, fortlaufend aktualisiert

und kommentiert!

Allen Kommentatoren ebenfalls alles Gute für das Neue Jahr!

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@ #12

Ebenso kann ich in Ihren Ausführungen zu § 184 GVG oder "im Namen des Volkes" keinerlei Definition oder Kriterien für das von Ihnen vertretene Ergebnis entnehmen.

Unter diesen Voraussetzungen ist es schon ein starkes Stück, wenn Sie mir so etwas zum Vorwurf machen.

Aber im Interesse einer konstruktiven Diskussion: Entnehme ich Ihrer Frageweise zu Recht, dass Sie davon ausgehen, der BGH hätte keinerlei Definition oder Kriterien für Glaubwürdigkeit oder Glaubhaftigkeit aufgestellt? Sollte das zutreffen, wie verhält sich Ihre Auffassung zu BGH Urteil vom 30.07.1999, Az. 1 StR 618/98?

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Sie scheinen auch die allgemeine Beweislast für Begriffsverwendungen nicht zu verstehen 

Warum entwickelln Sie nicht ein wenig Mut und geben einfach an, wovon Sie meinen, dass es zu den Begriffsinhalten zählt?

MT schrieb:

@ #12

Ebenso kann ich in Ihren Ausführungen zu § 184 GVG oder "im Namen des Volkes" keinerlei Definition oder Kriterien für das von Ihnen vertretene Ergebnis entnehmen.

Unter diesen Voraussetzungen ist es schon ein starkes Stück, wenn Sie mir so etwas zum Vorwurf machen.

Aber im Interesse einer konstruktiven Diskussion: Entnehme ich Ihrer Frageweise zu Recht, dass Sie davon ausgehen, der BGH hätte keinerlei Definition oder Kriterien für Glaubwürdigkeit oder Glaubhaftigkeit aufgestellt? Sollte das zutreffen, wie verhält sich Ihre Auffassung zu BGH Urteil vom 30.07.1999, Az. 1 StR 618/98?

Wieder ein schönes Beispiel für eine - diesmal sogar noch rhetorische - Suggestivfrage:

"Entnehme ich Ihrer Frageweise zu Recht, dass Sie davon ausgehen, der BGH hätte keinerlei Definition oder Kriterien für Glaubwürdigkeit oder Glaubhaftigkeit aufgestellt?"

Also nochmal ganz im Sinne einer konstruktiven Auseinandersetzung: Sagen Sie einfach, was nach Ihrem kleinen 1x1 die Begriffsinhalte (Definition) von Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit sind. Also nicht so viel herumeiern, sondern liefern wäre ein überzeugender Schachzug, mit dem Sie jeden Zweifel ausschließbar ausräumen könnten.

 

 

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@ #19

Umfang und Grenzen der Glaubhaftigkeitsprüfung (ich habe nie von Definitionen und Kriterien gesprochen) sind in dem bereits zitierten Dokument, S. 9 - 15, beschrieben. Das Dokument dient, wie Sie dem Text entnehmen können, der Vorbereitung auf die Assessoklausuren, also dem 2. Staatsexamen. Ich sehe aus Platzgründen davon ab, das Dokument hier zu zitieren.

http://www.str1.jura.uni-erlangen.de/forschung/jahn/Glaubhaftigkeitsbeur...

Und wenn Sie jetzt nicht damit hinter dem Berg vorkommen, was Sie bezwecken, erlasse ich Versäumnisurteil.

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Was soll glaubwürdig heißen? Welche Kriterien gibt es? Wie prüft man sie?

MT schrieb:

@ #19

Umfang und Grenzen der Glaubhaftigkeitsprüfung (ich habe nie von Definitionen und Kriterien gesprochen) sind in dem bereits zitierten Dokument, S. 9 - 15, beschrieben. Das Dokument dient, wie Sie dem Text entnehmen können, der Vorbereitung auf die Assessoklausuren, also dem 2. Staatsexamen. Ich sehe aus Platzgründen davon ab, das Dokument hier zu zitieren.

http://www.str1.jura.uni-erlangen.de/forschung/jahn/Glaubhaftigkeitsbeur...

Und wenn Sie jetzt nicht damit hinter dem Berg vorkommen, was Sie bezwecken, erlasse ich Versäumnisurteil.

Na immerhin haben Sie Humor, das ist schon einmal ein Viertel der Miete. Ich bezwecke lediglich, dass Sie  Ihr 1x1 zu Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit zeigen. Das scheint Ihnen aber nicht möglich, was zwei Deutungsmöglichkeit zulässt: Sie können es nicht oder Sie wollen es nicht zeigen.

Nun sagen Sie, Sie möchten nicht von Definitionen und Kriterien sprechen, sondern Sie möchten über die Begriffe und Sachverhalte hinwegmeinen, also über Worthülsen frei dahin schwadronieren. Darauf mag ich mich aber nicht weiter einlassen. Dazu ist mir die Problematik zu ernst und wichtig.

Die zitierte Arbeit von RA Jahn ist interessant und kundig, aber sie zeigt auch erhebliche Mängel. Die Arbeit vermeidet nämlich eine Glaubwürdigkeitdefinition oder Merkmalsbeschreibung / Kriterien durch Zitat (S. 7, Fußnote 27: Grundlegend Nack  Kriminalistik 1995, 257; Arntzen DRiZ 1971, 276; Leferenz in: Handbuch der forensischen Psychiatrie, 1972, S. 1314 ff.), aber immerhin mit genauer Fundstelle. Das ist mehr als uns das LG bietet und eine insofern sehr interessante Variante, die mir bisher noch gar nicht aufgefallen war, wie man inhaltlichen Bestimmungen entgehen kann. Ich habe davon nur Leferenz [Jurist, Psychiater, 1. Kriminologie-Prof in D], "2.1. Allgemeine Glaubwürdigkeit" überprüft, dessen Ausführungen S. 1317 hinten und vorne nicht genügen. Und die Ausführungen S. 1325-1327 zeigen nur die alten Vorurteile: un/glaubwürdig, also un/glaubhaft.

Offensichtlich begreift man den einfachen Sachverhalt nur schwer, dass es ebenso gute Gründe zu lügen für den Gewissenhaften wie für den Gewissenlosen gibt. Der Gewissenhafte erträgt sich nicht als schlechter Mensch (korrekter: Mensch mit schlechtem Verhalten), daher war er es nicht, darf er es nicht gewesen sein und darum lügt er, umso mehr, wenn es öffentlich, z.B. vor Gericht ist. Der Gewissenlose lügt ohne alle Probleme und daher vielleicht dem Eindruck nach besonders überzeugend.

Im wesentlichen behandelt Jahns Arbeit einen Teil der aussagepsychologischen Realkennzeichen und - verdienstvollerweise - die hypothesenorientierte Methodik für Glaubhaftigkeit. Er nennt aber nur die Worthülse Glaubwürdigkeit und ergreift die Flucht vor dem Inhalt durch Zitieren - wie Sie auch.

Das LG benutzt an 27 Textstellen glaubwürdig und glaubhaft. Darum geht es in unserer Diskussion Daher geht es um die Unterscheidung und die Beziehung glaubwürdig und glaubhaft.  Die ist schwierig geworden, seit nicht mehr gilt: glaubwürdig, also glaubhaft bzw. unglaubwürdig, also nicht glaubhaft. Man kann diese Beziehung nicht untersuchen, wenn man gar nicht weiß, was "glaubwürdig" sein soll.

In den Fußnoten wird verschmiert (glaubhaft und glaubwürdig verwischt). Es wird nicht klar, was davon nun juristisch aussagemethologisch zählen soll. Für das LG spielt das aber auch gar keine Rolle, weil ja noch nicht einmal das Jahrhunderturteil zur Aussagepsychologie erwähnt, geschweige angewendet hat.

Anmerkung: Die von Jahn erwähnten Lügenmerkmale halte ich für gefährlich und empirisch nicht fundiert.

Um die Titelfrage abschließend zu beantworten: Die einfachste und - vielleicht deshalb - am häufigsten angewandte Methode in der Justiz und forensischen Psychiatrie ist das Meinen - am besten in ein 1x1 verkleidet, das man nicht aufsagen kann oder mag. Auch ein guter Trick, um inhaltlicher Bestimmung zu entfliehen: man sagt einfach, das ist 1x1.

Immerhin habe ich durch diese Auseinandersetzung wieder etwas gelernt, nämlich wie man durch Zitieren inhaltlichen Bestimmungen aus dem Weg gehen kann. So gesehen: besten Dank. Das 1x1 des LG zur Glaubwürdigkeit lege ich bald vor.

Vom deutschen Maßregelvollzug nach Guantánamo ist es nur ein kleiner Schritt.

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Nicht nur das Werk und Versagen einzelner, sondern des bayerischen Justizsystems

Noname schrieb:

Vom deutschen Maßregelvollzug nach Guantánamo ist es nur ein kleiner Schritt.

Ja, das habe ich gerade in der Thomas Fischers Rezension von Dr. Strates Buch in der ZEIT gelesen. Eine bemerkenwerte Kritik des BGH Richters, der die bayerische Justit, aus der er ja kommt, ordentlich zur Brust nimmt.

Im übrigen geht er mit Erwin Bixlers Kritik auf Amazon konform, wenn er Dr. Strates Buch - bei aller positiver Würdigung -  darin kritisiert, dass das Justizversagen keineswegs nur als das Werk und Versagen einzelner anzusehen ist; hier ist das System marode. Das sagt nicht Sponsel oder der UnterstützerInnenkreis, das sagt kein Geringerer als eben dieser prominente BGH Richter Thomas Fischer, der "sein" Bayern und dessen Strukturen kennt.

 

 

 

 

 

 

 

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Genauso habe ich Thomas Fischer auch in seiner Kritik an Norbert Blüms Buch verstanden. Auch dort ging es ihm um das marode System. Besonders gestört hatte er sich daran, dass jemand, der die Missstände politisch mitgestaltet hatte, auf einmal den Ahnungslosen macht.

Aber zurück zum Urteil:

Ich bin gerade noch einmal die Liste der klassischen Lügen-Indikatoren durchgegangen (auf den Link von MT hin). Kargheit, Abstraktheit und Detailarmut hatte schon Professor Müller kurz angerissen. Was mir aber jetzt noch dazu auffiel, war, dass die Nebenklägerin in allen ihren Angaben nie davon sprach, wie sie sich selbst bei den einzelnen Tathandlungen verhalten habe, wie sie reagiert habe, auch verbal, keine Flucht- und Abwehrversuche, keine Aufforderungen an den Angeklagten (lass mich in Ruhe!, du tust mir weh!, bist du denn verrückt geworden?), keine Schreie, kein Weinen u.s.w. Ist das nicht sehr ungewöhnlich und merkwürdig?

