"Mehrjährige Berufserfahrung" altersdiskriminierend?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 23.10.2014
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtDiskriminierungAGGEntschädigung4|11637 Aufrufe

Ein Arbeitgeber darf in seiner Stellenausschreibung eine "mehrjährige Berufserfahrung" verlangen, wenn diese für die ordnungsgemäße Erledigung der Aufgaben auf der zu besetzenden Stelle objektiv erforderlich ist. Stellenbewerber, die nicht über diese fachliche Qualifikation verfügen, können mangels objektiver Eignung nicht geltend machen, durch eine Nichtberücksichtigung ihrer Bewerbung diskriminiert worden zu sein. Das hat das LAG Schleswig-Holstein jetzt in einem Prozesskostenhilfe-Verfahren entschieden.

Die Klägerin macht einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Sie sieht sich durch die Stellenausschreibung der Beklagten diskriminiert. Dort hieß es u.a.:

Einen idealen Start hast Du mit einem abgeschlossenen Studium in der Medien-/Wirtschaftsinformatik, Informatik oder einer vergleichbaren Fachausbildung. Mehrjährige Berufspraxis in der Programmierung von Online-Shops solltest Du ebenfalls mitbringen.

Fachliche Voraussetzungen:

...

Mehrjährige Erfahrung in der Programmierung mit Java, ...

Die Klägerin, deren Bewerbung ohne Erfolg blieb, ist der Auffassung, sie sei durch die Abfrage ihres Alters und ihres Geschlechts bei der Bewerbung unmittelbar diskriminiert worden. Ferner sei ein Indiz für eine mittelbare Frauendiskriminierung, dass die Stelle nur als Vollzeitstelle ausgeschrieben sei. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass Frauen im IT-Bereich unterrepräsentiert seien. Es sei deswegen auch von einem Fall intersektioneller Benachteiligung auszugehen, was bei der Beurteilung des Sachverhalts berücksichtigt werden müsse. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Klägerin fehle die objektive Qualifikation für die Stelle. Ihren Antrag, ihr für die Durchführung des Berufungsverfahrens Prozesskostenhilfe zu gewähren, hat das LAG abgelehnt.

Einem Stellenbewerber fehlt es an der objektiven Eignung für eine Stelle, wenn er die in der Stellenausschreibung verlangte "mehrjährige Berufserfahrung" nicht aufweisen kann, sofern der Arbeitgeber wegen der Anforderungen an die Stelle nachvollziehbarerweise mehrjährige Berufserfahrung verlangt.

In den Gründen des Beschlusses heißt es:

"Ausweislich der Stellenausschreibung hat die Beklagte das Anforderungsprofil für ihre Stelle dahin festgelegt, dass mehrjährige Berufserfahrung in der Programmierung von Online-Shops mitgebracht werden soll. Diese Anforderung erfüllt die Klägerin nicht. Sie mag Kenntnisse in der Programmierung von Online-Shops haben, Berufserfahrung in diesem Bereich hat sie nicht dargelegt. Auch die weiteren fachlichen Voraussetzungen weist die Klägerin nur in Teilen auf. Es fehlt insbesondere die geforderte „sehr gute Projekterfahrung im Bereich Java-Entwicklung“. Auch hier ist die tatsächliche Umsetzung von vorhandenen Kenntnissen verlangt. Die von der Klägerin insoweit absolvierten Weiterbildungskurse können das nicht ersetzen, selbst wenn dort theoretische und praktische Inhalte vermittelt worden sind, wovon auch das Gericht ausgeht. Auch hat die Klägerin nicht die von ihr verlangte mehrjährige Erfahrung in der Programmierung mit Java. Zu ihren Kenntnissen in gängigen Webtechnologien, die weiter gefordert sind, hat sie nicht ausreichend vorgetragen.

Die Klägerin verkennt nach Auffassung des Gerichts, dass zwei gut 14-tägige Fortbildungen eine tatsächliche Berufspraxis und Projekterfahrung oder eine mehrjährige Erfahrung nicht ersetzen können."

(LAG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 1.9.2014 - 1 Sa 215/14, BeckRS 2014, 72703)

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4 Kommentare

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Momentan fährt man als Arbeitgeber wohl gut damit, in die Stellenanzeigen möglichst hohe Anforderungen an die Bewerber zu formulieren. Einige Landesarbeitsgerichte verneinen dann einen AGG-Anspruch schon aufgrund fehlender Eignung, solange die Anforderungen plausibel sind. Ich bin gespannt, ob das BAG diesen Weg mitgeht. In einem Rechtsstreit vor dem LAG Hamburg (2 Sa 50/13) ist der Kläger nach NZB nun in der Revision.

Ich persönlich halte diese Entwicklung für problematisch, weil der Bewerber keine Chance hat zu verifizieren, ob der Arbeitgeber tatsächlich die eierlegende Wollmilchsau aus der Stellenanzeige eingestellt hat. Wenn der Eingestellte aber tatsächlich genauso wenig den Anforderungen genügte, so waren Bewerber und Eingestellter gerade doch in einer vergleichbaren Situation.

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So einfach wäre es ja auch nicht mit dem "genauso wenig den Anforderungen genügte", denn im nächsten Schritt können die Arbeitgeber dann ja immer noch erklären, auf welche nicht erfüllten Anforderungen sie am ehesten verzichten konnten.

Eine interessante Überlegung. Die Frage ist, welche Bedeutung hat es für die subjektive Festlegung des Anforderungsprofils, wenn der Arbeitgeber einen anderen Bewerber einstellt,  der die geforderten Anforderungen nicht vollständig mitbringt.

Letztlich bestehen da zwei Möglichkeiten. Entweder man geht weiterhin von den Anforderungen der Stellenanzeige aus und berücksichtigt nur solche Anforderungen nicht, die der eingestellte Bewerber auch nicht aufweist. Oder man löst sich vollständig vom Anforderungsprofil der Stellenanzeige und prüft nur noch objektive Eignung.

Im ersteren Fall wäre der Klägerin nur geholfen, wenn sie selbst alle Anforderungen erfüllt, die der eingestellte Bewerber auch erfüllt. Gibt es hingegen eine Anforderung, die sie nicht erfüllt, die eingestellte Person jedoch schon, so ist sie ungeeignet. Der Arbeitgeber könnte erklären, auf die Anforderungen a, b und c habe man verzichtet, aber d sei immer noch zwingend notwendig gewesen. Das bietet reichlich Verteidigungsmöglichkeiten für den Arbeitgeber.

Im zweiten Fall müsste die Klägerin in der Regel weniger Anforderungen erfüllen, weil die Arbeitgeber die Anforderungen eher höher ansetzen.

Die Rechtsprechung wird m.E. die erste Variante wählen, schon weil sich da für die Gerichte nicht das Problem ergibt, sich Gedanken um objektive Anforderungen für einen Arbeitsplatz machen zu müssen.

 

 

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Das Problem ist die Vergleichbarkeut der Situation - das eröffnet die Gelegenheit zur finalen subsumtion. Denn was ein Arbeitgeber nach Ansicht eines Gerichtes nach der Verkehrsanschauung vernünftigerweise von seinem Arbeitnehmer verlangen darf ist halt aus Sicht des Bewerbers etwas anderes als aus Sicht des Arbeitgebers. 

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