Eine andere Frage ist, ob das ein Rechtfehler ist, wenn die Kammer das nicht erkannt hat.

WR Kolos schrieb:

Genauso habe ich Thomas Fischer auch in seiner Kritik an Norbert Blüms Buch verstanden. Auch dort ging es ihm um das marode System. Besonders gestört hatte er sich daran, dass jemand, der die Missstände politisch mitgestaltet hatte, auf einmal den Ahnungslosen macht.

Aber zurück zum Urteil:

Ich bin gerade noch einmal die Liste der klassischen Lügen-Indikatoren durchgegangen (auf den Link von MT hin). Kargheit, Abstraktheit und Detailarmut hatte schon Professor Müller kurz angerissen. Was mir aber jetzt noch dazu auffiel, war, dass die Nebenklägerin in allen ihren Angaben nie davon sprach, wie sie sich selbst bei den einzelnen Tathandlungen verhalten habe, wie sie reagiert habe, auch verbal, keine Flucht- und Abwehrversuche, keine Aufforderungen an den Angeklagten (lass mich in Ruhe!, du tust mir weh!, bist du denn verrückt geworden?), keine Schreie, kein Weinen u.s.w. Ist das nicht sehr ungewöhnlich und merkwürdig?

Eine andere Frage ist, ob das ein Rechtfehler ist, wenn die Kammer das nicht erkannt hat.

Ging mir gerade nur so durch den Kopf, trifft das von Ihnen geschilderte Aussagenverhalten nicht auch auf die Aussagen der Zeugin Simbek zu?

War es nicht z.B. ( ich kann jetzt keine Seiten dazu zitieren, bin mir aber dennoch sicher) so, dass man ihr (Simbek) in der WAV ihre Aussagen zum Thema, er hat sie (P3M) freiheitsberaubt, als sie ihre Sachen holen wollte, auch deshalb nicht "abgekauft" hat, weil sie (Simbek) nicht glaubhaft genug schildern konnte, wie sie sich dabei verhalten hat (also fuhr sie gleich mit dort hin oder kam sie später nach, wenn ja, wann, was hatte sie diesbezüglich mit P3M vorher ausgemacht, wie war es, als sie dort klopfte, klopfte sie überhaupt, wer hat geöffnet oder wie oder was ?

Hatte Simbek denn in den Aussagen, die ihr das Gericht in Regensburg geglaubt HAT, mehr Fleisch an die Knochen geliefert, was eben ein solches normales Aussageverhalten betrifft?

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WR Kolos schrieb:

Genauso habe ich Thomas Fischer auch in seiner Kritik an Norbert Blüms Buch verstanden. Auch dort ging es ihm um das marode System. Besonders gestört hatte er sich daran, dass jemand, der die Missstände politisch mitgestaltet hatte, auf einmal den Ahnungslosen macht.

Aber zurück zum Urteil:

Ich bin gerade noch einmal die Liste der klassischen Lügen-Indikatoren durchgegangen (auf den Link von MT hin). Kargheit, Abstraktheit und Detailarmut hatte schon Professor Müller kurz angerissen. Was mir aber jetzt noch dazu auffiel, war, dass die Nebenklägerin in allen ihren Angaben nie davon sprach, wie sie sich selbst bei den einzelnen Tathandlungen verhalten habe, wie sie reagiert habe, auch verbal, keine Flucht- und Abwehrversuche, keine Aufforderungen an den Angeklagten (lass mich in Ruhe!, du tust mir weh!, bist du denn verrückt geworden?), keine Schreie, kein Weinen u.s.w. Ist das nicht sehr ungewöhnlich und merkwürdig?

Eine andere Frage ist, ob das ein Rechtfehler ist, wenn die Kammer das nicht erkannt hat.

Ging mir gerade nur so durch den Kopf, trifft das von Ihnen geschilderte Aussagenverhalten nicht auch auf die Aussagen der Zeugin Simbek zu?

War es nicht z.B. ( ich kann jetzt keine Seiten dazu zitieren, bin mir aber dennoch sicher) so, dass man ihr (Simbek) in der WAV ihre Aussagen zum Thema, er hat sie (P3M) freiheitsberaubt, als sie ihre Sachen holen wollte, auch deshalb nicht "abgekauft" hat, weil sie (Simbek) nicht glaubhaft genug schildern konnte, wie sie sich dabei verhalten hat (also fuhr sie gleich mit dort hin oder kam sie später nach, wenn ja, wann, was hatte sie diesbezüglich mit P3M vorher ausgemacht, wie war es, als sie dort klopfte, klopfte sie überhaupt, wer hat geöffnet oder wie oder was ?

Hatte Simbek denn in den Aussagen, die ihr das Gericht in Regensburg geglaubt HAT, mehr Fleisch an die Knochen geliefert, was eben ein solches normales Aussageverhalten betrifft?

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@ #24

"Mein" Ein Mal Eins - ich behaupte keinesfalls, der Urheber zu sein -  habe ich Ihnen gezeigt. Es entspricht im wesentlichen dem, was Jahn ausführt. Solche Ausführungen finden sich aber - wie ich schon schrieb - in jedem mittelmäßigen Buch zum Referendariat. Und eben da kommt "mein" Ein Mal Eins her.

Sie versuchen es ja wirklich mit der rhetorischen Brechstange, die Diskussion auf Ihr Prämissenterritorium zu bekommen. Ich habe gesagt, was ich gesagt habe. Nicht das, was Sie meinen, was ich gesagt habe.

Soweit Sie eine Glaubhaftigkeitsdefinition bzw. Merkmalsbeschreibung vermissen, darf ich messerscharf auf meine #20 verweisen, "Glaubhaftigkeitsprüfung". Aber ganz Unrecht geben kann ich Ihnen auch nicht: Die Glaubwürdigkeit wird meines Wissens nach in der Rechtswissenschaft bzw -praxis eher stiefmütterlich behandelt. Das liegt ganz einfach daran, dass schon sehr gewichtige Gründe vorliegen müssen, um rechtlich zu einer Unglaubwürdigkeit zu kommen. Denn dadurch wird immerhin die ganze Aussage aus der Beweiswürdigung "herausfallen", ohne dass eine inhaltliche Auseinandersetzung damit stattfindet. Das Schulbeispiel ist der vielfach wegen Falschaussage vorbestrafte Täter.

Die Formel "unglaubwürdig = unglaubhaft" ist nach der Rechtsprechung nicht mehr vertretbar. Deshalb Jahn, S. 7: "Nur ein Indiz für die Glaubhaftigkeit der Aussage kann demnach die allgemeine Glaubwürdigkeit des Zeugen sein.", wobei ich selbst das für zweifelhaft halte.

Es bleibt zu resümieren: das kleine Juristen Ein mal Eins mag nicht in allen Ihren wissenschaftlichen Anforderungen an die Aussagepsychologie genügen. Zumindest aber existiert es, im Gegensatz zu Ihren Definitionen und Kriterien zu § 184 GVG.

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Korrektur zu #28: "vielfach wegen Falschaussage vorbestrafte Zeuge"

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 Nochmalige Korrektur zu #28: "Soweit Sie ein Glaubwürdigkeitsdefinition". Ich sollte mir ein Benutzerkonto zulegen.

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Fundstellen-Dokumentation: un/glaubwürdig, un/glaubhaft, überzeugend, kein(e) Zweifel

a  un/Glaubhaft - in welchen Textstellen kommt glaubhaft vor? [83 Fundstellen]

b  un/Glaubhaft - in welchen Textstellen kommt nur glaubhaft und nicht glaubwürdig vor? [56 Fundstellen]

c  un/Glaubwürdig - in welchen Stellen kommt glaubwürdig vor? [33 Fundstellen]

d  un/Glaubwürdig - in welchen Stellen kommt nur glaubwürdig und nicht glaubhaft vor? [6 Fundstellen]

e  un/Glaubhaft und un/glaubwürdig - in welchen Textstellen kommen beide vor? [27 Fundstellen]

f   Ein Sonderfall ist die Verwendung von "überzeugend" oder "nicht überzeugend" bei Aussagen. [36 Fundstellen]

g  Kein(e) Zweifel [21 Fundstellen]

Es wurden insgesamt 83+56+33+6+27+36+21=262 gefunden. Die Gesamtauswertung, die im Teil 4 Beweismethodik veröffentlicht werden wird, wird noch mindestens einen halben Tag in Anspruch nehmen.

http://www.sgipt.org/forpsy/Mollath/ipgipt/wa/HS04_GlaubHW.htm

Das Urteil im WA-Verfahren ein Glaubensbekenntnis?
Nach der Analyse von Dr. Sponsel kommen 262 Aussagen in Bezug auf Glauben vor! "Glaubhaft, unglaubhaft, Glaubwürdig, unglaubwürdig, überzeugend, nicht überzeugend" vor. Der Oberstaatsanwalt spricht auch von Glauben: "Ich glaube der Ex-Frau, weil ich an ein Klompott nicht glauben kann und darf".
Hat das Urteil mit Wahrheitsfindung oder mit einem Glauben zu tun? Glauben bedeutet bekanntlich nicht zu wissen (oder nicht wissen, nicht w a h r n e h m e n zu wollen!). Allein diese Analyse, ohne das Tatgeschehen zu beurteilen, spricht für den Rechtsgrundsatz " Im Zweifel für den Angeklagten". Bei 262 Aussagen über "Glauben" ist deutlich zu erkennen, dass sich das Gericht sehr schwer tut, das Urteil "glaubhaft" zu begründen. Es tut es nicht! Um zu einem gerechten Urteil zu kommen, ist
das Verhalten der Menschen l e b e n s n a h  wahrzunehmen. Das Urteil und die Urteilsbegründung erreicht dies nicht, auch nicht das viereinhalbstündige Plädoyer des Oberstaatsanwalts, in dem vielfach versucht wird  "Lebensnähe"  Eine lebensnahe Wahrheitsfindung und gerechte, objektive Bewertung menschlichen (Fehl)Verhalten setzt als Basis  einen kritischen und realistischen Menschenverstand voraus und ebenfalls Glaubwürdigkeit und Integrität der Verfahrensbeteiligten voraus.
Statt das Verhalten der Beteiligten lebensnah und realistisch zu beurteilen, wie es jeder Bürger dieses Landes tagtäglich in seiner Arbeit, seiner Familie, im sozialen Leben leisten muss und eine lebensnahe Rechtsprechung "Im Namen des Volkes" zu Recht erwarten kann, wurde im WA-Verfahren
ein Glaubensbekenntnis ausgesprochen, daß lebensfremd ist, weil es das Menschsein der Beteiligten, die offensichtlichen Lebenszusammenhänge, Verstrickungen und menschlichen Abgründe,
 Interessen und Hintergründe bewußt nicht wahrnehmen nicht realisieren will! Eine Verkennung der lebensnahen und bekannten Zusammenhänge im Fall Mollath, ein Realitätsverlust?
Wie kann ein deutsches Gericht so leicht einer Frau Glauben schenken trotz 262 Glaubenssätze, die Herrn Gustl Mollath ursächlich und widerrechtlich  s i e b e n  Jahre in die Unmenschlichkeit der Forensik weggeräumt hat und ihn systematisch und eifrig belastet hat? Wie kann dieses Fehlurteil
in einem W i e d e r aufnahmeverfahren zustande kommen, wenn die Hauptbelastungszeugin nicht aussagt und Ihre angebliche Glaubwürdigkeit und ihre unterstellten glaubhaften Aussagen im vornherein nicht geprüft werden können! Welcher Nonsens, für mich unglaublich!
Bekanntlich ist die deutsche Sprache sehr deutlich."Glaub-würdig" kommt von Würde, bezieht sich also auf eine integre Person, die sich moralisch, ethisch korrekt verhält. Eine Aussage einer unglaubwürdigen Person für glaubhaft zu erachten, ohne das Verhalten, die Glaubwürdigkeit, Integrität dieser Person zu reflektieren und zu bewerten ist nicht nur naiv, sondern ..............
Das Fehlurteil im WA-Verfahren ist zustande gekommen, weil das Verhalten, die Integrität bzw. Destruktivität  der Hauptbelastungszeugnis so gut wie nicht vom Landgericht wahrgenommen, bewertet sondern ausgeklammert wurde. Es stellt sich die Frage, weshalb dies auch von dem Wiederaufnahmegericht nicht geleistet wurde.

Dem wissenschaftlichen Ansatz/Weg von Dr. Sponsel kommt durchaus bei der Analyse der Urteilsbegründung eine Bedeutung zu, wie dies durch diesen Beitrag deutlich wird. Die Erkenntnisse dieser Analysen müßten jedoch, wie Dr. Sponsel angekündigt hat, noch deutlicher und konkreter mit den Fakten und Aussagen in der Causa Mollath und der  Urteilsbegründung zusammengebracht und nachgewiesen werden.
Allein die "Konstanztheorie", die der Oberstaatsanwalt versucht hat, glaubhaft zu machen, ist ein Glaubenssatz, der der Lebenswirklichkeit widerspricht; "Ein raffinierter Lügner überlegt sich vorher genau, an welche Lügen er sich konsequent zu halten hat, um glaubwürdig zu sein."

Schon als Kind habe ich nicht an den Weihnachtsmann geglaubt. Gerne würde ich die Rechtsprechung und Rechtstaatlichkeit  wahrnehmen und als Folge davon vertrauen.
Dieses Vertrauen im Fall Mollath wiederherzustellen, ist nur über eine Revision  möglich.

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Nach Suchworten echt verschieden sind davon 173 Textstellen, nämlich a+c+f+g = 83+33+36+21

Menschenrechtler schrieb:

Wie kann ein deutsches Gericht so leicht einer Frau Glauben schenken trotz 262 Glaubenssätze, die Herrn Gustl Mollath ursächlich und widerrechtlich  s i e b e n  Jahre in die Unmenschlichkeit der Forensik weggeräumt hat und ihn systematisch und eifrig belastet hat?

Die Kategorie "Glaubhaft" lässt sich nicht vernünftig grundsätzlich angreifen, da sich für jede Aussage die Frage stellt ; glaubhaft, nicht glaubhaft, teilweise glaubhaft, nicht feststellbar glaubhaft (also keine zweiwertige Logik mit WAHR oder FALSCH, sondern eine praktisch angemessene vierwertige). Akzeptiert man dies nicht, müsste man auf jede Aussage verzichten, was absurd ist.

Das Gericht verwendet auch einige Kriterien, ich habe für glaubhaft inzwischen mindestens 10 gefunden. Meine Kritik ist, wenn ich mal als Psychologe sprechen darf, das ich es als eine ziemliche Zumutung empfinde, wie eine Ratte aus dem Lernlabor mühsam zu erschließen, was das Gericht für Kriterien hat, statt diese einmal klar vorneweg zu benennen. Hier schläft aber auch der BGH, der natürlich längst ein Glossar der Grundbegriffe ins Netz hätte stellen können und sollen.

Ich schlage vor, dass zur richtigen Diskussion dieser Methode die Gesamtauswertung abgewartet wird, für die ich inzwischen eine kompakte und übersichtliche Darstellung gefunden habe. Es wird nach 5 Kriterien pro Textstelle ausgewertet, so dass jede Textstelle 001-173 nach einem 5-stelligen Zifferncode ausgewertet wird:

  1. die erste Ziffer Begriff erklärt=1 oder nicht erklärt=0;
  2. die zweite Ziffer Kriterium/en  genannt=1 oder nicht genannt 0;
  3. die dritte Ziffer Ausprägung zur Erfüllung des Kriteriums genannt=1 oder nicht genannt =0;
  4. die vierte Ziffer Methode der Erfassung angegeben=1 oder nicht angegeben =0;
  5. die fünfte Ziffer sonstige Information=1 oder nicht.

Jede Auswertungzelle erhält einen Eintrag folgender Form, damit eine übersichtliche, wenn auch kodiert-kompakte Darstellung möglich ist: zzz:ddddd, wobei zzz= 1 bis 173 und d= 1 (Ja, erfüllt) oder d=0 (Nein, nicht erfüllt)

 

 

 

 

 

@SPonsel.
Auch wenn Sie immer wieder damit ankommen, weil Sie es immer noch nicht verstanden haben:

Das "Jahrhunderturteil" muss man nicht in einem Urteil zitieren. In der Regel enthält ein Urteil im Feststellungs- und Beweiswürdigungsteil wenig bis überhaupt keine Rechtsausführungen und deshalb wird dort auch nicht, was Sie offenbar für unabdingbaren Nachweis wissenschaftlicher Urteilsfällung ansehen, zitiert, bis der Computer qualmt.  
Abgesehen davon, dass sich das Jahrhunderturteil nicht mit der Glaubhaftigkeitsbeurteilung durch den Richter, sondern mit den Qualitätsanforderungen an aussagepsychologische Begutachtung befasst.
Den Richtern wird, und das würden Sie bei einer Recherche auch merken, "nur" abverlangt, dass insbesondere bei kritischen Aussagesituationen ("Aussage gegen Aussage" und "Aussage gegen Schweigen" meist ohne wesentliche andere Beweismittel/Indizien) z.B. die Aussagen des Zeugen im Urteil detaillierter dargestellt werden, damit das Revisionsgericht prüfen kann, ob die Aussage tatsächlich die erstgerichtlich attestierten Glaubhaftigkeitskriterien (z.B. Konstanz im Kerngeschehen)  aufweist. Ansonsten verlangt kein BGH_Senat, und zwar weder der verrufene Nack-Senat noch der mit dem sehr aktiv zu Beweiswürdigungsfragen publizierenden Eschelbach besetzte 2. Senat  eine Darstellung der Kriterien nebst Fundstellen bei Nack/Greuel/Arntzen oder ein Zitieren der "Jahrhundertentscheidung".

4

Ich denke, die folgenden Leitsätze aus BGH Urteil vom 28. Oktober 2010, Az 4 StR 285/10, gehören gerade mal in die Diskussion gestellt:

Quote:

1. Eine Beweiswürdigung kann ihrer Natur nach nicht in dem Sinne erschöpfend sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten in den Urteilsgründen ausdrücklich abgehandelt werden. Dies ist von Rechts wegen nicht zu verlangen. Aus einzelnen denkbaren oder tatsächlichen Lücken in der ausdrücklichen Erörterung kann nicht abgeleitet werden, der Tatrichter habe nach den sonstigen Urteilsfeststellungen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht (BGH, Urteil vom 23. Juni 2010 - 2 StR 35/10).

2. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.).

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MT schrieb:

Ich denke, die folgenden Leitsätze aus BGH Urteil vom 28. Oktober 2010, Az 4 StR 285/10, gehören gerade mal in die Diskussion gestellt:

Quote:

1. Eine Beweiswürdigung kann ihrer Natur nach nicht in dem Sinne erschöpfend sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten in den Urteilsgründen ausdrücklich abgehandelt werden. Dies ist von Rechts wegen nicht zu verlangen. Aus einzelnen denkbaren oder tatsächlichen Lücken in der ausdrücklichen Erörterung kann nicht abgeleitet werden, der Tatrichter habe nach den sonstigen Urteilsfeststellungen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht (BGH, Urteil vom 23. Juni 2010 - 2 StR 35/10).

2. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.).


Dieses Effizienzargument desBGH darf halt nicht zur Beliebigkeit der richterlichen Beweiswürdigung missbraucht werden. Die Analyse des Urteils wird hierzu noch Einiges hervorbringen. Zum IT-Bericht und der "elektronischen Patientendatei" werde ich das noch beispielhaft und objektiv nachweisen.

5

@all

Ich verstehe die Diskussion hier als Mediation. Gegenstand ist nicht nur der Fall Mollath, sondern daran angelehnt sind grundsätzliche Fragen zu den Aufgaben und dem Zustand unseres Rechtssystems. Insbesondere dem "Mediator" Professor Müller danke ich dafür, dass er dieses Forum ermöglicht und sich mit viel Engagement einbringt. Für 2015 bleibt noch Vieles zu diskutieren und hoffentlich auch Erkenntnisse in die Rechtswirklichkeit zu übertragen. Ich wünsche Allen hier besinnliche Feiertage.

Herzliche Grüsse

Lutz Lippke 

5

@23 Kolos, vom 23.12.14

 

Ja, Herr Kolos, Sie haben Recht, wie so oft, P3M liefert bis auf die konkreten Tatvorwürfe keinerlei Umstandsbeschreibungen.

 

Ganz im Gegenteil, die Angriffe von Mollath seien „überfallartig“ erfolgt. Ich habe mir beim Lesen von Strates Buch schon überlegt ob man ihm nicht ursprünglich, anstelle der gefährlichen KV, „versuchten Mord“ andichten wollte. Dazu würde passen, dass „überfallartige Attacken“ als Heimtücke gelten, die für das Tatmerkmal eines Mordversuchs wichtig sind. Der Polizei gegenüber hat P3M ja auch einmal eine ausführliche „Mordansage“ von Mollath erwähnt, die dann aus terminlichen Gründen von P3M nicht mehr protokolliert werden konnte. – Wurde sie eigentlich später einmal protokolliert und von P3M unterschrieben?

 

Der Sturz aus dem Auto, wenige Tage vor der gefährlichen KV könnte anfänglich auch als überfallartiger Stoß aus dem fahrenden Auto geplant gewesen sein.

 

Nur einmal gibt es eine Umstandsbeschreibung und eine verbale Kommunikation zu Mollaths Taten, da wirft ihm P3M vor sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt zu haben, wobei Mollath geantwortet haben soll, sie wäre durch die Würgerei nicht bewusstlos gewesen.

 

Sehr geschickt findet hier, ausnahmsweise, eine Kommunikation rund ums Tatgeschehen statt, wobei Mollath zum Belastungszeugen für sich selber instrumentalisiert wird, der sich mit dem Opfer über die Tat unterhalten hat und diese dabei eingestanden hat (also die Würgerei zumindest). – Dadurch dass P3M diese Diskussion erwähnt, erhöht sie wieder einmal ihre Glaubwürdigkeit, weil sie eingesteht, der Täter hätte es wohl anders gesehen und sie wäre möglicherweise nicht bewusstlos gewesen. – Auf jeden Fall hat die damit Würgerei stattgefunden sonst hätte sich Mollath ja nicht dazu geäußert, wenn er die Tatfolge auch heruntergezoomt hat.

5

Noch eine Frage an die Juristen. - Wie ist das eigentlich mit den in Bayern bis dato fehlenden Gesetzen zum Maßregelvollzug.

Kann es rechtlich haltbar sein, dass sich der Staat bestimmter Bürger bemächtigt, diesen die Freiheit entzieht und sie dann z. B. in die Hand von privaten Anstaltsträgern gibt, die mit diesen Bürgern willkürlich und ohne Gesetzesgrundlage verfahren können, wie es gerade opportun erscheint?

Könnte man als Rechtsanwalt eines im Maßregelvollzug einsitzenden Mandanten nicht z. B. vor dem EuGH in Straßburg damit argumentieren, dass diese Art des Freiheitsentzugs, ohne rechtliche Unterbringungsgesetzgebung, unzulässig ist. - Hilfsweise wird ja gelegentlich auf die Regeln zum bayerischen Unterbringungsgesetz verwiesen, aber das ist doch nur ein Feigenblatt.

Dr. Strate zitiert ja auch aus dem Schreiben von RA Bossi an Mollath, der diesem mitteilt, dass er diesem im Maßregelvollzug als RA nicht helfen könne.

Der Staat kommt hier meiner Meinung seiner Aufsichts- und Fürsorgepflicht für im staatlichen Auftrag der Freiheit beraubte Bürger nicht nach. Ganz im Gegenteil, er übergibt diese Bürger u. a. an Privatfirmen, die das maximale Interesse daran haben, dass ihnen die hohen Umsätze, die diese Bürger generieren möglichst lange erhalten bleiben, d. h. dass die im Maßregelvollzug Einsitzenden schon durch diese Konstruktion geringe Chancen auf Genesung oder Besserung erhalten werden.

5

@ #38

Der BGH stellt nichts "ins Netz". Er fällt Urteile. Damit er das machen kann, muss aber erst Mal ein Fall existieren, wo er entsprechendes entscheiden kann und dann muss der Fall auch noch bis zum BGH hochgehen, was auch nicht garantiert ist. In der Zwischenzeit gilt:

BGH Urteil v. 30. Juli 1999, Az. 1 StR 618/98 schrieb:

Bei der Begutachtung hat sich ein Sachverständiger ausschließlich methodischer Mittel zu bedienen, die dem jeweils aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gerecht werden.

Eine zu genaue Festlegung auf bestimmte Kriterien birgt die Gefahr, dass ein veralteter Stand der Wissenschaft in der Rechtsprechung zementiert wird, bis sich wieder ein Fall den Weg durch die Instanzen bahnt.

4

Bei allem Respekt vor Herr Sponsels Analyse, ich denke nicht, dass ein Aussagepsychologe die eingeschränkten Möglichkeiten der Glaubhaftigkeitsprüfung einer nicht verfügbaren Zeugin allein durch Zugriff auf Aussagesurrogate kompensieren kann. Auch das Gericht kann das nicht. Im Grunde ist eine Glaubhaftigkeitsprüfung unter diesen Umständen nicht möglich. Und wird sie dennoch vorgenommen (wie bei psychiatrischen Gutachten ohne Exploration), dann darf ihr der Hinweis bzw. das Bewusstsein auf den eingeschränkten Erkenntniswert nicht fehlen.

Eine Gleichsetzung u.a. der Protokolle über frühere Aussagen mit einer in der HV erfolgten Zeugenaussage ist wegen Fehlens der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit ausgeschlossen. Das LG Regensburg hat einige Unzlänglichkeiten und Unsicherheiten (z.B. in der Protokollierung, Vernehmung) genannt, die damit verbunden sind, und zwar bei der Würdigung der Ausnahmen im Rahmen der Konstanzprüfung. Derartige, nach Ansicht der Kammer nicht ausschließbaren Mängel, werden stets mit Aussagesurrogaten verbunden sein. Derartige Mängel sind daher nicht geeignet, vernünftige Zweifel an der Glaubhaftigkeit zu überwinden - wie in der Urteilsbegrüdnung geschehen. Vielmehr sind sie eng mit dem eingeschränkten Erkenntniswert der mittelbaren Beweiserhebung untrennbar verbunden. Es ist rechtsfehlerhaft, weil willkürlich, die dem mittelbaren Beweis anhaftenden Mängel zur Begründung der Glaubhaftigkeit zu verwenden. In der Konsequenz würde das dazu führen, dass Aussagesurrogate wegen der ihnen anhaftender Unsicherheiten mit einem Glaubhaftigkeitsbonus ausgestattet und damit mehr wert wären als eine unmittelbar in der HV erfolgte Zeugenaussage.

post scriptum: Allen ein frohes Fest!

  @ #38

Vielleicht helfen Ihnen die juristischen Kommentare, die Kriterien des LG Regensburg nachzuvollziehen. Sie scheinen ja Zugriff auf Beck Online zu haben, je nachdem welche Module Ihnen zur Verfügung stehen könnte sich der eine oder andere Kommentar darunter befinden. Leider habe ich derzeit keinen nennenswerten Zugriff auf strafrechtliche Kommentarliteratur, deswegen kann ich Ihnen einen Erfolg nicht garantieren.

@ #39

Sicherlich darf das nicht als Freifahrtschein verstanden werden, deswegen auch die Einschränkung auf einzelne Lücken.

 

Von mir auch ein Frohes Fest an alle!

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Die Zeugin nicht vorzuladen war sicher ein schwerer Fehler

WR Kolos schrieb:

Bei allem Respekt vor Herr Sponsels Analyse, ich denke nicht, dass ein Aussagepsychologe die eingeschränkten Möglichkeiten der Glaubhaftigkeitsprüfung einer nicht verfügbaren Zeugin allein durch Zugriff auf Aussagesurrogate kompensieren kann. Auch das Gericht kann das nicht. Im Grunde ist eine Glaubhaftigkeitsprüfung unter diesen Umständen nicht möglich. Und wird sie dennoch vorgenommen (wie bei psychiatrischen Gutachten ohne Exploration), dann darf ihr der Hinweis bzw. das Bewusstsein auf den eingeschränkten Erkenntniswert nicht fehlen.

Ich finde Ihre rechtliche Argumentation sehr überzeugend. Die Zeugin angesichts Aussage-gegen-Aussage nicht vorzuladen war sicher aus meiner Laiensicht ein schwerer Fehler. Wie sieht denn Prof. Müller das? Ein Revisionsgrund?

Abgesehen davon sieht es nach meinen ersten Ergebnissen nicht so toll aus für das LG. Der maximal mögliche Score geht von 0 bis 692 (173x4).  Bei den ersten 20 sehe ich einen Anteil von 14 von 80, also 14x1 und 66x0. Beim Kriterium 1 werden es wohl 173 Nullen werden. Teilweise fallen mir völlig absurde und auf den Kopf gestellte "Begründungen" auf, wenn das LG etwa ausführt, dass die Abweichung von der eidlichen Aussage bei Sim keine Zweifel begründe. Die toppen ja noch die Augsburger StA.

WR Kolos schrieb:

Eine Gleichsetzung u.a. der Protokolle über frühere Aussagen mit einer in der HV erfolgten Zeugenaussage ist wegen Fehlens der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit ausgeschlossen. Das LG Regensburg hat einige Unzlänglichkeiten und Unsicherheiten (z.B. in der Protokollierung, Vernehmung) genannt, die damit verbunden sind, und zwar bei der Würdigung der Ausnahmen im Rahmen der Konstanzprüfung. Derartige, nach Ansicht der Kammer nicht ausschließbaren Mängel, werden stets mit Aussagesurrogaten verbunden sein. Derartige Mängel sind daher nicht geeignet, vernünftige Zweifel an der Glaubhaftigkeit zu überwinden - wie in der Urteilsbegrüdnung geschehen. Vielmehr sind sie eng mit dem eingeschränkten Erkenntniswert der mittelbaren Beweiserhebung untrennbar verbunden. Es ist rechtsfehlerhaft, weil willkürlich, die dem mittelbaren Beweis anhaftenden Mängel zur Begründung der Glaubhaftigkeit zu verwenden. In der Konsequenz würde das dazu führen, dass Aussagesurrogate wegen der ihnen anhaftender Unsicherheiten mit einem Glaubhaftigkeitsbonus ausgestattet und damit mehr wert wären als eine unmittelbar in der HV erfolgte Zeugenaussage.

post scriptum: Allen ein frohes Fest!

Dem kann ich mch nuir anschließen. Zum konstruktiven Grübeln verweis ich mal auf die frisch platzierte Justizia-Loreley:

http://www.sgipt.org/politpsy/recht/KapRech0.htm

"Zum konstruktiven Grübeln verweis ich mal auf die frisch platzierte Justizia-Loreley:

http://www.sgipt.org/politpsy/recht/KapRech0.htm"

Sehr geehrter Dr. Sponsel,

Sie offenbaren mit Ihrer Analysebeiträgen zum Fall und dem verlinkten Artikel, dass "Beides" geht: Experte UND nachdenklicher Teil der Gesellschaft sein.

Nicht Wenige störten sich hier schon an der Pedanterie des Wissenschaftlichen und forderten den "freien Blick fürs Ganze". Manche sehen dafür Details und Allgemeinverständlichkeit als hinderlich an.

Wie Sie das "Ganze" der Juristerei im gesellschaftlichen Zusammenhang einschätzen, kann man Ihrem streitbaren Artikel entnehmen. Die schlimmste Reaktion darauf wäre Achtlosigkeit. Ich bin auf Reaktionen gespannt, wir werden sehen.

Zum Ende des Jahres möchte man aber immer gern auch Versöhnliches hören, lesen, vermelden. Ich kann ganz persönlich eine versöhnliche Hoffnung vermelden. Gerichtsverfahren kenne ich nun zur Genüge. Man möge mir glauben, dass ich das nicht als schöne, geschweige sinnvolle Freizeitbeschäftigung empfinde. Immerhin einige Verfahren entsprachen meiner Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit, was ich nicht ausschließlich am Ergebnis festmache. Zu einer seit 2006 justiziell bearbeiteten ZPO-Sache schlug das Gericht nun ein gesondertes Mediationsverfahren bei einem Güterichter vor. Auch wenn ich davon keine Wunder erwarte, ich habe zugestimmt. Vorausgesetzt die Gegenseite stimmt ebenfalls zu, wird es Anfang 2015 zu einer gesonderten Mediation kommen, an der außer mir als Nichtjuristen vermutlich 4 Juristen, einschließlich dem Prozessgegner, teilnehmen. Für mich eine neue Erfahrung, für die Justiz trotz Pilotcharakter offiziell bereits als Erfolgsmodell gehandelt. Auch in Strafvollzugssachen wird dies bereits erprobt. Die deutsche Richterschaft sieht das allerdings noch sehr ambivalent.

Bei gutem Willen kann vielleicht über die Idee und die Erkenntnisse der Mediation etwas vom frischen Geist eines ehrlichen Mittlers und Schlichters in die Justiz einziehen und dem Absolutistischen etwas entgegen gesetzt werden.

http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/kg/mediation/

https://www.mediationaktuell.de/tax/thema/recht/gueterichter

Im diesen Sinne wünsche ich uns

ein gesundes und ereignisreiches 2015

Lutz Lippke

5

Sehr geehrter Herr Sponsel,

Sie schreiben bzw. fragen:

Ich finde Ihre rechtliche Argumentation sehr überzeugend. Die Zeugin angesichts Aussage-gegen-Aussage nicht vorzuladen war sicher aus meiner Laiensicht ein schwerer Fehler. Wie sieht denn Prof. Müller das? Ein Revisionsgrund?

Schon mehrfach seit Beginn des Prozesses haben ich und andere die Rechtslage geschildert: Frau M. ist zeugnisverweigerungsberechtigt als frühere Ehefrau des Angeklagten. Da sie vor der Hauptverhandlung deutlich gemacht hatte, dass sie dieses Recht in Anspruch nimmt, war es überflüssig sie als Zeugin zu laden. Dass dies ein "schwerer Fehler" war oder ein "Revisionsgrund" gewesen sein soll, ist also eine völlig abwegige Annahme.

Die Problematik (ebenfalls oben in meinem Beitrag - bitte einmal lesen! - und  schon in vielen Posts von mir und anderen dargelegt) liegt vielmehr darin, dass Frau M. gleichzeitig darauf verzichtet hat, dass ihre früheren Angaben unverwertbar bleiben. Diese Vorgehensweise (Zeugnisverweigerung plus Zulassen der Verwertung früherer Angaben) hat der BGH in einer früheren Entscheidung zugelassen (ebenfalls schon mehrfach hier zitiert). Allerdings setzt der BGH dann eine besonders vorsichtige/kritische Beweiswürdigung voraus. Wesentliches Thema der Diskussion hier ist, ob das LG Regensburg diesem Ansopruch ausreichend nachgekommen ist, oder ob es rechtsfehlerhaft die früheren Angaben der Frau M. zu unkritisch geprüft hat, wobei der BGH einem LG nicht die Aufgabe gestellt hat, in einer Urteilsbegründung selbst ein aussagepsychologisches Gutachten abzugeben.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

"besonders vorsichtige/kritische Beweiswürdigung" - das ist also der Punkt

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrter Herr Sponsel,

... Allerdings setzt der BGH dann eine besonders vorsichtige/kritische Beweiswürdigung voraus. Wesentliches Thema der Diskussion hier ist, ob das LG Regensburg diesem Ansopruch ausreichend nachgekommen ist, oder ob es rechtsfehlerhaft die früheren Angaben der Frau M. zu unkritisch geprüft hat, wobei der BGH einem LG nicht die Aufgabe gestellt hat, in einer Urteilsbegründung selbst ein aussagepsychologisches Gutachten abzugeben.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Danke. Falls der BGH also meint, diese "besonders vorsichtige/kritische Beweiswürdigung" sei nicht erfolgt, wäre das dann ein Revisionsgrund? Oder kann er das gar nicht meinen, weil das nicht Gegenstand seiner Revisionsprüfung ist?

 

 

RSponsel schrieb:

"besonders vorsichtige/kritische Beweiswürdigung" - das ist also der Punkt

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrter Herr Sponsel,

... Allerdings setzt der BGH dann eine besonders vorsichtige/kritische Beweiswürdigung voraus. Wesentliches Thema der Diskussion hier ist, ob das LG Regensburg diesem Ansopruch ausreichend nachgekommen ist, oder ob es rechtsfehlerhaft die früheren Angaben der Frau M. zu unkritisch geprüft hat, wobei der BGH einem LG nicht die Aufgabe gestellt hat, in einer Urteilsbegründung selbst ein aussagepsychologisches Gutachten abzugeben.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Danke. Falls der BGH also meint, diese "besonders vorsichtige/kritische Beweiswürdigung" sei nicht erfolgt, wäre das dann ein Revisionsgrund? Oder kann er das gar nicht meinen, weil das nicht Gegenstand seiner Revisionsprüfung ist?

 

 

 

Ja, Herr Sponsel. Wenn das LG nicht "besonders vorsichtig/kritisch" die früheren Aussagen der das Zeugnis verweigernden Hauptbelastungszeugin geprüft hat, dann ist das ein Rechtsfehler und ein Revisionsgrund. Wörtlich heißt es etwas genauer, "daß der Beweiswert der Aussage wegen der erheblich eingeschränkten Möglichkeiten zur Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage wesentlich geringer ist" und das von dem Tatgericht zu berücksichtigen sei (BGHSt 45, 203). Im Ergebnis wird in der vorgenannten BGH-Entscheidung der wesentlich geringe Beweiswert insoweit relativiert, dass revisionsrechtlich die Entscheidung des Tatgerichts nicht zu beanstanden war, weil anstatt der nicht verfügbaren Zeugin eine Kinderpsychologin als Sachverständige verfügbar war, die zuvor Gespräche mit der Zeugin geführt habe und die Kammer bei der Würdigung ihres Gutachtens sich des eingeschränkten Beweiswerts bewusst war. Dass aber das LG Regensburg sich dessen bewusst war, das ist nicht erkennbar. Vielmehr zeigt die Konstanzprüfung, dass die Kammer die eingeschränkten Erkenntnisgrundlagen völlig verkannt habe.

Auf Seiten 45 ff. setzt sich die Kammer mit den Abweichungen zum Kerngeschehen auseinander, die sie erkannt habe. Zunächst einmal ist es der Umstand (zu (a)), dass mal die Rede von Schlägen mit flacher Hand und mal von Faustschlägen die Rede war. Dann ist es, das Zu-Boden-Bringen vor dem Würgevorgang bis zur Bewusstlosigkeit (zu (b)), das erst in späteren Aussagen hinzukommt und bei der polizeilichen Vernehmung noch nicht geschildert wurde. Eine weitere Abweichung ist (zu (c)), dass die Nebenklägerin zu dem Biss angegeben habe, sie glaube nicht geblutet gleichwohl eine Narbe davon getragen zu haben. Zudem hat die Klägerin angegeben (zu (d)), mehrere Bisswunden (Plural!) erlitten zu haben. Schließlich ist es die Angabe des Auf-das-Bett-Schmeißen (zu (f)), die einmalig in der Aussage bei AG Nürnberg am 22.4.2004 gemacht wird.

Ganz davon abgesehen, dass die aufgezählten Abweichungen nicht vollständig sind und dies an sich schon ein Rechtsfehler ist, wenn die Entscheidung sich auf Angaben einer einzigen Belastungszeugin stützt, sind sie alle geeignet, vernünftige Zweifel an der Glaubhaftigkeit zu begründen. Der wesentliche Unterschied zu der Glaubhaftigkeitsprüfung einer verfügbaren Hauptbelastungszeugin ist, dass sie zunächst in der HV Angaben macht, die für sich betrachtet in sich schlüssig und glaubhaft sein müssen und Zweifel sich nur aus dem Vergleich zu früheren Angaben ergeben. Eine Erklärung für die Abweichungen bzw. Widersprüche kann nur die Hauptbelastungszeugin geben und niemand anders. Nur sie kann wissen, was davon schließlich falsch und was richtig ist. Diese Erklärung ist ein Teil ihrer Aussage und ein wesentlicher Bestandteil der Glaubhaftigkeitsprüfung, der aber bei einer nicht verfügbaren Zeugin fehlt und nicht kompensiert werden kann. Darin liegt auch der eingeschränkte Erkenntnis- und Beweiswert.

Diese Lücke schließt das LG Regensburg dadurch, dass es die fehlende Erklärung der Zeugin zu den Abweichungen und Widersprüchen durch eigene Erklärung ersetzt. Die Kammer ist sich des eingeschränkten Beweiswerts nicht im Geringsten bewusst. Indem sie die typischen Mängel von Beweissurrogaten zur Schließung der Lücken verwendet, wird der grundsätzlich eingeschränkte Beweiswert in sein Gegenteil verdreht. So ist die Kammer davon überzeugt, dass sich der Arzt geirrt habe, indem er Schläge mit der flachen Hand aufnahm. Dass die Nebenklägerin den Inhalt des Attests kannte und dennoch in einer späteren Vernehmung darauf Bezug genommen habe, das wird in der Würdigung ausgeblendet. Dann war es die "konkrete Vernehmungssituation", die zu den Abweichungen führte. Nachfragen zum Attest, auf das die Nebenklägerin Bezug nahm, seien in der polizeilichen Vernehmung nicht protokolliert. Wie sich daraus die Abweichung bezüglich Zu-Boden-Bringen erklären soll, bleibt völlig offen. Was die Abweichung die Bisswunden (Plural!) betreffend angeht, führt die Kammer das auf Übertragungsversehen bei der Protokollierung zurück, das sich nach Ansicht der Kammer nicht ausschließen lässt. Und schließlich sei auch die Abweichung zu Auf-Das-Bett-Schmeißen nicht auf Widersprüche im Aussageverhalten zurückzuführen, sondern auf ein "Missverständnis hinsichtlich der Protokollierung".

Das zum Ausdruck zu bringende Bewusstsein über den erheblich eingeschränkten Beweiswert darf so nicht aussehen.

RSponsel schrieb:

"besonders vorsichtige/kritische Beweiswürdigung" - das ist also der Punkt

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrter Herr Sponsel,

... Allerdings setzt der BGH dann eine besonders vorsichtige/kritische Beweiswürdigung voraus. Wesentliches Thema der Diskussion hier ist, ob das LG Regensburg diesem Ansopruch ausreichend nachgekommen ist, oder ob es rechtsfehlerhaft die früheren Angaben der Frau M. zu unkritisch geprüft hat, wobei der BGH einem LG nicht die Aufgabe gestellt hat, in einer Urteilsbegründung selbst ein aussagepsychologisches Gutachten abzugeben.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Danke. Falls der BGH also meint, diese "besonders vorsichtige/kritische Beweiswürdigung" sei nicht erfolgt, wäre das dann ein Revisionsgrund? Oder kann er das gar nicht meinen, weil das nicht Gegenstand seiner Revisionsprüfung ist?

 

 

 

Ja, Herr Sponsel. Wenn das LG nicht "besonders vorsichtig/kritisch" die früheren Aussagen der das Zeugnis verweigernden Hauptbelastungszeugin geprüft hat, dann ist das ein Rechtsfehler und ein Revisionsgrund. Wörtlich heißt es etwas genauer, "daß der Beweiswert der Aussage wegen der erheblich eingeschränkten Möglichkeiten zur Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage wesentlich geringer ist" und das von dem Tatgericht zu berücksichtigen sei (BGHSt 45, 203). Im Ergebnis wird in der vorgenannten BGH-Entscheidung der wesentlich geringe Beweiswert insoweit relativiert, dass revisionsrechtlich die Entscheidung des Tatgerichts nicht zu beanstanden war, weil anstatt der nicht verfügbaren Zeugin eine Kinderpsychologin als Sachverständige verfügbar war, die zuvor Gespräche mit der Zeugin geführt habe und die Kammer bei der Würdigung ihres Gutachtens sich des eingeschränkten Beweiswerts bewusst war. Dass aber das LG Regensburg sich dessen bewusst war, das ist nicht erkennbar. Vielmehr zeigt die Konstanzprüfung, dass die Kammer die eingeschränkten Erkenntnisgrundlagen völlig verkannt habe.

Auf Seiten 45 ff. setzt sich die Kammer mit den Abweichungen zum Kerngeschehen auseinander, die sie erkannt habe. Zunächst einmal ist es der Umstand (zu (a)), dass mal die Rede von Schlägen mit flacher Hand und mal von Faustschlägen die Rede war. Dann ist es, das Zu-Boden-Bringen vor dem Würgevorgang bis zur Bewusstlosigkeit (zu (b)), das erst in späteren Aussagen hinzukommt und bei der polizeilichen Vernehmung noch nicht geschildert wurde. Eine weitere Abweichung ist (zu (c)), dass die Nebenklägerin zu dem Biss angegeben habe, sie glaube nicht geblutet gleichwohl eine Narbe davon getragen zu haben. Zudem hat die Klägerin angegeben (zu (d)), mehrere Bisswunden (Plural!) erlitten zu haben. Schließlich ist es die Angabe des Auf-das-Bett-Schmeißen (zu (f)), die einmalig in der Aussage bei AG Nürnberg am 22.4.2004 gemacht wird.

Ganz davon abgesehen, dass die aufgezählten Abweichungen nicht vollständig sind und dies an sich schon ein Rechtsfehler ist, wenn die Entscheidung sich auf Angaben einer einzigen Belastungszeugin stützt, sind sie alle geeignet, vernünftige Zweifel an der Glaubhaftigkeit zu begründen. Der wesentliche Unterschied zu der Glaubhaftigkeitsprüfung einer verfügbaren Hauptbelastungszeugin ist, dass sie zunächst in der HV Angaben macht, die für sich betrachtet in sich schlüssig und glaubhaft sein müssen und Zweifel sich nur aus dem Vergleich zu früheren Angaben ergeben. Eine Erklärung für die Abweichungen bzw. Widersprüche kann nur die Hauptbelastungszeugin geben und niemand anders. Nur sie kann wissen, was davon schließlich falsch und was richtig ist. Diese Erklärung ist ein Teil ihrer Aussage und ein wesentlicher Bestandteil der Glaubhaftigkeitsprüfung, der aber bei einer nicht verfügbaren Zeugin fehlt und nicht kompensiert werden kann. Darin liegt auch der eingeschränkte Erkenntnis- und Beweiswert.

Diese Lücke schließt das LG Regensburg dadurch, dass es die fehlende Erklärung der Zeugin zu den Abweichungen und Widersprüchen durch eigene Erklärung ersetzt. Die Kammer ist sich des eingeschränkten Beweiswerts nicht im Geringsten bewusst. Indem sie die typischen Mängel von Beweissurrogaten zur Schließung der Lücken verwendet, wird der grundsätzlich eingeschränkte Beweiswert in sein Gegenteil verdreht. So ist die Kammer davon überzeugt, dass sich der Arzt geirrt habe, indem er Schläge mit der flachen Hand aufnahm. Dass die Nebenklägerin den Inhalt des Attests kannte und dennoch in einer späteren Vernehmung darauf Bezug genommen habe, das wird in der Würdigung ausgeblendet. Dann war es die "konkrete Vernehmungssituation", die zu den Abweichungen führte. Nachfragen zum Attest, auf das die Nebenklägerin Bezug nahm, seien in der polizeilichen Vernehmung nicht protokolliert. Wie sich daraus die Abweichung bezüglich Zu-Boden-Bringen erklären soll, bleibt völlig offen. Was die Abweichung die Bisswunden (Plural!) betreffend angeht, führt die Kammer das auf Übertragungsversehen bei der Protokollierung zurück, das sich nach Ansicht der Kammer nicht ausschließen lässt. Und schließlich sei auch die Abweichung zu Auf-Das-Bett-Schmeißen nicht auf Widersprüche im Aussageverhalten zurückzuführen, sondern auf ein "Missverständnis hinsichtlich der Protokollierung".

Das zum Ausdruck zu bringende Bewusstsein über den erheblich eingeschränkten Beweiswert darf so nicht aussehen.

Henning Ernst Müller schrieb:

Diese Vorgehensweise (Zeugnisverweigerung plus Zulassen der Verwertung früherer Angaben) hat der BGH in einer früheren Entscheidung zugelassen (ebenfalls schon mehrfach hier zitiert).

Wobei ich mich ehrlich gesagt wundere, dass dieser Leitentscheid auf den vorliegenden Fall überhaupt so ohne weiteres übertragbar ist.

Die Voraussetzungen, dass die beiden Fälle vergleichbar sind, ist m.E. nicht gegeben.

Im mehrfach zitierten Entscheid des BGH, stand ein mehrstündiges, protokolliertes Gespräch mit einer Aussagepsychologin (gibts das eigentlich?) zur Verfügung.

Diese Eingangsvoraussetzung ist im Fall Mollath nicht vorhanden.

Dass eine solche Zulässigkeit der Verwertung nun inflationär erweiterbar auf alle Fälle sein soll, macht mich doch stutzig.

Wobei ich Herrn Kolos in seiner grundsätzlichen Kritik an dem BGH Entscheid vollauf zustimme.

Es ist auch Ansicht des BGH, dass in einer Aussage gegen Aussage-Konstellation, der Belastungszeuge besonders intensiv hinterfragt werden soll.

Und jetzt taucht die gar nicht auf...

 

Ich hoffe Sie, lieber Professor, wie auch alle Kommentatoren konnten ein schönes, harmonisches und besinnliches Weihnachtsfest im Kreise Ihrer Familien verbringen und möchte mich noch einmal ausdrücklich für Ihren Blog und die Beiträge aller bedanken.

Ich wünsche allen einen guten "Rutsch" ins 2015!

 

 

astroloop schrieb:
Es ist auch Ansicht des BGH, dass in einer Aussage gegen Aussage-Konstellation, der Belastungszeuge besonders intensiv hinterfragt werden soll.

Und jetzt taucht die gar nicht auf...

Diese Klippe hat das LG Regensburg dadurch umschifft, dass es nicht die Aussage der Nebenklägerin, sondern die Aussagen der Zeugen über die Äußerungen der Nebenklägerin gewürdigt hat.

Dass dies jedoch - insbesondere die der Zeugin Simbek - fehlerhaft erfolgte (nur ein Beispiel: Attestausstellung laut Zeuge Dr. Reichelt "spätestens in der Mittagspause" des 14. August, obwohl Simbek die Nebenklägerin erst in der Mittagspause desselben Tages getroffen und zum Arztbesuch aufgefordert haben will), darüber dürften mittlerweile kaum noch Zweifel bestehen.

astroloop schrieb:

Henning Ernst Müller schrieb:

Diese Vorgehensweise (Zeugnisverweigerung plus Zulassen der Verwertung früherer Angaben) hat der BGH in einer früheren Entscheidung zugelassen (ebenfalls schon mehrfach hier zitiert).

Wobei ich mich ehrlich gesagt wundere, dass dieser Leitentscheid auf den vorliegenden Fall überhaupt so ohne weiteres übertragbar ist.

Die Voraussetzungen, dass die beiden Fälle vergleichbar sind, ist m.E. nicht gegeben.

Im mehrfach zitierten Entscheid des BGH, stand ein mehrstündiges, protokolliertes Gespräch mit einer Aussagepsychologin (gibts das eigentlich?) zur Verfügung.

Diese Eingangsvoraussetzung ist im Fall Mollath nicht vorhanden.

Dass eine solche Zulässigkeit der Verwertung nun inflationär erweiterbar auf alle Fälle sein soll, macht mich doch stutzig.

Wobei ich Herrn Kolos in seiner grundsätzlichen Kritik an dem BGH Entscheid vollauf zustimme.

Es ist auch Ansicht des BGH, dass in einer Aussage gegen Aussage-Konstellation, der Belastungszeuge besonders intensiv hinterfragt werden soll.

Und jetzt taucht die gar nicht auf...

 

Ich hoffe Sie, lieber Professor, wie auch alle Kommentatoren konnten ein schönes, harmonisches und besinnliches Weihnachtsfest im Kreise Ihrer Familien verbringen und möchte mich noch einmal ausdrücklich für Ihren Blog und die Beiträge aller bedanken.

Ich wünsche allen einen guten "Rutsch" ins 2015!

 

 

D.h also, das als Rechtfertigungsgrundlage hergezogene BGH Urteil war gar nicht anwendbar, weil die Situation in keinster Weise vergleichbar war, oder aber zumindest nicht angemessen vergleichbar genug.

Da möchte ich doch nochmal auf meine vor Wochen gestellte Frage zugrückgreifen, warum diese, m.E. dem Grundgedanken dieses Paragraphen völlig zuwiderlaufenden Auslegung des Zeugnisverweigerungsrechtes nicht doch mal durch das Bundesverfassungsgericht überprüft wird.

Den allseits guten Wünschen schließe ich mich natürlich an ;-)

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Zusätzliche Erfassungen (139) von Beweisbegriffen für ergänzende Studien

Bei der Auswertung der 173 Fundstellen rund um das Thema Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit - im Moment 83 analysiert, ausgewertet und kommentiert - sind noch einige weitere Begriffe aufgetaucht, die bei der Interpetation hilfreich sein können und deshalb dokumentiert wurden:

  • Nicht ausschließbar, nicht ausgeschlossen, nicht auszuschließen, kein Ausschluss  [32]
  • Ausgeschlossen, auszuschließen [7]
  • Möglichkeit, möglich, möglicherweise, nicht unmöglich [44]
  • Möglich nicht aufgenommen.
  • abwegig.  [1]
  • fernliegend. [5]
  • Plausibel.  [3]
  • Wahrscheinlich.  [7]
  • Nahe, naheliegend.  [9]
  • Zwanglos (erklärbar) [5]
  • Unwahrscheinlich.  [3]
  • könnte, hätte, würde, wäre ...  [21]
  • Sonstige (Rest- und Auffangkategrie)  [2]
    • Lebensfremd  [1]
    • Nicht sicher feststellbar  [1]

http://www.sgipt.org/forpsy/Mollath/ipgipt/wa/HS04_GlaubHW.htm#Zus%C3%A4...

Zur Rezension des Strate-Buches von Thomas Fischer kaum Beiträge: Schockstarre?

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

hier wäre natürlich auch eine Äußerung von Ihnen interessant.

Guten Abend

 

LG hat unsichere und unklare Vortstellungen von Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit

Das steht für mich beweisbar sicher fest. Ich habe jetzt über 100 von 173 Textstellen analysiert und ausgewertet und kann als erste fundierte Ergebnis-Prognose abgeben: Die schriftliche Urteilsbegründung zeigt aus allgemeiner wissenschafts-methodologischer Sicht mehr Fehler, Mängel, Schwächen, Ungereimtheiten und schwere Unklarheiten als ein Mensch Knochen hat. Hierzu ein

Beispiel: Begriffswirren Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit:

S. 47.2 (Hervorhebung RS):

Quote:

 "(c)

Zudem begründet auch die protokollierte Aussage der Nebenklägerin vom 15.5.2003 beim Amtsgericht Tiergarten, sie glaube nicht, am Unterarm geblutet zu haben, keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin. Diese Ausführung, steht insbesondere im Widerspruch zu der Angabe, dass sie noch eine Narbe von der Bisswunde habe, da nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Eis die Bildung einer Narbe ohne blutende Verletzung aus rechtsmedizinischer Sicht nicht nachvollziehbar wäre."

Abweichungen von Aussagen gehören zum Thema In/Konstanz und zur Glaubhaftigkeit der Aussagen und nicht zur Glaubwürdigkeit der Person. Dass es um Aussagen bzw. um Angaben geht, geht zweifach aus dem Text hervor (hervorgehoben), ergibt sich aber auch zwingend aus dem Sachverhalt.

Obwohl das LG deutlich macht, dass es kundig den Unterschied Glaubhaftigkeit (Aussagemerkmal) und Glaubwürdigkeit (Personenmerkmal) kennt, siehe bitte S. 45, 49 und S. 57, bringt es mehrfach die beiden Begriffe durcheinander. Damit beweist das Gericht, dass es über keine sichere Handhabung und womöglich auch keine wirklich sichere Kenntnis dieser beiden Begriffe verfügt. Ob das als Revisionsgrund gelten kann, kann ich natürlich nicht sagen.

@ 4, Mein Name:

Überdies gibt es eine schriftliche Aufzeichnung von Dr. Reichel (elektronische Patientenakte?), aus der hervorgeht, dass er die Patientin um 11.xx Uhr (Minutenzahl hinter der Uhrzeit "11" ist mir nicht mehr im Gedächtnis), begutachtet hat.

Dass in Bayern die Uhren anders laufen ist ja bekannt, aber dass die Mittagspause vor Mittag sein soll ist doch was Neues.

 

 

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Nach der Aussage von Martin Maske hatte jemand getwittert, schlechter Ehemann, keine Erinnerung an die Narbe oder so ähnlich.

Die Narbe wurde aber vom Gericht in Augenschein genommen, wenn das stimmt, was hier steht:

"Nach Ansicht der Verteidigerin, habe auch Mollaths Ex-Frau eine Falschaussage geleistet. Einerseits habe diese vor Gericht ausgesagt, die angebliche Bisswunde habe nicht geblutet, andererseits habe das Gericht aber eine Narbe gesehen. "Ohne Blut, keine Narbe", so Lorenz-Löblein."

aus: http://www.heise.de/tp/artikel/39/39540/1.html

 

Hat das Gericht in Regensburg das Vorgängergericht in Nürnberg über die Narbe und deren Ursache und Aussehen befragt? Die haben sich doch die Narbe explizit angeschaut, zur Beweiserhebung.

 

Wurde die damalige (kleine) Kammer aus zwei Leuten dazu befragt?

 

 

 

 

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atropa belladonna schrieb:

@ 4, Mein Name:

Überdies gibt es eine schriftliche Aufzeichnung von Dr. Reichel (elektronische Patientenakte?), aus der hervorgeht, dass er die Patientin um 11.xx Uhr (Minutenzahl hinter der Uhrzeit "11" ist mir nicht mehr im Gedächtnis), begutachtet hat.

Dass in Bayern die Uhren anders laufen ist ja bekannt, aber dass die Mittagspause vor Mittag sein soll ist doch was Neues.

 

 

@ Atropa belladonna:

Auch in Bayern, selbst in Bayern ;-) sind Datei-Endungen, das, was sie snd:

Datei-Endungen, oder Be-Namungen:

In dem Fall Geb. Datum Patient- Erstellungs/Bearbeitungsdatum der Datei:

tt.mm.jjjj- hh.mm.

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@ f&f: siehe oben.

Generell gilt jedoch: dass die eigenwillige Interpretation des BGH zur Verwertung einer Aussage eines Zeugen, der nicht in der HV aussagen will und ein Verweigerungsrecht hat, der EMRK (die auch in D Gesetzeskraft hat) zuwiderläuft, dürfte unbestritten sein.

Art. 6 (3) bestimmt eindeutig:

Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte: [...] Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen [...]

Und das BVerfG hat bereits 1987 festgestellt:

Auch Gesetze -- hier die Strafprozeßordnung -- sind im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden, selbst wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag; denn es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will.

(2 BvR 589/79, Rdnr. 39)

Wer sich auf den BGH-Beschluss beruft, hat demnach ein gestörtes Verhältnis zu gesetzlich verbrieften Menschenrechten.

Mein Name schrieb:

@ f&f: siehe oben.

...

Wer sich auf den BGH-Beschluss beruft, hat demnach ein gestörtes Verhältnis zu gesetzlich verbrieften Menschenrechten.

 

... und insoweit auch zur verfassungsmäßigen Grundordnung, als das Recht auf ein rechtsstaatliches und faires Strafverfahren durch das Verwertungsverbot (252 StPO) einfachgesetzlich ausgestaltet ist. Zudem definiert das Verwertungsverbot m.E. mitunter auch den absoluten Schutzbereich der Menschenwürde. Der Verzicht macht den Angeklagten zum Objekt des Strafverfahrens. Der BGH liegt in seiner Beschlussbegründung völlig neben der Spur, als er im Verwertungsverbot einzig und allein die Schutzfunktion der Zeugen in Konfliktlagen und damit ihre Dispositionsbefugnis sieht.

@atropa belladonna @Gast #6

Das mit der (vielleicht vorgezogenen) Mittagspause deutlich vor 12 erscheint mir auch und gerade bei einer Arzthelferin sehr verdächtig. Wenn ich mir den üblichen Vormittagsbetrieb in einer Arztpraxis vor Augen halte, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass sie in dieser Zeit abkömmlich sein könnte. 

Dennoch ist das kein Aspekt für die Urteilskritik (vielleicht aber für Prozesskritik). Man hätte die Zeugin in ihrer Vernehmung damit konfrontieren müssen. Dieser Umstand ist, soweit ich mich erinnern kann, niemandem aufgefallen. Für den Anfangsverdacht wegen Falschaussage (da gibt es noch einige Aspekte mehr) dürfte das aber ausreichen.

Was die Narbe angeht, kann ich mich nicht erinnern, dass sie in einer der früheren Vernehmungen in Augenschein genommen wurde. Ich meine, der Zeuge Maske hätte in seiner Vernehmung bekundet, er hätte sie auch noch nie gesehen. Das ist in Anbetracht der langen intimen Verbindung zu der Hauptbelastungszeugin doch sehr merkwürdig und spricht für vernünftige Zweifel an ihrer Existenz. Das hätte die Kammer in der Beweiswürdigung beachten müssen. Tat sie aber nicht, was man kritisieren kann. Wenn aber diese Aussage des Zeugen weder in den Urteilsgründen noch im Protokoll enthalten ist, dann nützt das der Revision auch nix. Auch das betrifft dann nur die allgemeine Prozesskritik.

# 50 - 27.122014

Dr. Sponsel schrieb:

     "Zur Rezension des Strate-Buches von Thomas Fischer kaum Beiträge: Schockstarre?
     Sehr geehrter Herr Prof. Müller, hier wäre natürlich auch eine Äußerung von Ihnen interessant."

Nachdem Herr Fischer, immerhin der Vorsitzende Richter des 2. Strafsenats am BGH, in seiner Rezension zuvor feststellt, dass Strate den Justizskandal auf das Versagen Einzelner herunter definiere, "obgleich er mehr ist als das" (Zitat Fischer), schreibt er u.a. folgendes: "Der für die Kontrolle der bayrisch-landgerichtlichen Entscheidungen zuständige 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs erhielt den Ehrentitel 'Olli-Kahn-Senat' und  fand das gut: 'Wir halten alles!' (Gemeint waren die mit der Revision angegriffenen Urteile.) Wer vor möglichen Folgen einer solchen vorauseilenden Aufhebung von Kontrolle warnte, stand mit einem Bein im Feindesland. Auch das gehört zur Nährlösung des Falles Mollath."

Läge ich völlig daneben, wenn ich annehmen würde, dass Fischer seinen Kollegen vom 1. Strafsenat zu verstehen geben will, dass sie im Fall Mollath nicht den Olli Kahn (oder gar den Manuel Neuer) geben sollten, sondern "weniger", damit jenes "Mehr", das den Fall Mollath ausmacht, endlich auch in den blinden Augen von Justizia irgendwie erscheint?

P.S. Mein Eindruck von Herrn Fischer ist: Der mit großem Abstand erste Jurist, der die Dimension des Falles Mollath nicht nur einigermaßen erkannt hat, sondern auch anzusprechen wagt. Respekt!

winler schrieb:

# 50 - 27.122014

 

P.S. Mein Eindruck von Herrn Fischer ist: Der mit großem Abstand erste Jurist, der die Dimension des Falles Mollath nicht nur einigermaßen erkannt hat, sondern auch anzusprechen wagt. Respekt!

 

 

Dr. Judith Hauer: Anmerkungen und Gedanken zum Fall Mollath – Verschwörung oder Gleichgültigkeit?,
ZRP 2013, 209 ff. hat deutliche Worte gesprochen:

Es sind Fehler passiert im Fall Mollath. Der eigentliche Skandal ist jedoch das rigorose Beharren darauf, alles richtig gemacht zu haben, wie der Beitrag zu zeigen versucht. (...)

Es macht Sinn, vier Ebenen unterscheiden, wenn man den Fall Mollath betrachtet. Zunächst gibt es die Ebene der Entscheidungen in einer ersten Instanz, wie etwa die Einstellung der Anzeigen, aber auch die Verurteilung und Unterbringung. Auf der zweiten Ebene befinden sich die Kontrollentscheidungen über die der ersten Ebene. Nachdem der Fall öffentlich wurde, wurde eine dritte Ebene beschritten. Die Öffentlichkeit und die Politik kamen ins Spiel, und auch hier agierten die Behörden. Auf einer vierten und letzten Stufe ist der Fall Mollath als Gegenstand eines Untersuchungsausschusses zu betrachten. (...)

Die Causa Mollath muss auf allen vier Ebenen nachdenklich machen. (...) bleibt festzustellen, die Justiz hat sich mit Zugeständnissen von Fehlern sehr schwer getan. Aber auch die Regierung hat unter den kritischen Augen des Landtags und der Öffentlichkeit und zum Schluss auch vor dem Untersuchungsausschuss mit allen Mitteln versucht, keinerlei Fehler zugeben zu müssen. (...)

Dafür wurde auch in Kauf genommen, den Landtag und die Öffentlichkeit falsch, jedenfalls kritikwürdig zu informieren und zurückrudern zu müssen. Das ist bedenklich und bedeutet Wasser auf die Mühlen derer, die eine Verschwörung im Fall Mollath vermuten wollen. (…) 

Es lässt sich daher nicht als Losung ausgeben, "keine Verschwörung im Fall Mollath, alles nur Wahlkampf". Eine derartige Simplifizierung verbietet der Fall. Die Forderung nach einer anderen Fehlerkultur aus dem Bericht der Oppositionsparteien hat ihre Berechtigung. Die Zweifel, die nunmehr zusammengetragen wurden und zum Teil bereits in den Akten standen, sollten eine kritische und ergebnisoffene Auseinandersetzung in der Sache ermöglichen, in der auch die Öffentlichkeit korrekt informiert wird. Dieser Fall zeigt eindrücklich, dass der Ausspruch von Gustav Radbruch, "Es kann nur der ein guter Jurist werden, der mit einem schlechten Gewissen Jurist ist." gerade im Strafrecht seine Berechtigung hat. (...)

 

aus http://www.gustl-for-help.de/analysen.html#Hauer

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Ob der "Kahn-Senat" bei einer fachgerecht eingelegten Revision das damalige Urteil wirklich gehalten hätte, wäre sicher interessant, ist aber eine hypothetische Frage. Dass der Justizapparat aber einen ausgeprägten Korpsgeist ohne Fähigkeit zur Selbstkritik besitzt, ist eine Tradition, die bis in die Zeit der "furchtbaren Juristen" zurückreicht. Wer Kritik äußert, wird totgeschwiegen und kann eine Karriere vergessen.

Kritik von außen - also auch aus der Forschung und Lehre - kümmert da nicht, denn so lange keine Maßnahmen zu Transparenz und Qualitätskontrolle drohen, gibt es aus Sicht des Systems keinen Änderungsbedarf. Und solche Maßnahmen würden Geld kosten, ohne dass Zählbares herausspringt - etwas, das Politiker naturgemäß scheuen und statt dessen lieber Wahlgeschenke auf Kosten der Sozialkassen verteilen.

Wie viel Sachverstand Politiker in diesem Bereich besitzen, lässt sich daran ermessen, dass sie in einer Zeit, in der Kredite kostenlos zu haben sind (seit 2012 verdient der deutsche Staat dank Negativzinsen sogar an einer Neuverschuldung), die Aufnahme von Krediten verweigern (sog. "Schuldenbremse") und dafür sogar notwendige Infrastrukturinvestitionen, die tatsächlich eine Rendite bringen, unterlassen - was den nachfolgenden Generationen erheblich höhere Schäden aufbürdet als eine Kreditaufnahme. Ein Staat darf sich eben nicht wie eine "schwäbische Hausfrau" verhalten , deren Ausgaben keine Rendite abwerfen, sondern muss sich - wenn schon schwäbisch - an den dort ansässigen Unternehmen orientieren. Das sollte man als Diplom-Volkswirt eigentlich wissen.

Unterschied Glaubwürdig, keine Zweifel an Glaubwürdigkeit, überzeugende ...?

Frage an die JuristInnen: macht es einen Unterschied - und falls, welchen - ob man jemandem Glaubwürdigkeit zuspricht oder ob man sagt, man habe keine Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit oder ob man von überzeugender Glaubwürdigkeit spricht oder sind die Formulierungen synonym?

 

@11, Kolos.

Das mit der Wundenbesichtigung in der "Mittagspause" ist nicht nur deshalb unwahrscheinlich, weil eine Sprechstundenhilfe ihre Mittagspause üblicherweise erst ab 12.00 Uhr haben wird, und nicht vor 11.00 Uhr, sondern weil das gleiche für eine Bankangestellte wie P3M gilt. - Es sollen sich ja zwei Damen aus der Dienstleistungsbranche in einer "Mittagspause" getroffen haben, die vor 11.00 Uhr gewesen sein müsste.

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Sehr geehrter Herr Bixler,

in Ihrem Lob des  VRiBGH Fischer kann ich Ihnen zustimmen. Er hat immerhin im Dezember 2014 (ca. 24 Monate nach allg. Bekanntwerden des Falls und ca. 16 Monate nach Freilassung Herrn Mollaths) etwas deutlich ausgesprochen:

... weil er [der Fall Mollath, H.E.M.] nicht einen zufälligen Fehler offenbart, sondern das systematische Versagen einer Landesjustiz, die mit dem albernen Anspruch der Unfehlbarkeit umherstolzierte und die Korrektur offenkundiger Fehler jahrelang mit all der Macht verweigerte, die einer großen Bürokratie zu Gebote steht; weil er einen erschreckenden Blick in ein mögliches Zusammenspiel von Strafjustiz und Psychiatrie ermöglicht, das Kontrolle ausschaltet, statt sie zu gewährleisten.

Dass Herr Fischer der "mit großem Abstand erste Jurist" gewesen sein soll, der diese Dimension  angesprochen hat, möchte ich hingegen mit einem ganz kleinen Fragezeichen bedenken. Aber OK, es ist Ihr Eindruck.

Mit freundlichen Grüßen

Henning Ernst Müller

 

 

Henning Ernst Müller schrieb:

Dass Herr Fischer der "mit großem Abstand erste Jurist" gewesen sein soll, der diese Dimension  angesprochen hat, möchte ich hingegen mit einem ganz kleinen Fragezeichen bedenken. Aber OK, es ist Ihr Eindruck.

Mit freundlichen Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Professor Müller,

am 14.11.2012 war der erste Beck-Blog von Ihnen zum Fall. Sie haben sich - meines Wissens - als erster Jurist, der im öffentlichen Dienst steht, öffentlich zum Fall geäußert. Dafür ist Ihnen zu danken, denn Sie haben damit einen wesentlichen Beitrag geleistet, dass der Fall öffentlich diskutiert wurde.

Die von Reiner Hofmann erstellte Webseite mit den vielen Dokumenten war auch wichtig, dass der Fall sofort die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit hatte.

Vermutlich gehören Sie schon ganz selbstverständlich zum Unterstützerkreis, so dass Herr Bixler an außenstehende Personen, wie z. B. Prof. Fischer dachte, als er vom ersten Juristen sprach. Ich sehe es als Beweis dafür an, dass Sie mit all den Laien - und auch Fachleuten - im Blog ohne Standesdünkel diskutieren. Vielen Dank!

Freundliche Grüße und ein Gutes Neues Jahr

Sophie

 

 

 

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